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Das Mädchen im Spiegel

Magirian Wonder TaleDas Mädchen im Spiegel

Simhahama Lao saß auf seinem Schädelthron und blickte in die dämmrige Weite des Saales. Auf seinen Knien lag ein gleißendes Schwert. Wie viele Kämpfe hatte er damit schon erfolgreich bestanden? Wie viele Leben hatte es schon genommen? Doch er hatte darüber keinen Gedanken verloren. Was bedeutete Leben für einen, der niemals starb?

Die Feuer in den bronzenen Becken spendeten ein schau­riges Licht und warfen einen matten Schimmer über die Wände des Saales.


Der Mann auf dem Thron in seiner dunk­len Robe war mit seinen Gedanken weit, weit fort. Dann erhob er sich, wie im Traum, legte das blitzende Schwert mit einer achtlosen, fast heftigen Gebärde beiseite. Die glatten, schwarzen Fliesen spiegelten seine Schritte. Das Feuer flammte höher, als er die Hand hob. Aus einer Phio­le goß er schwarzen Staub in eine Feuerschale, der kni­sternd verbrannte und sich in trägen Rauchschwaden in die Halle ausbreitete, mit einem schweren Duft von un­wirklicher Süße, der das Atmen erschwerte.

Der Magier starrte gebannt in den runden Spiegel, der, getragen von mächtigen Stützen, im Halbdunkel blinkte.

Er sprach ein Wort, ein vielsilbiges, dumpfes Wort mit metallischem Klang, das aus der Tiefe seiner Brust zu kommen schien, als sei es nicht für menschliche Lippen geschaffen.

Einen Augenblick geschah nichts. Die Zeit hielt den Atem an. Dann war das vertraute Abbild des Raumes im Grunde des Spiegels wie weggewischt. Helle blaue Schatten huschten über die Oberfläche und mischten sich mit dem Rauch des Schwarzen Lotos, der in der Bronzeschale glüh­te. Der Magier streckte die Hände aus. Und wie von seinen Fingerspitzen magnetisch angezogen, ließ der Rauch von seiner Gestalt ab und strömte über seine Hände, um von den Fingern gegen den Spiegel zu fließen. Der Rand des Spiegels verschwamm, und dann öffnete sich in der Mitte des Runds ein dunkles, tiefschwarzes Loch, dunkler noch als die Schwärze der Nacht, ein Universum ohne Sterne, dessen bloßer Anblick die Augen schmerzen ließ. Dann bil­deten sich lichtere Felder, Umrisse wurden erkennbar, zuerst verwaschen und von anderen Bildern überdeckt, doch auf einmal, ohne Übergang, war ein Bild da, glasklar und scharf und von solcher Naturtreue, als wäre es keine ma­terielose Illusion, sondern Wirklichkeit.

Der Spiegel zeigte eine Burg, ein Labyrinth aus Tür­men, Zacken, Erkern, Brücken und Zinnen. War es Dhanndhcaer, die Festung des Hochkönigs von Tir Thuatha? Nein, es war eine geisterhaf­te Erscheinung, die noch durch die absolute Schwärze rund­um erhöht wurde. Nur von einem der schmalen Minarette, die Pfeilen gleich in das Dunkel ragten, sprühte ein Fun­kenregen in die Nacht. Genaueres ließ die Entfernung nicht erkennen. Die Augen des Beobachters brannten sich an diesem Ausschnitt des Geschehens fest, bis das Abbild langsam größer wurde und der schlanke Turm die gesamte Fläche erfüllte.

Der Magier seufzte.

Auf dem Minarett stand ein Mädchen und sang. Ihre schwarzen Haare fielen weich bis über die Schultern hin­ab. Sie war nackt. Schwarze Haare umwogten ihren Körper und teilten sich vor ihrer üppigen, wogenden Brust. Von ihren ausgestreckten Fingerspitzen wirbelten kleine Sternchen, die wie Funken aufsprühten und dann im Dunkel der Nacht verschwanden. Den Mann ver­schlug es den Atem ob dieses Bildes, als hätte er es ge­ahnt, ersehnt, doch nie geglaubt; zu unwirklich war das Geschehen, um Wirklichkeit zu sein.

Das Mädchen im Spiegel wandte den Kopf und blickte ihn an, als spüre sie den brennenden Blick seiner Augen. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen. In ihren grü­nen Augen lichtete es in einem unheimlichen Feuer wie die Glut ferner Sterne. Eine ungeheure Kraft schien von ihnen auszugehen, ein geheimes Wissen: kein Zweifel, diese Au­gen konnten mehr als nur sehen. Ihre hohen Wangenknochen warfen schlanke Schatten, und ihr sinnlicher Mund war wie eine reife Frucht, rot wie das flammende Haar auf ihrem fleischigen Lusthügel und die Funken, die sie jetzt umtanzten.

