Sieben gegen die Hölle - Thorsten Fischer (Teil 6)
Sieben gegen die Hölle
Thorsten Fischer (Teil 6)
Thorsten Fischer wunderte sich nicht darüber, dass der Alte, der scheinbar ein Fischer war, ihm auf Deutsch antwortete. Zu viel war inzwischen geschehen.
"Welches Jahr haben wir?"
"2013."
"Das ist gut!" seufzte der Deutsche erleichtert und setzte sich langsam auf.
"Mein Name ist Erik Gustavson" stellte sich der Alte vor. "Und wie ist Ihr Name?"
"Thorsten Fischer. Aber nennt mich einfach Thorstæin..."
Der Deutsche sah auf seinen linken Arm. Der Schild war noch immer da.
"Es ist also soweit?!" Erik Gustavson sah ihn seltsam an.
"Was ist soweit?" Thorsten verstand nur Bahnhof.
"Ragnarök."
"Wie kommt Ihr auf sowas?" Der Deutsche sah den Alten entsetzt an. "Warum sollte das Ende der Welt vor der Tür stehen?"
Gustavson warf einen Blick auf den Schild an seiner Linken. "Weil Ihr SEINEN Schild tragt! Es heißt: Einst wird kommen ein Mann aus den Tiefen. Getragen von den neun Müttern Heimdalls. Das Netz Rans wird IHN nicht halten. Heil IHM, der trägt Allvaters Schild. Heil IHM und SEINEN sechs Gefährten auf Nehalennians Berg!"
"Nehalennian?" Thorsten konnte mit diesem Namen nichts anfangen. "Wer ist das?"
"Darüber gibt es viele Meinungen" erwiderte der Fischer. "Einige setzten diese Namen mit Hel, der Göttin des Totenreichs gleich. Andere denken es sei ein anderer Name für die Göttin Frigg, die den Beinamen Hulda von den Riesen bekam. Wieder andere, vor allem auf dem europäischen Kontinent, behaupten es sei die Göttin Berchta oder auch Perschta genannt."
Thorsten Fischer nickte. Er erinnerte sich über diese Sagen gelesen zu haben. In Deutschland erzählte man sich das Märchen von Frau Holle. Viele Historiker setzten diese Sagengestalt mit der Göttin Frigg oder Hel gleich. Einige sind der Meinung das das Wort 'Holle' aus dem Wort 'Hulda' abgeleitet sein soll.
Aber wo sollte der Berg der Nehalennian sein. Und was hatte es mit den sechs Gefährten auf sich.
"Du weißt es!", flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.
Das Amulett. Er hatte fast vergessen, das er es trug.
"Was?", dachte Fischer, "Was soll ich wissen?"
Eine Flut von Bildern stürzte urplötzlich auf ihn ein, so dass ihm fast schwindlig wurde.
"Ich muss den Schild nach Deutschland bringen!", stieß Thorsten hervor.
***
Über dem Hohen Meissner war das Gewitter noch immer nicht verschwunden. Aber noch immer war kein Tropfen Regen gefallen.
Eine etwa zwanzigjährige, junge Frau mit hüftlangen flachsblonden Haar stand am Waldrand und sah mit besorgtem Blick zu dem Gewitterwolken umhüllten Berg.
"Die Zeit ist nahe!" murmelte sie leise. "Sieben werden kommen. Doch ob alle Sieben wieder gehen werden, das blieb selbst der Weisheit Allvaters verborgen!"
Ein Zittern überlief ihren filigranen Körper, als sie das klagende Heulen in den Tiefen des Waldes hörte.
Der schwarze Wolf suchte sein Opfer. Doch noch war es nicht hier.
Noch nicht.
Die junge Frau ging den Pfad entlang der in den Wald führte. Es wurde Zeit, sich auf den Auswählten vorzubereiten!"
***
Es herrschte reger Betrieb am Flughafen Leifur Eiríkson, dem größten Flughafens Islands.
Hier, etwa sechzig Kilometer von der Hauptstadt Rykjavík, nahe der Stadt Keflavík, verband die Fluggesellschaft Icelandair Island mit dem amerikanischen und europäischen Festland.
Doch Thorsten hatte ein ganz anderes Problem. Wie sollte er den Schild unbemerkt in das Flugzeug bekommen. Und selbst wenn, in Deutschland stünde er vor dem gleichen Problem.
"Warum ich?", stöhnte er leise. "Warum passiert mir so etwas immer?"
Ein amüsiertes Lachen klang in seinem Kopf auf. "Immer? Übertreibst du nicht etwas?" Das Lächeln hörte genauso plötzlich auf, wie es kam. "Geh' einfach weiter und überlasse alles andere mir!"
"Dein Wort in Gottes Ohr!", murmelte Fischer leise.
Der Deutsche hatte ein mulmiges Gefühl, als er die Zollkontrolle vor sich sah. Doch man winkte ihn einfach durch, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.
