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Krankheitsvertretung von Wolfgang Schroeder Leseprobe zu Waypoint FiftyNine

LeseprobeKrankheitsvertretung
Leseprobe zu »Waypoint FiftyNine«

Kennt ihr den? Kommt ein Bashtheaner ins Waypoint FiftyNine und sieht aus wie ein hamacherianischer Sklavenhändler? Nein? Na zum Glück fängt meine Geschichte auch gar nicht so an. Allerdings beginnt sie schon mit einem Bashtheaner, der nach einer längeren Abwesenheit mal wieder seine alte Lieblingsbar betritt, die zufälligerweise Waypoint FiftyNine heißt und in einem fast vergessenen Seitenarm der Milchstraße liegt.

Waypoint FiftyNineUnd er ist tatsächlich etwas exotisch gekleidet, was manch einem vielleicht unangenehm aufstoßen könnte. Doch über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten und deswegen ist es dem Bashtheaner – also mir – auch vollkommen egal, was andere Wesen über mich denken. Mir jedenfalls gefiel die schwarze, bedruckte Tunika, die sanft meinen Körper umschmeichelte.

Die Sklavenhändler von Hamach 42 gehören ja zu den übelsten Kreaturen der besiedelten Galaxie (und wahrscheinlich auch der unbesiedelten), doch ihr extravaganter, dezent protziger Kleidungsstil hatte es uns Bashtheanern trotzdem angetan, seitdem vor vierhundert Galakto-Jahren die ersten schleimigen Exemplare dieser Gattung auf unserem Planeten aufgetaucht waren. Allerdings hatten sie nicht lange genug überlebt, um uns die inhärenten Vorzüge ihres Geschäftsmodells nahebringen zu können, sondern waren ziemlich schnell dem Schicksal der mythologisch wirkenden Tiergestalten auf ihren wallenden Gewändern gefolgt, die auf unterschiedlichste Art und Weise dahingemeuchelt wurden.

Einige dieser Kleidungsstücke hingen noch heute im Museum für extrabashtheanische Kulturen und dienten seit Generationen unseren Modeschöpfern als Inspiration für ihre Kreationen. So auch für den Modezar, der diesen Fummel für mich entworfen hatte.

Suchend blickte ich mich in der dezent ausgeleuchteten Bar um. Es hatte sich seit meinem letzten Besuch kaum etwas verändert. Nur an den Wänden hingen ein paar neue Artefakte, unter anderem ein Golfschläger von der Erde, der aussah, als wäre er einmal mitten durch ein Schwarzes Loch gerauscht und auf der anderen Seite wieder ausgespien worden.

Meinen alten Freund Virginio konnte ich nirgendwo entdecken. Doch wahrscheinlich war er nur mal kurz hinter der Theke abgetaucht, um einige der geheimen Ingredienzien für den FiftyNiner zusammenzufegen. Böse Zungen behaupteten nämlich, dass ein nicht unerheblicher Teil dieses superleckeren Cocktails aus dem bestand, was man im Waypoint FiftyNine hinter der Theke auf dem Boden finden konnte. Nun ja, solange sie nicht damit anfingen, das zusammenzukratzen, was die Gäste vor der Theke … ach, lassen wir das lieber.

Und wirklich richtete sich Virginio jetzt ächzend hinter der Theke auf, wobei er seinen Rücken durchdrückte. Als er mich entdeckte, erhellte sich sein gebräuntes Gesicht und sein vertrautes Schmunzeln erschien darauf.

