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Alessan 6 - Tod dem Frevler!

Magirian Wonder TaleAlessan
Kapitel 6
Tod dem Frevler!

Was bisher geschah ...

In Laurínarmardi, dem Wald der Elben auf Tol Uninor, wird der junge Elb Kalwe von einem jungen Menschen mittels Pfeil und Bogen erschossen

Die Herrin des Waldes, Laurealka, ruft Harantor herbei und gemeinsam jagen sie den jungen Mann namens Alessan.

Sie stellen den Jungen und Laurealka, mittlerweile von Mitleid getrieben, schlägt Harantor nieder, denn sie befürchtet ihr Gefährte würden den Jungen töten.

Doch der junge Mann missversteht ihre Absicht und läuft in die Klinge Laurealkas.

Harantor und Laurealka nehmen den verletzten Alessan mit, um ihn zur Siedlung der Elben zu bringen. Dort wird er von den verzweifelt trauernden Eltern empfangen und Angaimaite, der Vater Klawes, will Blut sehen.

Harantor stellt sich widerwillig vor den verletzten Alessan und verkündete den Willen Laurealkas, Alessan möge der Prozeß gemacht werden.

Harantor bricht auf, um Elrod, den Ringmeister zu holen. Doch der erteilt Harantor eine Lektion und gibt ihm einen der Großen Drei Ringe, den Eisernen der Kraft, und ernennt Harantor zum Richter über Alessan.

Alessan befürchtet nur einen Schauprozess und seinen nahen Tod. Laurealka auch, die beginnt sich in den jungen Mann zu verlieben.

Die Verhandlung endet mit einer Überraschung. Es war ein Unfall. Alessan überlässt sich auf Wohl oder Übel der Gnade des Vaters Kalwes und bietet ihm sein Blut an. Angaimaite ritzt Alessan mit dem Messer und erklärt, seine tat sei gesühnt. Dazu wird Alessan aus dem Wald der Elben verbannt ...

 Alessan

Alessan CoverLangsam ging ich den Hügel hinab auf die Gebäude des Landgutes zu. Sie hatten mich zu dritt am Waldrand abgesetzt, Laurealka, Harantor und Angaimate. Als wollten sie sichergehen, daß ich wirklich verschwand. In gewisser Weise konnte ich sie verstehen. Was mich viel mehr wunderte, war, daß sie mich überhaupt lebendig ziehen ließen. Ich hatte fest damit gerechnet, sie würden mich töten. Angaimaite würde mich töten oder Harantor... Doch hier stand ich und lebte.

Verwundert setzte ich meinen Weg fort. Die Wunde an meiner Seite begann wieder zu pochen, so daß ich unwillkürlich meine Hand dagegen preßte. Es war nicht die einzige Stelle an meinem Körper, die schmerzte. Ich würde noch ziemlich lange an dieses Abenteuer zurückdenken!

Meine Schritte wurden langsamer. Ich war müde. Die Hitze schlug auf meinen ungeschützten Kopf ein, obwohl es schon später Nachmittag war. Ohne es zu merken, begann ich mein linkes Bein wieder nachzuziehen.

Ich schritt durch die Felder, bekannte Gesichter tauchten hier und da auf, starrten mich verblüfft an. Aus den Augenwinkeln sah ich einige der Gestalten an mir vorbei auf das Gut zulaufen. Eigentlich hätten mir ihr Erstaunen und die Hast auffallen müssen, aber dazu war ich wahrscheinlich zu erschöpft. Die widersprüchlichsten Gedanken durchtobten mich, als endlich die Gebäude des Gutes weiß leuchtend in der Nachmittagssonne vor mir auftauchten.

Freude? Nein, bestimmt nicht. Keiner würde mich vermißt haben. Erleichterung? Nein. Nein, auch das nicht. Erleichtert war ich vielleicht nach der Gerichtsverhandlung gewesen, aber nicht jetzt. Erleichtert wäre ich vielleicht auch gewesen, wenn ich diesem Ort für immer hätte den Rücken kehren können. Aber sicherlich nicht bei meiner Rückkehr.

Angst? Ich horchte in mich hinein. Erfühlte das flaue Gefühl in der Magengegend. Mein laut pochendes Herz. Die feuchten Handflächen. Angst? Nein, niemals.

Ich nahm mich zusammen und trat durch das Tor und betrat - meine eigene, ganz private Hölle.

Ich sah ihn in der Mitte des Hofes stehen, eine schmale Gerte in der rechten Hand und mit gegürtetem Schwert, und wußte im gleichen Augenblick, daß Tellerius und seine Frau noch in Kruaul weilten. Und ich wußte, daß der Kampf schon wieder begonnen hatte. Ich glaube, ich ahnte in einem kleinen Winkel meines Seins, daß ich dieses Mal verlieren würde.

„Nun“, eröffnete Garvinus das Gespräch. „Wo warst du?“

Ich schwieg. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht nur, um ihn zu ärgern.

Er ging einen Schritt auf mich zu und sah mich herablassend an.

„Nun“, sagte er nach einer Weile. „Ich habe dich etwas gefragt. Wo warst du? Du warst eingeplant.“ Er ließ die schmale Gerte an mir vorbei durch die Luft schnellen. „Noch einmal. Wo warst du?“

„Das geht dich nichts an“, erwiderte ich dumpf. Die Wunde pochte.

Er atmete tief ein und hob den Kopf, die Gerte mit beiden Händen umfassend.

„So, meinst du?“ zischte er. Wieder knallte die Gerte durch die Luft. „Und seit wann habe ich dir erlaubt, mich zu duzen?“

„Das geht Euch nichts an“, wiederholte ich und starrte ihn an. In mir entfachte sich die Wut, im Moment nur eine kleine Flamme, aber sie flackerte.

„Es genügt“, fauchte er und trat hinter mich. „Ich weiß, wo du warst. Was ich wirklich gerne wissen möchte, ist, was du dort getrieben hast!“

Blitzartig tauchte das Bild Laurealkas vor mir auf, zerstieb in der hellen Sonne. Nein, das ging ihn wirklich nichts an, entschied ich. Es... Irgendwie hatte ich das Gefühl, ihr Andenken dadurch zu beschmutzen, wenn ich jetzt redete. Dieser Dreckskerl von Garvinus hatte nicht das Recht, diese Erinnerungen mit mir zu teilen. Sie gehörten mir, mir ganz allein.

Sonnenlicht, das durch dichtes Blattwerk gedämpft wurde. Das zarte Trillern eines unsichtbaren Vogels. Dahinter, die ewige Melodie des Wasserfalls...

Die Gerte traf meinen Rücken. Der unerwartete Schmerz ließ mich zusammenzucken. Die Wut loderte hell. Keuchend drehte ich mich ihm zu, bemerkte wie durch einen Nebel die Arbeiter, die sich schweigend um uns versammelt hatten.

„Was hast du dort getan?“ brüllte Garvinus. „Und vor allen Dingen, was sind das für Kleider?“ Bei diesen Worten stocherte er mit der Gerte an meiner Tunika herum. „Von welchen Leuten hast du sie?“ Die Stimme wurde lauernd. „Sie haben dich gut behandelt, hmm? Haben dir Kleider gegeben. Dir dein Schwert poliert! Ha!“

„Laß mich in Ruhe“, fauchte ich ihn an, nur mühsam beherrscht. Die Erschöpfung benebelte mein Hirn. Auf was wollte er eigentlich hinaus?

„Dämonen...“, schnappte ich ein Wort aus dem einsetzenden Getuschel auf. „Geister... Sicher, sicher... Sieh die Kleider...“

Garvinus lächelte mich an. Sachte tippte er mich mit der Gerte an.

„Du solltest reden. Ansonsten...“ Er zuckte mit den Schultern. „Man könnte denken, du hast mit - sagen wir, Leuten, ja Leuten - im Wald zu tun gehabt. Aber was sind das für Leute im Wald? Hmm?“

Helle Wut schlug über mir zusammen. Zornentbrannt stieß ich seine Hand beiseite.

„Laß den Quatsch!“ fauchte ich ihn an.

Seine Faust knallte so schnell in meinen Magen, daß ich sie nicht einmal kommen sah. Aufstöhnend sackten meine Beine unter mir weg. Die Wunde an meiner Seite war eine Quelle blutiger Lava. Warmes Blut rann über meine auf der Seite verkrampften Händen.

„Alessan“, flötete Garvinus zuckersüß. „Du hast mich angegriffen. Denk doch nach! Was soll ich von dir denken? Jetzt, nachdem du dich geweigert hast, über die Leute im Wald zu reden.“

Sachte schob er mir die Gerte unter mein Kinn und zwang mich, das Gesicht zu heben.

„Ich denke wirklich, daß ich dich im Interesse aller hier, zum Wohl des ganzen Landes, besser gesagt, dazu bringen muß zu reden. Du zwingst mich dazu. Weißt du, Landesverrat ist ein schlimmes Wort. Oder hast du vielleicht doch mit Dämonen verkehrt, hmm?“

Ein irres Grinsen zuckte über sein Gesicht. Angewidert entzog ich ihm mein Gesicht und spuckte ihm auf die Füße. Die erlittene Demütigung brannte heiß in meiner Brust.

„Bastard“, keuchte ich und versuchte mich auf ihn zu werfen. Er wich mir ohne viel Mühe aus, sodaß ich auf allen Vieren im Staub landete.

„Du bist dumm, Alessan“, tadelte er mich noch einmal, bevor er sich entfernte.

„Sperrt ihn im Keller ein“, befahl er drei Männern, die zugesehen hatten. „Vielleicht wird er dort vernünftig. Es wäre besser für ihn.“ Und mit diesen Worten schritt er hoch erhobenen Hauptes davon.

Und ließ mich zurück, gedemütigt, auf den Knien. Oh, wie ich ihn haßte, haßte, haßte!

 

Harantor

Die Sonne kletterte unbarmherzig höher, als ich den Braunen im Schritt auf den Pfad nach Nassetussa lenkte. Kurz bevor sie ihren Zenit erreicht hatte, würde ich das Gut erreicht haben.

Vor mir erhob sich der Dornendom, der in seinem schattigen Innern mein Heim barg; Nassetussa. Links von mir sah ich mein Pfeifenkraut prächtig heranreifen, obwohl sich die Felder nur als wogende dunkelgrüne Masse auszumachen waren. Der Regen der letzten Tage hatten den Pflanzen gut getan, und nun würde die Sonne den saftigen Blättern Würze verleihen.

Fast vermeinte ich schon das Schnattern der Enten und Gänse, das Gackern der Hühner und das Krähen des Hahns zu hören.

Ja, vor mir lag mein Heim. Die Ereignisse in Laurínamardi begannen zu verblassen, wurden mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, erschienen eigentlich nur noch als undeutliche Erinnerung. Ich freute mich schon auf die tägliche Arbeit, würde sie mir doch die Gelegenheit geben, die Tage im Tauredîn in neuem Licht zu sehen und mir die Möglichkeit geben, daraus zu lernen.

Die Nacht hatte ich am Strand verbracht und aufs Meer hinausgestarrt.

Am Vortage hatten die Ereignisse um Alessan ihren hoffentlich endgültigen Abschluß gefunden. Ohne viel Worte hatten wir, Laurealka, Angaimaite und ich, den Jungen zum Waldrand geleitet, und ihn zu seinen Leuten zurückgeschickt.

Dann hatte ich Laurealka und Angaimaite den Rat gegeben, Posten am Waldrand aufzustellen, um auf Eindringlinge zu achten, und sie, falls sie tiefer in den Tauredîn eindrangen, aus dem Wald zu jagen. Dabei sollten sie ihren Ruf als Dämonen festigen.

Wie man dabei vorgehen könnte, hatte ich nicht erwähnt. Das mußte und sollte Laurealka selbst entscheiden. Schließlich hatte sie mich mehrfach darauf hingewiesen, daß sie die Herrin des Waldes wäre. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatte ich mir auch gewünscht, daß sie mehr Autorität ausübt und zeigt. Sie hatte ihren Anspruch auf Autorität an mir ausprobiert, um ihr Ringen um Gerechtigkeit zu gewinnen, und hoffentlich würde sie diese Kraft nun auch im Alltag einsetzen.

Als wir wieder in Laurínamardi eintrafen, hatte ich meine sieben Sachen gepackt, ein wenig Proviant in den Satteltaschen verstaut, den Braunen gesattelt und mich ohne viele Worte verabschiedet.

Ich war dem direkten Pfad nach Nassetussa gefolgt, doch dann rief mich das Meer, und ich erreichte es bei Sonnenuntergang. Ich hatte mich an den Strand gesetzt und aufs Meer hinausgesehen und einfach nur die Schönheit des Ozeans genossen.

