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Der leichtsinnige Waffenmeister (Leseprobe aus „Der Zauber der Elben“)

LeseprobeDer leichtsinnige Waffenmeister
Leseprobe aus „Der Zauber der Elben“

In diesem Augenblick öffnete sich eine Tür, und der einäugige Prinz Sandrilas betrat den Hauptsaal des Palas. Der enge Berater und Vertraute des Königs entstammte einer Seitenlinie des Königshauses.

Er hielt ein zusammengefaltetes Dokument in der Hand, das sorgfältig gesiegelt war.
 


Der Zauber der Elben (Elbenkinder 3)
 

Der Zauber der Elben ist der dritte Band um die Elbenkinder. Ihre vorhergehenden Abenteuer erschienen unter den Titeln Das Juwel der Elben und Das Schwert der Elben.

 

Die Abenteuer der Elbenkinder werden im Frühjahr 2010 mit dem Band Die Flammenspeere der Elben fortgesetzt, in dem die Erfindungen des magisch minderbegabten Waffenmeisters Thamandor eine ganz besondere Rolle spielen werden.

Wer sich näher für das Zwischenland der Elben interessiert, sollte sich unbedingt auf meiner Homepage   umsehen. Dort gibt es einen Bereich mit der Bezeichnung Elben & Elbenkinder, wo es neben Informationen zu meinen Fantasy-Büchern auch Karten zu sehen gibt, die die verschiedenen Reiche des Zwischenlandes zeigen, in dem die Abenteuer der Elben spielen. Außerdem kann man dem Autor unter der eMail-Adresse Postmaster(at)AlfredBekker.de seine Meinung schreiben. Wer sich für die Vorgeschichte der Elbenkinder-Romane interessiert, dem sei Alfred Bekkers große Elben-Trilogie mit den Bänden Das Reich der Elben, Die Könige der Elben und Der Krieg der Elben empfohlen. Darin wird unter anderem beschrieben, wie die Elben ins Zwischenland kamen und was mit den Eltern von Daron und Sarwen geschah.

An weiterer Fantasy von Alfred Bekker gibt es u.a. die DrachenErde-Saga, die die Bände DRACHENFLUCH, DRACHENRING und DRACHENTHRON umfasst.

Es war ein magisches Siegel, das sich von einem begabten Magier so schließen ließ, dass es nur von einer ganz bestimmten Person geöffnet werden konnte. Andernfalls vernichtete sich das Dokument von selbst. Allerdings machten sich die Elben inzwischen kaum noch die Mühe, das Siegel eines Dokuments zu verzaubern, und es gab auch kaum noch Elbenmagier, die diese Kunst richtig beherrschten.

Oft schon war deswegen ein Missgeschick passiert, etwa dass sich das Dokument ausgerechnet in den Händen desjenigen vernichtete, der es eigentlich erhalten sollte. Um so etwas zu vermeiden, benutzte man häufig die alten magischen Siegel, ohne sie jedoch mit einem Zauber zu belegen. Auf diese Weise sparte man natürlich auch die Gebühr für den Magier.

„Entschuldigt mich, dass ich hier einfach so hereinplatze", bat Prinz Sandrilas. „Aber es ist soeben eine Nachricht per Brieftaube eingetroffen, mit dem Siegel höchster Dringlichkeit versehen."

König Keandir nahm das Dokument entgegen. Am Siegel konnte er erkennen, wer ihm die Nachricht gesandt hatte und von wo. „Es ist von Lirandil!", stieß der König hervor. „Und die Taube wurde in Nithrandor auf ihren Weg nach Elbenhaven geschickt!"

Daron hatte ein flaues Gefühl, als er den Namen der Stadt in Mittel-Elbiana vernahm. Er hatte sie gesehen, unter der Lichtglocke auf dem Gipfel des Nebelbergs, und sie war von wütenden Kampfgnomen angegriffen worden.

Das konnte kein Zufall sein, dachte er und bedauerte gleichzeitig, dass Sarwen zurzeit zu schwach war, seine Gedanken zu lesen. Zumindest konnte er sie nicht spüren und erhielt erst recht keine geistige Antwort von ihr.

König Keandir brach das Siegel und las stirnrunzelnd Lirandils Botschaft, dem weit gereisten elbischen Fährtensucher, der gewiss schon jeden Winkel des Zwischenlandes gesehen und erkundet hatte.

„Lirandil ist auf seiner letzten Reise in den Süden offenbar bis nach Nithrandor gelangt", berichtete König Keandir. „Er schreibt, dass die Stadt angegriffen würde - und zwar von Gnomen und Trorks."

„Dann war es also ein Ereignis aus der nahen Zukunft, das Sarwen und ich gesehen haben!", stieß Daron hervor.