»Nuschler, que alegría! Wie siehst du denn aus? Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen, Amigo.«

Dazu muss man wissen, dass mein richtiger Name eigentlich: Der, der äußerst undeutlich sprechend aus dem Ei geschlüpft ist und damit seine drei Mütter in den Wahnsinn getrieben hat, lautet und im bashtheanischen Original wie ein Sandsturm auf Desmos 13 klingt. Deswegen geht Nuschler als Spitzname für mich schon in Ordnung. Und wenigstens nannte er mich nicht Til, wie einige meiner anderen menschlichen Bekannten …

»Ich freu mich auch, dich zu sehen, Virginio. Und danke der Nachfrage, es geht mir gut. Sehr gut sogar, wie du bestimmt unschwer erkennen kannst.«

Er musterte mich von oben bis unten und grinste dann breit. »Deine Kleidung sieht ziemlich … teuer aus. Und was hängt da in deinem Bart?«

»Gefallen sie dir? Das sind kleine Zapfenperlen von Ambrosius 3, extra für mich von Meerjungfrauen vom Grund des Unendlichen Meeres geerntet!«

»Meerjungfrauen … so, so. Na ja, zumindest waren die letzten Jahre wohl nicht so schlecht.«

Er unterbrach sich und begann, die Ingredienzien für meinen Selver zusammenzusuchen.

»Das Gleiche wie immer?«

Ich nickte. »Na klar, gerüttelt und nicht gerührt.«

Er goss den Cocktail in ein geeistes Glas und stellte es vor mich hin.

»Und wie bist du zu dem plötzlichen Reichtum gekommen?«

»Erinnerst du dich, dass ich vor einigen Jahren diesen neuen Job angenommen hatte?«

»Ja … war das nicht irgendwas mit Marketing? Und muy secreto?«

»Richtig. Geheim war es definitiv … aber weißt du was? Dir erzähle ich es trotzdem.« Ich nahm einen Schluck von meinem Selver und stützte mich dann entspannt mit einem Armpaar auf der Theke auf.

»Alles begann bei einem dieser anstrengenden Briefings, die zu diesem Job leider dazu gehörten – in einem Teil der Galaxie, der Tausende von Lichtjahren von den paar Planeten entfernt liegt, die ihr Menschen besiedelt habt. Ich wollte gerade mein Mittagsschläfchen nachholen, als plötzlich eine interessante Frage auftauchte …«

 

»Hat schon mal jemand von einem Planeten namens Erde gehört?«

Heftiges Kopfschütteln, Schulterzucken und das Aneinanderreiben chitinhaltiger Skelettteile war die spontane Antwort auf diese Frage. Gefolgt von verneinenden Grunzern, Zischlauten und dem Ausstoßen übelriechender Verdauungsdämpfe.

Nur ein Bashtheaner in der vorletzten Reihe hob vorwitzig einen seiner sechs Arme. Und du kannst dir bestimmt denken, wer das war.

»Ja …«, der Supervisor, ein Reptiloide von Wega 1, versuchte nach einem langen Blick auf sein Digiboard vergeblich, meinen Namen über die spitz zugefeilten Reißzähne zu bekommen.

Schließlich kapitulierte er und deutete auf mich. »Ja – du!»

»Das ist dieser etwas zurückgebliebene Planet am Rand des Orionarms, dessen Bewohner von manchen auch die Geißel der Galaxis genannt werden. Eine Ansicht, die ich übrigens nicht teile, denn ich kenne da eini…«

»Rrrichtig«, unterbrach mich der Reptiloide brutal und holte tief Luft, »und genau dort haben wir ein Riesenproblem! Einer unserer Repräsentanten vor Ort, ein gewisser Sssanta Clausss, hat sich nicht an Klausel 7.2.8 unseres Vertrages gehalten. Jetzt liegt er im künstlichen Koma im Medi-Center auf Alpha Centauri, während darbrakianische Heilwürmer versuchen, seine abgetrennten Gliedmaßen möglichst originalgetreu wieder auszuschei… zu reproduzieren. Ihr wisst doch noch, was in Klausel 7.2.8 steht?«

»Keine Risikosportarten drei Monate vor den lokalen Feiertagen«, hallte es im Chor durch den Hangar.

»Korrrrrekt! Die Sache wird disziplinarrechtliche Folgen haben. Aber jetzt brauchen wir erst mal eine Krankheitsvertretung. Freiwillige?«

In der ersten Reihe fing ein giftgelber, überdimensionaler Einzeller von Omega 3 an, aufgeregt vor sich hinzublubbern.