Es gibt viele, die lieben die Berge, aber was sind schon ein Haufen Felsen gegen die majestätische Kraft und Pracht des sich im Rhythmus einer unbekannten Melodie wiegenden Meeres. Berge spiegeln für mich die Mühsal eines unbequemen Aufstiegs wider. Und gab es nicht gewichtige Gründe wach zu bleiben, döste ich fast immer beim Anblick dieser zu großen Felsen vor mich hin.

Ich lauschte die ganze Nacht den Wellen, die im immer gleichen Rhythmus an den Strand schlugen, rauchte, trank Wein und aß ein wenig Proviant, den ich aus Laurínamardi mitgenommen hatte.

Nach all den ereignisreichen Tagen, genoß ich es, einfach nur da zu sitzen, und dem ewigen Lied des Ozeans zu lauschen.

Bei Sonnenaufgang sattelte ich dann wieder den Braunen und machte mich auf das letzte Stück des Heimwegs nach Nassetussa, das nun immer näher rückte. Ich hatte den Braunen geschont, ihn nur im Schritt gehen lassen. Ich fühlte mich wieder frei, und in der nächsten Zeit würde meine einzigen Sorge das Heranwachsen des Pfeifenkrauts und die Geflügelzucht sein. Selbst das Gewicht des Eisernen an meiner Hand schien leichter zu werden, je näher ich Nassetussa kam. Zentnerlasten fielen von mir ab.

 

Alessan

Sie zerrten mich zu dritt in den Keller, schweigend und voller Mißtrauen. Glaubten sie etwa den Unsinn, den Garvinus ihnen weismachen wollte?

Wütend versuchte ich, mich ihrem Griff zu entwinden. Doch vergeblich, wie so oft in diesen Tagen. So sehr ich mich auch wehrte und um mich schlug, ich war zu schwach, um irgendetwas gegen die drei auszurichten. Genauso schwach, wie ich mich gegen Harantor gefühlt hatte. Genauso hilflos!

Ich begriff, daß ich schrie und tobte wie ein Irrsinniger. Ich wollte nicht eingesperrt werden, ich wollte diese Demütigung nicht erdulden. Ich konnte nicht mehr. Es war genug!

Doch die Kellertür schloß sich erbarmungslos hinter meinem Rücken. Betäubt stürzte ich zu Boden. Mein Herz tobte.

Es war dunkel. Der goldene Sonnenschein, der Laurínamardi erhellt hatte, schien einer anderen Welt anzugehören. Ich versuchte ihn festzuhalten, ihn in meine Gedanken zu bannen, doch er entglitt mir wie Sand, verrann. Ich blieb allein zurück, einsamer als zuvor. Irgendwo raschelte etwas. Und plötzlich griff mit irrer Gewalt die Furcht nach meinem Herz. Erinnerungen...

Feuchte Dunkelheit. Das Getrappel kleiner Füße. Ziehender Schmerz in meinen Handgelenken. Spinnweben über meinem Gesicht. Dunkelheit... Und meine Stimme, meine eigenen angsterfüllten Schreie, bis ich zu heiser war, um noch einen Ton herauszubringen.

Eine andere Dunkelheit, später an einem anderen Ort. Wasser, das bis an meine Brust reichte. Hoch über mir der Himmel. Bewegungen im Wasser, Bewegungen von was? Und der pochende Schmerz in meinem Bein.

Angst...

Sie kroch herauf aus den tiefsten Stellen meiner Seele. Irrwitzige, abgrundtiefe Angst. Eine Angst, die ich nicht bekämpfen konnte. Denn sie war die Angst des Kindes, das ich einmal gewesen war. Ein Kind, das einen Tag lang in einen dunklen Keller gesperrt worden war, ohne Licht, mit den Händen an einen Balken gebunden. Ein Kind etwas älter, das einen Tag mit gebrochenem Bein in einem verlassenen Brunnen verbringen mußte...

Angst!

Nein, ich schrie nicht. Jetzt nicht mehr. Die Angst war deswegen nicht geringer. Sie krümmte mich zusammen, ließ mich die Hände zitternd über meinen Nacken schlagen. Machte mich klein und hilflos. Zu einem Kind...

Die Zeit verging langsam hier unten; sie wuchs in scheinbare Unendlichkeit. Aber irgendwann hörte ich sich nähernde Schritte. Die Tür öffnete sich. Graues Licht schwappte in meine Gefängniszelle.

Mit einem rauhen Schrei warf ich mich dagegen, stürzte den Männern vor der Tür vor die Füße. Drängte mich an ihnen vorbei, den ersten mit einem Hieb in die Kniekehlen zu Boden schickend, den zweiten mit einem gezielten Schlag in seine Genitalien. Der Knüppel des Dritten traf mich im Genick.

Mit einem erstickten Stöhnen sank ich zu Boden. Ein heimtückischer Tritt des ersten in meine Magengegend ließ mich fast die Besinnung verlieren. Die ohnehin schon blutende Wunde an meiner Seite brach wieder auf. Der Schmerz machte mich willenlos.

Benebelt bemerkte ich, daß man mich wider Erwarten nach oben zerrte und nicht zurück in den Keller. Das unkontrollierte Zittern meiner Knie ließ bei dieser Erkenntnis etwas nach. Nach oben. Das war besser, als alles, was ich erhofft hatte.

Im zum Innenhof geöffnetem Empfangszimmer des Gutshauses ließen sie mich stehen. Garvinus erwartete mich schon. Er stand auf, freundlich lächelnd.

„Ah, Alessan“, begrüßte er mich. Die Männer zögerten. „Ihr könnt gehen“, entgegnete er ihnen. Eine zweite Person löste sich aus den Schatten. Regius. „Ich brauche eure Hilfe nicht!“

Nein, dachte ich bitter. Nein, die brauchst du nicht. Du hast ja Regius!

Die Männer verschwanden. Gemessenen Schrittes kam Garvinus auf mich zu. Ein paar Schritte vor mir blieb er stehen.

„Nun“, fragte er mit einem herablassendem Lächeln. „Wie geht es dir?“

Die Wut fuhr in mich ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er hatte es absichtlich getan. Er wußte, er mußte wissen, welche Furcht ich im Dunkeln hatte!

„Bastard“, fauchte ich keuchend.

„Tss tss!“, machte er und zog die Augenbrauen mißbilligend hoch. „Wer wird denn...“

„Was willst du?“ schrie ich ihn an. „Was soll dieser Unsinn? Dieses blöde Gelabere über Dämonen und Landesverrat! Was hast du vor?“

„Oh Alessan! Bist du wirklich so dumm?“ fragte er mich. Beschwingt trat er einen Schritt zurück. Er lächelte, offensichtlich belustigt.

„Widerling!“ fauchte ich und taumelte auf ihn zu, doch zwei feste Hände packten mich von hinten an den Oberarmen und hielten mich fest. Regius!

Wütend schrie ich auf, zerrte an Regius´ Griff. Schweißperlen traten auf meine Stirn. Dann ganz plötzlich gab Regius kurz nach, so daß mein eigener Schwung mich zu Boden gehen ließ. Ich keuchte auf, als meine Knie eine blutige Spur auf dem Steinfußboden hinterließen.

Wieder kniete ich vor Garvinus. Der Gedanke machte mich fast wahnsinnig. In einer anmutigen Bewegung beugte er sich zu mir herab.

„Armer Alessan“, sagte er kopfschüttelnd. „Hast du immer noch nicht begriffen?“

Und plötzlich fiel das Lächeln von ihm ab, machte einer eiskalten Maske Platz.

„Ich hasse dich!“ flüsterte er mit starrer Miene. „Ich hasse dich. Du weißt ja gar nicht wie sehr. Und nun das...“

Er lachte auf.

„Sie sind weg. In Kruaul und es wird noch einige Zeit dauern, bis sie wiederkehren. Wer wird schon fragen, was mit dir passiert ist, wenn ich ihnen von Hochverrat erzähle oder von Dämonenbeschwörungen. So einfach ist jetzt alles. So schön...“ Seine Stimme verebbte.

„Was willst du von mir?“ knirschte ich erbittert. Er mußte wahnsinnig sein. Nur der Wahnsinn konnte ihn so reden lassen.

„Was ich will? Weißt du es immer noch nicht, dummer Alessan?“ Seine spöttelnde Stimme wurde schlagartig wieder hart. „Leiden will ich dich sehen. Winseln sollst du vor mir. Schreien bis du heiser bist. Demütigen will ich dich. Auf den Knien sehn, so wie jetzt. Und dann - dann werde ich dich töten!“

Ein genüßlicher Schauder schien ihn zu durchrinnen.

Er war verrückt. Einem plötzlichen Impuls folgend warf ich mich zur Seite. Regius reagierte nicht schnell genug, und ich fühlte, daß ich frei war. Schnell drehte ich mich um und rammte dem überraschten Regius meine Schulter ins Gesicht. Ein häßliches Knirschen begleitete mein Tun. Regius heulte auf.

Ich stürzte an ihm vorbei auf die Tür zu, als mich ein Hieb von Garvinus´ metallener Schwertscheide gegen meinen Rücken zu Boden streckte. Benommen versuchte ich mich aufzurichten, als ein zweiter Schlag auf mich niederkrachte und noch einer und noch einer. Die Hiebe gingen auf mich nieder wie ein Hagelsturm.

„Genug?“ fragte Garvinus mit einem hämischen Grinsen, während er kurz innehielt. Doch er erwartete gar keine Antwort, er schlug weiter zu, bis ich fast das Bewußtsein verlor.

„Schnell“, rief er dann auf einmal. „Schnell, der Bastard hat uns angegriffen!“

Drei Männer rannten herein. Ich sah sie vor mir stehen, als ich gepeinigt den Kopf hob. Sie packten mich und zerrten mich auf die Füße.

„Bringt ihn in den Keller zurück!“ befahl Garvinus ihnen. „Und holt den Medicus für...“

„Nein“, heulte ich auf. „Nicht den Keller...“ Entsetzt warf ich mich gegen den Mann zu meiner Rechten. Doch der Kampf war beendet, bevor er begonnen hatte. Ein harter Hieb mit einem Knüppel erstickte meine Gegenwehr.

„Sieh an“, meinte Garvinus voller Genugtuung. „Späte Reue?“

Die Männer zögerten. „Soll er bleiben?“ fragte der eine.

„Nein, nein“, winkte Garvinus ab. „Ihr habt es doch gehört. In den Keller mit ihm. Glaubt mir, beim nächsten Mal wird er bestimmt reden!“

Und wieder landete ich im Keller. Ich glaube, dieses Mal weinte ich sogar vor Entsetzen.

 

Laurealka

Liebe Calaryen!

Endlich finde ich Zeit, um dir zu schreiben. Viel hat sich in letzten Tagen ereignet, zu viel, würde ich sagen. Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll!

Vielleicht beim Schrecklichsten von allem. Kalwe ist tot...

Die späte Nachmittagssonne überzog mein einsames Arbeitszimmer hoch in den Wipfeln von Laurínamardi mit einem goldenen Glanz. Ich hielt inne, die Feder noch auf dem Papier. Immer noch zuckten meine Gedanken vor dem blutigen Moment zurück. Ich war sicher, es würde mir noch lange so gehen.

Warum schrieb ich Calaryen eigentlich diesen Bericht?

Vielleicht war es meine Art, Frieden mit mir zu schließen. Frieden mit mir selbst und meinen Gedanken, meinen Schuldgefühlen...

Ich dachte zurück an jenen Tag der Gerichtsverhandlung, als die Elben Laurínamardis aufbegehrt hatten gegen meine Entscheidung, gegen Harantors Urteil. Zögerlich setzte ich die Feder wieder auf das Papier und schrieb weiter.

Ach Calaryen! Es ist schlimm, ich weiß. Du kanntest Kalwe. Er war ein liebenswerter Junge. Jeder mochte ihn. Aber was danach passierte, ist fast noch schlimmer.

Fast hätte ich alles verloren, nicht nur Kalwe. Fast hätte ich Laurínamardi verloren.

Die Feder glitt aus meiner Hand. Loth-lórien, ein zweites Mal verloren... Und dieses Mal durch meine eigene Schuld!

Der Verlust schmerzte wie eine alte schlecht verheilte Wunde. Er behinderte mich in meinen Entscheidungen wie eine Narbe einen Menschen in seinen Bewegungen behindern mochte.

Elben war dergleichen fremd. Dachte ich bisher...

Lag es daran, an diesem Entsetzen bei der Erinnerung an diesen Beinaheverlust, daß ich immer wieder an diese Tage zurückdenken mußte?

Ich lauschte in mein Inneres, doch ich fühlte keinen Schrecken mehr. Das Übel war vorübergegangen und die Gemeinschaft in Laurínamardi dabei auf wundersame Weise erneuert, das Vertrauen in mich vertieft worden.