Sie bewegte ihre Hände zum Mund, und als sie die Fin­ger ausstreckte und leicht dagegenblies, lösten sich von den Fingerkuppen wieder funkelnde Sterne, die riesenhaft ins Bild glitten, um dann zu verschwinden, als sende sie Küsse aus, wieder und wieder.

Der alte Mann in der dunklen Robe wand sich wie im Schmerz. 'Komm doch', schien sie zu flüstern, 'fang' mich, küß mich, nimm mich, wenn du kannst, wenn du noch kannst, Alter.' Sie lachte und warf das schwarze Haar zurück.

Ihre Hände strichen langsam und wollüstig über ihre weiße Haut. Leicht streichelten ihre Finger über ihre festen, vollen Brüste, und glitten langsam nieder bis zu ihren Hüften, glitten tiefer und tiefer. Dabei bewegte sie ihren Körper wie vereint mit einem unsichtbaren Partner.

Laut stöhnte der Alte auf. Flüche quollen über seine Lippen, abgrundtiefe, lästerliche Verwünschungen. Doch das Mädchen lachte nur spöttisch, immer heftiger wurden ihre Bewegungen, immer deutlicher ihre Gesten. Der alte Mann raste vor Zorn und ohnmächtiger Wut, und es schüt­telte ihn wie im Fieber, bis er schluchzend und kaum mehr seiner Sinne mächtig, geschüttelt von einem mächtigen Orgasmus in die Knie sank.

Dann verlöschten die Lichter, und ihn umfing Dunkel­heit.

                                                                     ***

Seit Stunden schon war der einsame Wanderer ohne Pause in der Hitze des Tages über die weite Tundra gezogen, Schritt um Schritt, seinem fernen Ziel zu, das hinter dem Horizon lag.

Er kam von Süden her, wo der Uthr seine dunklen Fluten dem Hymir entgegenwälzte. Dort wo die Wäl­der und das Tiefland sich trafen, hatte ihn der wolsische Kauffahrer, der von Magramor aus mit einer Ladung von Wein und Ballen getrockneter Dharblätter nach Helgard hinaufgesegelt war, um an den Küsten von Eisathnahp Handel zu trei­ben, in der Nähe eines Fischerdorfes abgesetzt. Dort hat­te er für sein gutes Gold ein altes Karrenpferd und einen Sattel erstanden und sich mit Proviant für ein paar Tage versorgt. Er mied die Ansiedlungen von Menschen und hielt sich fernab der üblichen Handelswege. So war er gen Norden geritten, des Tags unter Sonne, Regen und Nebel und wieder Sonne, des Nachts unter den vertrauten Sternbil­dern Magiras, Elch und Falke, Einhorn, Schlange und Hai, Tarantel, Kentaur, Jaguar, Greif und Löwe und dem nördlichen Drachen, und unter der voller werdenden Scheibe des zunehmenden Mondes.

Wenn der Mond in seiner vollen Größe am Himmel stand, so hatte ihm Simhahama Lao, der oberste Schamane der Longoten befohlen, mußte seine Mission beendet sein. Er hatte nicht mehr viel Zeit.

So gönnte er sich immer weniger Pausen, nur noch kurze Nachtruhen und hetzte weiter durch das Land. Weder sich noch seinem Pferd gönnte er Schonung. Schon im Morgengrau­en war er auf den Beinen und trieb das Tier unermüdlich an. Nebel und Dämmerlicht lagen über der Ebene. Ein über­wachsenes Erdloch, vielleicht von einem Tier gegraben, wurde ihnen zum Verhängnis: Das Pferd stürzte und schleu­derte ihn zu Boden.

Als er wieder zu sich kam, mußte er feststellen, daß das Tier sich beide Vorderbeine gebrochen hatte. Er konn­te ihm nur noch mit dem Dolch den Gnadenstoß geben.

Er schnürte sich das Notwendigste zu einem Bündel und warf es über seine Schulter. Den Kadaver und den Sattel ließ er liegen. Ohne einen Blick zurück setzte er seinen Weg fort, mit langen, raumgreifenden Schritten. Dies war der fünfte Tag seit der Landung.