»Nein, Mo, diesmal nicht. Wir brauchen jemanden, der bestimmte körperliche Anforderungen erfüllt. Als da wären: ein Kopf, mindestens zwei Arme und zwei Beine.« Suchend ließ der Supervisor seinen geschlitzten Blick durch den Hangar gleiten.

»Wir brauchen jemanden wie … dich!«

Der Supervisor zeigte wieder auf mich. Ungläubig schaute ich mich erst mal um, ob er nicht doch jemand anderen meinte.

Verzagt stand ich auf und wedelte mit allen sechs Armen in der Luft herum. »Aber Boss, die Vorgaben würde doch auch ein Reptiloide erfüllen. Und zwar viel besser als ich!«

»Das stimmt schon, nur haben die Erdlinge eine absolut unverständliche Angst vor Reptilien – vor allem, wenn sie größer sind als sie selbst. Das Gleiche gilt übrigens auch für Insektoiden oder Arachnoiden. Nein, mit der richtigen Aufmachung und aus der Ferne betrachtet, fällst du gar nicht auf. Du hast den Job!«

»Aber Boss, was ist denn dann mit meinen Aufgaben auf Bashthea?«

»Hör auf zu murren. Die Jungbrut auf Bashthea ist bei Weitem nicht so schreckhaft und wählerisch wie die auf der Erde. Den Job kann Mo mit übernehmen. Oder, Mo?«

»Klar, Chef«, schleimte die angesprochene Riesenamöbe, bereits die Zellteilung einleitend. Angewidert zuckten seine Sitznachbarn vor einigen hektisch herumfliegenden Protoplasmaklümpchen zurück.

»Kein Problem, Boss«, blubberte Mo 1 nach kurzer Zeit los.

»Alles roger, Chef«, ließ sich jetzt Mo 2 vernehmen.

»Sehr schön, dann ist das also auch geregelt. Du …«, er zeigte wieder auf mich, »… nimmst den nächsten Wurmlochexpress nach Alpha Centauri und meldest dich in unserer Basis. Dort wirst du alles Weitere erfahren.« Er sah auf sein Digiboard. »

Nächster Punkt der Tagesordnung …«

 

An der Stelle klinkte ich mich aus der restlichen Besprechung aus. Denn ich wusste ab wann ich mich geschlagen geben musste. Und außerdem wollte ich meinen Job nicht aufs Spiel setzen … dafür war er zu gut bezahlt und eigentlich auch ziemlich interessant.

Mein damaliger Arbeitgeber, die Intergalaktische Spielwaren- und Sportgeräteherstellervereinigung, kurz ISS, hatte nämlich einige Galakto-Jahrhunderte zuvor eine geniale Marketing-Strategie entwickelt. Auf allen besiedelten Planeten der Galaxis wurde ein Feiertag eingeführt, an dem ausgesuchte und speziell geschulte Mitarbeiter Geschenke an die jeweilige Jungbrut verteilten. Dadurch wurden Begehrlichkeiten kosmischen Ausmaßes geweckt, die den Umsatz in astronomische Höhen katapultierten.

Gleichzeitig gab dieser Feiertag den Firmen aber auch die Möglichkeit, neue Produkte, die noch nicht alle vorgeschriebenen Tests durchlaufen hatten, auf den wirtschaftlich und politisch eher unbedeutenden Planeten ausprobieren zu lassen. Planeten, wie der Erde zum Beispiel.

Und wenn etwas schief ging, bekamen die zuständigen Aufsichtsbehörden und die galaktischen Informationsanbieter davon nichts mit.

 

Bereits acht Galakto-Stunden später traf ich auf der Basis Alpha Centauri ein. Ein Theroner, der ein bisschen wie ein nasser Draggwarrr aussah und auch so roch, nahm mich mit meiner Wurmlochkapsel in Empfang.

»Ach was, die Vertretung für Santa ist da. Na dann, herzlichen Glückwunsch!«

Mein fragender Blick ließ ihn noch breiter grinsen.

