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Aus Fred Glettlers Wunderhorn: Hund Schneckers als Bauchspeicheldrüse

Fred GlettlerAus Fred Glettlers Wunderhorn:
Hund Schneckers als Bauchspeicheldrüse

Fred Glettler ist ein leider völlig unbekannter und zu Unrecht verkannter Poet.

Der Zauberspiegel widmet sich dem Werk des vergessenen Poeten und wird Texte von ihm – in Absprache mit seinem Nachlassverwalter, Lightning Roy Glettler – in loser Folge bringen.

Hund Schneckers als BauchspeicheldrüseHund Schneckers als Bauchspeicheldrüse
Hund Schneckers hat sich für eine freigewordene Stelle als Bauchspeicheldrüse beworben und wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Hier nun die Situation, völlig wertfrei geschildert, wie sie sich zugetragen hat und was daraus geworden ist.

Hund Schneckers sitzt nervös und aufgeregt in seinem unbequemen Sessel, der ihn um wenige Zentimeter kleiner als den Chef erscheinen lässt. Auch wurde ihm – wie sonst allgemein üblich – kein Getränk angeboten.

„Haben Sie denn Erfahrungen als Bauchspeicheldrüse?“, fragt der Chef ein wenig herausfordernd nach einer Weile. „Haben Sie schon mal Insulin produziert? Haben Sie überhaupt schon mal etwas produziert?“

Hund Schneckers druckst ein wenig herum, da er gar nicht weiß, was Insulin eigentlich ist.

Er schließt die Augen, in der Annahme, der Chef sieht ihn dann nicht.

„Also, nein“, seufzt der Chef und schiebt ihm eine Stellenbeschreibung rüber, damit Hund Schneckers weiß, was er als Bauchspeicheldrüse zu tun hat.

„Schmeissen Sie als erstes die alte Bauchspeicheldrüse raus, die taugt nichts mehr“, sagt sein neuer Chef, ohne Hund Schneckers überhaupt anzusehen.

„Jaja“, meint Hund Schneckers eifrig und unterschreibt den Arbeitsvertrag. „Schmeiße sie gleich raus, die alte Bauch…“

Er räuspert sich, um seine Unwissenheit zu verschleiern.

Ein wenig keck fügt er noch hinzu: „Kann man auch  aufsteigen?“

„Pah“, macht sein neuer Chef. „Vom Aufsteigen träumt er, noch bevor er einen einzigen Tag gearbeitet hat. Die Arbeit einer Bauchspeicheldrüse ist eine ehrbare! Da muss man nicht gleich aufsteigen“. Das letzte Wort betont er ein wenig abfällig.

Hund Schneckers schielt ein wenig verlegen und verspürt den Drang, Ka-Ka zu machen, verkneift es sich aber

Sein neuer Chef schielt zurück und meint versöhnlich: „Naja, wenn Sie ihre Arbeit gut machen, wäre das schon möglich. Natürlich nur in bescheidenem Rahmen“

Hund Schneckers hechelt

„Zu mehr als einer Niere werden Sie es aber wohl nicht bringen“ dämpft der Chef aber seine Erwartungen

„Jaja“ meint Hund Schneckers. „Wäre gerne eine Niere!“

„Machen Sie einfach Ihre Arbeit und fallen Sie nicht unangenehm auf“ meint sein neuer Chef. „Dann will ich sehen, was ich für Sie tun kann. Und: kommen Sie nicht zu spät, und gehen Sie auch nicht früher. Ich habe meine Augen und Ohren überall. Noch Fragen?“

Hund Schneckers freut sich und meint devot und sich unbeholfen anbiedernd: „Jaja, werde eine gute Bauchspeicheldrüse sein! Nein, nein, habe keine Fragen!“

Nachdem er von seinem neuen Chef hinauskomplimentiert worden ist, sucht er schnell die nächste Kaka-Stube auf…
⦁    


Am 31. April ist sein erster Arbeitstag

Die Arbeit als Bauchspeicheldrüse ist insgesamt schwer, anstrengend und eintönig

Manchmal aber auch anstrengend, eintönig und schwer

Gelegentlich auch schon mal eintönig, schwer und anstrengend

Ständig Insulin produzieren, tagein, tagaus

Und dann der Druck:
⦁    Nicht unangenehm auffallen
⦁    Nicht zu spät kommen
⦁    Nicht zu früh gehen
⦁    Nicht zu oft „Jaja“ sagen

Mehr als einmal ist Hund Schneckers versucht, alles hinzuschmeißen und sich einen anderen Job zu suchen

