Bericht vom Internationalen Kongress der Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung (1)
Bericht vom Internationalen Kongress der
Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung
(IRSCL-Tagung) in Frankfurt (Teil 1)
Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung
(IRSCL-Tagung) in Frankfurt (Teil 1)
Der Grundstein der IRSCL wurde 1969 in Frankfurt gelegt (und sie hat bis heute ihren Sitz in Deutschland), sodass 2009 das 40-Jahr-Jubiläum gefeiert werden konnte. Aus diesem Anlass beehrte auch der erste Präsident des IRSCL, Prof. Klaus Doderer, den diesjährigen Kongress mit einer Rede am Eröffnungstag, und Sonja Müller warf einen Blick zurück auf die Diskussionen und Projekte der ersten Vereinsjahre. Der Stadt Frankfurt und ihrer Bedeutung für die Brüder Grimm und damit die Anfänge der Erzählforschung trug die Rede von Prof. Heinz Rölleke Rechnung, der die vielfältigen, aber lange unterschätzten internationalen Beziehungen der Grimms ausleuchtete. Der Kongress war (in der Sommerhitze der Grossstadt) einwandfrei organisiert; so wurden die zeitlichen Begrenzungen fast ausnahmslos tatsächlich eingehalten was bei Vortragsveranstaltungen nicht immer eine einfache Sache ist.
Nach den Eröffnungsvorträgen vor allen Teilnehmer/innen am Samstag sah das Tagesprogramm jeweils wie folgt aus: Zu Beginn gab es jeweils ein stündiges Referat vor dem Plenum, anschliessend hatte man die Qual der Wahl, sich für den Besuch von drei Sessionen zu entscheiden, von denen stets 14 (!) zugleich abgehalten wurden. Ein Sessionsblock bestand in der Regel aus vier, wenn möglich thematisch zusammenhängenden, zwanzigminütigen Vorträgen, zu denen anschliessend zehn Minuten für die Diskussion zur Verfügung standen. Am Montag fanden nachmittags bzw. abends verschiedene Exkursionen für die Teilnehmer/innen statt.
Die meisten Beiträge wurden in Englisch abgehalten. Aufgrund des Standorts des Kongresses gab es entsprechend viele Beiträge in deutscher Sprache, und zudem gab es Blöcke in französischer und mehr noch in spanischer Sprache. Letztere wurden zum Teil netterweise per Kopfhörer simultan in Englisch übersetzt. Dass dies nicht bei allen spanischen Beiträgen möglich war, ist zwar verständlich, aber dennoch schade. (Insbesondere reut es mich, dass ich mir deshalb einen Vortrag über Piraten in spanischer Jugendliteratur entgehen lassen musste.)
Der Kongress stand unter dem Oberthema «Cultural Diversity». Demgemäss lag ein Schwerpunkt der Forschungsbeiträge auf Literatur, die Migration in verschiedenen Formen thematisiert. Als ein kleinerer Schwerpunkt erwies sich aufgrund der Zahl der Beiträge die phantastische Literatur. Vor allem die Harry-Potter-Reihe der explizit mindestens 6 Beiträge gewidmet waren (nicht-ausschliessliche Erwähnungen nicht mitgezählt) scheint der Forschung hier den Impuls gegeben zu haben, sich (wieder) mehr mit phantastischer Literatur zu beschäftigen. Science-Fiction stand dagegen nur vereinzelt auf dem Programm, aber wenn, dann mit meiner Meinung nach interessantem Fokus. Auffallend war, dass sich der grösste Teil der Beiträge nach wie vor mit gedruckter Literatur, vor allem Büchern und Bilderbüchern, befasste. Filmische Erzählformen sowie Comics waren weniger vertreten.
Die Qualität der Beiträge war wie bei so vielen Teilnehmer/innen aus aller Herren Länder wohl zu erwarten unterschiedlich. So war bei einigen Vorträgen etwas zu bedauern, dass sich die Referierenden mehr oder weniger auf eine Inhaltsangabe ihres Gegenstands beschränkten und so ihre Forschungsarbeit vielleicht mit zu grosser Rücksicht auf nicht vorhandenes Wissen beim Publikum zu wenig präsentierten. Sofern einem der Gegenstand unbekannt war, konnten die Beiträge aber trotz dieses Wermutstropfens hörenswert sein.