»Lass mal, das findest du noch früh genug heraus.«

Eine Stunde später ahnte ich, was er gemeint haben könnte. Er schob einen Hover-Kleiderständer vor sich her, auf dem ein riesiger roter Mantel hing, dessen Kragen, Ärmel und Mantelschöße mit weißem Pelz besetzt waren. Daneben baumelte ein breiter, dunkelbrauner Gürtel mit einer goldenen Schnalle, die mich spöttisch anblinkte. Direkt dahinter hing eine lange rote Hose, unter der ein Paar dunkelbrauner Stiefel Größe 62 mit massiven, goldenen Schnallen hervorragte.

Ich sah von oben auf ihn herab. »Was soll das sein?«

»Das …«, er deutete großspurig auf die geballte textile Scheußlichkeit, »… das ist deine Dienstkleidung. So etwas trägt man auf der Erde als Mitarbeiter der ISS. Ich habe sie extra für dich noch einmal modifiziert und durch den Replikator gejagt, du hast ja doch etwas ungewöhnliche Maße und einiges zu verstecken.«

Er zeigte auf meine drei Armpaare und bemerkte erst dann meinen verdatterten Blick.

»Was?«, fragte er lauernd.

Ich beugte mich zu ihm hinunter, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. »Ich … das da? Niemals!«

Er schien dieses Gespräch schon öfter geführt zu haben, denn auf ein kurzes Nicken von ihm hin tauchte plötzlich eine holografische Darstellung meines Vertrages vor uns auf. Er scrollte nickend durch den Text, bis er die von ihm gesuchte Passage gefunden hatte.

»Hier steht’s ja … der Auftragnehmer – also du – verpflichtet sich, die von der ISS zur Verfügung gestellte Dienstkleidung über den gesamten Zeitraum des Einsatzes permanent und komplett zu tragen. Abweichungen von dieser Vereinbarung werden als Vertragsverletzung angesehen und führen zu unverzüg…«

Ich unterbrach ihn unwirsch. »Schon gut, schon gut. Her mit dem Zeug!«

»Gemach, gemach, so schnell schießen nicht mal die Erdlinge. Du musst erst noch deine Hypnoschulung absolvieren, um dich mit den örtlichen Besonderheiten vertraut zu machen. Die Zeit werde ich nutzen, um deinem Kostüm den letzten Schliff zu verpassen und dir einen kleinen Snack für unterwegs fertig zu machen.«

 

»Dank eines Ganymedschen Zeitverzögerers – der die Erdenzeit für mich wahnsinnig streckte – dem Jonglieren mit den Zeitverschiebungen und meiner fast galaktischen Schnelligkeit reichten mir der 24./25. Dezember für die Abarbeitung meiner Aufträge aus. Kollegen von mir brauchten da schon mal zwei, drei Tage länger.«

Ich kratzte mich mit Arm 3 nachdenklich am Kinn. »Allerdings zehrte das alles ganz schön an der Substanz, was dazu führte, dass ich regelmäßig eine Pause einlegen musste. Und bei meiner Mittagspause passierte es dann.«

Ich unterbrach mich und nahm einen Schluck von meinem Cocktail. »Mein lieber Virginio – du hast dich bei diesem Selver mal wieder selbst übertroffen! Köstlich, wirklich köstlich. Und diese leichte Note von …«

»Ja, ja«, unterbrach mich mein Gegenüber. »Und wie geht’s weiter? Was ist dann passiert?«

»Nun, wo war ich …?«

»Mittagessen!«

»Richtig, mein Snack. Auf den ich mich schon die ganze Zeit über gefreut hatte. Offensichtlich so sehr, dass ich den Standardsicherheitscheck meiner glingkomischen Tarnvorrichtung vergaß!«

»Oje, ich ahne Schreckliches.«

»Kannst du ruhig … denn genau das trat auch ein, als meine Schicht schon zur Hälfte rum war.«

Ich machte eine dramatische Pause und fuhr dann mit gesenkter Stimme fort:

 

Ich wurde erwischt. Und zwar von einem Jungmenschen mit langen Haaren, der sich offenbar zu nachtschlafender Zeit aus seinem Bett geschlichen hatte, um dem Weihnachtsmann – also mir – aufzulauern. Ich kann gar nicht sagen, wer von uns beiden überraschter war. Er, weil sein Plan funktioniert hatte oder ich, weil mir dieser saublöde Fehler unterlaufen war.

