Walküre 12 - Leseprobe: "Vikings of the Galaxy"
Walküre 12
Leseprobe: "Vikings of the Galaxy"
Freund oder Feind? Er konnte es nicht mehr unterscheiden. Das Schlachtfeld war Chaos, Schmerz, Lärm, Gedränge, Hitze und Gestank.
Knuts Gegner atmete schwer. Er strauchelte im Schlamm, hob das Schwert aber dennoch zum nächsten Schlag. Den Schild ließ der Krieger nachlässig zu seiner Linken hängen, entblößte eine ungeschützte Brust.
Das war Knuts Moment. Er stieß die eigene Waffe nach vorn. Mit aller Kraft hielt er auf die Brust seines Gegners zu.
»Bjööööööörn!«, erklang ein Schrei hinter ihm. Dann bohrte sich Stahl in seinen Rücken.
Schmerz. Flammender Schmerz und bittere Kälte. Knut konnte seinen Stoß nicht mehr vollenden. Kraftlos taumelte er nach vorn, ging in die Knie und klatschte mit dem Gesicht in den stinkenden Schlamm.
Dunkelheit und der Geschmack beschissener Erde. Das war alles, was ihm blieb. Vier Gegner. Er hatte vier Gegner in dieser Schlacht niedergestreckt. Einen fünften würde es nicht mehr geben. Nur Kälte. Kälte und Schlamm und wohlige Taubheit und Wal…
Als er die Augen aufschlug, glitzerte die Luft über ihm in den Farben des Regenbogens. Keine Schmerzen mehr, kein Gestank und kein Gebrüll. Allerdings auch keine göttlichen Kriegerinnen, die ihn aufhoben und ihn in Odins Hallen trugen. Irgendetwas stimmte nicht.
Knut stemmte die Unterarme auf den kühlen, glatten Untergrund und richtete sich auf. Der Regenbogen über ihm zersprang in tausend glitzernde Sternchen, gab ihm den Blick auf einen strahlenden Raum frei. Alles hier war weiß, wirklich alles. Die Wände, die Decke, der Boden, die Liege, auf der er saß, und die zwei anderen Liegen nebenan mit ihren Deckeln – weißen Deckeln versteht sich.
Mehr gab es nicht. Nur das Weiß. Keine Bäume, keine Erde, keine Gerüche, keine Vögel, nicht einmal Wind. Eine Welt ohne Welt. Wo in Odins Namen …
»Willkommen, Krieger!« Die Stimme einer Frau. Samtig und voll.
Knut drehte den Kopf von einer Seite zur anderen. Doch da war niemand. Da war nichts als weiße Wände.
»Bitte identifiziert Euch, Krieger!«, fuhr die körperlose Stimme fort. Knut konnte nicht einmal die Richtung ausmachen, aus der sie kam.
Nervös versuchte er, auf die Beine zu kommen, aber etwas hielt ihn an der Hüfte zurück.
»Bitte identifiziert Euch, Krieger!« Falls die Stimme ungeduldig wurde, ließ sie es sich nicht anmerken.
»Zeig dich! Wer bist du? Was willst du?« Noch einmal ließ er den Blick schweifen. Keine Fenster, keine Tür, gar nichts.
»Ihr sollt Euch identifizieren, Krieger!«
»Identi-was? Ich verstehe kein Wort.« Knut wand sich. Er fand einen Gurt um seine Hüfte. Das war also der Übeltäter, der ihn zurückhielt. Instinktiv griff er weiter links nach … doch da war nichts. Weder Dolch, noch Gürtel, nicht einmal Kleidung.
»Sagt mir Euren Namen, Krieger!«
»Ähhh … Knut. Ich heiße Knut.«
»Willkommen, Krieger Knut, auf der Walküre 12. Unser Flug von der V.S.S. Heimdall zur V.S.S. Walhall wird beginnen, sobald die anderen Passagiere eingetroffen sind. Bitte habt Verständnis dafür, dass dies einige Minuten in Anspruch nehmen kann.«
Heimdall? Walhall? Knut hielt inne. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Und schloss ihn wieder.
