Die vergessene Vergangenheit - DIE FILM REVUE: 1948, Stunde Null
DIE STUNDE NULL
Wie Spielbanken, Coca-Cola-Hallen, Eis-Dielen und Snack-Bars schossen auch alle möglichen Magazine, Film-Zeitschriften und Illustrierte aus dem Boden. Die erste Nummer der FILM REVUE nach der Währungsreform war besonders schön in Papier und Druck. Sie bestand jetzt schon aus 16 Seiten. Die Auflage von 50.000 am Anfang war auf 200.000 geklettert.
Fast ein Jahr lang ging alles gut und die Erscheinungsweise der Filmzeitschrift wurde sogar auf eine 14tägliche umgestellt.
Die Redaktion zog unterdessen nach Baden-Baden um. Ein Hotel, das unter den Besatzungsverhältnissen gelitten hatte, nahm uns auf. Da keine Handwerker zu bekommen waren, weißten zwei Sekretärinnen die Wände.
Im Hause gegenüber übte sich eine Französin von morgens bis abends im Gesang.
Oben waren einige Zimmer für Hotelgäste freigeblieben. In einem übernachteten zwei Amerikaner, von denen einer im Bett rauchte und erst das Zimmer, dann das Hotel in Brand steckte.
Kurz nach 8 Uhr morgens kam der Zug an, der die in Karlsruhe wohnenden Redakteure und Sekretärinnen nach Baden-Baden brachte. Diese sahen gleich die Bescherung, die der amerikanische Soldat angerichtet hatte.
Von weitem erblickten die Ankömmlinge schon die Schlauchleitungen auf der Straße liegen und sahen blitzende Feuerwehrhelme. Hotelbetten, Plüschsofas und Schränke wurden herausgetragen, aber nicht die Schreibtische der Redaktion und der übrigen Mitarbeiter.
Durch Qualm und Rauch arbeiteten sich diese in das brennende Hotel vor. Einem Polizisten, der sie zurückhalten wollte, riefen sie Presse!" zu, indem sie ihre Ausweise zückten und so schleppten sie die FILM REVUE - Kostbarkeiten ins Freie: angesengte Bilder von Stewart Granger und Margaret Lockwood, Stühle, Kästen, die Leserbriefe, die Schauspielerkartei.
Auch der Amerikaner, der mit der brennenden Zigarette eingeschlafen war, lebte noch. Er wurde zur Kürzung seines Wehrsolds verurteilt und später nach Korea versetzt.
© by Ingo Löchel