Ebenso sah ihn der sechste, eine winzige Gestalt in der endlosen Tundra. Er war jung und kräftig; an körper­liche Anstrengung gewöhnt, schien ihm der Marsch nichts auszumachen.

In der Nacht ruhte er nur drei oder vier Stunden; denn der Mond hatte fast seine volle Größe erreicht, und das Bild seines hellen Runds vor dem dunklen Hintergrund flackerte ihm vor den Augen, wenn er die Lider schloß.

Am siebten Tag war sein Schritt unsteter geworden. Er hatte seinen letzten Proviant verbraucht und lebte nur noch von Wurzeln und Beeren, die er am Wege fand. Als der Abend dämmerte, blieb er einfach irgendwo liegen und schlief eine Weile tief und traumlos. Doch in der Nacht, noch vor Mitternacht, schreckte ihn irgendetwas aus dem Schlafe auf. Der Mond brannte wie ein Phantom vor seinem Blick; seine Strahlen erleuchteten die Ebene. Der Meuchler raffte sich auf, und sein eiserner Wille, der ihm geblieben war, ließ ihn weitertaumeln, bis er, Stunden später, vor Erschöpfung zusammenbrach.

Zwischen Traum und Wachen überkam ihn plötzlich die Angst, er würde scheitern, als erster von ihnen. Nicht das Ungewisse seines Schicksals bedrückte ihn, sondern der Gedanke, ein namenloser Toter in einer namenlosen Wildnis zu werden. Doch er konnte diesen Gedanken nicht zu Ende denken, ehe ihn der Schlaf umfing.

Als er erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel, und er fand sich von fremden Gesichtern umgeben. Es waren abgerissene Gestalten, in Pelze und Uniformstücke geklei­det, daß man nur mit Mühe in ihnen Söldner erkennen konn­te. Sie ritten auf mageren, struppigen Pferden; ihre Mie­nen waren abweisend und stumm: verkniffene Lippen unter buschigen Schnurrbärten, hervortretende, hohe Wangenkno­chen und die leicht schräggestellten Augen verrieten ihre svarische Herkunft.

Einer reichte ihm eine Lederflasche mit Wasser. Er trank gierig.

''Danke", sagte er dann auf svarisch und wischte sich die Lippen. "Euch hat der Himmel geschickt, Brüder. Die­se verdammte Wildnis ist nichts für einen allein; wäret ihr nicht gekommen, ich wäre verreckt wie ein kranker Wolf, der sich nicht mehr weiterschleppen kann.“

Keiner antwortete. Keiner sprach ein Wort. Erst jetzt wurde ihm das unheimliche Schweigen bewußt, daß über der Gruppe der Reiter lag. Nur das Singen des Windes in den Gräsern und das feine Knarren des ledernen Sattelzeugs war zu hören.

Er versuchte ein Lächeln.

"Tamaroi", stellte er sich vor. "Tamaroi heiße ich. Ich komme von Süden," Er legte die ganze tropische Wärme Longas in diese Worte. "Vom Uthr. Mein Pferd brach sich die Beine, und  ich..."

Der Anführer der Männer, den er an seinem metallbe­schlagenen Helm mit Helmbusch aus Roßhaar erkannte, schüttelte den Kopf und bedeutete ihm, eines der Pferde zu be-

steigen.

"Net Svariska?" Er beherrschte viele Dialekte Magiras ausgezeichnet, doch sie schienen ihn nicht zu ver­stehen. "Tenke Kantussa? Attu langa a Warani?" Schließ­lich verzweifelt: "Legete ta Illyonika, o thuathi?"

Doch sie würdigten ihn keines Blickes mehr, als ob sie taub und stumm wären. Das Schweigen wurde bedeutend, un­heimlich.

         Der Mann, der ihm das Wasser gereicht hatte, war in­zwischen wieder aufgestiegen. Der Anführer mit dem Helm­busch deutete zum Aufbruch, so daß Tamaroi nichts übrig­blieb, als sich in den Sattel des überzähligen Pferdes zu schwingen. Sie warteten stumm, bis er oben saß, dann ritten sie im Schritt und dann im Trab los.

Gegen Abend erreichten sie die Burg.

Die Tore waren bereits geschlossen, doch als der Trupp näherkam, schwangen die Torflügel wie von Geisterhand ge­öffnet zurück. Kein Mensch war in den engen Gassen zu se­hen, kein Laut zu hören. Nur das Klappern der Hufe hallte schaurig von den Gemäuern wieder. Die Burg war im Grunde ein kleines Dorf, eine organisch gewachsene, verwilderte Anhäufung von Häusern und einer Art Palast mit einem ho­hen schwarzen Turm, der alles überragte, flankiert von einer Reihe kleinerer Türme, dunkel vor dem Abendhimmel.