„Das ist bei diesen besonderen Zauberformeln zur Anrufung der Eldran durchaus möglich", stimmte König Keandir zu.

Sein Gesichtsausdruck wirkte fassungslos.

Prinz Sandrilas ergriff das Wort. Da ihm der Befehl über das Heer von Elbiana unterstand, sah er sich gezwungen, etwas zu unternehmen. „Ich werde alle Truppen in Alarmbereitschaft versetzen. Aber bis Nithrandor ist es weit und der Landweg zudem sehr unwegsam. Bis genug Elbenkrieger in der Nähe der Stadt sind, könnte es längst zu spät sein."

„Lirandil schreibt, dass die Gnomen und Trorks Nithrandor mithilfe von Magie angreifen“, erklärte König Keandir. „Er meint, dass Daron und Sarwen unbedingt mit ihrem Riesenfledertier dorthin fliegen sollten, um die Verteidiger der Stadt zu unterstützen."

„So schwach sind unsere Magier schon?“, meinte Sandrilas verächtlich. „Wenn das Elbenreich zu früheren Zeiten angegriffen wurde, haben unsere Magier und Schamanen ihre Kräfte vereinigt und durch ihre Zauberkräfte riesige Felsbrocken erschaffen, die aus dem Himmel auf unsere Feinde herabregneten und sie erschlugen. Und jetzt können sie nicht einmal mehr ein paar Gnomen Angst machen, ohne dass ihnen ein paar Kinder dabei helfen müssen?“ Der einäugige Elbenprinz machte eine abschätzige Geste. „So etwas hätte es damals nicht gegeben!“

„Wir wissen nicht, ob zurzeit überhaupt genug Magier in Nithrandor weilen, um dem Angriff auf diese Weise begegnen zu können“, entgegnete Keandir. „Jedenfalls steht nichts darüber in dieser Botschaft. Ich nehme an, dass Lirandil gezwungen war, sich kurz zu fassen.“

„Was mich wundert, ist, dass wir bisher keine Meldungen per Lichtzeichen erhalten haben“, grübelte der Einäugige. „So schnell eine Brieftaube auch sein mag – eine Nachricht über Lichtzeichen hätte uns viel früher erreicht!“

Nach dem Ende des letzten großen Krieges hatte König Keandir angeordnet, im ganzen Reich Posten zur Übertragung von Lichtsignalen zu errichten. Entweder wurden Leuchtfeuer entzündet, oder man verwendete große Spiegel, mit denen das Sonnenlicht einfangen wurde. Mithilfe solcher Lichtzeichen konnten Botschaften innerhalb von sehr kurzer Zeit in ganz Elbiana verbreitet werden.

Wenn also irgendwo ein Angriff erfolgte, wusste man in der Hauptstadt sehr schnell davon und konnte Gegenmaßnahmen ergreifen. Aber nicht nur im Fall eines Angriffs hatten sich die Lichtzeichen bewährt, sondern auch dann, wenn eine schwere Sturmflut die Küsten von Nord-Elbiana und dem angrenzenden Herzogtum Nordbergen heimsuchte; auf diese Weise konnte schnell für Hilfe gesorgt werden. Immerhin kamen diese großen Sturmfluten an der Nordküste des Elbenreichs alle zwanzig bis dreißig Jahre vor, was für Elben keine lange Zeitspanne war.

„Vielleicht hat es eine Lichtbotschaft gegeben, aber sie wurde irgendwie unterbrochen“, gab Daron zu bedenken. „Schließlich braucht man nur einen Posten in der Kette der Leuchtstationen auszuschalten oder durch Magie eine Nebelbank zu schaffen, die das Licht nicht durchdringen lässt.“

„Das ist natürlich möglich“, meinte König Keandir und fügte nach kurzem Nachdenken hinzu: „Lirandil überlässt nichts dem Zufall. Ich nehme an, dass er die Botschaft sicherheitshalber doppelt abgeschickt hat – einmal per Brieftaube und einmal über Lichtzeichen.“

 „Nithrandor liegt mitten in Elbiana“, sagte Daron. „Die Gnomen und Trorks müssen auf magischem Wege dorthin gelangt sein, sonst hätte man sie an den Grenzen doch bemerkt.“

„Sie sind sogar einmal hier in Burg Elbenhaven aufgetaucht“, erinnerte sich Keandir und sah seinen Enkelsohn an. „Dein Vater und ich haben gegen sie gekämpft. Sie sind damals mithilfe von Zauberkraft durch ein Zwischenreich gereist ...“