Oder lag meine Unruhe etwa an den neuen Erkenntnissen über mein früheres Leben auf Mittelerde, die mir in diesen schweren Tagen zu Bewußtsein gekommen waren? Erlebnissen, die ich hatte vergessen wollen? Erinnerungen an einen Menschen, der mich geliebt hatte, den ich zurückgewiesen hatte, den seine Liebe und mein Hochmut zu Fall gebracht hatten? Vernichtet, getötet hatten...

Erinnerungen und Schatten von Erinnerungen...

An nächtliche Wanderungen durch ein dunkles Lóthlorien. Einen Wald, der erfüllt war mit den Kreaturen Saurons. Wilden Geschöpfen, die im Dunkel lauerten und uns töten wollten.

Mich und den Elben an meiner Seite. Einem blonden Hünen mit drei Schwertern, mehr als ein Mann eigentlich benötigte, um zu töten. Harantor...

Und er hatte sie getötet. Alle! Keiner dieser Dämonen hatte überlebt. Schwarzes Blut hatte gespritzt. Und wir standen Seite an Seite, Rücken an Rücken. Unsere Schwerter sangen im Einklang.

Ob er sich erinnerte?

Damals war ich anders gewesen. Hatte gekämpft, gegen Sauron. Gemeinsam mit Harantor. Doch auch ihn hatte ich zurückgewiesen. Mit einem spöttisch hingeworfenen Lachen, wie bei all den anderen Bewerbern zuvor.

„Wie kann der Löwe den Wind begehren“, hatte ich sie alle mit einem Lachen gefragt. „Wie wollt ihr ihn festhalten, den Wind, der euer Haar streichelt oder eure Häuser zerstört? Wie?“

Die Zurückweisung all dieser Elben, war es Rache an mir selbst gewesen, weil ich ihn aus Angst und Hochmut abgewiesen hatte? Diesen Menschen mit den dunklen Haaren und den freimütigen blauen Augen, mit dem Herz eines Löwen. Der meines fast geraubt hätte wie einstmals Beren das von Lúthien...

Warum dachte ich jetzt daran zurück? Warum konnte ich nicht mehr zur Ruhe kommen, seit die Gerichtsverhandlung vorüber war und Frieden wieder in Laurínamardi eingekehrt war?

Warum mußte ich immer wieder an ein paar blitzende, blaue Augen unter einem Schopf wirrer, dunkler Haare denken?

War es etwa das Schicksal dieses Menschen, das mir nicht mehr aus dem Sinn ging?

Oh Calaryen, ich kann mir dein Gesicht vorstellen, wenn du dies hören könntest. Ein Mensch! Dennoch...

Der Nachmittag nach der Gerichtsverhandlung kam mir wieder in den Sinn. Die Wellen der Erregung waren geglättet gewesen. Man hatte die Entscheidung der Mendys akzeptiert. Ich hatte mein leichtes Hauskleid übergeworfen und war nach unten gegangen, um nach dem Gefangenen zu sehen. Niemand hatte sich um ihn gekümmert, seit die Gerichtsverhandlung vorüber war, und ich erinnerte mich mit einem schlechten Gewissen an die Wunde, die Angaimaite ihm zugefügt hatte und die noch niemand behandelt hatte.

So griff ich nach dem Tiegel mit der Wundsalbe, eingen sauberen Tüchern und einer frischen Tunika ähnlich der, die er bei dem Gericht trug, und wies Earel an, etwas zu essen zu richten.

Ich klopfte sacht an den Rahmen der Schiebetür und trat ein. Ich fand ihn an der Fensteröffnung, die den Blick auf den Míremiste freigab, so wie am Morgen, als Harantor und ich ihn abholten.

Er drehte sich nicht um. Ich begriff, daß er allein sein wollte. Am wenigsten wollte er wohl mich sehen oder Harantor. Doch ich tat ihm den Gefallen nicht, einfach wieder zu gehen. Die Entscheidung war gefallen. Wenn er jetzt mir gegenüber patzig wurde, hatte ich nichts mehr zu verlieren.

So legte ich die Sachen ab, wies Earel mit einem Nicken an, das Essen auf dem Tischchen abzusetzen und trat neben ihn an die Brüstung.

„Was willst du?“ herrschte er mich schließlich an. Ich hatte auf eine solche Reaktion schon gewartet und gab ihm ruhig Antwort: „Mir deine Wunden ansehen!“

Er stieß sich von der Brüstung ab und wandte sich mir mit zornblitzenden Augen zu.

„Ich brauche deine Hilfe nicht“, blaffte er. Damit schien die Sache für ihn erledigt, denn er drehte sich brüsk um und würdigte mich keines Blickes mehr.

„Ich weiߓ, entgegnete ich ruhig. „Hier hast du die Salbe. Auftragen kannst du sie dann ja selbst.“ Bei diesen Worten drückte ich ihm ungerührt den Tiegel in die Hand.

Er starrte erst auf den Gegenstand und dann auf mich. „Was soll das?“ fauchte er.

„Du mußt den Tiegel aufschrauben“, erklärte ich, „und die Salbe dünn auftragen. Nicht einmassieren...“

„Ich bin nicht blöd“, knurrte er.

Als könne er mir damit seine Worte beweisen, drehte er den Tiegel auf und setzte sich auf das Lager zu unseren Füßen. Er legte den Deckel neben sich und tupfte seine Finger in die Paste. Dann hielt er inne.

„Was willst du noch?“ fragte er mich unfreundlich. Offensichtlich wollte er mich loswerden.

„Weißt du“, begann ich, schon halb auf dem Weg zur Tür, mich dann aber noch einmal wie beiläufig umdrehend, „Hilfe anzunehmen, kann auch ein Zeichen von Stärke sein. Jeder braucht irgendwann einmal Hilfe. Diese Schwäche dann zuzugeben und die Hilfe zu akzeptieren, zeugt von wahrer, innerer Stärke.“

„Aber das weißt du sicher“, setzte ich hinterdrein. Innerlich schüttelte ich den Kopf über meine Boshaft und Hinterlist diesem Menschen gegenüber. Aber anders war ihm nicht beizukommen!

Ich sah, wie es in ihm arbeitete, und wartete geduldig auf seine Reaktion. Ich war gespannt, ob ich ihn richtig eingeschätzt hatte. Und tatsächlich, nach einigen Augenblicken hob er zaudernd den Kopf und bot mir den Tiegel an. Er räusperte sich.

„Möchtest...“, stotterte er, „würdest du...?“

„Aber gerne“, lächelte ich und setzte mich neben ihn. Ich nahm den Tiegel aus seinen kalten Fingern entgegen und hob sanft sein Kinn, um den blauen Fleck auf seiner Wange zu begutachten.

Er schlug die Augen nieder, sehr darauf bedacht, meinem Blick nicht zu begegnen. Wie jung er doch war! Sachte betupfte ich die Wunde, drehte seinen Kopf, um die aufgerissene Unterlippe zu erreichen, bis sein Blick mich schließlich doch traf.

Schnell sah er wieder zur Seite, doch nicht schnell genug, daß ich nicht den Schmerz in seinen blauen Augen lesen konnte, diese entsetzliche Einsamkeit und Verzweiflung.

Es war dieser Blick, der mich verfolgte, der mir die Ruhe raubte. Es war der gleiche Blick, den er mir am nächsten Tag zugeworfen hatte, als er sich ein letztes Mal umdrehte, bevor er den Wald verließ.

Was, bei allen gütigen Valar, mochte ihn dort draußen erwarten?

 

Alessan

Mein Rücken fühlte sich an, als habe man ihn zerbrochen. In meinem Kopf drehten sich die Gedanken im Kreis. Mühsam zermartete ich mir mein Hirn, versuchte vergeblich einen Ausweg zu finden, doch bevor der Nebel auch nur weichen konnte, war die Angst wieder hervorgekrochen und lähmte mich.

Es war schlimmer als beim ersten Mal. Und ich erinnerte mich...

Erinnerte mich daran, warum Garvinus mich wahrscheinlich so haßte. Es war nicht allein unser Kampf, sonst hätte Regius ihm nicht so willig geholfen.

Es war der irrige Glauben, daß ich schuld war an Geminas Verkrüppelung. Die unschuldige Gemina, Crispus Nichte, die er in seinem Haus aufgenommen hatte für ein Jahr.

Eifersüchtige Jungen, die um die Gunst des hübschen Mädchens buhlten, und die zielsicher den Falschen bevorzugte. Mich.

Garvinus, der uns im Pferdestall überraschte, als ich ihr das Schnitzwerk schenkte und sie mir freudestrahlend einen feuchten Kinderkuß auf die Wange drückte. Mir dem Pferdejungen...

Die Flammen loderten hell, als Garvinus voller Zorn die Lampe zerbrach. Ganz plötzlich begriff ich nun auch die Geschichte mit Anwen. Die perfekte Rache, oder?

Damals hatten sie sich die Sache mit dem Brunnen als Rache ausgedacht. Ich zitterte. Die Angst überwältigte mich.

Dieses Mal schrie ich...

Schrie ich, bis ich nur noch schluchzen konnte. Vor Erschöpfung war ich fast eingeschlafen, schreckte hoch, als mein Kopf fast den Boden berührte. Alles wollte ich hier unten, nur nicht schlafen! Als ein Geräusch an der Tür mich hochfahren ließ.

Ich zuckte zusammen, wollte zur Tür schnellen, doch der Schmerz in meinem Rücken warf mich auf halbem Weg wieder zu Boden. Die Tür öffnete sich vorsichtig. Kerzenlich schimmerte in dem schmalen Spalt.

„Alessan?“ wisperte eine weibliche Stimme, die mir vage vertraut vorkam.

„Anwen?“, krächzte ich ungläubig. Meine Stimme klang mir selbst unheimlich in den Ohren.

Die Tür öffnete sich noch etwas weiter, und eine Gestalt drückte sich herein, brachte das flackernde Licht einer Kerze mit sich. Licht!

Ein kehliges Schluchzen hallte durch den Raum. Mein eigenes...

Anwen ließ sich neben mir nieder.

„Schnell“, drängte sie. „Hier nimm.“ Unter meinen Händen fühlte ich einen Wasserschlauch, einen dicken Kanten Brot, etwas Käse und einen Apfel.

„Trink“, flüsterte sie. „Ich kann den Schlauch nicht hierlassen. Schnell, bevor sie mich entdecken.“

„Anwen“, schluchzte ich verwirrt.

Sie zog mich ächzend hoch und schob mir den Schlauch zwischen die Hände. Ich fühlte an meinem Rücken die Wärme ihres Körpers, der mich stützte und die Einsamkeit vertrieb. Ein Gefühl das tröstlicher war als das Licht, das sie mitgebracht hatte. Ihre warmen Hände umschloßen meine, die klamm von der Kälte waren, und halfen mir den Schlauch an die Lippen zu setzen. Dieses Mal gehorchte ich. Erst langsam dann immer hastiger ließ ich das köstliche Naß meine Kehle hinabrinnen. Erst jetzt merkte ich, wie durstig ich wirklich gewesen war.

Laurealka kam mir in den Sinn, wie sie an meinem Lager gesessen hatte und mir einen Becher an die Lippen hielt. Die sanft meine Wunden mit Salbe betupfte. Sie war so freundlich zu mir gewesen, das einzige Wesen seit langer Zeit, daß so freundlich zu mir gewesen war.

Und wie hatte ich es ihr gedankt? Es schmerzte, als ich an meine boshaften Worte dachte. Nun saß Anwen hier und half mir. Hatte ich das verdient?

„Danke“, flüsterte ich beschämt, als ich den Schlauch absetzte und ihn ihr zurückgab.

„Schon gut“, beschwichtigte sie mich und rückte vorsichtig etwas von mir ab, als fürchte sie sich vor meiner Berührung. „Ich... Das im Stall... Es tut mir leid. Ich konnte nichts sagen, sie ... sie haben mich geschlagen. Ich... Oh, es war so entsetzlich.“

Tränen quollen aus ihren Augen. Sie weinte, ein leises glucksendes Geräusch in der Stille. Ihre Hände umklammerten den Wasserschlauch in ihrem Schoß, als könne er sie trösten. Betäubt saß ich neben ihr zu keiner Regung fähig. Wußte nicht, was ich tun sollte. Dann abrupt verstummte sie, strich die Tränen aus ihrem Gesicht und stand auf.

„Anwen“, versuchte ich, sie aufzuhalten. „Bitte, geh nicht. Was... Hilf mir! Ich muß weg. Er wird mich töten...“

„Es geht nicht“, wisperte sie und hastete zur Tür. Ich wälzte mich herum, ihr hinterher, als sie wie angewurzelt im Türrahmen stehenblieb. Ein erstickter Schrei entrang sich ihr, und der Schlauch polterte zu Boden.

„So schreckhaft“, hörte ich Garvinus´ Stimme. Anwen wich zurück, angstvoll kauerte sie sich neben der Tür zusammen. Und Garvinus´ Gestalt füllte den Türrahmen aus.