»Ihr könnt den Bifröst-Pod während der Wartezeit verlassen, wenn Ihr es wünscht. In diesem Fall denkt bitte daran, zunächst den Hüftgurt zu lösen. Den Verschluss findet Ihr an der rechten Seite. Bitte beachtet darüber hinaus die geringe Bordschwerkraft! Die Eingewöhnung wird eine Weile dauern. Seid in dieser Zeit vorsichtig!«
In Ordnung … Knut kämpfte mit aller Kraft um innere Ruhe. Keine Panik! Eins nach dem anderen.
Hüftgurt, Hüftgurt …
Er blickte an sich herab und schrak zusammen. Was er fand, waren graue Haut, eine schmale, langgliedrige Statur, eine Knabenbrust und gähnende Leere zwischen dem, was scheinbar seine Beine sein sollten.
»Was ist hier los?«, brüllte er. »Was habt ihr mit mir gemacht?«
Er tastete den weißen Gurt an seiner schmächtigen Hüfte ab.
»Ihr seid gestorben. Mit weiteren Erklärungen werde ich warten, bis alle Passagiere zugegen sind. Gemeinsam fällt der Übergang erfahrungsgemäß leichter.«
»Wer bist du?« Knuts Finger fanden den Verschluss und nestelten daran herum. »Zeig dich endlich!«
»Ich bin Walküre 12.«
»Was? Aber …«
»Der Bordcomputer, um präzise zu sein.«
»Komm-was?«
»Computer.«
Knut fand die richtige Stelle. Der Mechanismus schnappte auseinander, der Gurt verlor die Spannung. Mit einem kräftigen Satz warf Knut sich von der Liege und … schwebte. Er trieb durch den Raum, so als befände er sich unter Wasser.
Dann knallte er gegen die Decke.
»Au! Räudiger Scheißdreck! Was wird das?« Er rollte sich herum, sodass er in den Raum unter sich blicken konnte.
Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Deckel der zweiten Liege in tausend Sternchen zersprang. Darunter tauchte ein schlaksiger, grauhäutiger Glatzkopf auf. Sie blickten einander an und der Glatzkopf stieß einen erschrockenen Schrei aus.
»Willkommen Krieger!«, flötete die körperlose Stimme. »Bitte identifiziert Euch!«
Der Blick des Neuankömmlings schnellte nach rechts und links, offensichtlich auf der Suche nach der Sprecherin. Der Kerl war genauso grau, wie Knut jetzt aussehen musste. Und sein Blick war genauso verwirrt, wie er sich fühlte. »Was?«
»Sie will wissen, wie du heißt«, half Knut aus.
»Harivald. So heiße ich. Aber was …?«
»Willkommen, Krieger Harivald, auf der Walküre 12. Unser Flug von der V.S.S. Heimdall zur V.S.S. Walhall wird beginnen, sobald der letzte Passagier eingetroffen ist. Bitte habt Verständnis dafür, dass dies einige Minuten in Anspruch nehmen kann.«
»Geister!«, brüllte der Glatzkopf – Harivald – und zerrte wie besessen an seinem Gurt. »Geister!«
Die Panik des Neuankömmlings ließ Knut ruhiger werden. Es war wie auf dem Schlachtfeld. Egal wie chaotisch oder schrecklich, einer musste immer einen kühlen Kopf bewahren und dieser Harivald würde das wohl nicht übernehmen.
Knut stieß sich von der Decke ab und fast wie durch Wasser glitt er zurück gen Boden. Die Hände streckte er nach Harivalds Liege aus. Er bekam die Kante zu fassen und zog sich heran. »Wart! Ich helfe dir.«
Harivald zappelte weiter.
Knut fuhr sich mit einer Hand über den Kopf und fand ihn genauso haarlos wie den seines Reisegefährten. Sie hatten mehr gemeinsam, als ihm lieb sein konnte.
Er streckte die dürren grauen Finger aus und löste damit den Verschluss von Harivalds Hüftgurt. »Aber sei vorsichtig mit …«
Die Warnung kam zu spät. Schneller als Knut bei seinem ersten Sprung gewesen war, aber genauso geradlinig, segelte Harivald gen Decke. Mit einem ungesunden Knall und einem Aufschrei kam er dort an.