„Davon habe ich gehört“, bestätigte Daron. „Aber Xaror wurde vernichtet. Er kann ihnen also nicht mehr die Kraft geben, um den Weg durch jenes Zwischenreich zu nehmen. Vielleicht nutzen sie deshalb Orte, die über eine eigene Magie verfügen. Zum Beispiel den Steinkreis auf dem Nebelberg.“ Er legte die Stirn in Falten und fragte seinen Vater: „Gibt es eine ähnliche Stätte auch in der Nähe von Nithrandor?“

„Die gibt es in der Tat“, antwortete Keandir. „Allerdings hat niemand diesem Ort bislang eine besondere Bedeutung zugemessen.“ Er straffte sich. „Aber wie auch immer, wenn Lirandil magische Hilfe braucht, um Nithrandor zu verteidigen, soll er sie auch so schnell wie möglich erhalten!“

„Sarwen ist im Moment sicherlich zu schwach, um überhaupt die Reise dorthin antreten zu können", erklärte Daron. „Aber ich bin bereit, alles zu tun, um Nithrandor vor dem Feind zu verteidigen.“

„Ich habe einen anderen Vorschlag“, mischte sich Sandrilas erneut ein. „Daron soll unseren Waffenmeister Thamandor mit seinen beiden Flammenspeeren mit nach Nithrandor nehmen. Dann hätten die Verteidiger der Stadt nicht nur Magie zur Verfügung, um die Angreifer abzuwehren.“

„Ein guter Vorschlag“, stimmte König Keandir sofort zu.

Und auch Daron fand, dass es keine schlechte Idee war, den Waffenmeister mit seinen beiden gefährlichsten Erfindungen mitzunehmen.

Schließlich waren die Flammenspeere die mächtigsten Waffen, die man im Elbenreich kannte.

***

Bald brach Daron auf. Eigentlich hatte Keandir seinem Enkel noch einen Wächter mitgeben wollen, aber der Elbenjunge hatte abgelehnt. Erstens brauchte er keinen Aufpasser, wie er meinte, und zweitens war es besser, wenn Rarax auf der bevorstehenden Flugreise nach Nithrandor nicht noch ein zusätzliches Gewicht tragen musste, schließlich sollte er sehr schnell fliegen, um den Ort des Geschehens in Bälde zu erreichen.

Im Morgengrauen erhob sich Rarax über Burg Elbenhaven. Auf dem Rücken des Riesenfledertiers saß einzig und allein Daron, denn Waffenmeister Thamandor musste er noch auf dem Elbenturm abholen.

Es war ein seltsames Gefühl, dass Sarwen diesmal nicht bei ihm war. Während Nathranwen an ihrem Bett wachte, schlief sie so tief und fest, dass Daron keinen einzigen Gedanken von ihr aufschnappen konnte, so sehr er sich auch anstrengte. Ihr Geist war offenbar tief versunken in ihren Träumen, an denen sie Daron nicht teilhaben ließ. Er konnte nur hoffen, dass sich seine Schwester wieder einigermaßen erholt haben würde, wenn er von seiner Mission zurückkehrte.

Er flog zum Elbenturm, jenen turmförmigen Felsen, auf dessen Gipfel sich die Werkstatt des Thamandor befand. Bis dorthin war es nicht weit, bei klarem Wetter konnte man den Felsen von den Türmen Burg Elbenhavens aus sogar sehen.

Daron ließ Rarax im Innenhof landen. Die Werkstatt war von zinnenbewehrten Mauern umgeben und glich einer kleinen Burg. Ein schmaler, teilweise in den Fels gehauener Weg führte vom Fuß des Elbenturms bis zur Werkstatt, und selbst für die ausdauernden Elbenpferde war es manchmal eine Plackerei, all die Gegenstände hinaufzuschaffen, die Thamandor für seine Erfindungen brauchte.

Rarax schlug noch einmal die Flügel auf und nieder, womit er eine riesige Staubwolke aufwirbelte, und faltete sie dann zusammen, sodass Daron absteigen konnte.

Einige Elbenkrieger, die auf den Mauern der Manufaktur Wache gehalten hatten, eilten herbei.

„Der Enkel des Königs!“, rief einer von ihnen.

Daron wandte sich an einen der Wächter. „Bringt mich zu Waffenmeister Thamandor!“

„Der Meister hat die letzten drei Nächte nicht geschlafen“, erklärte der Wächter, „und er ist so in seine Arbeit vertieft, dass er sich wahrscheinlich auch in den nächsten Nächten nicht zur Ruhe legen wird.“

Daron richtete den Blick auf das Haupthaus, wo der wichtigste Teil der Werkstatt untergebracht war. Dort brannte Licht, und seine feinen Elbenohren hörten jemanden leise Flüche und Verwünschungen ausstoßen, weil irgendetwas nicht so klappte, wie es dieser Jemand beabsichtigt hatte.