„Ist das nicht rührend?“, fragte er seinen Bruder hinter sich. „Sie hat ihm zu essen gebracht und zu trinken. Wo er sie doch geschändet hat.“

In mir zerbrach etwas. Von Sinnen vor Wut stürzte ich mich auf ihn.

Doch Garvinus hatte mich schon erwartet. Gezielt trat er mir in den Magen. Benommen blieb ich liegen, höllischer Schmerz durchpulste mich.

„Du bist so leicht zu durchschauen, Alessan“, sagte er noch, bevor er wieder zutrat. So lange bis mein Stöhnen in ein Wimmern überging. Irgendwann ließ er von mir ab.

„So“, meinte er dann befriedigt. „Das genügt.“ Zu seinem Bruder gewandt fuhr er fort: „Nimm das Brot mit!“

Dann griff er sich Anwen und zog sie zu sich heran. Er schüttelte sie grob.

„Und du, du Gans, kein Wort! Verstanden!“ Anwen schluchzte auf. Schallend gab er ihr eine Ohrfeige. „Hast du verstanden?“ Sie nickte.

Dann zerrte er sie zur Tür hinaus. Regius folgte ihm mit dem Essen in der Hand.

Dunkelheit breitete sich wieder um mich aus mit der Angst als einziger Gesellschaft. Doch zum weinen und schreien war ich zu erschöpft. Alles, was ich noch denken konnte, war, nicht einzuschlafen...

 

Laurealka

„Herrin... Herrin!“

Das beharrliche leise Rufen drang schließlich doch noch in mein Bewußtsein und riß mich aus meiner Meditation.

„Ja“, gab ich zur Antwort.

Es war dunkel. Der Mond schien silbern durch das Blätterdach meines Fletts und malte Schatten auf den handgewebten Teppich und die Kissen, auf denen ich saß. Der Míremiste sang sein immerwährendes Lied. Einige wenige Lampen blakten warm in den umgebenden Wipfeln und erhellten die Nacht mit ihrem gelben Schein.

An der Treppe zu meinem Flett gewahrte ich einen Schatten. Er bewegte sich, als ich ihm antwortete und trat auf mich zu. Es war Celdal, eine der Wachen, die ich am Waldrand auf Harantors Rat zurückgelassen hatte.

Mit einem leichten Nicken lud ich ihn dazu ein, auf den Kissen zu seinen Füßen Platz zu nehmen.

„Was gibt es zu berichten?“ fragte ich ihn, nun doch durch sein Erscheinen beunruhigt. Keine Wache würde bei mir vorbeikommen, wenn es nicht etwas Außergewöhnliches zu berichten gab.

Aber vielleicht hatten sie ja endlich Alessan wiedergefunden. Ich begriff in diesem Augenblick, daß mich sein Verschwinden, seit er den Gutshof betreten hatte, doch ziemlich beunruhigt hatte. Erwartungsvoll sah ich Celdal an.

„Nun“, begann er zögerlich. „Eigentlich gibt es nichts neues zu berichten. Das heißt, wo der Jüngling steckt, konnten wir bis jetzt immer noch nicht herausfinden. Aber... Naja, vielleicht ist es ja nicht wichtig, aber wir konnten einige Gespräche der Landarbeiter belauschen, und die schienen mir doch seltsam genug, um sie Euch zu berichten, Herrin.“

Also war Alessan immer noch nicht außerhalb des Gutes aufgetaucht. Das konnte vieles bedeuten. Vielleicht gaben die Menschen ihm Zeit sich zu erholen. Eine andere plausible Möglichkeit schien es nicht zu geben. Nur dieser Blick von ihm, der mich verfolgte, hatte mich dazu veranlaßt, andere Alternativen zu suchen.

Zugegeben, wenig wahrscheinliche Alternativen. Aber immerhin hatten mich meine Sorgen so weit getrieben, daß ich die Wachen am Tag zuvor dazu aufgefordert hatte, einige der Landarbeiter zu belauschen, um etwas über Alessans Verschwinden herauszufinden.

Wenn Harantor das wüßte, würde er mich wieder ein verrücktes Baumhuhn schimpfen. Der Gedanke zauberte die Andeutung eines Lächelns auf meine Lippen.

„Also?“ wandte ich mich Celdal wieder zu.

Celdal wand sich scheinbar unter meinem fragenden Blick. Ich ließ ihm die Zeit, die er brauchte, und schließlich überwand er sich und begann zu erzählen.

„Wie Ihr wißt, Herrin, haben wir uns bemüht, die Geschichten um den Wald, etwas -äh!- lebendiger zu gestalten. So wie Harantor es uns geraten hat.“

Ich erinnerte mich und nickte.

„Aber“, setzte er hastig hinterdrein, „nicht daß Ihr denkt, wir hätten es übertrieben. Nur ein paar kleinere Geschichten, des nachts...“

Hatte er ein schlechtes Gewissen? Die Geschichte wurde zunehmend undurchsichtiger.

„Ich glaube nicht, daß die Leute auf dem Gut deswegen auf diese merkwürdigen Gedanken gekommen sind“, setzte er dann hastig hinzu.

Ich beugte mich vor. „Von welchen merkwürdigen Gedanken sprichst du, Celdal?“ fragte ich ihn alarmiert.

„Sie reden untereinander von einer Verschwörung gegen die Menschen vom Gut“, seufzte Celdal. „Die Dämonen des Waldes hätten sich gegen das Gut verschworen, um die Menschen dort zu töten und zu vernichten. Keine Ahnung, wie sie auf den Gedanken gekommen sind. Ich bin nicht der Ansicht, daß unsere kleinen -äh!- Geistergeschichten sie auf diese absurde Idee brachten. Aber jedenfalls...“

Er brach ab und sah mich resignierend an. Dann senkte er den Kopf, als müsse er um Vergebung bitten.

Alessan, schoß es mir durch den Kopf. Ein morbider, dunkler Gedanke begann, in meinem Kopf Gestalt anzunehmen.

„Alessan...“, kam es mir ungebeten über die Lippen.

Celdal sah auf. Seuzend sog er tief die Luft ein, stieß sie geräuschvoll wieder aus.

„Ja Herrin“, erwiderte er ruhig. „Ihr vermutet richtig. Sie geben ihm die Schuld an dieser Sache. Oder besser gesagt, sie denken, er mache mit diesen Dämonen gemeinsame Sache.“ Er machte eine umfassende Geste. „Er sei im Wald gewesen, um seinen Preis mit ihnen auszuhandeln und nun zurückgekehrt, um den Dämonen den Weg zu bereiten. Und noch mehr solch verrückte Behauptungen. Einer sprach von Landesverrat und von feindlichen Truppen, die im Wald lauerten und mit denen Alessan im Bunde stehe. Ein Angriff stehe kurz bevor. Ganz Arram A Aelgar solle eingenommen werden.“ Er seufzte. „Nur verrücktes Zeug! Dennoch...“

Ich begriff. Dennoch konnten sie Alessan ziemlich in Bedrängnis bringen, wenn diese Menschen auf dem Gut auch nur ein wenig daran glaubten.

Ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Die Geschichte, die mir Celdal da erzählte, wollte mir ganz und gar nicht gefallen.

Ich überlegte. Sicher, ich war in keiner Weise für diesen jungen Menschen verantwortlich! Aber schließlich konnte ich auch nicht einfach zusehen, wie er vielleicht aufgrund dieser wilden Gerüchte verstoßen wurde oder ...

Die wildesten Vermutungen begannen in meinem Kopf Gestalt anzunehmen. Hinrichtungen in den verschiedensten Formen zogen durch meine Gedanken. Die Menschen kannten sehr viele davon, und jede war schmerzhafter und erniedrigender als die andere. Aber sie hatten eines gemeinsam. Sie alle töteten den Delinquenten auf eine sehr endgültige Weise.

Sicher, ich kannte die Gesetze der Menschen gut genug um zu wissen, daß ein Gutsherr einen seiner Arbeiter nicht einfach töten konnte. Mochten die Gerüchte um den Mann auch noch so sehr ins Kraut schießen, wie Harantor sagen würde. Sie würden zuerst nach Soldaten schicken, um die Sache zu untersuchen, und den Verdächtigen mit in die Garnison nehmen, wo ihm der Prozeß gemacht würde.

Mein Entschluß war schnell gefaßt. Ich konnte nicht mitkommen, soviel war mir klar. Aber ein gefiederter Bote mochte mir genügend Zeit schenken, damit ich eingreifen konnte, wenn Soldaten aus Gurick auftauchen mochten, um Alessan mitzunehmen.

Gut, mein Eingreifen würde mich wieder in Verruf bringen, eine Menschenfreundin zu sein. Aber das war wohl mein Schicksal. Die Stimmen, die nun endlich schwiegen, würden wieder mit dem Anklagen beginnen. Doch ich konnte und wollte nicht zusehen, wie ein Jüngling eventuell zu Tode gebracht wurde, nur weil er im Tauredîn gewesen und lebend wieder daraus hervorgekommen war.

Ein Menschenleben, mochte es auch noch so unbedeutend sein, durfte der Schutz Laurínamardis nicht kosten!

Ich stand auf und rief leise trillernd nach einem der kleinen Nachtvögel. Eingedenk Harantors schlechten Erfahrungen mit meinem letzten gefiederten Boten rief ich keine Krähe. Zart flötend erklang irgendwo über uns in den Blättern eine Antwort. Dann flatterte es und ein kleiner Schatten erschien im Blinken der Sterne und setzte sich auf meine dargebotene Hand.

„Hier“, sagte ich zu Celdal und hielt ihm den Vogel entgegen. „Nimm ihn mit. Wenn irgendetwas Wichtiges passieren sollte, benachrichtige mich durch ihn!“

Ich zirpte noch einmal kurz und einladend. Doch der Vogel hatte bereits verstanden. Schon breitete er die Flügel aus und flatterte auf Celdals Schulter, wo er sich zu putzen begann.

Celdal sah erst den Vogel und dann mich an. Sein Blick war skeptisch.

„Binde ihm einfach einen Zettel an eines seiner Beinchen. Allerdings darf er nicht zu groß sein“, meinte ich eingedenk der Größe des Tiers. „Sprich meinen Namen aus, und er wird zu mir fliegen!“

Celdals Skepsis schwand nicht, doch er nickte folgsam und stand auf. „Wie Ihr wünscht, Herrin“, sagte er und neigte sachte den Kopf, als befürchte er, er könne den Vogel damit verjagen. Doch der schien sich nicht darum zu kümmern, sondern putzte emsig weiter sein Gefieder.

Ich nickte Celdal zum Abschied zu und folgte mit meinen Augen seinem Abstieg von meinem Flett, so weit, wie ich ihn beobachten konnte. Doch vor meinem inneren Auge sah ich Alessans Blick wieder, las von neuem den Schmerz darin und die nackte Verzweiflung.

Fast kam es mir vor, als habe er geahnt, was auf ihn zukam, daß Gefahr auf ihn lauerte im Gut der Menschen, wie auch immer sie aussehen mochte.

 

Alessan

Zusammengekrümmt lag ich am Boden. Die Stille war entsetzlich. Dann erfüllte irgendwann wieder das leise Getrappel den Raum und instinktiv zog ich die Beine an mich. Meine eben noch vor Müdigkeit und Erschöpfung geschlossenen Augen weit aufreißend, starrte ich in die undurchdringliche Dunkelheit. Das Rascheln verstummte.

Stöhnend stemmte ich mich auf die Knie, die Arme vor meinem schmerzenden Leib verschränkt. Fühlte das Zittern, das meinen Körper überschwemmte und mich zu einem hilflosen Etwas machte.

Nicht einschlafen, befahl ich mir. Nicht einschlafen. Während meine Lider bleischwer immer wieder herniedersanken. Nur der Schmerz war es, der mich jedesmal rechtzeitig wieder aus dem beginnenden Halbschlaf herausriß.

Bis irgendwann wieder graues Licht über die Türschwelle schwappte. Ich hatte sie nicht kommen hören, zu laut rauschte das Entsetzen in meinem Kopf. Erst der Tritt in meine Seite, der mich aufschluchzend zu Boden schickte, machte mir die Gegenwart meiner Widersacher wieder bewußt.

Er schlug mich wieder mit der metallenen Scheide seines Schwertes. Ohne Worte, ohne Rechtfertigung. Ich versuchte ihm auszuweichen, umklammerte mit versagender Kraft seinen Fuß. Doch er stieß mich mit verächtlichem Ächzen von sich, nur um mich weiter zu schlagen.