Einen Überblick über die Themen der einzelnen Referate geben zu wollen, ist ein unmögliches Unterfangen bestimmt hätte jede/r an Kinder- und Jugendliteratur Interessierte mehrere besuchenswerte Titel gefunden. Das Programm bot über alle Genres hinweg ein breites Spektrum zwischen Einzelwerk und Nationalliteraturen, zwischen historischer Betrachtung und Aktualitätsbezug, zwischen bejahrteren und aktuellen Forschungsansätzen.
Um euch, liebe Zauberspiegel-Leser und -Leserinnen, einen kleinen Einblick in die in Frankfurt präsentierte Forschung über Kinder- und Jugendliteratur zu geben, werde ich in zwei Teilen eine Auswahl der Referate, an welchen ich anwesend war, kurz umreissen. Die Auswahl ist selbstredend subjektiv, da ich nur Referate, die meinen Interessen entsprechen, besucht habe. Im 1. Teil werde ich Beiträge unter dem Titel Einblicke in andere Kulturen zusammenstellen, der 2. Teil ist den Referaten zu phantastischer Literatur gewidmet.
Einblicke in andere Kulturen
«The Clever Princess» in Japan
Das Buch «The Clever Princess» (1983) von Diana Cole ist die feministische Umformung eines klassischen Märchens: Die konventionellen Geschlechterrollen sind vertauscht; die Frauen sind das kluge, aktive Geschlecht, während die Männer entweder dumm oder böse sind. Es wurde 1989 auf Betreiben eines Frauenrechtsvereins auf Japanisch übersetzt und hatte in der Folge eine erfolgreiche, wenngleich mit Diskussionen verbundene Rezeptionsgeschichte. Die Übersetzung nahm Rücksicht auf die japanischen Gesellschaftsverhältnisse und änderte nicht nur den Titel zu «The Adventures of Princess Arete», sondern milderte auch brutale Szenen, liess Dinge aus und änderte das Arrangement gewisser Szenen. Die Titeländerung hing offenbar damit zusammen, dass in Japan aktive Frauen fest mit spannenden Abenteuern assoziiert werden. Im Jahr 2000 wurde die japanische Übersetzung (von einem Mann) für das Medium des Anime-Films adaptiert («Princess Arete»). Hier wurden die feministischen Botschaften des Textes gemässigt, und eine exzessive Fokussierung auf Frauen, die manchmal kritisiert worden war, wurde vermieden. Nicht alle Männer sind böse oder dumm. (So ist der Zauberer Boax, der Letzte seines Volkes, so verzaubert, dass er sich passiv und gehorsam verhält.) Wie der Film umgewichtet, zeigt der Marketing-Slogan (im Vergleich zum Originaltitel): «A story of a girl who has found the power of the heart.» Trotz der glättenden Tendenzen zeigt der Film aber immer noch eine kluge Prinzessin und betont die Wichtigkeit von Selbstbewusstsein.
«One Piece»
Die Manga-Serie One Piece von Eichiro Oda, die auch in Deutschland beliebt ist, läuft bereits seit 1997. Basierend auf der «Schatzinsel» von Robert Louis Stevenson (1947 erschien diese erstmals in einer Manga-Adaption), ist es eine klassische Abenteuergeschichte, welche aber von übernatürlichen Elementen durchzogen ist. Luffy, die Hauptfigur, ernennt sich selbst zum König der Piraten und erinnert an so bekannte Abenteurerfiguren wie Indiana Jones, Robin Hood und Jack Sparrow. Luffys Superkraft ist, dass er sich wie Gummi dehnen kann (Mr. Fantastic und Plastic Man lassen grüssen). Seine Mannschaft umfasst beispielsweise einen skelettierten Musiker und einen kämpfenden Koch. Die übernatürlichen Fähigkeiten verdanken sie dem Genuss der Teufelsfrucht, die man aber nur einmal im Leben essen darf, und die jedem eine individuelle Superkraft verleiht allerdings mit der Nebenwirkung, dass man nicht mehr schwimmen kann. Luffy hat zudem eine heldenmässige Bestimmung und zeichnet sich durch Optimismus, Attraktivität und einen offenen Geist aus. Die Serie hat inzwischen über 50 Folgen, und auch sie auf einem europäischen Vorbild gründet, scheint es doch etwas erstaunlich, dass sich westliche Abenteurer- bzw. Heldenkonzepte offenbar problemlos in einer Manga-Serie wiederfinden lassen.