Daron wusste natürlich, wie sehr Thamandor es hasste, aus seiner Arbeit herausgerissen zu werden. Aber in diesem Fall hatte der Elbenjunge keine Wahl.

„Richtet ihm aus, dass Elbiana in Gefahr ist!“, rief Daron laut genug, dass auch Thamandor ihn hörte.

Wenig später wurde die Tür des Hauptgebäudes aufgestoßen, und Thamandor trat ins Freie. „Heißt das, mir ist es endlich mal wieder erlaubt, meine Flammenspeere einzusetzen?“, rief er, ohne sich mit einer langen Begrüßung aufzuhalten.

Daron trat auf ihn zu. „Genau so ist es! Die Stadt Nithrandor wird von Gnomen angegriffen, und man braucht dort dringend Eure Hilfe!“

In diesem Moment gab es einen lauten Knall, aus dem Hauptgebäude von Thamandors Werkstatt schossen Flammen und züngelten durch die Fenster und Türen. Fensterläden wurden zur Seite geschlagen, und innerhalb eines Augenblicks hatte sich ein Belag aus Ruß auf die Außenwände gelegt. Schwarzer Rauch quoll aus dem Gebäude.

„Ich fürchte, damit ist mein Experiment gescheitert“, grummelte Thamandor.

„War noch jemand im Gebäude?“, rief Daron erschrocken.

„Nein, nein!“, beschwichtigte Thamandor. „Die etwas gefährlicheren Sachen mache ich nur noch ganz allein.“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Wenigstens steht das Gebäude noch.“

„Hattet Ihr das etwa nicht erwartet?“, fragte Daron.

Thamandor schüttelte den Kopf. „Nein. Wir hatten mehrere – wie soll ich sagen? - unerwartete Ereignisse in letzter Zeit ...“

„Diese Ereignisse, wie Ihr sie nennt, waren bis in Elbenhaven zu hören“, erklärte der Elbenjunge. „Die Ohrenheiler dort hatten alle Hände voll zu tun.“

Thamandor neigte zu Untertreibungen, wie Daron fand. Wegen der risikovollen Experimente, die der Erfinder immer wieder durchführte, hatte er einst bereits seine Werkstatt von Elbenhaven auf den Elbenturm verlegen müssen. Aber es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, dann würde man ihn auch von dort vertreiben. Die Explosionen, zu denen es immer wieder kam, waren nämlich so heftig geworden, dass sich immer mehr Bürger der Stadt Elbenhaven bei König Keandir darüber beschwerten.

„Ich habe das Gebäude mit Magie derart absichern lassen, dass es nicht auseinander fliegen kann, wenn sich drinnen eine größere Explosion ereignet“, erklärte der elbische Erfinder. „Die halbe Magiergilde war dafür hier und hat ihre Kräfte vereint. Dabei hatte ich – ich geb’s zu – meine Zweifel. Erstens werden unsere Magier ja immer schwächer, und so wusste ich nicht, ob sie überhaupt etwas ausrichten konnten. Und zweitens misstraue ich im Grunde jeder Art von Magie. Aber man sieht ja, das Haus steht noch.“

Thamandor, der deshalb zum Erfinder geworden war, weil er für einen Elben magisch absolut minderbegabt war, atmete erleichtert auf. Er hatte offenbar mit einem weitaus schlimmeren Schaden gerechnet.

„Es scheint Euch gar nicht zu erschrecken, dass Euch die Explosion fast zerfetzt hätte, wäret Ihr nicht aus dem Haus gekommen“, stellte Daron verwundert fest.

Thamandor machte nur eine wegwerfende Handbewegung. „Es ist nur schade um die Proben, die jetzt vernichtet sind. Im Übrigen bist du mit Schuld an dem, was geschehen ist.“

„Ich?“, wunderte sich der Elbenjunge.

„Ja, sicher! Hättest du mich nicht durch dein lautes Auftreten abgelenkt, wäre das nicht passiert.“

Daron hatte keine Lust, darüber zu streiten. Viel wichtiger war es, Thamandor mit seinen Wunderwaffen möglichst schnell nach Nithrandor zu schaffen.