»Die Luft hier ist komisch«, fasste Knut das Offensichtliche zusammen und klammerte sich an den Rand der Liege.
»Hexenwerk!«, brüllte Harivald die Wand an. »Verfluchtes Hexenwerk! Dämonen und Geister und …«
»Willkommen, Krieger! Bitte identifiziert Euch!«
Knut wirbelte herum und sah zur letzten Liege. Tatsächlich! Dort brachte sich gerade der dritte Passagier in eine sitzende Position. Er war genauso schmal, kahl und grau wie die anderen beiden.
»Dämonen!«, rief Harivald von oben. »Noch mehr Dämonen!«
Der Neuankömmling starrte schweigend zu ihm hinauf.
»Bitte identifiziert Euch, Krieger!«
»Sei gegrüßt«, empfing Knut den Neuen. »Nein, sie ist nicht hier im Raum. Du brauchst sie nicht suchen. Und sie will deinen Namen wissen. Bitte sag ihn ihr, sonst fragt sie immer wieder.«
Der Neue wandte den Blick in Knuts Richtung und zog missmutig die Stirn kraus. In seinem letzten Körper, vielleicht mit breiten Wangen und buschigen Brauen, hatte das sicher eindrucksvoller gewirkt. »Sven«, brummte er.
»Willkommen, Krieger Sven, auf der Walküre 12. Unser Flug von der V.S.S. Heimdall zur V.S.S. Walhall beginnt jetzt.«
Von einem Moment auf den anderen schwang ein lautes Surren in der Luft. Harivald schrie. Der Neue schwieg. Knut fuhr zusammen und sah sich nach dem gewaltigen Insektenschwarm um, der irgendwo lauern musste.
»Was war das?«, fragte er.
»Ich habe soeben die Triebwerke gestartet«, verkündete Walküre 12 unverändert ruhig.
Etwas drückte Knut nach hinten. Es zog an seinen Eingeweiden. Das war fast wie das Gefühl, das er vorhin beim Schweben gehabt hatte. Nur Stärker. Und dabei bewegte er sich diesmal gar nicht.
»Wir verlassen jetzt die V.S.S. Heimdall und treten unsere circa fünfzehnminütige Reise zur V.S.S. Walhall an. Ihr dürft Euch auf einen angenehmen Flug freuen.«
»Flug? Triebwerke? Was?«
»Ihr habt gewiss viele Fragen.«
»Ach, nicht doch.« Zornig stemmte Knut die Hände in die Hüften. Er fletschte die Zähne und stampfte mit dem Fuß auf. Und bereute es umgehend. Denn nun driftete er in die Höhe und es gab nichts, woran er sich hätte festhalten können. Ganz toll!
»Bleib mir vom Leib, hässliches Ungeheuer!«, kreischte Harivald. »Ich bring dich um, wenn du mir …«
»Schau dich lieber selbst an, Kieselkopf!« Knut ruderte heftig mit den Armen, um langsamer zu werden, erzielte jedoch keine Wirkung.
»Wir haben die Raumbasis nun verlassen. Ich werde in Kürze die Wände transparent schalten und mit meinen Erläuterungen beginnen. Bitte wappnet Euch, Krieger!«
»Hörst du das, Harivald, du Rindvieh? Wir sind Krieger. Alle.« Er streckte die Hände vor und dämpfte so den Sturz nach oben. Sofort trieb er in die entgegengesetzte Richtung, langsamer diesmal. »Außerdem sind wir schon tot.«
»Was?« Harivalds zerbrechliche Gestalt zog sich vor ihm zurück. »Du hast doch einen zu viel auf den Schädel gekriegt, du …«
»Schnauze! Wir sind tot. Ist es nicht so, Walküre?«
»Die korrekte Bezeichnung lautet Walküre 12, Krieger Knut. Und ja, in der Tat, Ihr seid tot. Ihr alle.«
»Tot?«, echote Harivald.