Indische Comics
Im multikulturellen und multilingualen Indien sind Comics als Jugendlektüre sehr beliebt, unter anderem auch westliche Helden wie Batman, Superman und Co. Als Gegengewicht zu diesem westlichen «Übergewicht» hat 1967 «Anant Pai» («Onkel Pai») eine sehr beliebte Reihe gestartet, die als einziger indischer Comic indische Mythen adaptiert: Amar Chitra Katha (Heroic/Great Picture Story). Sie verfolgt die klare Absicht, diese Stoffe durch Comics den Kindern zu vermitteln. Die Reihe greift dabei Mythen der verschiedenen Religionen Indiens auf, verarbeitet aber u. a. auch Heiligenlegenden, Volkslieder, Fabeln und Biographien von Tapferen oder Visionären, wobei es auch regionale Ausgaben gibt. Sie ist für viele der beste Zugang zu den beiden grossen, d. h. auch voluminösen indischen Epen Ramayana und Mahabharata. Problematisch ist dabei je nach Standpunkt der Rezipienten eine oft aufzufindende Ideologisierung im Sinne einer Patriotisierung und Simplifizierung.
Lateinamerika im Abenteuerroman
In diesem hervorragenden Referat ging es zwar nicht um Literatur aus einem von uns weit entfernten Gebiet der Erde, aber um das Bild von Lateinamerika in aktuellen englischsprachigen Abenteuerromanen für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Für die Beschreibung des romantischen Bilds von Lateinamerika war offenbar der Reisebericht von Humboldt ein bedeutender Einfluss. Für ihn repräsentierten die gefundenen ärchaologischen Relikte «all that is strange in nature». Die untersuchten Bücher, alle nach 2000 erschienen, reflektieren die Veränderungen in der gesamten Abenteuerliteratur, in dem z. B. weibliche Figuren mehr vorkommen. Die Plots aber drehen sich immer noch um die stereotypen, eher gruseligen Aspekte der Geschichte wie etwa dem Totenkult oder referieren Mythen der Maya. Die Protagonisten betreten dabei eine fremde Welt, von der sie nur wenig wissen. Trotz der archaisierten Darstellung der Angehörigen solch romantischer Kulturen, etwa wenn sie dem betreffenden Jungen in magisches Messer schenken, kommt es vor, dass die «echten» Azteken mit Internet und Handy hantieren. Der Kontrast zwischen althergebrachten und modernen Waffen kann ebenfalls wichtig für die Handlung sein. Oft wird auch das andere stereotype Bild von Lateinamerika, jenes der durchgehenden Korruption, integriert. Gemeinsam ist den Büchern auch die Bedeutung der Landschaft, deren «Grösse» die jugendlichen, in ihrer Identität unsicheren Protagonisten beeindruckt und sie physisch und psychisch beeinflusst, sodass er sich entwickeln kann. Im Gegensatz zu früheren Beispielen von Abenteuerliteratur zeigt sich aber ein Mentalitätswandel: Der Held tritt nun nicht mehr als Eroberer in Erscheinung, sondern als (Kultur-)Bewahrer.
Nach den Eröffnungsvorträgen vor allen Teilnehmer/innen am Samstag sah das Tagesprogramm jeweils wie folgt aus: Zu Beginn gab es jeweils ein stündiges Referat vor dem Plenum, anschliessend hatte man die Qual der Wahl, sich für den Besuch von drei Sessionen zu entscheiden, von denen stets 14 (!) zugleich abgehalten wurden. Ein Sessionsblock bestand in der Regel aus vier, wenn möglich thematisch zusammenhängenden, zwanzigminütigen Vorträgen, zu denen anschliessend zehn Minuten für die Diskussion zur Verfügung standen. Am Montag fanden nachmittags bzw. abends verschiedene Exkursionen für die Teilnehmer/innen statt.
Die meisten Beiträge wurden in Englisch abgehalten. Aufgrund des Standorts des Kongresses gab es entsprechend viele Beiträge in deutscher Sprache, und zudem gab es Blöcke in französischer und mehr noch in spanischer Sprache. Letztere wurden zum Teil netterweise per Kopfhörer simultan in Englisch übersetzt. Dass dies nicht bei allen spanischen Beiträgen möglich war, ist zwar verständlich, aber dennoch schade. (Insbesondere reut es mich, dass ich mir deshalb einen Vortrag über Piraten in spanischer Jugendliteratur entgehen lassen musste.)