„Was ist mit den Flammenspeeren?“, fragte Daron deshalb. „Ich hoffe nicht, dass sie in dem Haus waren ...“

„O nein, für wen hältst du mich? Die habe ich sicher untergebracht.“

„Dann macht Euch reisefertig, Meister Thamandor“, forderte Daron den Erfinder auf. „Wir müssen sofort aufbrechen.“

Thamandor warf einen Blick auf Rarax, der ganz friedlich am Boden kauerte und nicht einmal knurrte. „Ich gebe zu, dass das nicht gerade die Art zu reisen ist, die ich bevorzuge“, grummelte der Erfinder. Er seufzte laut. „Aber wenn es um das Elbenreich geht, bringt man schon mal Opfer.“

Thamandor blickte zu dem verrußten, qualmenden Gebäude, und Daron fragte sich insgeheim, worauf er wohl noch warten mochte. Da schossen auf einmal Wasserfontänen an mehreren Stellen aus Rohren hervor, die etwa einen Meter aus dem Boden ragten. Die Fontänen regneten auf das Werkstattgebäude nieder, und manche zielten sogar genau durch die Fenster und Türen. Es zischte, und nicht mehr dunkler Rauch quoll aus den Öffnungen, sondern heller Wasserdampf.

„Na endlich!“, stieß Thamandor hervor. „Ich dachte schon, mein Löschmechanismus würde nicht mehr funktionieren – und dabei habe ich so lange damit zugebracht, bis er fertig war!“

Dann beeilte er sich endlich. Er verschwand in einem der anderen Gebäude und kehrte wenig später mit seiner vollständigen Ausrüstung zurück. Auf den Rücken gegürtet trug er sein Schwert „Leichter Tod“, das aus einem ganz besonders leichten Stahl geschmiedet war, den Thamandor erfunden hatte. Am Gürtel trug er zwei Einhand-Armbürste und in jeder Hand eine der berühmten Flammenlanzen.

„Ich bin bereit!“, rief er und befahl dann seinen Mitarbeitern: „Holt ein paar Haltegurte und Seile, damit wir diese über die Maßen wertvollen Waffen sicher festschnallen können! Es wäre nicht auszudenken, wenn eine davon beim Flug in die Tiefe stürzen und beschädigt würde.“

Die Gehilfen und Wächter des Waffenmeisters brachten alles herbei, was Thamandor gefordert hatte.

„Dieses Biest hat wohl noch nie ein Geschirr getragen“, stellte der elbische Erfinder fest, während er das Riesenfledertier misstrauisch beäugte.

„Natürlich nicht!“, erwiderte Daron empört. „Die Kraft meiner Magie und meines Geistes hält Rarax unter Kontrolle. Was braucht er da ein Geschirr, wie es doch nur die Menschen verwenden! Auch Elbenpferde gehorchen schließlich den Gedanken ihrer Reiter.“

Thamandor zuckte mit den Schultern und knotete ein paar Seilenden und Riemen zusammen, die ihm seine Gehilfen reichten. „Ich dachte nur, es wäre praktisch. Du könntest Haken anbringen und dann Lasten daran hängen.“

„Ihr seht die Sache offenbar von ihrer praktischen Seite“, entgegnete Daron. „Ich liege meinem Großvater immer wieder damit in den Ohren, dass er beginnen soll, weitere Riesenfledertiere zu zähmen und vielleicht sogar zu züchten, wie es die Elben einst mit den Pferden getan haben.“

„Und? Ich nehme an, unser König ist davon wenig begeistert.“

Daron nickte betrübt. „Leider. Aber davon abgesehen wäre es auch gar nicht so leicht für unsere Magier, die Riesenfledertiere dann auch wirklich unter Kontrolle zu halten. Insofern verstehe ich Großvater.“

Thamandor hatte alles festgezurrt, und Rarax war dabei die ganze Zeit über ruhig geblieben. „So, jetzt wackeln die Flammenspeere nicht einmal mehr. Auf geht's!“

***

Rarax erhob sich wenige Augenblicke später in die Lüfte. Thamandor, der neben Daron auf dem Rücken des Riesenfledertiers Platz genommen hatte, wirkte alles andere als glücklich.

Daron trieb Rarax so schnell es ging vorwärts. Er ließ das Riesenfledertier den direkten Weg durch die schneebedeckten Gipfel von Hoch-Elbiana nehmen. Rarax gefiel das schon deswegen nicht, weil es dort oben so furchtbar kalt war.

Thamandor überprüfte während des Fluges immer wieder die Riemen und Seile, mit denen er die Flammenspeere am Körper des Flugungetüms befestigt hatte. Er war außerordentlich besorgt um diese Waffen. Nur zwei Exemplare hatte der Erfinder in Handarbeit angefertigt und im Verlauf von Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder verbessert. Allerdings wusste niemand, wie lange die Flammenspeere noch Feuerstrahlen verschießen konnten, denn dazu war ein Pulver nötig, das aus Steinen des Magischen Feuers gewonnen wurde, die es früher auf der Insel Naranduin gegeben hatte – bis der Dunkle Herrscher Xaror sie hatte einsammeln lassen, um sie für seine Zwecke zu gebrauchen. Bislang hatte Thamandor dafür keinen Ersatz gefunden, und das war auch der Grund, warum die Flammenspeere möglichst selten und nur bei einer wirklich schwerwiegenden Gefahr eingesetzt wurden.