Irgendwann drang wie durch einen Nebel Regius´ Stimme in meine schmerz-umnebelten Gedanken. Sie klang seltsam gedämpft. „Es reicht, Garvinus!“ sagte er. „Du bringst ihn noch um!“

„Und was sollte das schaden?“ fauchte Garvinus ihn an, aber für einen Moment hielt er inne. „Gefällt dir etwa die Nase, die er dir verpaßt hat?“

Ich hörte ein unwilliges Schnauben. „Red nicht einen solchen Unsinn! Natürlich nicht! Liebend gern würde ich seine dafür brechen...“ Regius knirschte vor unterdrückter Wut mit den Zähnen.

„Aber du weißt, daß das nicht geht“, fuhr er beherrscht fort. „Du bist schon viel zu weit gegangen, Garvinus. Und jetzt noch Anwen...“

„Ja, Anwen!“ herrschte Garvinus ihn an. „Diese Gans, diese blöde Gans. Warum mußte sie auch plaudern!“ Seine Sandalen knirschten auf dem unebenen Boden, als er sich abrupt umdrehte.

„Und er ist schuld, dieser Bastard, dieser...“ Brüllender Schmerz jagte durch meinen rechten Fuß, als die Knochen unter Garvinus Stoß mit der Schwertscheide brachen. Ich stöhnte schluchzend auf.

„Garvinus!“ rief Regius aufgebracht. „Denk an unseren Plan! Wenn du es jetzt zu weit treibst, wirst du am Ende am Galgen enden! Der Bote zur Garde ist schon unterwegs. Wir können nicht mehr zurück!“

„Ja, ja! Schon gut!“ beschwichtigte Garvinus ihn.

Ich glaubte schon, sie würden jetzt gehen, da trat Garvinus noch einmal auf mich zu und stieß mich grob mit der Schwertscheide an.

„Bis später“, meinte er. Dann verließen sie mich.

Zu keiner Regung mehr fähig, wartete ich. Wartete ich, daß sie wiederkamen, um die Tortur fortzusetzen. Ich versuchte zu überlegen, welchen Plan sie verfolgen könnten, aber mein Kopf schien unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

Die Zeit erhielt häßliche Löcher, als ich so lag und wartete. Die Angst schlug wieder zu, wurde neben dem Schmerz, der in meinem Körper wohnte, jedoch seltsam irreal. Bis ich wieder Schritte vor der Tür hörte.

Das gelbe Licht einer Lampe erhellte den kahlen Raum. Ohne Umschweife trat Garvinus auf mich zu, fesselte meine Hände auf dem Rücken und legte mir einen Knebel an. Dann wuchtete er mich auf seinen Rücken. Ich stöhnte leise vor Schmerz, zu schwach um mich zu wehren.

„Still!“ zischte Garvinus mich an.

Dann ging es durch verschiedene Korridore. Unterwegs bemerkte ich, daß jemand uns folgte. Wahrscheinlich war es Regius. Unvermittelt standen wir schließlich unter freiem Himmel. Es war Nacht. Garvinus lud mich auf ein Pferd, und ohne ein weiteres Wort sprengten wir davon.

Unterwegs verlor ich endlich das Bewußtsein, als könne ich es mir hier unter freiem Himmel, befreit aus dem angsteinflößendem Kellerloch, leisten. Erst der harte Aufschlag auf den Boden brachte mich in die schmerzerfüllte Wirklichkeit zurück. Knebel und Fessel waren von mir gelöst. Ein zweiter dumpfer Schlag ertönte, und neben mir landete eine leblose Gestalt.

Verwirrt blickte ich auf. Was sollte das? Garvinus beugte sich aus dem Sattel zu mir herunter, ein hämisches Grinsen auf dem Gesicht.

„Bis zum Morgengrauen, Alessan“, höhnte er. „Dann werden wir dich verfolgen.“ Er lachte auf. „Lauf, wenn du kannst!“

Immer noch benommen wendete ich mich der Gestalt neben mir zu. Auf der weißgekleideten Brust gähnte ein schwarzes Loch. Zitternd zog ich den Kopf zu mir heran. Mein Herzschlag setzte aus.

Es war Anwen! In der linken Seite ihres Brustkorbs gähnte ein blutiges Loch, wo ihr Herz gesessen hatte. Er hatte sie getötet. Getötet und verstümmelt. Sinnlose Wut packte mich.

„Du Schwein“, schrie ich Garvinus aufstöhnend hinterher. „Du Bastard. Du Feigling. Elender...“

Weiter kam ich nicht. Wie von Furien gehetzt, hatte Garvinus bei meinen ersten Worten sein Pferd gewendet. Er hetzte an mir vorbei und trat mir ins Gesicht, bevor ich auch nur ansatzweise reagieren konnte, daß ich in einem weiten Bogen über die verstümmelte Leiche fiel.

Dann hörte ich nur noch sich entfernendes Hufgetrappel.

Betäubt von dem Schmerz und den widerstreitenden Gefühlen lag ich bei Anwen im Gras. Blut rann mein Kinn hinab, tropfte zu Boden. Irgendwann fühlte ich, daß ich weinte, die tote Anwen in meinen Armen haltend. Ich weinte, hemmungslos schluchzend wie ein Kind.

Und schweigend verrann die Nacht...

 

Laurealka

Herrin, es scheint, daß man sich auf dem Gut für eine Suche rüstet. Alle Arbeiter sind nach Süden ausgeschwärmt. Was sollen wir tun? Celdal.

Ich las den kleinen Zettel ein zweites Mal. Die Strahlen der Morgensonne spielten auf meinen Fingern, blendeten mich. In meinem Schoß, in einem Strom von Licht, lag die erste Nachricht, die ich von Celdal erhalten hatte. Sie kam mitten in der Nacht und berichtete von zwei Reitern mit schwerem Gepäck, die nach Süden geritten waren. Nach einiger Zeit waren die Reiter ohne das Gepäck zurückgekehrt.

Leider konnten Celdal und seine Männer der Sache nicht auf den Grund gehen, da sie sich dadurch viel zu weit auf menschliches Terrain hätten wagen müssen, was ich nicht erlauben konnte.

So hatte ich sie gebeten, das Gut weiter im Auge zu behalten. Mehr konnte ich anscheinend nicht tun. Die wachsende Sorge gönnte mir keine Ruhe in dieser Nacht.

Was, bei allen gütigen Valar, ging dort vor?

Einige Male war ich fast soweit gewesen, Harantor um Rat zu fragen oder Kanyahón, aber ich wagte es nicht, um nicht schon wieder von allen Seiten die ewigen Vorwürfe zu hören.

Misch dich nicht ein! Wir dürfen nicht auffallen! Wir müssen Laurínamardi schützen! Er ist nur ein Mensch! Und so weiter und so weiter...

Doch nun hatte meine Unruhe einen Punkt erreicht, wo ich etwas tun mußte. Mechanisch strich ich mit den Fingern den kleinen Zettel glatt, als könne ich dadurch neue Nachrichten daraus hervorpressen.

Der kleine gefiederte Bote hüpfte derweil von meiner Schulter in meinen Schoß und zupfte an dem Papier. Nachdem er anscheinend entschieden hatte, daß es nicht eßbar sei, tschilpte er erzürnt und flog auf das Geländer zu, um sich dort in der warmen Morgensonne niederzulassen. Erwartungsvoll sah er mich an.

„Geh!“ sagte ich zu dem Tier und entließ es mit einem leichten Wink der Hand.

Ich mußte etwas tun!

Entschlossen stand ich auf und schritt in mein Ankleidezimmer, um mich für den bevorstehenden Ritt umzuziehen. Auch meine Waffen vergaß ich nicht. Dann klomm ich die Treppen und Stiegen hinab und rief unterwegs nach Earel, damit sie mir etwas Proviant zusammenpacken konnte.

Unten angekommen pfiff ich kurz. Ich mußte nicht lange warten, als auch schon ein Mendil auftauchte und kurz darauf Earel mit einem Packen unter dem Arm.

Ich dankte den Valar, daß bis jetzt anscheinend noch niemand etwas von meinen Absichten bemerkt hatte. So wurde wenigstens der Abschied leichter.

„Hier, Herrin“, keuchte Earel etwas außer Atem. „Danke“, sagte ich nur knapp und schwang mich auch schon auf das Mendil.

Sattel oder Zaumzeug brauchte ich nicht. Nicht bei einem Mendil und auch nicht bei einem Pferd oder einem anderen Reittier. Jedes Tier lenkte ich allein durch meinen Willen.

„Sag den anderen, ich sei nur kurz zu den Wachen geritten, um nach dem Rechten zu sehen“, rief ich Earel zu. Ich sah sie noch nicken, dann preschte mein Mendil auch schon durch den Wald.

 

Alessan

Irgendwann versiegten meine Tränen und machten hohler Verzweiflung Platz. Der Morgen graute. Die Ereignisse schienen sich zu wiederholen. Schon wieder wurde ich gejagt!

Das Bewußtsein, daß es dieses Mal Menschen sein würden, die ich seit meiner Kindheit kannte, schmerzte tief. Seltsam genug, aber ich wußte, daß sie keine Gnade kennen würden. Sie würden mich nicht nach der Wahrheit fragen wie Laurealka. Würden gar nicht wissen wollen, was tatsächlich passiert war...

Ich bebte wie ein Blatt im Wind, als diese Erkenntnis mich traf. Noch immer begriff ich nicht genau, welchen Plan Garvinus verfolgte. Zu müde und erschöpft war ich, um einen klaren Gedanken zu fassen. Ich wußte nur, daß sie kommen würden, um mich zu töten.

Zitternd betrachtete ich Anwens leblose Gestalt in meinen Armen und ihr Anblick weckte wider Erwarten tiefen Schmerz in mir. Ich hatte sie getötet. So sicher, als hätte ich ihr selbst den Dolch ins Herz gestoßen. Neue Tränen strömten über mein Gesicht.

Das hatte ich nicht gewollt. So wenig wie ich den Tod dieses Elbenjungen gewollt hatte. Die Worte der weinenden Mutter kamen mir in den Sinn, ihre sanfte Berührung.

„Er trägt keine Schuld, nur sein Verhängnis...“

Sie schienen einen neuen Sinn zu erhalten; erhielten fast den Eindruck einer Prophezeiung, als habe sie geahnt, was geschehen würde.

Ich war verflucht.

Trotzdem hatte sie mir vergeben. Ich verstand sie nicht, ebensowenig wie ich Laurealka verstanden hatte. Ihre Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit mir gegenüber waren mir ein Rätsel. Harantors und Angaimaites Zorn hatte ich besser begriffen.

Nun hatte auch Anwen mir geholfen, und das war ihr Lohn!

Immer noch tränenüberströmt bedeckte ich Anwens im Tode schreckensstarre Gesicht mit dem grünen Zweig eines nahen Busches, dann quälte ich mich stöhnend auf die Füße. Nur um sofort wieder zu Boden zu stürzen, als tobender Schmerz durch meinen gebrochenen Fuß jagte.

Mit geschlossenen Augen blieb ich liegen, wartete, daß der Schmerz nachließ. War fast versucht, einfach liegenzubleiben, um meine Qualen abzukürzen, doch ich konnte nicht aufgeben! Nicht so! Ich wollte, ich mußte einfach kämpfen!

So kroch ich auf das Gebüsch zu, daß einige Schritte von mir entfernt war. Mit zusammengebissenen Zähnen suchte ich nach einem Ast, der lang und dick genug war, daß ich mich darauf stützen konnte, und zog mich daran auf die Füße. Dann langsam, Schritt für Schritt, schleppte ich mich nach Süden.

Die Sonne brannte auf mich herab, daß der letzte bewußte Gedanke in meinem Hirn zerlief wie Fett an der Sonne. Ich kämpfte mit dem Weg vor mir. Er war das einzige, was ich noch wahrnahm. Er und mein eigener laut keuchender Atem.

Irgendwann drangen noch andere Geräusche in mein Bewußtsein. Rufe, Pferdehufe... Doch sie bedeuteten mir nichts. Bis mich ein Schlag in den Rücken zu Boden schickte. Benommen kroch ich auf allen vieren weiter, bis ein erneuter Schlag meinen Willen endlich lähmte.

Reglos blieb ich liegen. Jemand band mir die Hände auf den Rücken. Ich wehrte mich nicht. Grobe Hände zerrten mich auf die Füße, banden mir ein Seil um den Hals und zogen mich daran vorwärts.

Ich fiel, schon beim zweiten Schritt. Sie zerrten mich wieder hoch. Einer schlug mich. Von weit entfernt hörte ich Garvinus´ Stimme, doch ich konnte nicht verstehen, was er sagte, weil das Rauschen des Blutes in meinen Ohren alle Geräusche zu übertönen schien. So wie der Wasserfall in Laurealkas Wald.

Wieder zogen sie an dem Strick, ungeduldig nun, würgten mir damit den Atem ab, daß mir schwindelte. Ich keuchte und gehorchte dem Zug wie ein gefangenes Tier, kroch blind auf den Knien in die Richtung, in die mich der Strick um meinen Hals leitete.