Wie er so nach hinten driftete, gelangte Knut in eine Position, von der aus er abermals den Raum überblicken konnte. Zu seiner Überraschung hatte Sven sich bereits aus dem Gurt befreit. Jetzt schwebte er aufrecht neben seiner Liege und hielt sich daran fest.
»Ihr seid gestorben und befindet euch nun auf dem Weg zur V.S.S. Walhall.«
»Wieso sehen wir so abscheulich aus?«, fragte Sven.
»Die Reise von der Erde ist zu weit, um sie mitsamt Euren Körpern anzutreten. Außerdem waren Eure Körper stark beschädigt, deshalb seid ihr ja …«
»Tot, schon klar.« Knut prallte mit dem Rücken gegen die nächste Wand. Sofort stieß er sich ab und segelte diesmal mehr oder weniger kontrolliert auf Sven zu. Dabei fühlte er sich bei weitem nicht so abgebrüht, wie er sich gab. Tot. Tot sollten sie sein. Unbegreiflich!
»Euer Bewusstsein wurde bei Eurer Ankunft in den Bifröst-Pods in neue, speziell für den Kampf im Weltraum optimierte Körper geladen. Überlegene Muskelkraft, wenig Ballast, schlanke Gestalten für flexible Bewegungsmuster. Keine Fortpflanzungskapazitäten, da die Mannschaftsaufstockung allein über den Bifröst erfolgt. Außerdem verlangt Euer neuer Körperbau nach deutlich weniger Material für einen Raumanzug.«
»Habt ihr irgendwas davon verstanden?«, fragte Knut. Er bekam den Rand von Svens Liege zu fassen, krallte sich fest und zog sich darauf. Dann drapierte er sich in etwas, das annähernd als sitzende Position durchgehen mochte.
Sven schüttelte heftig den Kopf und griff sich dann an die Stirn. Fast schien er überrascht darüber, wie leicht sein neuer Schädel war.
»Nein«, sagte Harivald.
»So will ich nicht leben«, sagte Sven.
»Ich glaube kaum, dass sie uns eine Wahl lassen werden.«
»Man hat immer eine Wahl. Kein Bauch, kein Bart.« Sven deutete auf die Leere zwischen seinen Schenkeln. »Kein Sex, verdammt noch mal! Ich weiß nicht mal, wie ich pissen soll. Ich bin raus.«
Knut hob eine Hand. »Beruhige dich und lass uns erst einmal sehen, was kommt! Bist du denn gar nicht neugierig?«
Sven brummte etwas Unverständliches.
»Walhall? Odin? Der Met? Freust du dich nicht mal auf den Met?«
»Am Heck seht Ihr nun die V.S.S. Heimdall«, klinkte sich Walküre 12 wieder ein. »Die Aussicht währt eine Minute, dann folgt der Hypersprung.«
»Hyper-was?«, fragte Knut.
Die anderen sagten nichts. Ihm gegenüber starrte Sven mit offenem Mund die Wand an. Das verlieh seinem grauen, bartlosen Gesicht einen dümmlichen Fischausdruck. Knut wollte ihn damit aufziehen, doch als auch er den Kopf drehte, ätzte ihm der Ausblick jede Silbe von der Zunge.
Dort, wo eben noch eine weiße Wand gewesen war, tat sich nun sternendurchsetzte Leere auf. Da war kein Boden, kein Meer, weder Sonne noch Mond. Nur schwarze Weite und ein silberner Kreisel voller bunt blinkender Lichter, der sich in der Ferne drehte.
»Was bei Odins Augapfel …«
»Odin ist nicht hier«, flötete Walküre 12. »Er ist auf der V.S.S. Walhall installiert. Was Ihr draußen seht, Krieger Knut, ist die V.S.S. Heimdall. Es ist die einzige Raumstation mit Verbindung zum Bifröst. Von dort seid Ihr gekommen, Krieger. So wie zahllose tapfere Gefallene vor Euch wurdet Ihr erwählt, um in Odins Reihen zu kämpfen.«
»Wir sind gestorben. So richtig echt gestorben.« Harivalds Flüstern erklang aus nächster Nähe, und als Knut sich vom Anblick der Station losriss und den Kopf drehte, fand er Harivald ans Fußende seiner Liege geklammert.