Ursprünglich war geplant gewesen, in Thamandors Werkstatt Dutzende dieser Waffen herzustellen und damit einen Teil der Elbenkrieger auszurüsten. Doch seit dem Verschwinden der leuchtenden Steine ging das nicht mehr, und Thamandor konzentrierte sich seitdem darauf, eine andere Substanz statt der pulverisierten Steine des Magischen Feuers zu finden. Aber daran arbeitete er erst etwas mehr als ein Jahrhundert. Also konnte man in dieser Hinsicht noch keine Erfolge erwarten …

Schließlich ließ Rarax das Gebirge hinter sich und erreichte das Hügelland von Mittel-Elbiana. Hier und dort konnte man Gruppen von Elbenkriegern sehen, die wohl aus den Elbenstädten an der Küste aufgebrochen waren, um nach Nithrandor zu reiten und die dortigen Verteidiger zu unterstützen. Das Land wurde flacher. Hin und wieder überflogen Daron und Thamandor bewaldete Gebiete, und irgendwann am frühen Abend, als die Sonne bereits den Horizont berührte, sah der Elbenjunge in der Ferne ein blaues Band.

Das war der obere Tir – jener Fluss, an dessen Ufern die Elbenstadt Nithrandor lag.

„Wir haben es bald geschafft!“, rief Daron.

„Vielleicht solltest du eine weiträumige Runde über das ganze Gebiet fliegen“, meinte Thamandor. „Dann können wir uns ein Bild von der Lage machen, bevor wir in Nithrandor landen.“

„Keine schlechte Idee“, fand Daron.

***

Es dauerte nicht lange, bis sie die ersten Kolonnen von Gnomen sahen, die am Ufer des Tir flussaufwärts zogen. Sie folgten der alten Elbenstraße, die entlang des Flussufers verlief – bis nach Tirgond, wo der große Strom in das Zwischenländische Meer mündete. Die Straße war nicht mit richtigen Steinen befestigt, man hatte sie zum größten Teil durch Magie erschaffen.

„Siehst du, das kommt davon, wenn man magische Bauwerke nicht richtig pflegt, weil man zu wenige und zu schwache Magier hat“, sagte Thamandor zu dem Halbelben. „Ganze Abschnitte der Elbenstraße sind inzwischen einfach verschwunden. Da wächst wieder Gras, als wäre dort nie etwas gewesen.“

„So weit ich weiß, wird die Straße auch nur noch selten benutzt“, hielt Daron dagegen.

„Kein Wunder. Dieser Holperweg, in dem immer größere Teile der Pflastersteine einfach verblassen, würde ich auch nicht benutzen. Schon gar nicht, wenn gleich daneben ein breiter Fluss verläuft, über den man mit dem Schiff fahren kann.“

Die Gnomen bemerkten das Riesenfledertier. Einige benutzten die gefürchteten Schleudern, mit denen die Gnomen spitze Metallhaken verschossen. Aber so hoch reichten diese Waffen nicht, um Rarax und seinen beiden Reitern gefährlich werden zu können. Dennoch befahl Daron dem Riesenfledertier sicherheitshalber, etwas höher zu steigen.

Sie folgten dem Oberen Tir.

Endlich tauchten in der Ferne die Zinnen von Nithrandor auf. Die alte Elbenstadt lag auf der Ostseite des Flusses, gegenüber am Westufer war allerdings im Verlauf der letzten hundert Jahre eine Neustadt entstanden, in der vorwiegend Menschen lebten. Deren Dienste als Handwerker und Händler waren sehr gefragt. Außerdem waren auch zylopische Riesen nach Nithrandor gezogen. Seit die Magie viele Bauerwerke nicht mehr aufrechterhalten konnte, halfen sie dabei, schadhafte Gebäude auszubessern. Hin und wieder konnte man in den Straßen sogar Zentauren antreffen. Sie waren vor allem als Kuriere tätig, denn selbst Elbenpferde konnten es an Ausdauer und Schnelligkeit kaum mit den Zentauren aufnehmen.

Daron ließ Rarax eine Runde über der Stadt drehen. Die Flussbrücke, die beide Stadtteile miteinander verband, war zu einem Wahrzeichen des neuen Nithrandor geworden.

Von allen Seiten näherte sich das Heer der Gnomen. Es mussten Tausende sein. Manche saßen zu dritt auf riesigen Kaltblutpferden, schwangen ihre Äxte und benutzten ihre Schleudern, wenn sie zum Angriff an die Stadtmauern heranstürmten. Andere Kolonnen waren zu Fuß unterwegs und bedienten gewaltige Belagerungsmaschinen, von denen manche von Pferden gezogen wurden, andere von Riesenechsen, wie es sie inzwischen nur noch sehr selten in den Wäldern des fernen Landes Karanor gab.

