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Wünsche?!

Magirian Wonder TaleWünsche?!
(Ein Märchen der Choson)

Es war ein normaler Spätsommerabend. Etwas stürmisch und feucht, aber eigentlich nichts Besonderes. Das Tagwerk war vollbracht, die Felder versorgt, das Vieh im Trockenen und gefüttert. Das alte Ehepaar saß in seiner Hütte und hing seinen Gedanken nach. Sie hatten gemeinsam fünf Kinder großgezogen, aber die waren mittlerweile selber erwachsen, verheiratet und in andere Gegenden des Landes gezogen. Viel zu weit weg, um sich häufig zu besuchen, und viel zu beschäftigt, um auch nur gelegentlich nach den alten Leuten zu sehen. Selbst das nächste Dorf war noch einige Fußstunden entfernt. Nur einmal im Monat machte man sich auf den Weg zum Marktflecken, um das, was man nicht selbst fertigte, im Tausch gegen die Früchte ihrer Arbeit zu besorgen.

Aber auch miteinander redeten die Alten nur noch selten. Die alltäglichen Verrichtungen gingen auch ohne viele Worte von der Hand, und soviel Neues und Aufregendes gab es in ihrem Leben nicht mehr, als daß man sich darüber austauschen mußte.

Es verging ein Tag wie der andere. Aber an diesem Tag geschah doch etwas, was das Leben der Alten gehörig ändern sollte. Man wollte gerade zu Bett gehen, als es an der Tür klopfte. Der Alte sah nur kurz zu seiner Frau, mehr Verwunderung denn Ängstlichkeit in seinem Blick. Denn vor was sollte man sich fürchten. Für Räuber gab es eigentlich nichts zu holen. Und so nickte der alte Mann seiner Frau nur kurz zu, und diese erhob sich, um nachzusehen, wer sie so spät noch besuchte.

Ein etwas seltsam anmutender Herr, mit einer hohen dunklen Kopfbedeckung versehen, stand vor der Tür und begrüßte die alte Frau mit freundlichen und wohlgesetzten Worten.

"Ich wünsche euch einen guten Abend und alles Glück. Würdet ihr einem einsamen Wanderer für eine Nacht einen Platz an eurem Herd und etwas Nahrung gewähren? Ich bin in der Dunkelheit vom Pfad abgekommen, und möchte das

Tageslicht abwarten, bevor ich weiter meines Weges ziehe."

Natürlich wurde er freundlich aufgenommen. Obwohl der Abend schon sehr fortgeschritten war, setzte man sich nieder, um die Gelegenheit zu nutzen, und den Erlebnissen des Fremden, der schon im ganzen Land herumgekommen war, zu lauschen.

Der Fremde bezeichnete sich als Heiler, der auf seiner Wanderschaft überall nach Rezepturen und Kräutern suchte, mit denen er das Leid der Menschen lindern könne. Dies zumindest erzählte er. Und auf seiner Reise seien ihm schon viele verschiedene Menschen, einige Wunder und, dies mit Bedauern in seiner Stimme, auch viel Unglück begegnet.

"Sagt doch", so fragte er die Alten, "Ich bin noch niemand begegnet, der restlos glücklich war, vollkommen wunschlos. Habt ihr, in eurem reifen Alter, denn schon alles vom Leben erhalten, was ihr euch erträumtet?"

Und als ob er damit eine schlecht verheilte Wunde berührt hätte, verstummten die beiden alten Leute.

Nach einer Weile des Schweigens fing der Alte an zu sprechen. "Oh ja, Fremdling, so ganz ohne Wünsche ist doch wohl keiner. Ich jedenfalls hätte schon noch einiges, was ich mir wünschen würde. Wir leben doch ziemlich ärmlich, so daß etwas Vermögen nicht gerade ungelegen käme. Und dann ", wobei der Alte sich etwas nach seiner Frau umsah," ist das Leben doch sehr eintönig. Gegen ein kleines Abenteuer wäre doch auch nichts einzuwenden. So daß ich zum Abschluß doch noch Würze in mein Dasein bekäme."

Die Frau an seiner Seite seufzte nur. "Ich habe eigentlich nur einen Wunsch. Ich möchte wissen, wie es meinen Kinder geht. Zu lange haben wir schon nichts mehr von ihnen gehört."

Der fremde Besucher sah beide an und sagte nach kurzer Pause "Ich glaube, ich kann euch beiden helfen. Wie ich ja schon erwähnte, habe ich auf meinen Reisen schon viele Wunder gesehen. Eines davon will ich euch für eure Gastfreundschaft schenken."

Und damit holte er aus seinem Beutel zwei unscheinbare Bohnen heraus.

"Diese Bohnen," so sagte er zu den Leuten, "besitzen eine eigenartige Kraft. Gebt ihr sie ins Wasser, so werden große und kräftige Pflanzen daraus, die viel Ertrag bringen. Werft ihr sie aber, wenn ihr allein seid, ins Feuer, so offenbart der Rauch, der aus ihnen aufsteigt, euch die Erfüllung eines Wunsches"

Mit diesen Worten gab er den beiden Alten jeweils eine Bohne.