»Hypersprung!«, verkündete Walküre 12.
Knuts Blick fuhr zurück zur offenen Wand. Dort drehte sich alles. Die Sterne verwandelten sich in einen kreischend hellen Wirbel, und das Surren der Trieb-was-auch-immer steigerte sich zu einem Donnern. Seine Augen, seine Haut, seine Eingeweide, alles wurde gezerrt und gezogen, schmerzhaft und in sämtliche Richtungen. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, doch es kam kein Laut heraus.
Sieben oder acht quälende Herzschläge. Dann endlich kam der Wirbel zur Ruhe. Die Sterne lösten sich voneinander und der Raum zwischen ihnen färbte sich wieder schwarz. Das Gebilde, das die Stimme als Heimdall bezeichnet hatte, war verschwunden.
»Mir ist schlecht«, stöhnte Harivald.
»Hypersprung erfolgreich abgeschlossen. Wir befinden uns nun in direktem Anflug auf die V.S.S. Walhall. Bitte richtet Euren Blick nach backbord, Krieger!«
Wie in Trance kam Knut der Anweisung nach.
Die Backbordwand des … ja, was? Schiffs? Sternenschiffs?, verschwand und offenbarte noch mehr Schwärze.
»Es ist so still«, sagte Harivald.
»So leer«, ergänzte Knut.
»Und es riecht nach gar nichts. Nach überhaupt nichts.«
»Wo sind wir?«, fragte Sven.
»Wir befinden uns im Raum zwischen den Sternen Capella und Almaaz, Krieger Sven. Dies ist der feste Standort der V.S.S. Walhall, Verteidigungsbastion der freien Einherjer. Ihr habt Glück! Direkt vor den Toren findet gerade eine Schlacht gegen die Kermaniten statt.«
»Wer sind die?«
»Das zu erläutern, würde für den Moment zu weit führen, Krieger Knut. Es muss Euch reichen zu wissen, dass sie den freien Einherjern nicht wohlgesonnen gegenüberstehen. Aber wir sind zuversichtlich, dass die Heere Walhalls sie auch heute aufhalten werden.«
»Die freien Einherjer …«
»Seht doch mal!« Harivald zeigte an den linken Rand der Öffnung.
Knut musste die Augen zusammenkneifen, um etwas zu erkennen. Tatsächlich! Dort bewegte sich etwas. Eine Gestalt in glänzender Rüstung mitten in der schwarzen Leere.
»Der fliegt ja«, stellte Sven fest.
»Und was kommt da aus seinem Rücken? Ist das Feuer?«
»Sein Schwert leuchtet, verdammt!«, staunte Harivald. »Sein Schild auch. Sieht aus wie aus Licht.«
»Ist das ein Gott? Thor? Den hatte ich mir immer irgendwie größer vorgestellt.«
»Sie sind alle Einherjer. Krieger wie Ihr, Krieger Knut.«
»Alle?«
Der Raum vollführte einen sanften Schwenk und nun kamen mehr und mehr Kämpfer ins Bild. Sie alle trugen silberne Rüstungen, bewegten sich mithilfe von Feuer und hielten die gleichen orange leuchtenden Waffen in den Händen.
Harivald keuchte. »Bei den Rockfalten meiner glorreichen Mutter!«
»Auf wen sie wohl …« Knut brachte die Frage nicht zu Ende.
Tentakel schossen aus der Finsternis heraus und griffen die Einherjer an. Wie die Arme des gefürchteten Kraken, nur … größer. Oh, so unglaublich viel größer.
»Sind das die …?«
»Die Kermaniten, Feinde der freien Einherjer. Ganz recht, Krieger Sven. Ihr verfügt über eine lobenswert durchschnittliche Auffassungsgabe.«
Draußen gingen die gerüsteten Kämpfer in geschlossener Formation auf die wild zuckenden Tentakel los. Lichtblitze prallten lautlos auf dicke Walrosshaut. Körper wurden durch die Luft geschleudert wie lästige Insekten. Es war ein gewaltiger Anblick.