Doch hin und wieder zogen die Gnomen auch gleich selbst ihre Katapulte und Rammböcke oder Sturmtürme, mit denen man Mauern überwinden konnte. Dabei waren sie sogar oft schneller und schienen mehr Kraft zu haben als die großen Tiere, die ihnen eigentlich diese Arbeit abnehmen sollten.

Unterstützt wurden die Gnomen von riesigen Trorks – aber genau wie Daron und Sarwen es auf dem Nebelberg gesehen hatten, waren diese Trorks ganz anders als die fellbehängten, Keulen schwingenden Riesen, die sie aus dem Wilderland kannten. Diese Trorks trugen messingfarbene Rüstungen, die im Licht der untergehenden Sonne glänzten. Die meisten von ihnen liefen zu Fuß, aber ihre Anführer ritten auf Riesenmammuts.

Thamandor wirkte zutiefst erschrocken. „Wie konnte diese Armee des Schreckens nur so plötzlich in unser Land gelangen? Da muss dunkle Magie im Spiel sein!“

Auf Rarax wurde mit einem Katapult geschossen. Der Bolzen war so lang wie Darons Arm und mit einer Spitze aus einem grünlich schimmernden Metall versehen, das wie glühend wirkte. Das Geschoss war gut gezielt und verfehlte den linken Flügel des Riesenfledertiers nur um Haaresbreite.

Zwei weitere Geschosse, von Riesenarmbrüsten abgefeuert, stiegen empor. Das grünliche Metall an ihren Spitzen war mit Magie versehen, daher rührte sein Glühen, Daron spürte es sehr deutlich. Offenbar diente diese Magie in erster Linie dazu, dass die Geschosse leichter zu ihrem Ziel fanden. Rarax, selbst ein Geschöpf der Finsternis, schien das ebenfalls zu fühlen. Er brüllte laut auf, und ohne dass Daron ihm den Befehl dazu gegeben hatte, versuchte er den Geschossen auszuweichen.

Dazu ließ es sich einfach ein Stück fallen, sodass die Bolzen eigentlich an ihnen hätten vorbeifliegen müssen. Aber eines der Geschosse änderte im Flug die Bahn. Rarax flatterte heftig mit den Flügeln, um nicht wie ein Stein zu Boden zu fallen. Und Daron sammelte innerhalb weniger Herzschläge so viel an dunkler magischer Kraft, wie er konnte. Seine Augen wurden vollkommen schwarz, er hob die Arme, so als wollte er den heranrasenden Bolzen mit bloßen Händen abwehren, und stieß gleichzeitig einen durchdringenden Schrei aus.

Für einen kurzen Moment entstand ein magisches Abwehrfeld. Der Bolzen wurde zur Seite abgelenkt, kurz bevor er Rarax durchbohrt hätte. Er drehte sich um sich selbst und trudelte abwärts, während die grünliche Metallspitze noch mehr aufglühte.

Rarax zog eine hakenförmige Linie durch die Luft, damit die Gnomen nicht mehr so gut auf ihn zielen konnte, und stieg höher.

„Danke!“, sandte Daron einen Gedanken an das Riesenfledertier. Denn wenn Rarax nicht geistesgegenwärtig ausgewichen wäre, hätte es selbst mit der Magie des Halbelben keine Rettung mehr gegeben.

„Wenn diese Schurken glauben, sie könnten sich alles erlauben, sind sie bei mir an den Falschen geraten!“, rief Thamandor erzürnt. Seine Wut auf die Gnomen war auf einmal größer als seine Furcht vor der Tiefe. Bisher hatte er sich krampfhaft an Rarax' Fell festgeklammert und es vermieden, nach unten zu blicken. Aber nun krabbelte er mutig zu den Flammenspeeren.

„Dreh noch eine Runde, Daron!“, wies der Waffenmeister den Elbenjungen an und begann gleichzeitig damit, einen der Flammenspeere zu lösen, wobei er darauf achtete, nicht auch die Riemen und Seile zu lockern, die den zweiten hielten. „Warum nicht gleich von hier oben den Gnomen einheizen?“, grollte er. „Denen brenne ich die Katapulte zu Asche!“

„Ich weiß nicht, ob das wirklich eine so gute Idee ist“, gab Daron zurück. Es war eine plötzliche dunkle Ahnung, die ihn das sagen ließ. Ein Gefühl, für das es keinen richtigen Grund zu geben schien. Aber Daron hatte gelernt, dass solche Gefühle oft durch seine magischen Sinne hervorgerufen wurden und es besser war, sie ernst zu nehmen.