Jedenfalls starrte mich der Jungmensch mit weit aufgerissenen Augen an und stotterte mit hoher Stimme: »Bist du … du ddder Weihnachtsmann?«

»Nun, wer soll ich denn deiner Meinung nach sonst sein?«, brummte ich in meinem freundlichsten Tonfall und, da mir gerade noch der entsprechende Passus aus meiner Dienstanweisung einfiel, schob ich ein gegrummeltes »Ho, Ho, Ho« hinterher.

Der Jungmensch sah mich von oben – wobei er ganz schön den Kopf heben musste – bis unten an und meinte dann: »Du siehst aber ganz anders aus wie der Weihnachtsmann im Einkaufszentrum, den ich vorgestern mit Mami gesehen habe.«

»Das liegt daran, dass dieser Weihnachtsmann nur ein Vertreter von mir war, denn weißt du …«, ich blickte ihm tief in die Augen und bleckte dabei die Zähne zu einem freundlichen Lächeln, was ihn instinktiv drei Schritte zurückweichen ließ, »… auch der echte Weihnachtsmann kann nicht zur gleichen Zeit überall sein.«

Und das war noch nicht mal gelogen. Nur schien es ihn wenig zu beruhigen. Stattdessen zeigte er auf die beiden unter meinem Weihnachtsmannkostüm verborgenen Armpaare und fragte mit gerunzelter Stirn: »Und warum hast du da diese dicken Beulen an der Seite … und warum bist du viel größer als der Weihnachtsmann im Einkaufszentrum … und weshalb sieht dein Gesicht so flauschig aus und warum hast du so große Zähne … und …«

»Bist du nicht noch etwas zu klein für Horrorbücher der Gebrüder Grimm?«, unterbrach ich mit einem unwirschen Grollen seinen Redeschwall. »Ich bin der einzig wahre Weihnachtsmann und damit basta!«

Kurz war ich versucht, zur Bekräftigung meine sechs Arme vor der Brust zu verschränken, ließ es dann aber wegen des möglichen Schockpotenzials doch lieber sein. Wobei, als der Jungmensch mich plötzlich lauernd aus zusammengekniffenen Augen anstarrte, bereute ich meine Entscheidung fast schon wieder.

»Na gut … und warum bist du jetzt hier?«

Das war eine wirklich gute Frage, doch noch bevor ich sie beantworten konnte, suchte sich mein Mittagessen genau diesen Moment aus, um aus seiner Betäubung zu erwachen und herzhaft gähnend den Kopf aus meinem Sack zu strecken. Wieder riss der Jungmensch die Augen weit auf, doch dieses Mal nicht vor Schreck. Ich kannte den Blick, ich hatte ihn schon bei Angehörigen der bashtheanischen Jungbrut gesehen, die gerade ihren ersten Draggwarrr erlegt hatten und sich daran machten, ihre Beute traditionell auszuweiden.

»Oh, ist das ein Kätzchen? Ist das für mich? Für mich… meins? Meins! MEINS!!!!«

Wie hatte der Jungmensch meinen Snack genannt? Kätz…schen hieß das also. Ich kratzte mich nachdenklich an dem langen weißen Bart, den mir der Theroner einige Stunden zuvor breit grinsend mit den Worten »Fesch schaust du aus, Santa!« umgebunden hatte.

»Darf ich es haben? Darf ich? DARF ICH????«

Das Menschenkind hüpfte vollkommen hibbelig um uns – also um mich und meinen Snack – herum und stand anscheinend kurz davor, mich anzuspringen. Bei allen Göttern des Universums, das Junge schien ja seit Tagen nichts mehr gegessen zu haben. Es war wahrscheinlich vollkommen ausgehungert.

Plötzlich begann das Futter ein Geräusch von sich zu geben, das wie ein winzig leises Knurren klang. Und der Jungmensch quittierte dieses Geräusch mit einem glücklichen Kichern: »Hör nur, mein Kätzchen schnurrt.«

Ich hatte ja keine Ahnung, auf welche Weise sich Wesen von der Erde aus ihrem Leben verabschiedeten. Was sie taten, um sich ihren Göttern zu empfehlen. Doch offensichtlich war Schnurren ein Weg, um genau das zu tun.