»Ganz schön still für eine Schlacht«, bemerkte Knut.
»Richtig. Das liegt daran, dass Euch eine Wand vom Schlachtgeschehen trennt, Krieger Knut. Sie ist lediglich transparent. Außerdem transportiert das Vakuum keinen Schall.«
»Waku-was?«
»Gegen diese Ungetüme sollen wir kämpfen?«, brachte Harivald hervor. »Niemals! Dafür habe ich mich nicht gemeldet.«
»Feigling!«, knurrte Sven. »Jede Ratte hat mehr Ehrgefühl als du. Und ist außerdem hübscher.« Er lachte heiser.
»Dreckiger Wurm, ich …«
»Haltet den Mund! Schaut!« Knut zeigte nach rechts, wo fünf Krieger gleichzeitig mit ihren leuchtenden Schwertern auf den Tentakel eines Ungeheuers einhieben. Das Ding war fett wie ein tausendjähriger Baum, doch die Schwerter hieben es in Windeseile entzwei. »Größere Monster, bessere Klingen. Lasst uns erst einmal sehen, was sie hier für uns bereithalten, ehe wir die Waffen strecken. Denkt an Walhall! Denkt an den Met, verdammt!«
Draußen drehten sich die Kämpfer in wildem Tanz. Sie stoben auseinander und formierten sich neu. Wie Vogelschwärme zogen Sie durch die Schwärze.
»Eine Schlacht zwischen den Sternen«, sagte Sven nach einer Weile. »Und ich dachte immer, spannender als ein Kampf zwischen Thor und der Midgardschlange wird es nicht mehr.«
»Ja.« Knut wollte die Arme vor der Brust verschränken, erinnerte sich jedoch gerade noch rechtzeitig, dass er die zum Festhalten brauchte. »Das dort ist eine Schlacht wie keine zweite. Mir juckt es in den Fingern, und dabei war ich doch eben erst …« Er schluckte. »Ich … ich bin in Trøndelag gestorben. Was ist mit euch?«
»Hafrsfjord«, sagte Sven.
»Hafrsfjord«, echote Harivald.
Die beiden sahen einander an.
Sven grinste. »Gestorben oder nicht, wir haben diesem Mistvieh Sulke gewaltig eingeheizt, nicht wahr?«
Harivald brüllte auf und schlug ihm ins Gesicht. »Niemand beleidigt meinen König!« Er stürzte sich auf ihn. »Du elender, stinkender Aal. Dir hat man wohl vergessen, vor dem Pökeln die Eingeweide aus dem Leib zu schneiden!«
»Schwanzlose Ratte!« Sven schlug zurück.
Die beiden umschlangen einander und begannen zu raufen. Fäuste flogen, kahle Schädel duckten sich. Das Knäuel aus Kontrahenten schwebte in einer fast komischen Anmut der Bugwand entgegen. Keiner dachte mehr daran, sich festzuhalten.
Knut blickte ihnen nach und schüttelte den Kopf. »Aufhören!«
Keine Reaktion. Nur Schläge und Schreie und Blut. Rot mischte sich in das Weiß des Raumes.
»Aufhören!«, brüllte Knut. Er stieß sich von der Liege ab und warf sich zwischen die beiden.
Ein Schlag traf seinen linken Wangenknochen, ein anderer schrammte über seine Schläfe. Doch er stemmte sich mit aller Entschlossenheit zwischen die Streithammel und trieb sie auseinander.
»Aufhören hab ich gesagt! Walhall. Walhall, ihr Hornochsen! Odin! Der Met! Seid ihr wirklich dumm genug, das zu verpassen, indem ihr euch vorher gegenseitig umbringt?« Er fing sich noch einen Schlag ein, doch der war immerhin schon weniger kraftvoll. »Denkt an den Met!«, brüllte er.
Sven schnaubte.
Harivald hielt sich keuchend die blutige Nase.