Die Waffen der Gnomen waren magisch aufgeladen, und vielleicht war es diese Kraft, die Daron unterschwellig spürte. Eine Kraft, die ihn zutiefst beunruhigte,

Noch immer waren seine Augen vollkommen schwarz.

Thamandor jedoch teilte die Bedenken des Halbelben nicht. Er spürte auch nicht die dunkle Kraft, die von den Gnomenwaffen ausging, denn sein magischer Sinn war für elbische Verhältnisse völlig unterentwickelt. Er nahm den Flammenspeer und hielt ihn so, sodass die trichterförmige Spitze auf die Reihen von Katapulten zeigte. Seine Hand umfasste den Hebel, der sich etwa in der Mitte der Waffe befand, und zog ihn zurück.

Ein Flammenstrahl schoss fauchend aus der Spitze des Speers. Doch der Strahl erreichte sein Ziel nicht, denn eine unsichtbare Wand schützte die Gnomen und Trorks.

Ein magischer Schirm!, erkannte Daron. Eine andere Erklärung konnte es dafür nicht geben. Die Angreifer schienen über magische Mittel zu verfügen, die stärker waren als alles, was den Elben in dieser Hinsicht zur Verfügung stand.

Anstatt die Belagerungsmaschinen und Katapulte in Brand zu setzen, bildete das Feuer des Flammenstrahls eine rote Wand, so als würde sich die Hitze des Strahls vor dem unsichtbaren magischen Schirm stauen.

Daron ahnte, was geschehen würde. Er gab Rarax den Befehl, sich zur Seite kippen zu lassen, und konzentrierte gleichzeitig all seine Kräfte darauf, einen eigenen Abwehrschirm aufzubauen.

Die Feuerwand wurde von dem magischen Schirm weggestoßen, der die Katapulte und Belagerungsmaschinen der Gnomen schützte, und raste empor, zurück zum Ursprung der Flammen – dem Riesenfledertier mit den beiden Elben auf seinem Rücken.

„Festhalten, Thamandor!“, rief Daron gerade noch. Eine Welle aus Hitze ging der Feuerwand voraus und erfasste das Riesenfledertier. Es wurde in die Höhe gehoben, brüllte auf und flatterte wild. Daron hatte zwar einen Schutzschild erzeugt, aber die Kräfte des Elbenjungen waren nicht stark genug, um die Flammen vollkommen abzuwehren.

Rarax taumelte schreiend und brüllend durch die Luft, und Thamandor krallte sich wieder am Fell des Flugungeheuers fest, wobei er verzweifelt darum bemüht war, seinen Flammenspeer nicht zu verlieren.

Daron musste sich ebenfalls festkrallen, denn Rarax torkelte wild dem Erdboden entgegen. Der Schlag seiner Schwingen war völlig aus dem Rhythmus geraten, und die heißen Winde, die von der Flammenwand ausgingen, verhinderten zunächst, dass er sich wieder fing. Immer hektischer schlug er mit den Flügeln und fiel doch wie ein Stein aus dem Himmel.

Um ein Haar wäre er gegen einen der Türme von Nithrandor geprallt. Die Wachen, die an den Zinnen standen, brachten sich in panischer Furcht in Sicherheit, als sie das kolossartige Flugungeheuer auf sich zutaumeln sahen, aber im letzten Moment gelang es Rarax noch, die Richtung zu ändern. Lediglich mit einem Flügel schrammte er am Mauerwerk entlang, dann ging es steil abwärts.

Ziemlich unsanft landete das Riesenfledertier auf dem größten Platz der Stadt, auf dem in Friedenszeiten Markt gehalten wurde.

Rarax rutschte über das glatte, mithilfe von Magie instand gehaltene Pflaster und stieß schließlich gegen den großen Stadtbrunnen. In dessen Ummauerung sprangen faustdicke Risse auf, als Rarax mit voller Wucht dagegen stieß. Daron konnte sich gerade noch auf dem Rücken des Flugungeheuers halten, doch Thamandor gelang dies nicht. Weil er sich nur mit einer Hand festzuhalten versuchte und mit der anderen den Flammenspeer umklammerte, verlor er den Halt, wurde vom Rücken des Fledertiers geschleudert und landete mit einem harten Aufschlag auf dem Pflaster.

„Einen Heiler!“, rief jemand aus der Menge, die sich auf dem Platz befunden hatte und von der der größte Teil in Panik davongestoben war. Nicht nur Elben waren darunter, sondern auch einige der Menschen, Zylopier und Zentauren, die mittlerweile in der Stadt lebten. „Wir brauchen einen Heiler! Schnell!“


Alle Rechte vorbehalten / © 2009 bei Alfred Bekker und Egmont SchneiderBuch

 

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