"Aber verwendet sie klug, denn einmal im Feuer, gibt es nur diese Möglichkeit!".

Und indem er die Alten verblüfft und sprachlos zurückließ, begab er sich zu der ihm gewiesenen Schlafstelle.

Nach einer kurzen Nacht, in der die beiden Alten nur sehr wenig Schlaf gefunden hatten, erhoben sie sich, um dem Fremden ein Frühstück zu bereiten und ihm den rechten Weg zu zeigen.

Aber der seltsame Mann war schon aufgebrochen, ohne das sein Weggang bemerkbar war.

Nur die beiden Bohnen waren als Beweis zurückgeblieben, daß das Ereignis in der vergangenen Nacht nicht nur in der Einbildung der alten Leute stattgefunden hatte.

Und so ging wieder einige zeit ins Land, auch im leben der Alten gab es eigentlich keine Veränderung. Nur noch schweigsamer waren die Abende, und jeder der Beiden hielt seine Bohne in der Hand.

Eines Abends fragte die Frau ihren Gatten "Wäre es nicht am besten, die Bohnen einzupflanzen? Der reichliche Ertrag brächte doch genug Geld, damit wir unsere Kinder besuchen könnten. Ich kann diese Abende nicht mehr ertragen. Am Tag überlege ich, was wohl das Richtige wäre, und in der Nacht besuche ich unsere Kinder im Traum. Was ist Deine Meinung; Mann ?"

Der Angesprochene erhob sich, ging eine Weile durch den Raum und sagte dann "Auch ich habe lange überlegt. Und ich habe eine Entscheidung getroffen. Noch heute Nacht werfe ich meine Bohne ins Feuer, und ich werde sie nach einem Schatz befragen. Dann hat unsere Armut ein Ende, und wir können unsere Kinder nicht nur besuchen, sondern wieder mit ihnen zusammenleben. Alle zusammen ohne Sorgen. Und ich lasse mich von diesem Entschluß auch nicht mehr abbringen. Morgen früh weiß ich, wo ich unser Glück finden werde!"

Und die alte Frau, die ihren Mann nun schon so viele Jahre kannte, sah die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, aber sie sah auch, daß er auf keinen Einwand mehr eingehen würde.

Und wieder einmal fügte sie sich stillschweigend in das Schicksal .

So kam es, daß der Alte sich am nächsten Morgen , nachdem er Proviant und sein Reisegepäck hergerichtet hatte, sich kurz von seiner Frau verabschieden wollte.

Sie sah ihn mit Augen voller Traurigkeit an und fragte "Willst Du mir nicht wenigstens sagen , wohin Dich die reise führen wird?"

Er antwortete "Ich möchte die Wunderkraft der Bohne nicht zerstören, indem ich vorab alles verrate. Doch glaube mir, was ich im Rauch gesehen habe, das hat alles übertroffen, was ich erwartete. Und nun sei tapfer. In sehr kurzer Zeit kehre ich reich und glücklich zu Dir zurück."

"So bleibt mir nur noch, Dir eine glückliche Reise zu wünschen". Und mit ihren Wanderschaft.

Wieder ging eine geraume Zeit ins Land. Längst hatte der Winter seine Vorboten geschickt. Und noch immer hatte die alte Frau keinerlei Nachricht von ihrem Mann. Sie konnte schon nicht mehr zählen, wie oft sie, die Bohne in der Hand,

vor dem Feuer stand und überlegte.

Eines Tages, nachdem sie in der Nacht zuvor von schrecklichen Alpträumen gequält worden war, stand ihr Entschluß fest.

Sie mußte Gewißheit haben, und die konnte sie nur durch die Bohne erlangen.

Das Herdfeuer wurde noch einmal mit reichlich Nahrung versehen. Dann schloß sie kurz die Augen und warf, wobei sie fest an ihren Mann dachte, die Bohne ins Feuer.

Der aufsteigende Rauch zeigte, zuerst undeutlich, aber immer klarer ein Bild.

Sie sah den Leichnam ihres Gatten, grausam  verstümmelt.

Das, was ihm Zeit seines Lebens keine Sorgen bereitet hatte, war ihm nun zugestoßen. Räuber hatten ihn überfallen, und ihm zusätzlich zu seinen Habseligkeiten auch das Leben genommen.

Der Anblick war zuviel für die alte Frau. Ihr Herz blieb stehen, und mit einem letzten Seufzer sank sie vor dem Herd leblos zu Boden.

 

Zur selben Zeit saß, nicht weit von der Hütte entfernt, ein seltsamer Fremder auf einem Stein. Sein Gesicht war eigentlich ausdruckslos, aber seine Lippen umspielte ein grausames Lächeln.

Wieder einmal war es ihm gelungen, zwei Menschen durch ihre eigenen Wünsche ins Unglück zu stürzen.

 

Wolfgang Lenz 10.08.2002

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