Vorsichtig ließ ich meinen Sack zu Boden gleiten und nahm noch vorsichtiger das Kätzchen heraus. Mit aufgerissenen Augen krallte sich mein Imbiss in meinem Pelz fest und versuchte, an mir hochzuklettern. Ich pflückte es ab und hielt es dem Jungmenschen entgegen.

»Hier, nimm. Aber schön langsam essen und dabei gut kauen!«

Sofort wollte das Menschenkind danach greifen, stockte dann aber. »Essen? Wieso sollte ich mein Kätzchen denn essen wollen?«

Mitleidig blickte ich auf das Junge hinab. »Na, weil es Futter ist. Und weil du offensichtlich so großen Hunger hast, dass du einen ausgewachsenen Draggwarrr auf einmal verspeisen könntest.«

Der Jungmensch schüttelte den Kopf. »Du dummer, dummer Weihnachtsmann. Ich will das Kätzchen doch nicht essen. Ich will mit ihm spielen und es lieb haben. Es soll mein bester Freund werden. MEIN Haustier.«

Mit diesen Worten schnappte sich das Menschenkind das Kätzchen und setzte es sich auf die Schulter. Sofort fing mein entgangener Snack wieder an zu schnurren und ringelte sich um den Nacken des Jungmenschen. Ich war mir absolut sicher, dass es ihm in der nächsten Sekunde mit seinen winzigen Zähnen in die Halsschlagader beißen würde. Doch nichts geschah.

Glücklich lächelte mich der Jungmensch an. »Siehst du … es mag mich.«

Ich nickte nur, weil mich das Wort beschäftigte, das er gerade benutzt hatte. »Dein Haustier?«

»Ja, MEIN Haustier. Es wird mit mir abends in meinem Bett schlafen und immer da sein, wenn ich es brauche. Es wird mich trösten, wenn ich traurig bin und mit mir spielen, wenn meine anderen Freunde keine Zeit haben.« Glücklich rieb der Jungmensch seine Wange am Pelz des Futters, das die ganze Zeit über geschnurrt hatte.

Ich war total fasziniert. Innerhalb weniger Minuten war aus dem nörgeligen Menschenkind, das mich mit seinen Fragen zur Weißglut getrieben hatte, ein liebenswertes, verspieltes Wesen geworden, dem das selige Lächeln ins Gesicht gemalt zu sein schien.

Also ging ich in die Hocke, um dem Jungmenschen in die Augen schauen zu können. »Das klingt interessant. Erzähl mir mehr davon …«

 

»Und was ich dort in dieser kalten Erdennacht hörte sorgte dafür, dass ich nach 150.000 Galakto-Jahren martialischer Zivilisation auf Bashthea die Haustierhaltung einführte. Ich brauchte gerade mal zwei Jahre, um die ersten Zwerg-Draggwarrrs so weit abzurichten, dass sie ihren Haltern nicht mehr bei der erstbesten Gelegenheit den Kopf abbissen – höchstens einen Finger. Das Konzept sprach sich so schnell herum, dass schon nach kürzester Zeit die ersten Franchise-Interessenten bei mir auf der Matte standen.«

Ich leerte schmatzend den Rest meines Selver und fuhr dann fort: »Die machen jetzt die ganze Arbeit für mich und bezahlen mich auch noch dafür. Besser geht’s doch nicht, oder? Aber genug von mir. Wie ist es dir denn so in letzter Zeit ergangen?«

»Ach, du weißt ja, hier ist doch nie was los, immer der gleiche Trott …«

»Das kannst du deinen Müttern erzählen. Also?«

»Na ja, weil du gerade von uns Erdlingen gesprochen hast …«

Ich stützte mich entspannt auf der Theke ab, bereit seiner Geschichte zu lauschen. Es war schön, wieder hier zu sein … fühlte sich fast an, wie nach Hause zu kommen.

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