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Wortmagie in der »Schwangeren Auster«

Sergej LukianenkoWortmagie in der
»Schwangeren Auster«
Sergej Lukianenko liest und antwortet

"Fahren Sie auch zum Haus der Kulturen der Welt?"

Der Busfahrer legt geduldig die Stirn in Grübelfalten, er ist komische Fragen von Touristen gewöhnt. Fährt er doch auf die Linie 100, die eine ganze Reihe von Sehenswürdigkeiten Berlins passiert. Dann kommt ihm die Erleuchtung: "Achso, Sie wollen zur schwangeren Auster! Ja, klar da halte ich auch."

 

Die »Schwangere Auster« Dann bin ich ja richtig, denn mit was geht die Auster schwanger? Mit Literatur! Beim zehnten internationalen Literaturfestival, das hier in Berlin vom 15.9-25.9.10 stattfand, lag der Fokus auf Osteuropa. Natürlich auch bei der Programmsparte »Internationale Kinder- und Jugendliteratur«.  Und so führt mich an diesem Tag eine Autorenlesung für Schüler zum Haus der Kulturen: Sergej Lukianenko mit seinem neuesten Buch »Trix Solier – Zauberlehrling voller Fehl und Adel«.

Bei dem aus Kasachstan stammenden Autoren denkt man in Deutschland eher an den mehr düstern »Wächter der Nacht« und seine Folgebände, denn an Jugendbücher. Dabei hat  Lukianenko schon 2007 den internationalen Buchpreis CORINE für das beste Jugendbuch für »Das Schlangenschwert« erhalten.

So heben sich auch nur sehr wenige Schülerhände, als die Moderatorin zu Beginn der Veranstaltung fragt, wer denn schon mal ein Buch von Sergej Lukianenko gelesen hat. Auf die Frage, wer schon mal in Kasachstan war, melden sich mehr. Gut  850 Schüler sind im Auditorium, das hat zwar eigentlich Platz für 1000 Leute, aber die 7-9 Klässler und die begleitenden Lehrer füllen es schon gut aus. Flöhe hüten ist sicherlich leichter, aber die muntere Bande machte durchaus einen neugierig-gespannten Eindruck und begrüßte Lukianenko mit einem kräftigen Applaus. Davon kriegen auch die Übersetzerin des Buches, Christiane Pöhlmann und der Sprecher der Hörbuchversion, Stefan Kaminski was ab.

Trix SolierDie lockere Anmoderation findet den richtigen Ton für das junge Publikum. Frau Pöhlmann habe sich leicht geschnitten, wenn es was Größeres gewesen wäre, hätte Herr Lukianenko helfen können, denn er sei Arzt. Und auch Psychiater, falls es also im Publikum da einen Notfall gäbe… Gelächter und sofort sind einige Kinder bereit, einen solchen zu simulieren. Aber sie lassen dann doch lieber den Autoren aus seinem Werk lesen, um einfach mal einen Eindruck von dem Original zu bekommen. Herr Lukianenko liest flüssig, laut und deutlich, außer einem gelegentlichen 'Trix' verstehe ich nix. Aber ich bin beeindruckt: So schnell kann ich im Deutschen nicht lesen.

Auch im Multikulti Berlin hat sicherlich nur ein Bruchteil der Anwesenden den russischen Text verstanden, aber dafür ist dann auch Stefan Kaminski da, nun trägt er das erste Kapitel auf deutsch vor. Ein gelungener Einstieg in die Geschichte, denn dem Helden Trix Solier (14) wiederfährt etwas, das jeder nachvollziehen kann, der schon einmal in der Pubertät war: Er steht vorm Spiegel und hadert mit seinem Aussehen.

Dafür ihm bleibt im Buch allerdings nicht viel Zeit, denn das Co-Herzogtum, dessen Erbe er ist, wird überfallen. Nun Elternlos und gerade mal mit dem Leben davongekommen, schwört Trix Rache. Aber es ist nicht leicht, sich in der Welt zurechtzufinden, auch  - oder gerade weil - er als Lehrling beim großen Magier Sauerampfer landet.

In der zweiten Leseprobe findet der konsternierte Meister bei der Rückkehr von einem sehr anstrengenden Magierkongress nicht nur seinen Lehrling vor, sondern auch ein paar Gefährten, die sich dieser aufgesammelt hat. Das ist jetzt die Gelegenheit für Kaminski sein stimmliches Wandlungstalent zu zeigen: Vom verkaterten Zauberer bis zur sirrenden Fee. Das ist ein leichtes für einen Schauspieler, auch schon mal auf der Bühne in der Walküre alle Rollen auf die Bretter legt. Nun ist es Sergej Lukianenko der wohl kaum ein Wort versteht, aber parallel in seinem Buch lesend verfolgt er den Vortrag und ist von der stimmlichen Personifizierung seiner Figuren wohl deutlich beeindruckt.

Sergej Luianenko und Christiane Pöhlmann Mikrofone werden rumgereicht, eine erste Fragerunde für die Kinder ist dran. Frau Pöhlmann übersetzt fix die Fragen und die Antworten. Mit welchen Büchern ist Lukianenko selbst in die phantastische Literatur eingestiegen? Er nennt die Strugatzkibrüder. Wie seine Ideen zu seinen Büchern entstehen, ist eine der nächsten Fragen, ob er da ein klares Skript schreibe? Die Geschichten entstünden aus einigen wagen Ideen, einem Inhalt oder einer Szene und würden von da aus beim schreiben wachsen. Für »Trix Solier« war die Ausgangsidee eine Welt in der die Worte magisch wirken.