Die Kavalkade näherte sich einer Taverne, deren Läden schon geschlossen waren; kein Lärm und kein Lichtschein drang durch die Ritzen. Die Bewohner dieses seltsamen Ortes schienen früh zu Bett zu gehen. Der Anführer der Reiterabteilung hob die Hand, Mit seiner Lanze pochte einer der Krieger gegen die schwere Holztür der Schenke. Nach einer Weile öffnete sich vorsichtig die Tür, und ein verhutzeltes Männlein schaute heraus, sagte jedoch keinen Ton. Er blickte sie einen Augenblick an und bedeutete dann Tamaroi mit einer Geste, daß er absteigen und eintre­ten solle.

Im Inneren saßen die Leute an den Tischen und blickten sich schweigend an, mit stumpfem Blick, und rührten sich nicht. Hier und da hob einer einmal den Becher, löffelte gleichgültig seinen Brei, eine dünne Brühe, in der ver­einzelte Brotbrocken schwammen. Keiner beachtete ihn, als er eintrat. Wenn er jemanden ansah, wich dieser seinem Blick aus, wenn er konnte, oder tat, als sähe er ihn nicht.

Bei den dunklen Göttern, was ging hier vor? Wollten sie ihn alle zum Narren halten? Doch er war kein Spielver­derber; er würde ihr dummes Spiel mitspielen. Er war auch viel zu abgekämpft von den Strapazen der letzten Tage, um sich ernsthaft dagegen aufzulehnen.

Oder - konnten sie vielleicht nicht anders? Übte viel­leicht jemand einen Einfluß auf diese Bewohner aus, dem sie sich nicht entziehen konnten? Viele Fragen, die der Morgen klären würde.

Nachdem er sein einfaches Mahl verzehrt hatte, winkte ihm der Alte zu folgen. Sie kletterten eine steile Stiege hinauf zu einer finsteren Kammer, deren einziges Möbel ein wurmstichiges Bett war. Auf dem Fensterbrett stand eine Kerze, daneben lagen Feuerstein und Zunder, und eine abgetretene Matte bedeckte den Boden.

Tamaroi entkleidete sich im flackernden Schein der Kerze und schlüpfte unter die Laken. Den Dolch mit der flammenförmigen Klinge rammte er in den Bettrahmen neben sich. Nachdem er die Kerze ausgelöscht hatte, lag er noch lange wach in der Dunkelheit, bis die Natur ihr Recht for­derte und er in einen tiefen Schlaf sank.

 

Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, als ein Geräusch ihn weckte. Seine Hand glitt zum Messer. Der Mond, voll und rund bis auf seinen gezackten linken Rand, leuchtete durch das Fenster, gegen das sich die Silhouet­te einer Gestalt abhob. Die weichen Brüste hüpften bei je­der Bewegung. Dann schob sich ein warmer Körper zu ihm unter die Laken. Ein Arm schlängelte sich über seine Brust, und eine weiche Wange preßte sich an die seine. Der junge Mann war etwas verblüfft, da er dies kaum erwar­tet hatte. Doch die Gelegenheit unge­nützt verstreichen zu lassen, wäre eine größere Sünde ge­wesen als sie zu nutzen, und so erwiderte er die Zärtlich­keiten mit einer Hingabe, wie man sie von einem Jüngling, von zwanzig Lenzen nur erwarten kann.

Dann waren das Knarren des Bettgestells und der keu­chende Atem der beiden jungen Menschen das einzige Geräusch in diesem Zimmer,

Doch in demselben Augenblick in dem sie sich glühend umschlungen einander ergaben, zu einem Höhepunkt der Leidenschaft steigerten, zerbröckelte das warme Fleisch wie Lehm unter seinen Händen, das Gesicht unter seinem Kuß in einen knochigen Schädel, und die morschen Knochen des Brustkorbs knackten unter seinem Gewicht.

Ein entsetzlicher Schrei entrang sich seiner Brust. Von einem Wahn geschüttelt, warf er sich aus dem Bett und brach ohnmächtig vor dem Fenster zusammen. Dort auf der Matte verbrachte er dann den Rest der Nacht, von Alp­träumen geschüttelt.

Als der Morgen heraufdämmerte, war das Bett leer und zerwühlt, doch alle Spuren des nächtlichen Abenteuers be­seitigt, als sei nichts geschehen.