Der Kongress stand unter dem Oberthema «Cultural Diversity». Demgemäss lag ein Schwerpunkt der Forschungsbeiträge auf Literatur, die Migration in verschiedenen Formen thematisiert. Als ein kleinerer Schwerpunkt erwies sich aufgrund der Zahl der Beiträge die phantastische Literatur. Vor allem die Harry-Potter-Reihe der explizit mindestens 6 Beiträge gewidmet waren (nicht-ausschliessliche Erwähnungen nicht mitgezählt) scheint der Forschung hier den Impuls gegeben zu haben, sich (wieder) mehr mit phantastischer Literatur zu beschäftigen. Science-Fiction stand dagegen nur vereinzelt auf dem Programm, aber wenn, dann mit meiner Meinung nach interessantem Fokus. Auffallend war, dass sich der grösste Teil der Beiträge nach wie vor mit gedruckter Literatur, vor allem Büchern und Bilderbüchern, befasste. Filmische Erzählformen sowie Comics waren weniger vertreten.
Die Qualität der Beiträge war wie bei so vielen Teilnehmer/innen aus aller Herren Länder wohl zu erwarten unterschiedlich. So war bei einigen Vorträgen etwas zu bedauern, dass sich die Referierenden mehr oder weniger auf eine Inhaltsangabe ihres Gegenstands beschränkten und so ihre Forschungsarbeit vielleicht mit zu grosser Rücksicht auf nicht vorhandenes Wissen beim Publikum zu wenig präsentierten. Sofern einem der Gegenstand unbekannt war, konnten die Beiträge aber trotz dieses Wermutstropfens hörenswert sein.
Einen Überblick über die Themen der einzelnen Referate geben zu wollen, ist ein unmögliches Unterfangen bestimmt hätte jede/r an Kinder- und Jugendliteratur Interessierte mehrere besuchenswerte Titel gefunden. Das Programm bot über alle Genres hinweg ein breites Spektrum zwischen Einzelwerk und Nationalliteraturen, zwischen historischer Betrachtung und Aktualitätsbezug, zwischen bejahrteren und aktuellen Forschungsansätzen.
Um euch, liebe Zauberspiegel-Leser und -Leserinnen, einen kleinen Einblick in die in Frankfurt präsentierte Forschung über Kinder- und Jugendliteratur zu geben, werde ich in zwei Teilen eine Auswahl der Referate, an welchen ich anwesend war, kurz umreissen. Die Auswahl ist selbstredend subjektiv, da ich nur Referate, die meinen Interessen entsprechen, besucht habe. Im 1. Teil werde ich Beiträge unter dem Titel Einblicke in andere Kulturen zusammenstellen, der 2. Teil ist den Referaten zu phantastischer Literatur gewidmet.
Einblicke in andere Kulturen
«The Clever Princess» in Japan
Das Buch «The Clever Princess» (1983) von Diana Cole ist die feministische Umformung eines klassischen Märchens: Die konventionellen Geschlechterrollen sind vertauscht; die Frauen sind das kluge, aktive Geschlecht, während die Männer entweder dumm oder böse sind. Es wurde 1989 auf Betreiben eines Frauenrechtsvereins auf Japanisch übersetzt und hatte in der Folge eine erfolgreiche, wenngleich mit Diskussionen verbundene Rezeptionsgeschichte. Die Übersetzung nahm Rücksicht auf die japanischen Gesellschaftsverhältnisse und änderte nicht nur den Titel zu «The Adventures of Princess Arete», sondern milderte auch brutale Szenen, liess Dinge aus und änderte das Arrangement gewisser Szenen. Die Titeländerung hing offenbar damit zusammen, dass in Japan aktive Frauen fest mit spannenden Abenteuern assoziiert werden. Im Jahr 2000 wurde die japanische Übersetzung (von einem Mann) für das Medium des Anime-Films adaptiert («Princess Arete»). Hier wurden die feministischen Botschaften des Textes gemässigt, und eine exzessive Fokussierung auf Frauen, die manchmal kritisiert worden war, wurde vermieden. Nicht alle Männer sind böse oder dumm. (So ist der Zauberer Boax, der Letzte seines Volkes, so verzaubert, dass er sich passiv und gehorsam verhält.) Wie der Film umgewichtet, zeigt der Marketing-Slogan (im Vergleich zum Originaltitel): «A story of a girl who has found the power of the heart.» Trotz der glättenden Tendenzen zeigt der Film aber immer noch eine kluge Prinzessin und betont die Wichtigkeit von Selbstbewusstsein.