Ob das nicht schwierig zu übersetzen sei, wird nun Frau Pöhlmann direkt gefragt. Nicht alles ließe sich wörtlich übersetzen, da müsse sie sich schon was ausdenken. Aber wenn das Buch gut ist und auch Humor  hat macht es das einfacher.  Alle Bücher von Herr Lukianenko wären vom Stil her etwas anders, das würde es auch spannender machen.

Wie witzig ist die russische Literatur, will man noch wissen und wie viel Humor denn die Fantasy vertrage? Es gibt da wohl sehr viel, aber sie ist schwer zu übersetzten. (Da dürfen wir wohl froh sein, das es mit Frau Pöhlmann eine Übersetzerin gibt, die sich gut auf den Autor Lukianenko versteht.) Und, so ist die Meinung von Lukianenko: Jedes Buch braucht eine Priese Humor!

Lukianenko signiert So wie wohl auch jede Lesung spannende Aktionszene braucht. Und die kommt dann in der nächsten Leseprobe. Trix kann inzwischen schon einiges zaubern und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die junge Fürstin Tiana vor der Zwangsverheiratung zu retten. Den jungen Zuhörern wird eine fulminante Seeschlacht versprochen, mit Untoten Kämpfern, einem Zombie-Seeungeheuer, ätzendem Schleim und es ist nicht Zuviel versprochen. Der Höhepunkt aber der Szene, ist der Zweikampf der Magier, zwischen Trix und einem üblen Vitamancer. Denn diese Magie ist keine die sich damit begnügt das der Zauberer mit einem Stäbchen wedelt und "Hokus Pokus" ruft. Es ist eine wortgewaltige, poetische Form der Magie, jeder Spruch ein kleines Wortkunstwerk. Dafür sind die Ergebnisse bei der richtigen Wortwahl episch.

Kaminski packt nun richtig aus, wieder hat jeder Beteiligte seine eigene Stimme. Was man ja im Hörbuch nicht mitkriegt, ist die herrliche Mimik. Wie knautschfähig das Gesicht ist, wie sich die Brauen heben und das Kinn vorstreckt um Akzente zu setzen. Oder die Hände als Feenflügelchen zum Einsatz kommen. Besonders köstlich sind schnelle Wechsel zwischen dem bösen Vitamancer und der – bssssst – Fee Annette. Und die Kinder sind voll dabei, nach einem lautmalerischen 'plopp' von Kaminski gibt es viele kleine Echos im Publikum.

Auch wenn das junge Publikum nun etwas unruhiger ist und für die Moderatorin ein wenig schwerer zu bändigen, auch für die zweite Runde gibt es noch genug Fragen. Einfache Fragen, wie die nach der Familie (er hat eine Frau, zwei Söhne und zwei Hunde), wann er sein erstes Buch geschrieben habe (mit 18, herausgekommen ist das erste als er 21 war) und wie viele Bücher er überhaupt schon geschrieben hat (25).

Aber auch kniffeligere Fragen kommen: Ob er denn Vorbilder habe, denen er beim schreiben nacheifere. Nun, zu Beginn seiner Karriere schon, aber inzwischen würden andere ihn nachmachen.  Und hat er einen Trick, wenn er keine Ideen mehr hat, es mit dem Schreiben nicht mehr weiter geht? In einer echten Schaffenskrise, verrät Lukianenko verschmitzt, könnte es sein, das er es einfach bleiben lasse und dann in den Garten gehe oder am  Computer spiele. Der Tipp gefällt dem jungen Publikum, sicherlich denken sie daran, ihn auch auszuprobieren. Aber dann fügte der Autor ernsthafter hinzu, dass er sich meist hinsetze und weiterarbeite, bis die Geschichte weitergeht. Um sich zu entspannen kocht er auch und, so verrät er schmunzelnd, wie man vielleicht sähe, isst er auch gerne.

Signieren Ein Schüler möchte wissen, wie denn die Idee zu »Trix Solier« entstanden ist. Es war ihm aufgefallen, so Lukianenko, das er schon länger nichts mehr für Jugendliche geschrieben hatte. Und wiederholt, dass die Idee dieser besonderen Form der Magie der Worte, dann der Ausgangspunkt war, von dem sich die Geschichte entwickelte. Die Antwort auf die Frage nach dem nächsten Projekt, zeigt wie spannend wohl die Welt des »Trix Solier« für den Autoren ist: Denn im Koffer nach Berlin hat er sich die Arbeit am letzten Kapitel des Nachfolgebandes mitgenommen.

Auch wenn es noch einige Fragen gab, wie die Rangelei um die Saalmikrophone zeigte: Die Veranstaltung war nun zu Ende, wie bei aller Begeisterung auch die Fähigkeit der Schüler stillzusitzen
Wink. Trotzdem mussten nicht alle Fragen ohne Antwort bleiben, denn Herr Lukianenko und Frau Pöhlmann blieben dafür und zum signieren noch eine Zeitlang im Foyer.

 Eines ist sicher: Sollte man in einem Jahr die Frage vom Anfang, wer schon mal ein Buch von Sergej Lukianenko gelesen hat, wiederholen, dann werden sicherlich viel mehr die Hände heben. 

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