                                                                   ***

Als Tamaroi in die Gaststube hinunterkam, traf er nur den alten Wirt, der in einer Ecke Geschirr trocknete. Wieder setzte er ihm Speise und Trank vor, ohne ein Wort mit ihm zu reden. Ebenso schweigend und nachdenklich verzehrte der junge Mann das Essen, das ihm aufgetischt worden war.

Als er auf die Gasse hinaustrat, stand die Sonne schon über der Stadtmauer. Der Südwind trieb Zirruswolken vor ich hin, weißliche Schleier in langen Bahnen. Der Tag versprach, schön zu werden.

Die Gasse war nun, im Gegensatz zum Vortage, belebt, Menschen hasteten vorbei, mit verschlossenen Gesichtern, Augen und Lippen zu schmalen Strichen zusammengepreßt. Niemand nahm von ihm Notiz. Keiner sprach ein Wort. Langsam wanderte Tamaroi durch die winkligen Gassen, immer darauf bedacht, einer Gefahr zu begegnen, die im Hinterhalt lauerte. Doch alles war von einer trügerischen Ruhe. Die Zeit war gekommen. Er mußte seine Aufgabe noch heute er­füllen.

Da - hörte er nicht Stimmengewirr? Zweifellos. Das waren Menschen, die sprachen, hinter jener Mauer. Es gab anscheinend also doch jemanden in dieser Geisterstadt, der der Sprache mächtig war. Aber wo war ein Durchgang? Er begann zu laufen. Zur Rechten öffnete sich ein niedri­ger Bogen, der von Efeu überwuchert war. Er zwängte sich hindurch, in einen finsteren Hohlweg, in dem seine Schrit­te widerhallten. Der Weg bog nach links, dann in einem spitzen Winkel nach rechts. Plötzlich stand er vor einer Mauer.

Er zögerte einen Moment. Dann nahm er einen kurzen Anlauf und sprang. Seine Fingerspitzen erreichten die Kante, und ehe sie abrutschen konnten, hatten seine Zehen in dem Mauerwerk schon Halt gefunden. Mit katzenhafter Gewandtheit zog er sich hoch, schwang das rechte Bein über die Mauer, ohne darauf zu achten, daß er sich sein langes Gewand zerriß. Dann war er auf der anderen Seite.

Dichtes Buschwerk dämpfte seinen Sprung. Durch das Geäst der Bäume konnte er den großen Turm sehen. Er bahn­te sich mit den Händen einen Weg durch das verfilzte Un­terholz. Er achtete nicht auf die Dornen, die sich in seinem Gewand verfingen und ihm Arme und Beine zerkratz­ten. Dann hörte das Unterholz auf, und er trat auf eine Lichtungt die mit dunklen, blutroten Blumen gefüllt war.

Auf einer Bank, jenseits der Lichtung, vor dem schwar­zen Quaderwerk des Turmes, saß eine Frau.

Sie war jung, schien kaum älter als er, fast noch ein Mädchen. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr bis über die Schultern hinab. Sie war in ein langes, dunkles Kleid ge­hüllt, das nur ihre weißen Hände und ihre bloßen Füße hervorschauen ließ.

Tamaroi trat näher, für einen Augenblick wortlos vor Staunen. Sie hob den Kopf und blickte ihn an, als habe sie ihn erwartet,

"Sei gegrüßt, Fremder", redete sie ihn an,

Sein Schritt stockte. Dann erinnerte er sich der For­men der Höflichkeit?

"Seid ebenfalls gegrüßt. Seid Ihr die Herrin hier?"

Sie wich seiner Frage aus.  „Ich bin Mohaštate. Und wie ist Euer Name?"

"Wofür braucht Ihr ihn? Im Namen liegt Macht, und mir scheint, Ihr gehört zu denen, die diese Macht zu gebrau­chen wissen."

"Ihr seid sehr offen", antwortete sie. "Was habe ich Euch getan, daß Ihr mir mißtraut?" Er gab keine Antwort. So wie sie hier im Schatten in ihrem Park saß, sah sie ganz und gar friedlich aus. Für einen Augenblick kam ihm wieder jene Angst, er könne bei der Erfüllung seines Auf­trages scheitern, für einen Moment nur, wie damals auf dem Weg. Doch dann war das vorbei.

"Wie findet Ihr meinen Park?" fragte sie plötzlich. "Gefällt er Euch?"

Unwillkürlich ließ er seinen Blick schweifen, auf die traurigen roten Blumen vor der grünschwarzen Kulisse der Bäume.