Er atmete auf, als er sich im Flugzeug endlich in seinen Sitz fallen lassen konnte.
In wenigen Stunden würde er in Frankfurt sein.
***
Der Wolf stieß ein klagendes Heulen aus. Seit Stunden rannte er durch den Wald und über die Hänge des Berges. Dennoch hatte er den Mann mit dem Schild nicht gefunden. Das Schild, dessen Bild sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt hatte.
Der schwarze Wolf, der die Größe eines ausgewachsenen Mannes hatte, war hungrig geworden. Zwar hatte er schon einige unvorsichtige Kleintiere erlegt, aber das war nur für den hohlen Zahn gewesen.
Sein Hunger wuchs ins Unermessliche.
Die Nacht war fast vorüber und die Morgendämmerung würde nun bald anbrechen.
Langsam verzogen sich die düsteren Wolken um den Hohen Meissner, und auch das Gewitter verzog sich.
Der große, schwarze Wolf verspürte eine seltsame Unruhe, die sich in ihm breitmachte.
Langsam färbte sich der Himmel am Horizont rot. Der Morgen brach an.
Schmerzen durchpeitschen wie aus dem Nichts das Tier, und ein qualvolles Heulen, das zu einem leisen Wimmern wurde durchzog den Wald.
Doch genauso schnell wie die Schmerzen kamen waren sie verschwunden.
An der Stelle an der sich noch eben der mannshohe Wolf schmerzverzerrt gewälzt hatte lag nun ein halbnackter bewusstloser Mann.
Thomas Meier.
***
Über dem 'Gasthaus Schwalbenthal' schwebte wie eine unsichtbare Wolke das Verderben.
Es war zwar trotz des Gewitters kein einziger Tropen Regen gefallen, dennoch schienen die Blitze, die seltsamerweise nur in den Berg einschlugen, Wirkung zu zeigen.
Kleine Basaltsteinbrocken kugelten den Berghang hinunter ins Werratal. Getrockneter Schlamm, der sich am Hang breitgemacht hatte, bröckelte ab und glitt in Platten ebenfalls in Flussrichtung.
Doch das war nicht alles.
In der 'Stinksteinwand', die sich nahe des Gasthauses befand, und aus der schon seit über dreihundert Jahren Schwefelgase durch die Risse des Basaltgestein strömten, begannen sich die Risse langsam zu vergrößern.
Ein lautes Grollen, Donner gleich, kam aus dem Spalten, die nun immer größere Wolken giftigen Schwefels ausspien. Die Luft war fast zum Schneiden dick. Wurde immer heißer und unerträglicher.
Es schien, als wolle sich etwas mit aller Gewalt den Weg an die Oberfläche bahnen.
Doch davon ahnten die Menschen der näheren Umgebung nichts. Selbst wenn sie es gewusst hätten, wäre es nur eine Art Naturphänomen gewesen, wie jedes andere auch.
Wie hätte sie auch wissen sollen, was in den Tiefen auf sie und den Rest der Menschheit lauerte?
***
Der Morgen war angebrochen. Das Gewitter um den Hohen Meissner hatte sich endgültig verzogen, und die Sonne schien.
Bald würden die ersten Besucher kommen, um in den Naturpark wandern zu gehen. Schulklassen und Kindergartengruppen würden sich im dem nahen Wildpark die Zeit vertreiben und auf den Pfaden Frau Holles wandern.
Außer dem Frau-Holle-Teich, der mit seiner magischen Aura jeden Besucher fesselte, waren die sogenannte Kitzkammer, die sich am Hohen Meissner befand, und der Frau-Holle-Stuhl ganz besondere Erlebnisse für die Besucher dieser Gegend.
Hier konnte man fast körperlich die Kraft der Frau Holle spüren, auch wenn die meisten Menschen diese nur für eine Märchenfigur hielten.
Die Alten erzählten sich früher, dass man bei der Kitzkammer, einer Felswand aus Basaltsäulen, gelegentlich eine 'hohe weiße Frau' sehen könne, die einen mächtigen Schlüsselbund mit sich trüge. Eine andere Legende berichtet das Frau Holle dort zänkische Mädchen in Katzen verwandelte und diese dort einsperrte. Von da aus mussten sich die Katzen über den ganzen Berg verteilen und der Frau Holle dienen. Den guten Wanderern mussten sie den Weg weisen, die bösen aber in die Irre führen.
Auch der sogenannte Frau-Holle-Stuhl soll ein Lieblingsplatz der Sagengestalt sein, denn hier soll Frau Holle an schönen Sommertagen im weißen Kleid gesessen und ihr Haar gekämmt
haben. Wer immer sich auf diesen Stuhl setzt, wird gesund.
Doch die Besucher die diese Plätze besuchten, ahnten nichts vom dem Grauen, das wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen hing, sondern genossen ihren Ausflug.
Ende Teil 6/7