Der Zug an meinen Hals wurde stärker, schwarze Schatten tanzten vor meinen Augen. Ich fühlte, wie mich jemand hochriß. Ein Schlag ins Gesicht brachte mich wieder zu Bewußtsein. Ich wurde vorwärts gestoßen, und nur der Strick verhinderte, daß ich nicht der Länge nach zu Boden stürzte.

Dieses Mal packte mich jemand an den Haaren und zog mich daran hoch. Ich fühlte den Körper eines Pferdes neben mir und begriff, daß es Garvinus war, der mich an den Haaren vorwärtszog. Ich stürzte wieder, und er zog mich an den Haaren neben sich her, bis ich das Bewußtsein verlor und samtene Schwärze mich umgab.

 

Laurealka

Das Tier gab sein bestes und so traf ich auch schon gegen Mittag am Waldesrand ein. Ich pfiff leise, da erschien auch schon vor mir eine der Wachen.

„Hier entlang, Herrin“, wies er mich an. Er flüsterte.

So stieg ich ab, entließ das Mendil und folgte dem Elben leise. Nach kurzer Zeit gewahrte ich Celdals Silhouette hinter einem Busch am Rande des Waldes. Etwas hinter ihm erkannte ich ein paar weitere Wachen.

Mein Begleiter führte mich zu Celdal und bedeutete mir, mich hinter dem Busch zu verbergen. Celdal sah kurz in meine Richtung, anscheinend ebenso wenig erstaunt wie der andere Elb. Mir schien, sie hatten mich erwartet. Oder zumindest gehofft, daß ich kommen würde.

„Sie kommen zurück“, wisperte Celdal erklärend und wies mit der Hand auf das Gut, das weiß zwischen den Feldern hervorleuchtete.

Ich blickte in die angewiesene Richtung und erkannte eine große Schar von Menschen, die von Süden kommend auf das Gut zustrebten. Sie gingen ungeordnet, knäulten sich um ein nicht erkennbares Zentrum. Zwei Reiter begleiteten sie. Der Zug bewegte sich sehr langsam voran, langsamer als selbst Menschen zu Fuß normalerweise gingen. Das Ganze kam mir seltsam vor.

„Was geht da vor sich?“ flüsterte ich Celdal zu.

„Da, Herrin! Seht!“ wies er mich an. „Dort in der Mitte ziehen sie jemanden vorwärts. Ab und zu kann man es erkennen. Sie scheinen ihn gefangen genommen zu haben, oder so ähnlich. Wer es ist, konnten wir bis jetzt nicht genau erkennen, aber...“

Seine Stimme verebbte. Ich wußte, was er sagen wollte, und mein Herz schien einen kleinen Satz zu machen. Sie hatten den Jungen gejagt und wieder eingefangen. Zitternd wartete ich. Ich mußte mich einfach täuschen!

Dann kamen sie endlich näher, und ich erkannte ihn sofort. Es war Alessan. Er hinkte schwer, schien das rechte Bein nicht gebrauchen zu können. Dann taumelte er und stürzte. Grob zogen ihn seine Begleiter wieder auf die Beine, stießen ihn vorwärts. Einer schlug ihm ins Gesicht. Als Alessan ein paar Schritte weiter wieder stürzte und sich nicht schnell genug auf die Füße quälen konnte, zogen sie an den Handgelenken durch den Dreck hinter sich her.

Entsetzt bedeckte ich meine Augen mit den Händen. Und ich sah ihn wieder vor mir, diesen schmerzerfüllten, verlassenen Blick aus blauen Augen. Im gleichen Augenblick wußte ich, daß es nicht das erste Mal war, daß er gequält und gedemütigt wurde. Daß dies nur die Fortsetzung einer langen Kette von Qualen war.

Ich konnte sein Leid fast spüren, und der elende Schmerz würgte mir den Atem ab, daß mir das Blut in den Ohren rauschte.

„...haben gehört, der junge Mensch stehe mit bösen Mächten im Bund und sei zurückgekehrt, um ihren Sieg über die Menschen des Gutes vorzubereiten. Er habe ein Menschenopfer vollzogen, um fliehen zu können. Eine junge Frau aus dem Gut wurde ohne Herz gefunden. Außerdem sei die Garde unterwegs, um ihn abzuholen und den Prozeß zu machen“, berichtete Celdal leise.

Mir schwindelte. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Der Junge sollte einer Frau das Herz herausgeschnitten haben? Das war nicht nur lächerlich sondern einfach absurd. Alessan mochte verbohrt, eigensinnig, stur und trotzig sein, aber er war kein Feigling. Er würde niemals eine wehrlose Frau töten. Dessen war ich mir absolut sicher.

„Herrin, was sollen wir tun?“ fragte Celdal besorgt. „Ich fürchte, sie werden ihn töten...“

Das Wort schwebte in der Luft, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Nur mit großer Selbstüberwindung schaffte ich es, nochmals zu der aufgebrachten Menge hinabzusehen. Jetzt konnte man schon einzelne Rufe verstehen.

„Vorwärts, Bastard!“ „Töten sollte man dich!“ „Hinrichten!“ „Töten...“ „Hinrichten...“

Er stürzte wieder. Ein Mann trat ihm in die Seite, einmal, zweimal. Alessan versuchte sich hochzustemmen, doch er war anscheinend zu schwach dazu. Ich sah seine verschmutzte, blutige Tunika. Die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht.

Einer der beiden Reiter stieg ab und trat heran. Er packte Alessan grob bei den Haaren und zog ihn so auf die Beine. Als der Jüngling trotzdem wieder zu Boden stürzte, riß er wutentbrannt seinen Kopf an den Haaren in die Höhe und schlug auf ihn ein. Es war der erste Blick in Alessans Gesicht, den er mir dadurch gewährte.

Ich erschrak. Es war eine blutige, staubbedeckte Maske, völlig reglos, die Augen geschlossen. Eine Totenmaske...

Brüsk stand ich auf und schob mich von dem Busch weg, strebte zurück in den schützenden Wald.

„Herrin“, eilte mir Celdal hinterher, „Was...“

Weiter kam er nicht. Schuld daran war wahrscheinlich die Tatsache, daß ich begonnen hatte, mich vor ihm zu entkleiden. Mit geweiteten Augen sah er mir zu.

„Ich werde Harantor holen“, erklärte ich ihm, während ich mein Hemd als krönenden Abschluß auf den Kleiderhaufen warf. „Ich glaube, er wird hier ´mal kräftig aufräumen müssen.“

Ich glaube mein Blick war ungewöhnlich hart und erbarmungslos, denn er schreckte vor mir zurück, als habe er einen Ork im Gebüsch hinter mir entdeckt.

„Mischt euch nicht ein, außer sie wollen ihn töten“, wies ich ihn noch an, „und paßt auf meine Sachen auf!“

Noch bevor der ungläubige Blick auf seinem Gesicht verblassen konnte, faßte ich auch schon nach den Konturen des Seeadlers in meinem Wissen. Ich fühlte den Wind durch mein Gefieder streicheln und schüttelte es, um mich endlich emporzuheben und in Richtung Nassetussa zu fliegen.

Ich warf keinen Blick zurück.

 

Alessan

Ich erwachte, als jemand Wasser in mein Gesicht schüttete. Dann zerrte mich auch schon wieder jemand hoch. Dieses Mal an den Händen, die mir in den Zwischenzeit jemand vor dem Körper zusammengebunden hatte. Der Strick lag immer noch um meinen Hals, aber nun zog ein zweiter Strick auch an meinen Händen, zog mich hoch und vorwärts.

Hände trieben mich von hinten an, schlugen und stießen mich. Als ich das nächste Mal fiel, zogen sie mich an dem Strick um meine Hände weiter, traten mich, bis ich kroch und es schließlich schaffte, mich hochzustemmen und doch wieder ein paar Schritte zu gehen.

Die Schmerzen, die ich litt, machten mich völlig willenlos. Ich fühlte, wie ich zu zerbrechen drohte, mein Stolz, meine ganze Menschlichkeit von mir abfallen wollte, unter dieser brutalen Behandlung. Mein Gesicht war naß von kaltem Schweiß und den unaufhörlich fließenden Tränen, die ich nicht mehr kontrollieren konnte.

Ich weiß nicht mehr, wie oft ich noch fiel auf dem Weg zum Gut. Wie oft sie mich schlugen, traten, mit Steinen bewarfen oder an den Haaren durch den Dreck schleiften. Wie oft ich das Bewußtsein verlor und grob wachgerüttelt oder halb ertränkt wurde.

Der Weg schien endlos. Der Schmerz verlor seine Bedeutung. Ich wollte nur eines: leben. Nur das hielt mich aufrecht, ließ mich die Tortur aushalten, bewahrte mich davor, den Verstand zu verlieren, zu einem tumben Tier zu werden, das zur Schlachtbank geführt wurde.

Irgendwann wurde es kühler um mich. Schatten umgab mich. Ich wurde Treppen hinabgezerrt und begriff, daß sie mich wieder in den Keller einsperren wollten. Es war erst in diesem Moment, daß ich versuchte aufzubegehren. Sie bemerkten es nicht einmal, so schwach war ich.

Im Keller angekommen, zogen sie mich hoch und banden meine Hände hoch über meinen Kopf an einem Balken fest. Mein Kopf fiel benebelt auf meine Brust. Meine Knie gaben nach, und ich stürzte. Doch nicht weit, die Fesseln an meinen Handgelenken hielten mich aufrecht. Schmerzhaft schnitten die Riemen in mein Fleisch, hebelten fast meine Schultergelenke aus den Angeln.

Zum ersten Mal hörte ich mich stöhnen. Bisher hatte das Rauschen in meinen Ohren alle anderen Geräusche übertönt. Hier an diesem Ort schien es auf einmal leiser zu werden.

Eine Hand griff nach meinem Kopf, hob ihn an, so daß mein Gegenüber mir in die Augen blicken konnte. Ich blinzelte durch die unkontrolliert laufenden Tränen und erkannte Garvinus.

„Nun, Alessan“, flüsterte er boshaft und voller Haß. „Wie geht es dir?“ Dann lachte er. Ein irres Lachen, das sich gespenstisch in den dunklen Kellerecken brach. Mir fröstelte.

„Hast du schon genug?“ fragte er wispernd. „Na, sprich! Hast du schon genug?“

Ein spöttisches Grinsen verzog sein Gesicht. Ich zitterte. Plötzlich, mit einem Ruck, riß er mir mit der anderen Hand die zerfetzte Tunika vom Leib und strich über die verschmutzten Bandagen um meine Brust und meine Taille. Ein irrwitziges Glitzern lag in seinen Augen. Seine Hand blieb auf dem blutigen Fleck an meiner Seite liegen, unter der dumpf meine Wunde pochte. Sein Gesicht näherte sich dem meinen, bis seine Nase fast die meine berührte. Sein Atem streifte feucht meine Wange. Dann schlug er zu.

Ich weiß nicht womit. Doch es war hart und kantig und drang durch die Bandage bis auf das Fleisch. Der Schmerz durchschnitt mich in zwei Hälften. Ich schrie auf und wurde bewußtlos.

Als ich wieder erwachte, war ich allein im Dunkel. Ich hing mit meinem ganzen Gewicht an dem Strick um meine Handgelenke und fühlte die Hände nicht mehr, da das Blut durch die Fesseln schon zulange abgeschnitten wurde. Meine Schultern schienen wie mit Blei übergossen, in meiner Seite tobte ein loderndes Feuer, ebenso in meinem Fuß. Mein ganzer Körper schmerzte.

Und ich begriff, daß ich sterben würde.

Nicht weil sie mich hinrichten würden oder dergleichen. Nein. Ich fühlte, wie das Blut aus meiner Seite rann so unaufhörlich wie die Tränen aus meinen Augen, wie es irgendwo in meinem Innern herauspulste und mit ihm mein Leben. Wie langsam die Kälte an meinen Gliedern heraufkroch. Zuerst an den Beinen und dann an den Armen. Und wie die Kälte dann einer Taubheit wich, die gnädig die Schmerzen von mir nahm.

Ich starb.

Der Gedanke erfaßte mich mit einer Endgültigkeit, die mich schwindeln machte. Ich wartete auf die Angst, doch ich fühlte nichts. Nur die heraufkriechende Kälte und die lauernde Dunkelheit. Die lähmende Einsamkeit und die Leere, die ein Wimmern aus mir herauspreßte. Winselnd, qualvoll.

Und ich gab nach. Stieß mich ab und ließ los. Ich tauchte hinab in die Tiefen meines Geistes und plötzlich war ich wieder in Laurínamardi. Laurealka saß neben meinem Lager. Goldene Lichtstrahlen umschmeichelten ihr liebliches Gesicht.

„Trink“, forderte sie mich sanft auf und hielt mir einen Becher mit Wasser an die Lippen, während sie mit der anderen meinen Kopf stützte.