"Einen Park nennt Ihr dies?" sagte er mit Verachtung in der Stimme. "Mein Herr nennt andere Parks sein eigen, größere und vor allem schönere."

Seine zuerst nur stockenden Worte wurden fließender. Und er begann zu erzählen, als gäbe es keine Gefahr mehr; wie unter einem Bann sprudelten die Worte aus ihm heraus, als habe er sein Leben lang darauf gewartet, dies zu er­zählen. War es die lange Zeit des Schweigens, in der er mit niemandem hatte reden können, die ihn jetzt so mit­teilsam machte? Oder war es in der Tat ein Zauber, gegen den seine Amulette, sein Wille und die Macht der dunklen Götter vergebens war.

Und er erzählte von tropischer Sonne, von grellwuchern­den Blumen, die sich um die Äste mächtiger Bäume ringeln, von schattigen Hainen, durchflossen von murmelnden Strö­men, umzäumt von fruchtbeladenem Lorbeer, von stillen Teichen, bei moosbewachsenen Steinen, von klarer Luft und Wärme und lauen Sommernächten unter den Sternen, von ver­schwiegenen Orten und Grotten, in denen man, von wunder­lichem Getier beäugt, Ruhe finden konnte vor allem Unge­mach dieser Welt. Und er erzählte, bis er nicht mehr wuß­te, ob er tatsächlich noch von jenem Park sprach, aus dem er gekommen war, hoch in den Bergen von Longa, oder von jenem anderen, in den er eingehen würde, wenn er den Auftrag seines grausamen Meisters erfüllte...

Er verstummte. Mohaštate nickte.

"Ja", meinte sie, "wir sind uns in vielem gleich. Auch ich kenne einen Hain, wo man sich zur Ruhe legen kann, im Schatten des mächtigen Taxus, zwischen rotem Fingerhut und Schierling, Tollkirsche und Fliegenpilz, wo der Skorpion zwischen den Wurzeln der Alraune schläft und die Kreuzotter neben der großen Kröte. Da ist ein Brunnen, der Erquickung bringt, viele Klafter tief führt er ins Innere der Erde -"

Tamaroi schwieg betroffen.

"Laßt mich allein", sagte sie. "Dort geht der Weg." Den Rest des Tages verbrachte er in der Herberge unter düsteren Gedanken damit, seinen Dolch zu schärfen.

                                                           ***

Als die Sonne untergegangen war, verließ Tamaroi vorsichtig sein Zimmer und schlich auf Zehenspitzen aus dem Haus. Niemand bemerkte ihn. Er nahm den Weg, den er am Morgen gegangen war, durch die hohle Gasse und über die Mauer. Am Turm angekommen, legte er seinen Kaftan ab und versteckte ihn in den Blumenbeeten, Seine Bekleidung be­stand jetzt nur mehr aus einem kleinen Lendentuch, das kaum seine Blöße bedeckte und bei jeder Bewegung seines Gliedes das mächtig erigiert vorstand, wippte, und dem beidseitig geschliffe­nen, flammenförmigen Dolch, der offen im Gürtel steckte. Sein dunkelhäutiger Körper hob sich kaum von der Umgebung ab. Die verwitterte Mauer des Turmes bot seinen Fingern und Zehen genügend Halt; so schob er sich vorsichtig an der Außenwand hoch, Griff um Griff, bis er in luftiger Hohe ein offenes Fenster erreichte. Sein Glied schmerzte ihn, es hatte sich an der Mauer wund gescheuert. Daß es ausgerechnet jetzt steif von ihm abstand, war mehr als ärgerlich, aber er konnte es nicht unterdrücken. Ob Mohaštate daran Schuld war? Seit er sie gesehen hatte schien es, als hätte sein Glied Witterung aufgenommen. Es schien allzeit bereit zu sein, in sie einzudringen und seinen Samen in ihr zu vergießen. Und gerade jetzt war es so prall, daß sogar die Hoden schmerzten. Hatte sie ihn verhext, um sein Vorhaben zu vereiteln? „Verdammte Hexe“, dachte er, „ich werde es Dir mit ihm kräftig besorgen, wenn ich meinen Auftrag erfüllt habe“.

 Einen Augenblick lehnte er sich, um Atem zu holen, mit dem Oberkörper auf das Ge­sims - da griffen auch schon harte Hände aus dem Dunkel, packten ihn und zogen ihn hinein. Er wurde zu Boden geris­sen. Ein Netz fiel über seinen Kopf. Er versuchte, an sein Messer zu gelangen, doch er konnte seine Hände nicht aus dem brutalen Griff entwinden. Andere packten seine Füße. Er trat um sich, aber die Übermacht seiner Gegner war zu groß. Binnen kurzem war er gefesselt. Es war im Raum zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen, wer seine Überwältiger waren und was sie mit ihm vorhatten.