«One Piece»
Die Manga-Serie One Piece von Eichiro Oda, die auch in Deutschland beliebt ist, läuft bereits seit 1997. Basierend auf der «Schatzinsel» von Robert Louis Stevenson (1947 erschien diese erstmals in einer Manga-Adaption), ist es eine klassische Abenteuergeschichte, welche aber von übernatürlichen Elementen durchzogen ist. Luffy, die Hauptfigur, ernennt sich selbst zum König der Piraten und erinnert an so bekannte Abenteurerfiguren wie Indiana Jones, Robin Hood und Jack Sparrow. Luffys Superkraft ist, dass er sich wie Gummi dehnen kann (Mr. Fantastic und Plastic Man lassen grüssen). Seine Mannschaft umfasst beispielsweise einen skelettierten Musiker und einen kämpfenden Koch. Die übernatürlichen Fähigkeiten verdanken sie dem Genuss der Teufelsfrucht, die man aber nur einmal im Leben essen darf, und die jedem eine individuelle Superkraft verleiht allerdings mit der Nebenwirkung, dass man nicht mehr schwimmen kann. Luffy hat zudem eine heldenmässige Bestimmung und zeichnet sich durch Optimismus, Attraktivität und einen offenen Geist aus. Die Serie hat inzwischen über 50 Folgen, und auch sie auf einem europäischen Vorbild gründet, scheint es doch etwas erstaunlich, dass sich westliche Abenteurer- bzw. Heldenkonzepte offenbar problemlos in einer Manga-Serie wiederfinden lassen.
Indische Comics
Im multikulturellen und multilingualen Indien sind Comics als Jugendlektüre sehr beliebt, unter anderem auch westliche Helden wie Batman, Superman und Co. Als Gegengewicht zu diesem westlichen «Übergewicht» hat 1967 «Anant Pai» («Onkel Pai») eine sehr beliebte Reihe gestartet, die als einziger indischer Comic indische Mythen adaptiert: Amar Chitra Katha (Heroic/Great Picture Story). Sie verfolgt die klare Absicht, diese Stoffe durch Comics den Kindern zu vermitteln. Die Reihe greift dabei Mythen der verschiedenen Religionen Indiens auf, verarbeitet aber u. a. auch Heiligenlegenden, Volkslieder, Fabeln und Biographien von Tapferen oder Visionären, wobei es auch regionale Ausgaben gibt. Sie ist für viele der beste Zugang zu den beiden grossen, d. h. auch voluminösen indischen Epen Ramayana und Mahabharata. Problematisch ist dabei je nach Standpunkt der Rezipienten eine oft aufzufindende Ideologisierung im Sinne einer Patriotisierung und Simplifizierung.
Lateinamerika im Abenteuerroman
In diesem hervorragenden Referat ging es zwar nicht um Literatur aus einem von uns weit entfernten Gebiet der Erde, aber um das Bild von Lateinamerika in aktuellen englischsprachigen Abenteuerromanen für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Für die Beschreibung des romantischen Bilds von Lateinamerika war offenbar der Reisebericht von Humboldt ein bedeutender Einfluss. Für ihn repräsentierten die gefundenen ärchaologischen Relikte «all that is strange in nature». Die untersuchten Bücher, alle nach 2000 erschienen, reflektieren die Veränderungen in der gesamten Abenteuerliteratur, in dem z. B. weibliche Figuren mehr vorkommen. Die Plots aber drehen sich immer noch um die stereotypen, eher gruseligen Aspekte der Geschichte wie etwa dem Totenkult oder referieren Mythen der Maya. Die Protagonisten betreten dabei eine fremde Welt, von der sie nur wenig wissen. Trotz der archaisierten Darstellung der Angehörigen solch romantischer Kulturen, etwa wenn sie dem betreffenden Jungen in magisches Messer schenken, kommt es vor, dass die «echten» Azteken mit Internet und Handy hantieren. Der Kontrast zwischen althergebrachten und modernen Waffen kann ebenfalls wichtig für die Handlung sein. Oft wird auch das andere stereotype Bild von Lateinamerika, jenes der durchgehenden Korruption, integriert. Gemeinsam ist den Büchern auch die Bedeutung der Landschaft, deren «Grösse» die jugendlichen, in ihrer Identität unsicheren Protagonisten beeindruckt und sie physisch und psychisch beeinflusst, sodass er sich entwickeln kann. Im Gegensatz zu früheren Beispielen von Abenteuerliteratur zeigt sich aber ein Mentalitätswandel: Der Held tritt nun nicht mehr als Eroberer in Erscheinung, sondern als (Kultur-)Bewahrer.