»Bitte wendet Eure Blicke gen Bug, Krieger! Wir kommen an.«
Knut starrte die Wand vor ihnen an. Sie verlor ihre Farbe wie die anderen zuvor und gab den Blick auf die Sternenschwärze frei. Dort, direkt vor ihnen, ragte ein kreiselförmiges Gebilde auf. Deutlich größer als jenes, das Walküre 12 Heimdall genannt hatte. So hoch wie ein Berg, so breit wie der breiteste Fjord. Es glänzte im Schein unzähliger bunter Lichter.
»Vor Euch seht ihr die V.S.S. Walhall«, verkündete Walküre 12. »Schlachtstation. Superintegrale Schilde. 540 Hangartore. 90 Walküren. 500 Schlachtschiffe. Gegenwärtig 19.563.788 Einherjer. Alles unter der Herrschaft des Odin-Programms. Seid willkommen, Krieger!«
Knut stockte der Atem. Auch von den anderen kam kein Wort.
Keiner sagte etwas, als sie den riesigen Kreisel anflogen, bis er alle Sterne verdeckte. Und keiner sprach, als sich ein Tor in der silbernen Wand Walhalls auftat und sie mitsamt der Walküre 12 in sein Inneres saugte.
Die Wände wurden wieder weiß und undurchsichtig. Mit einem Mal sackte alles nach unten. Knut wurde zu Boden geschleudert und stieß sich schmerzhaft die Knie.
»Au!«, rief Harivald.
Sven knurrte.
»Stationsschwerkraft hat eingesetzt. Wir sind am Ziel. Es wird Zeit, auszusteigen und in Odins Hallen zu treten, Krieger«, flötete Walküre 12. »Bitte begebt euch dazu ans Heck.«
Knut rappelte sich auf und durchquerte in wenigen Schritten den Raum. Gespannt sah er zu, wie die weiße Fläche vor ihm herunterklappte und sich ihm zu Füßen warf. Dahinter kamen hohe graue Wände zum Vorschein. Lange Reihen von Schwertern hingen daran und tauchten die Halle in schummrig orangenes Licht.
»Zur Begrüßung«, sagte Walküre 12, »habe ich die Ehre, Euch Euren ersten Met bereitzustellen. Bedient Euch, Krieger!«
Kaum war das gesprochen, schwang ein Teil der Wand nach unten und bildete ein Tischchen. Darauf erschienen, wie aus dem Nichts, drei gläserne Becher, gefüllt mit einer blassgelben Flüssigkeit.
Sven, der am nächsten stand, nahm zwei Becher und reichte sie an Harivald und Knut weiter. Dann griff er selbst den dritten. »Skål!«, rief er. »Auf Odin! Auf Walhall!«
»Auf Odin! Auf Walhall!«, echoten Knut und Harivald.
Knut trat auf die Rampe. Er hob seinen Becher und roch daran. Nichts. Wie alles andere, seit er gestorben war, roch dieses Zeug nach überhaupt nichts. Er zog die Stirn in Falten.
Mit einer unguten Vorahnung führte er den Becher an die Lippen und kostete. Nichts. Kein Geschmack, kaum mehr als süßliches Wasser.
»Bäh!« Er spuckte aus und drehte sich noch einmal um. »Walküre 12, was ist das? Das ist doch kein Met, verdammt!«
Sven und Harivald fielen murrend mit ein.
»Es ist Met, Krieger Knut. Der Beste, das kann ich Euch versichern. An Bord der V.S.S. Walhall gibt es keine Bienen, daher ist der Herstellungsprozess ein anderer. Ihr werdet euch daran gewöhnen.«
»An dieses Zeug?«, fragte Harivald.
»Wohl kaum«, knurrte Sven.
Knut riss sich zusammen und nahm noch einen Schluck. Für Odin. Für Walhall. Doch die Plörre schmeckte fader als beim ersten Mal.
Klirrend schmiss er den Becher zu Boden. Dann wandte er sich der hohen Wand Walhalls und den leuchtenden Schwertern daran zu.
Genug war genug. Er war schon einmal gestorben. Wo man wohl landete, wenn man in Walhall das Zeitliche segnete?