Ich trank und das Wasser schmeckte nach Kräutern und Sonnenschein. Sachte ließ sie mich auf mein Lager zurückgleiten und strich mir übers Haar.

„Schlaf“, flüsterte sie mir ins Ohr, „Schlaf!“ während ihre Hand warm und zärtlich auf meiner Stirn ruhte.

Und ich gehorchte...

 

Harantor

Ich saß zusammen mit Hinner und Karaval beim Mittagsmahl in meiner Küche, weit weg von Laurínamardi und den Elben des Waldes, nebst ihrer Herrin, Laurealka, die mir in letzter Zeit das Leben doch arg erschwert hatte. Durch sie waren mir schwere Prüfungen auferlegt worden, und nicht alle hatte ich bestanden.

Vieles hatte mir zu denken gegeben, und ich würde lange über einiges Grübeln müssen. Vielleicht konnte Elrod mir helfen, all die Zweifel zu überwinden. Ich würde ihm noch über die Verhandlung Bericht erstatten müssen, wenn ich auch sicher war, daß er schon vieles über mein Urteil wußte.

Sicherlich hatte mir die Nacht am Strand sehr geholfen, daß ich nicht ständig mit einer Leichenbittermine über all die Fehler nachsann, die ich gemacht hatte, sondern die Erlebnisse bereits mit einer gewissen Distanz betrachten und meine Lehren daraus ziehen konnte.

Ein harter Nachmittag lag vor uns. Vieles war liegen geblieben, während ich meine Aufgabe in Laurínamardi erfüllte. Ich kaute lustlos auf einem Fladenbrot herum, das Hinner, der auch als Schiffskoch gefahren war, gebacken hatte. Es war zwar vorzüglich, aber ich hatte noch keinen Appetit. Ich strich mir Honig aufs Brot. Dazu tranken wir kühlen Tee, der mit Honig gesüßt war.

Am Abend würden wir einige Fische braten, denn die Zeit für eine warme Mahlzeit blieb nicht.

Ich hatte jedem von uns die Aufgaben für den Tag zugewiesen. Trotzdem würde ich nicht mehr drumherum kommen, nach Kruaul zu reisen, um zwei oder drei Mägde anzuwerben, die sich ums Haus kümmern und auch andere Aufgaben im Kräuter- und Gemüsegarten übernehmen konnten. Über kurz oder lang würden die Knechte und ich die Arbeit nicht mehr schaffen.

Die Sonne stand im Zenit und bald war es Zeit, auf die Felder und in die Stallungen zu gehen. Eine Yulepse noch, denn gerade zum Tee, gab es nichts besseres, als den Rauch des Pfeifenkrauts zu inhalieren.

Einzig Karaval fand keinen Gefallen am Pfeifenkraut, obwohl er sehr schnell begriffen hatte, wie er das Kraut bei Aussaat, Wachstum und Saat zu behandeln hatte, damit es sein unverwechselbares Aroma entfalten konnte.

Aber rauchen wollte er es nicht, so daß er sich schon erhob, um seiner Aufgabe beim Geflügel nachzugehen. Er sollte das Schlachtgeflügel für den Markt in Kruaul in den extra abgezäunten Bereich treiben. Dann sollte er unser kleines Boot klarieren, mit dem ich morgen in aller Frühe aufzubrechen gedachte.

Vielleicht ergriff ich gleich beim Besuch des Marktes die Gelegenheit, die Mägde anzuwerben.

Plötzlich klopfte es an der Haustür. Es schien, als trommle jemand den Rhythmus eines wilden Tanzes, und ich hatte mich noch nicht einmal erhoben, da ertönte eine Stimme, die mir nur allzugut bekannt war.

„Harantor! Harantor! Mach auf!“, drängelte die Stimme Laurealkas. „Ich brauche deine Hilfe! Harantor!“

„Es ist offen!“ rief ich zurück. Ich hatte kaum den Satz beendet, als ich hörte, wie die Tür aufgerissen wurde.

„In der Küche!“ rief ich ihr zu. Und es dauerte nur wenige Herzschläge, bis die Küchentür geöffnet wurde und die Herrin des Tauredîn in meine Küche gestürmt kam, nackt, wie die Valar sie geschaffen hatten.

Hinner fielen fast die Augen aus dem Kopf, aber er war taktvoll genug, sich sofort zurückzuziehen.

Laurealka achtete überhaupt nicht auf ihre Nacktheit, und mir war nach all der Arbeit nicht nach sündigen Gedanken, so daß ich ihr eine Decke gab, die neben mir über der Stuhllehne hing.

Gedankenlos warf sie sich die Decke über, dann sprudelten die Worte aus ihr hervor wie die Lava aus den Feuerschlünden eines Vulkans.

 

Laurealka

„...sie werden ihn töten, Harantor“, beendete ich atemlos meinen Bericht. „Die Valar mögen mir beistehen, aber ich spreche die Wahrheit.“

Alessans Gesicht kam mir in Erinnerung und ohne es zu wollen, schlug ich die Hände vors Gesicht, als könne ich so den Anblick vor mir verbergen. Die Brutalität, mit der sie mit ihm umgegangen waren, hatte mich zutiefst schockiert.

Waren Menschen so?

Nein. Nein, es stand mir nicht zu Richter über sie sein zu wollen! Es ging hier um etwas anderes!

„Harantor“, begann ich erneut. Dieses Mal leise und vorsichtig. Ich hatte Angst, seinen Widerspruch zu wecken. Er würde mir nicht helfen, dessen war ich mir inzwischen fast sicher. Es war ein Fehler gewesen, hierher zu kommen. Zeit, die ich unnötig verschenkt hatte.

Letztendlich würde ich alleine versuchen müssen, Alessan zu befreien. Die Wachen konnte ich nicht in diese Sache hineinziehen. Sie waren mir anvertraut. Ich durfte sie nicht in eine Angelegenheit hineinziehen, die ganz allein die meine war - und die Harantors.

Harantor legte seine Pfeife beiseite. Entweder bedeutete das, daß er mir nun doch zu zuhören gedachte oder die Sache war für ihn erledigt. Schnell kam ich ihm zuvor.

„Harantor, bitte! Ich...“, der so schwungvoll begonnene Satz endete, bevor er richtig begonnen hatte. Alessans lebloses Gesicht ging mir nicht aus dem Sinn.

„Du... du hättest sie sehen sollen“, wisperte ich schließlich. Meine Stimme zitterte vor Entsetzen. „Sie haben ihn fast zu Tode geprügelt. Er... er konnte kaum noch gehen und trotzdem haben sie ihn weiter gezerrt... geschlagen und... getreten...“

„Oh, Harantor“, begehrte ich noch einmal auf. „Wenn du mir nicht hilfst, wer dann? Und ich muß ihm doch helfen! - Ich brauche dich!“

Harantor sah mich unbewegt an. Seine hellen Augen schienen mich zu taxieren, meine Argumente abzuwägen. Sie für zu leicht oder schwer genug befinden, wie einen Laib Brot auf einer Waage.

„Was ist mit den Wachen?“ fragte er schließlich.

„Du weißt, daß ich sie da nicht hineinziehen kann. Es geht hier um eine sehr persönliche Angelegenheit. Ich kann ihnen als Herrin von Laurínamardi nicht befehlen, mir hier beizustehen. Das hieße, meine Stellung zu mißbrauchen. Das kann ich nicht tun. Eher gehe ich allein.“

Und das würde ich auch tun. In diesem Moment war mir auf einmal völlig klar, daß ich bereit sein würde, dieses Risiko einzugehen. Daß ich mein Leben aufs Spiel setzen würde, um diesen Menschen zu retten.

Warum, konnte ich beim besten Willen nicht sagen.

Harantor riß mich aus meinen Gedanken. „Und warum fragst du mich?“

„Wen sonst?“ meinte ich achselzuckend. „Du bist der einzige hier, den ich Freund nennen würde. Den ich also um so etwas bitten könnte.“

Er sah mich an, verwirrt, wie es mir schien. Mit einer solchen Antwort schien er nicht gerechnet zu haben. Ich selbst auch nicht. Trotz allem war es die Wahrheit, erkannte ich. Es schreckte mich, das zu erkennen.

So weit war es also gekommen. Harantor - mein Freund? Ob er das wohl glauben würde, mehr noch - akzeptieren würde?

Harantor sah aus dem Fenster, während er mit kurzen, wütenden Schlägen seine Pfeife ausklopfte.

„Typisch“, grummelte er in seinen Bart. „Typisch! Ich kann wieder durchs Feuer gehen. Jetzt bin ich wieder gut genug...“

Der Rest ging in wilden Flüchen unter, während er sich aus seinem Stuhl hochhievte. Vor sich hin brummelnd ging er schließlich ins Nebenzimmer. Mich würdigte er keines Blickes mehr.

Benommen sah ich ihm hinterher. Hieß das nun, daß er mir helfen würde? So ganz war mir die Sache noch nicht klar, aber irgendwie ahnte ich, daß ich gewonnen hatte. Daß er mir tatsächlich helfen würde.

Empfand er etwa ähnlich?

Ich begriff nichts mehr, hätte jedoch um keinen Preis der Welt nachgefragt, da ich wußte, daß dies nur einen Streit heraufbeschworen hätte. Und das war das letzte, was ich jetzt brauchte. Eile war vonnöten, sonst mochten all die Worte hier umsonst gewesen sein - und Alessan war tot.

Nach einer Weile kam Harantor zurück, fertig gerüstet. Anscheinend hatte er sich auch mit seinen Knechten besprochen. Dazu brachte er noch etwas notdürftige Kleidung für mich. Keine Frauenkleider, aber zumindest ein paar Hosen und ein Hemd, die mir nicht gar zu groß waren. Passendes Schuhwerk hatte er nicht, was ich jedoch auch nicht erwartet hatte.

„Kannst du mich in einen Vogel verwandeln“, fragte er mich dann.

Ich sah ihn an und muß ziemlich ratlos ausgesehen haben, denn er grunzte etwas in seinen Bart, was ich nicht verstand, jedoch unwillig klang.

„Natürlich nicht“, gab ich ihm entgeistert zur Antwort. „Schon gar nicht mit all den Waffen“, setzte ich hinterdrein, wobei unwillkürlich ein feines Lächeln meine Lippen umspielte.

Die Vorstellung eines Harantors als Seeadler, der seine Waffen in den Klauen trug, war selbst in dieser ernsten Situation zu komisch.

„Gut“, meinte er. „Kannst du reiten?“

„Natürlich“, meinte ich kopfschüttelnd. Reiten war etwas selbstverständliches für mich. Wie konnte er fragen?

Wenig später saßen wir auf zwei Pferden und galoppierten an der Küste entlang nach Süden. Wir strapazierten die Tiere, so weit wir es uns erlauben konnten, und erreichten den Waldrand kurz nach Einbruch der Dunkelheit.

Celdal erwartete uns schon. Gemeinsam saßen wir hinter dem mir schon bekannten Busch und sahen hinab auf das Landgut, aus dem sanfter Lichtschimmer drang.

„Was ist geschehen, seit ich gegangen bin“, fragte ich Celdal.

„Nicht viel“, meinte er resignierend. „Sie haben ihn ins Gut gebracht und seitdem ist eigentlich nichts mehr passiert. - Ach, doch! Die Leiche des Mädchens haben sie noch geholt. Das war alles.“

„Was werdet ihr jetzt tun?“ setzte er hinzu.

Ich sah Harantor fragend an. „Das liegt ganz bei dir“, sagte ich leise zu ihm. „Ich vertraue dir voll und ganz!“

„Also gut“, knirschte er mit finsterem Blick. „Dann hört mal zu...“

 

Harantor

Vor mir lag die Außenmauer des Gutes. Die Dunkelheit war nahezu total. Mit Einbruch der Dämmerung waren vom Meer dunkle Wolken aufgezogen, die in den nächsten Stunden, wahrscheinlich aber erst nach Sonnenaufgang, Regen bringen würden.

Das Wetter war ideal für mein Vorhaben, denn uns Eldar ist die Fähigkeit gegeben in der Nacht zu sehen. Das ist einer der Unterschiede, die mir gegenüber Menschen immer wieder Vorteile gebracht haben, die die Nacht mit Fackeln erleuchten müssen.

Ich pirschte durch die Nacht, und hielt mich eng an die Mauer gedrückt. Ich rechnete damit, daß Wachen, um das Gut herumgingen. Meine Vorsicht erwies sich als begründet, denn ich hörte gedämpfte Stimmen, die sich mir näherten, kaum, daß ich an Wachen gedacht hatte. Sie unterhielten sich über die Dämonen des Waldes und deren Zorn.

Nun, in Kürze würde ich ihnen einen flüchtigen Eindruck verschaffen, wie zornig die Dämonen des Waldes werden konnten. Ich schlich mich an die beiden heran, denn das letzte was ich gebrauchen konnte, war das hier noch Gestalten herumschlenderten.