Eine Weile geschah nichts. Dann wurde die Tür aufge­rissen, und zwei Männer mit Fackeln traten hinein. Das ungewohnte Licht blendete ihn. Dann jedoch, als sie ihn in ihre Mitte nahmen und fortschleppten, erkannte er sie: die Reiter aus der Steppe, die ihn in die Stadt gebracht hatten.

Halb schleppten, halb trugen sie ihn hinauf. Und wäh­rend sie höherstiegen, gewahrte er seltsame Geräusche: Irgendwo über ihm pfiff, schrie und tobte es, wie wenn sämtliche Teufel zum Tanz erschienen wären. Beim Näher­kommen sah er dann, wer diese Geräuschorgie veranstalte­te. In die Wand waren mehrere Kammern eingelassen, deren Ausgänge mit schweren metallenen Gittertüren verriegelt waren. Und darin schienen alle Ausgeburten der Finsternis versammelt zu sein. Eine wahre Höllenbrut war es, die in diesen Wandkäfigen hauste und herumtobte. Zweiköpfige, gehörnte, gefiederte und gepelzte, dreiäugige und mehrbeinige Ungeheuer hüpften darin herum und streckten ihre Glieder und Tentakel durch die Gitterstäbe, um nach dem Tamaroi zu greifen. Doch die Männer wehrten mit ihren Lanzen und Schwertern die Angriffe der Höllenbrut ab. Unwillkürlich atmete der Longote auf. Kein Ende konnte so schlimm sein, wie einem dieser Untiere in die Fänge zu ge­raten.

Oder in einen dieser Käfige gesperrt zu werden...

Schließlich endete die Treppe auf einem Absatz vor einer eisenbeschlagenen Tür. Einer der Männer pochte da­gegen. Lautlos glitten die Türflügel zurück. Doch die Soldaten überraschte dies anscheinend nicht, denn mit un­bewegten Gesichtern schleppten sie ihn über die Schwelle.

Mitten im Raum aber stand sie.

„Mohaštate !“

Aber er hatte es ja gewußt, geahnt, erwartet.

Mit einem Wink entließ sie die Männer. Hinter dem letz­ten schloß sich von Geisterhand wieder die Tür. Tamaroi fühlte, wie seine Fesseln sich lösten und zu Boden fielen. Er stand auf, rieb sich geistesabwesend die Gelenke, doch es wurde ihm gar nicht richtig bewußt, was er tat.

Sie war fast nackt. Goldene Platten bedeckten ihre Brüste wie zwei glänzende Monde und um ihre Hüften schlang stich eine Kette; aus getriebenen Goldgliedern. Ein schma­les goldgewirktes Tuch verdeckte ihren Schritt. Ihre Augen funkelten wie zwei grüne Smaragde.

Durch ein vergittertes Fenster drang der blutige Schein des vollen Mondes.

Dies war nicht das friedliche Mädchen, das er gestern im Garten getroffen hatte. Dies war die Hexe Mohaštate.  In seinem Blut brandete der Mond mit den Gezeiten feines end­losen Meeres voll Liebe und Haß, Tod und Leben. Mit einer einzigen fließenden Bewegung riß er den flammenförmigen Dolch aus dem Gürtel.

"Komm", sagte sie. "Tu's!"

Höher und höher bewegte er seinen Arm. Er stieß zu. Und stockte in der Bewegung. Die Klinge berührte fast ihre Haut. Sie wehrte sich nicht. Noch ein Fingerbreit. Ein Blutstropfen rann herab. Seine Hand zitterte. Der Dolch entfiel seinen Fingern.

"Ich kann nicht", schluchzte er.

Am Ende der Fehlschlag. Nun hatte er doch versagt, wie er es immer gefürchtet hatte, als erster der Meuchler dem Gebot seirnes Herrn nicht gehorcht. Dies war das Ende von allem; doch hinter diesem Ende würde ein neuer Anfang stehen.

"Wir werden irgendwo hingehen", flüsterte er, als sie in seinen Armen lag, "wo uns niemand findet, wo wir unser Glück finden können. Dort werden wir einen Park anlegen, der uns beiden gehören wird. Wir werden-"

Sie legte ihm die Hand auf den Mund. "Wir werden dies alles nicht tun."

Er sah sie fragend an.