Er schluchzt manchmal heimlich „Jaja“ und macht das Beste daraus

Er produziert fleissig Insulin, tagein, tagaus

Fällt nicht unangenehm auf

Kommt nicht zu spät

Geht nicht zu früh

Sagt nicht zu oft „Jaja“

Tagein, tagaus
⦁    
Nach der Arbeit trifft er sich oft in der Pankreas-Bar, in der andere Bauchspeicheldrüsen verkehren

Hund Schneckers fachsimpelt gerne bei einem Koala-Radler mit seinen Kollegen

Dort lässt es sich aushalten

Dort lässt er auch mal die Sau raus

Ertränkt den Kummer

Fällt unangenehm auf

Kommt zu spät

Geht aber nicht zu früh

Schreit unbändig: „JAJA!!!“
⦁    
So geht es viele Jahre dahin, und Hund Schneckers hat sich irgendwann mit seinem tristen Dasein abgefunden

Er produziert fleissig Insulin

Tagein, tagaus
Fällt nicht unangenehm auf

Kommt nicht zu spät

Geht nicht zu früh

Sagt nicht zu oft „Jaja“

Tagein, tagaus
⦁    
Einmal im Jahr macht er einen kleinen Urlaub auf den Langerhans-Inseln

Dort fühlt er sich wohl

Liegt faul in der Sonne

Auch wenn es regnet

Schön

ooo schön

Aber der Urlaub ist wie immer zu kurz

Und nicht nachhaltig

Sehr schnell hat ihn der Trott wieder eingeholt

Er produziert wieder fleissig Insulin

Tagein, tagaus

Fällt nicht unangenehm auf

Kommt nicht zu spät

Geht nicht zu früh

Sagt nicht zu oft „Jaja“

Tagein, tagaus
⦁    
Die Feierabende verbringt er weiterhin in der Pankreas-Bar

Hund Schneckers fachsimpelt bei einer Koala-Hoibe mit seinen Kollegen

Dort lässt es sich aushalten

Dort lässt er auch mal die Sau raus

Ertränkt den Kummer

Fällt unangenehm auf

Kommt zu spät

Geht aber nicht zu früh

Schreit unbändig: „JAJA!!!“

Dort hat er auch seine Frau kennengelernt

Sie heißt Hormonika und ist dort Kellnerin

Nach einer kurzen, leidenschaftslosen Affäre wird sie schwanger und sie heiraten

Nicht aus Liebe

Sie bringt einen unförmigen Sohn zur Welt, dem sie ihre ganze Liebe schenkt

Sein Name ist Hormonfred

Hund Schneckers hingegen lässt sie links liegen, denn in ihren Augen ist er ein Versager

„Pah, ein Versager!“ haut sie ihm nach der Arbeit um die Ohren. „Ein Nichtsnutz!!“

Dem ist aber eh schon alles egal

Er verbringt weiterhin seine Feierabende in der Pankreas-Bar

Dort lässt es sich aushalten

Aus der Koala-Hoibe ist längst eine Koala-Maß geworden

Hund Schneckers fachsimpelt schon lange nicht mehr mit seinen Kollegen

Er lässt immer mehr die Sau raus

Ertränkt den Kummer, der sich nicht mehr wie früher ertränken lässt

Fällt äußerst unangenehm auf, was eh schon keinen mehr interessiert

Kommt zu spät

Geht aber nicht zu früh

Schreit unbändig: „JAJA!!!“

Trinkt eine Koala-Maß nach der anderen

Den Traum von der Karriere hat er längst aufgegeben

„Jaja“, meint er. „Werde wohl nie eine Niere werden“

Er produziert stupide weiterhin Insulin, nicht mehr fleissig, sondern rein aus Gewohnheit

Tagein, tagaus

Und fällt nicht unangenehm auf

Kommt nicht zu spät

Geht nie zu früh

Sagt niemals „Jaja“

Tagein, tagaus

Zum 40-jährigen Jubiläum bekommt er aber von seinem Chef wenigstens einen Nierentisch geschenkt

5 Jahre später stirbt er an Nierenversagen

Jaja
⦁    
Übrigens: Hormonfred hat inzwischen studiert und nach einem glänzenden Abschluß sofort eine Stelle als Hirnanhangdrüse angenommen. Mit Aufstiegsmöglichkeiten.

Mutter Hormonika war natürlich unbändig stolz auf ihren Sproß, erlitt aber vor Freude einen linksseitigen Schlaganfall und fristet ihr Dasein in einem Pflegeheim, wo sie täglich auf ihren geliebten Hormonfred wartet. Vergeblich.

Vergeblich.

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