"Hast du es nicht begriffen? Das einzige, was du für mich tun kannst: Hier, nimm diesen Dolch und stoß ihn mir tief, tief und fest ins Herz. Und du wirst derjenige sein, der  mir seit mehr als tausenden Jahren als erster eine  Gunst erweist, die von wirklicher Liebe zeugt."

Sie wand sich aus seinen Armen. "Hier", sagte sie, als sie das Messer hob. "Und da! und da! und da!" und jagte es sich in den Hals, in die Brust, in den Leib. "Glaubst du mir nun?" Kein Blut war geflossen, keine Wunde zu se­hen. "Weißt du nun, warum ich Simhahama Lao so gereizt, so heraus­gefordert habe, deinen Meister? Nicht einen Liebhaber sollte er mir schicken, einen Mörder, der sich durch nichts von seinem Vorhaben abbringen läßt. Doch es ist der Fluch, den das Elixir der Unsterblichkeit bringt, daß alle, die Hand an mich legen wollen, unrettbar von Liebe zu mir ergriffen werden."

„Du hast es ja gespürt!“ Mit diesen Worten ergriffen ihre Hände sein Glied und streichelten es. Mit einem wilden Schrei brach er vor ihr in die Knie, hob ihr Schamtuch und seine Zunge fand ihren Lustnippel der sich ihm voll und prall entgegenreckte.

Sanft zog sie ihn hoch. „Warte noch ein Weilchen“ flüsterte sie ihm heißer zu.

„Laß mich erst noch erzählen“.

Und sie erzählte ihm von der Zeit, von der die Mythen berichten, in der stierköpfige Wesen und metallene Grei­fe mit Menschen kämpften, die nicht ganz Menschen waren, von dem Reich der Magier, vor dem großen Kataklysmus, in dem die Landverbindung von Ageniron und Urassu brach und das Hymir sich mit dem Meer der Träume vereinigte. Sie, als eine der wenigen Meister der Zeit, hatte seitdem Ge­nerationen und Reiche verschwinden sehen. Paläste waren zu Schutt zerfallen, Wälder zu Wüsten geworden, und ir­gendwann im Laufe der vielen Jahre und Jahrhunderte hat­te sie das Leben und die Einsamkeit hassen gelernt.

Aber der Fluch des Lebens lastete schwer.

Dann hatte sie nach ihrem Mörder geschickt. Und der Mörder war er.

"Ich kann nicht."

"Küß mich noch ein letztes Mal, dort wo Du grade wolltest und überall an meinem Körper. Liebe mich noch ein­mal. Laß uns zu einem Orgasmus kommen, der diese Mauern erschüttern wird. Dann werde ich deine Hand leiten, und dein Stoß wird sicher sein."

Er küßte sie. Sie löste die goldenen Platten von ihrem Busen, löste auch die goldene Kette und ließ das Scham­tuch zu Boden sinken. Langsam öffnete sie ihre Schenkel. Ihr Schamhaar war feuerrot, ein gieriger Mund, der unge­ahnte Wonnen versprach: das Zeichen der jungfräulichen Hexe.

"Tausende haben sich danach gesehnt, an deiner Stelle zu sein. Keiner hat mich bisher besessen. Du sollst der erste und der letzte sein. Komm her!" Sie nestelte an seinem Gürtel. "Nimm mich!"

Weit spreizte sie ihre Schenkel und ihre Schamlippen klafften auseinander. Dazwischen lohte ein heller Schein.

Er beugte sich über sie.

Wild und brünftig, das ganze Gemäuer durchdringend war ihrer beider Schrei, als er in sie eindrang. In den Kerkern starben die großen Tiere.

Ihr rotes Haar verdunkelte sich während er mit mächtigen Stößen sein kurz vor dem bersten stehendes Glied in sie hineinhämmerte  und sie sich unter ihm wand, als bestände sie aus zehn Schlangen gleichzeitig.

Und als in der letzten Ekstase die Welt um sie herum zerriß sah er unter ihrem glühenden, entrückten Gesicht den Schädel, der darunterlag.

                                                    ***

Als die Bediensteten sie am nächsten Morgen fanden, sahen sie die nackten, ineinander verschlun­genen Körper der Liebenden: sie mit einer tiefen, offenen Wunde in der Brust, er mit zerschnittener Kehle, einen flammenförmigen Dolch in einer Lache aus Blut auf dem Boden.

So steht es in den alten Schriften, tief unten in den geheimen Gewölben von Dhanndhcaer, das einst Tandor hieß, als die Welt noch jung war.

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