Wie ein Orkan kam ich über die beiden, und noch bevor einer von ihnen etwas sagen oder reagieren konnte lagen sie bewußtlos zu meinen Füßen. Ich riß Teile ihrer derben Kleidung in Stücke und fesselte und knebelte die beiden damit und schleppte sie hinter einen nahen Busch.

Nun galt es, den Eingang zur Küche zu finden, weil es dort in herrschaftlichen Häusern immer einen Abstieg in den Keller gab, und in den Gewölben sollte Alessan festgehalten werden.

Ich sog die Luft tief ein und konnte den Geruch von verfaulendem Gemüse und anderen Küchenabfällen wahrnehmen. Diesem Geruch brauchte ich bloß noch zu folgen.

Ungebetene Gedanken machten sich auf meinem Weg breit. Und es gelang mir nicht, sie zu verscheuchen. Laurealka hatte es geschafft, daß ich hier versuchte, den Mörder Kalwes zu befreien, der mir nicht nur, während wir über ihn zu Gericht saßen, nur Ärger bereitet hatte.

Aber nicht um den Menschen, sondern um Laurealka drehten sich meine Gedanken.

Ich war hier, weil sie mich Freund genannt hatte. Aber war sie wirklich einer oder hatte sie nur geahnt, wie ich handeln würde? Hatte sie gewußt, daß ich für einen Freund durch lichtloses Dunkel wandern würde?

Die Valar mochten ihr gnädig sein, wenn ich eines Tages herausfinden mußte, daß mich Laurealka nur ausgenutzt hatte. Ich erinnerte mich noch allzu gut an unsere erste Begegnung im nächtlichen Tauredín. Geradezu überheblich hatte sie auf mich hinabgesehen.

Und wenn ich es recht bedachte, mochte es sein, daß ihr Verantwortungsgefühl gegenüber den Elben des Waldes nur ein Vorwand war, der verschleiern sollte, daß niemand in Laurínamardi bereit sein würde, den Jungen aus den Verliesen des Gutes zu holen, und daß sie dann in einer Kraftprobe unterliegen würde; sie in einem Aufstand hinweggefegt würde. Da war es doch einfacher, den Barbaren mit fadenscheinigen Argumenten loszuschicken; einen zu überreden, der moralisch unter ihr stand, und der - wie sie es wohl sah - gerne tötete. Aber sie hatte mein Leben nicht gelebt, und daher würde mich Laurealka wohl nicht verstehen.

Fast alle unseres Volkes sahen in mir den Sonderling, und ich war das gewöhnt. Lediglich Elrod, schien jeden von uns vorbehaltlos zu lieben. Aber trotz aller moralischen Anfeindungen fühlte ich mich zu Hause auf Tol Uinor. Elrod schien über den Schwächen seines Volkes zu stehen.

Ich verdrängte die Gedanken an Laurealka wieder, denn ich hatte die kleine Außentür zur Küche erreicht. Etwas weiter entfernt konnte ich eine schmale Pforte erkennen, die nicht zum Gesindetrakt des Gutes gehören zu schien und wohl eher den Herrschaften vorbehalten war.

Ich lehnte mich an eine Wassertonne und lauschte in die Nacht, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen, wenn ich in das Gut eindrang.

Leise Schritte drangen durch die Dunkelheit. Ich spähte über die Wassertonne zur weiter vorn liegenden Pforte. Eine Gestalt lief schnell, gebückt und vergeblich um Lautlosigkeit bemüht auf die Pforte zu. In ihrer Rechten hielt sie einen Sack, aus dem das Quieken von zornigen Ratten drang.

Sie erreichte die Pforte und klopfte leise an. Beinahe augenblicklich wurde ihr aufgemacht.

Ein gezischtes „Hast du sie, Regius?“ drang aus dem Haus.

„Ja, aber ich bin nicht sicher, ob wir Alessan das antun sollen, Garvinus“, antwortete der mit Regius angesprochene zweifelnd.

„Wir müssen“, antwortete die Stimme von drinnen. „Die Ratten werden ihn endgültig in den Wahnsinn treiben, so daß sie ihn bloß noch hinrichten müssen, weil er sich nicht verteidigen kann, aber unsere Beweise einfach zu erdrückend sind.“

Regius erwiderte nichts und trat ein. Die Pforte wurde geschlossen, aber ich hörte keinen Riegel, der einschnappte, oder einen Schlüssel, der sich im Schloß drehte. Vielleicht wollten diese beiden Folterknechte noch einmal ausgehen.

Ich lächelte grimmig. Für mich alles nur ein Vorteil, die beiden würden mich zu Alessan führen, und ich würde sie dafür mit einem ruhigen, traumlosen Schlaf bis zum Morgen belohnen.

So leise wie möglich näherte ich mich der Pforte und öffnete sie. Ich konnte nur einen langen Gang erkennen und lauschte in ihn hinein. Außer sich entfernenden Schritten und dem Öffnen einer Tür war nichts zu hören.

Ich folgte den Geräuschen und vermied dabei jeden Laut. Schließlich erreichte ich eine nur angelehnte Tür und vorsichtig zog ich sie auf. Vor mir gähnte ein Loch, daß in den Keller führte. Fahler Fackelschein ließ mich einen Moment verharren. Dann wurde unten wieder eine Tür geöffnet, und das Licht verschwand.

Ich stieg die Treppe hinab, und schon dort mußte einer meiner Größe den Kopf einziehen. Der Keller war sehr niedrig gebaut und für mich eher unpraktisch.

Unten angelangt mußte ich zu meiner Enttäuschung feststellen, daß von diesem großen Gang mindestens ein Dutzend Türen abzweigten. Nun war passiert, was ich hatte umgehen wollen. Ich mußte Alessan suchen.

Das würden mir die beiden Folterknechte büßen...

 

Alessan

Wasser spritzte in mein Gesicht. Ich kam zu mir. Der blakende Schein einer Laterne erhellte das Gewölbe. Instinktiv drehte ich den Kopf zur Seite. Wilde Angst durchzuckte mich.

„Wach auf“, flüsterte eine vertraute Stimme und ein brutaler Schlag in mein Gesicht warf meinen Kopf herum, daß ich ihm direkt in die Augen blicken mußte. Ein irres Funkeln tanzte darin, das ein hohles Gefühl in meiner Magengegend verursachte.

„Wir haben dir etwas mitgebracht“, grinste er. Bei diesen Worten wandte er sich ab und brach in schallendes Gelächter aus.

„Garvinus“, wurde er durch Regius´ drängende Stimme unterbrochen, „das reicht! Komm jetzt!“

„Ach“, zischte Garvinus und warf seinen Kopf herum. „Findest du?“ Doch Regius antwortete ihm nicht.

Mit einem bösartigen Lächeln wandte er sich mir wieder zu. „Also ich finde“, meinte er schnurrend wie eine Katze, „daß es noch lange nicht reicht. Nicht wahr, Alessan?“

Er strich mir über den Kopf mit der Sanftheit einer Giftschlange, um urplötzlich zu zustoßen und mein Haar zu packen. Krallen gleich wanden sich seine Finger in meinen Schopf und zogen mich an ihn heran, zwangen mich dazu, ihm in die Augen zu sehen.

Ich zwinkerte, da Tränen meinen Blick zu verschleiern drohten. Als er ohne Vorwarnung meinen Kopf gegen die Mauer donnerte. Einmal, zweimal... Schmerz explodierte in meinem Schädel.

Bis Regius ihm in den Arm fiel. Nur mühsam konnte ich ein Aufschluchzen unterdrücken.

„Laß das“, flüsterte Regius. „Komm zu dir, verdammt noch ´mal!“

Seltsamerweise gehorchte Garvinus. Fast nachdenklich wickelte er seine Finger aus meinen Haaren, fuhr mit den Fingerkuppen über mein Gesicht, wo sie auf meinen bebenden Lippen verharrten.

Irre Angst flutete in mir hoch, daß ich zitterte wie Espenlaub. Doch er sah mich nur an, so wie eine Katze eine sterbende Maus ansehen mochte und lächelte.

Dann schlagartig drehte er sich um und ging zur Tür. Ich spannte die Muskeln in Erwartung des Schlages, der kommen würde, kommen mußte, und schloß die Augen.

„Komm“, schnitt Garvinus´ Stimme in die lastende Stille, daß ich zusammenzuckte, als habe er mich geschlagen. Ich hörte wie zögernde Schritte ihm folgten. Mit einem hohlen Knarren fiel die Tür ins Schloß, und Dunkelheit umfing mich wieder.

Nun erst schluchzte ich, laut und schmerzhaft. Die Tränen rannen ungestört über mein Gesicht und ich haßte mich dafür, haßte mich für diese Schwäche. Und doch konnte ich nichts dagegen tun.

Wütend zerrte ich an meinen Fesseln, doch nur Schmerzen belohnten mein Aufbegehren. Schmerzen, die mir fast die Sinne raubten. Und so gab ich nach und fügte mich. Mein Schluchzen verebbte und dann hörte ich es.

Ein leises Rascheln, das feine Trippeln weicher Sohlen...

Ratten!

Die Angst preßte mir die Luft aus den Lungen. Ich stand wie erstarrt. Da streifte ein Fell meine nackten Knöchel. Eine feuchte Schnauze berührte mich kurz. Entsetzen schwappte in mir hoch. Rein reflexhaft wollte ich treten nach dem Wesen zu meinen Füßen. Doch mein Knöchel ruckte nur schmerzhaft an den Fesseln, die ihn umfingen.

Ich schrie. Ein entsetzlicher Laut in der klaffenden Dunkelheit, der zu einem klagenden Heulen herabsank.

Kalte Pfoten trippelten über meine Füße. Da bäumte ich mich noch einmal auf. Wie von Sinnen warf ich mich gegen meine Fesseln, fühlte wie das Blut daran herabrann und irrsinnige Schmerzen durch meinen Körper tobten.

Ich fühlte, wie mir die Sinne zu schwinden drohten, wie die Schwere des Todes sich in meine Glieder einzunisten begann. Und dann spürte ich das Schüffeln kalter Schnauzen an meinen blutigen Knöcheln.

Danach schrie ich wieder. Ich schrie, bis meine Kehle wund war, schrie weiter, aus Angst die Besinnung zu verlieren, aus Angst angenagt zu werden, während ich noch lebte. Schrie, bis mein Heulen nur noch ein heiseres Wimmern war.

Sterben wollte ich, nur sterben. Damit all das Leid endlich ein Ende hatte, damit ich nichts mehr fühlen mußte. Nicht mehr die kleinen Zähne spüren mußte, die sich in mein blutendes Fleisch gruben.

Nur das nicht! Nur das nicht...

Da wurde die Tür aufgerissen. Graue Helligkeit schwappte herein von einer weit entfernten Fackel. Ein Körper drängte sich herein, kam auf mich zu.

„Nicht“, schluchzte ich wie von Sinnen. „Bitte nicht!“ Ich hätte nicht einmal zu sagen vermocht, was ich meinte, doch immer wieder wiederholte ich stammelnd die Worte, bis sich eine schwere Hand auf meinen Mund legte.

Ich versuchte den Kopf zurückzureißen. Ein leises Wimmern entrang sich meiner Kehle, doch die Hand blieb unerbittlich.

„Scht“, flüsterte mir der Unbekannte scharf und befehlend ins Ohr.

In meinem Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Wer war das? War das ein neuer Trick von Garvinus, um mich doch noch zu töten, bevor die Garde kam, damit ich auf der Garnison in Gurick nichts mehr erzählen konnte?

Mit wachsender Angst versuchte ich, mich erneut von der Hand zu befreien. Mein Gegenüber drückte daraufhin meinen Kopf grob gegen die Wand, die andere Hand auf meine Brust stemmend, daß mir durch den Schmerz die Tränen in die Augen schoßen.

Ich keuchte.

„Halt endlich still“, wisperte mir die Stimme ins Ohr. „Wie soll ich dich sonst hier herausholen?“

Irgendetwas an der Stimme kam mir vertraut vor.

Harantor?

„Also“, wisperte der Fremde wieder. „Haben wir uns verstanden?“

Der Griff auf meinem Mund lockerte sich etwas. Ich sog gierig die Luft ein und konnte nicht verhindern, daß sich mir ein leises Schluchzen entrang.

„Ha...ran...tor“, stöhnte ich leise mit meinen letzten Kräften. Das mußte ein Traum sein. Harantor würde niemals auf das Gut kommen, um mich zu retten.

„Ja“, zischte er ungeduldig. Dann umfaßte er mit einem Arm meinen Oberkörper, um mich zu stützen, und machte sich mit der anderen Hand an meinen Fesseln zu schaffen.

Mein Kopf fiel gegen seine Brust. Ich fühlte, wie ich zitterte, und konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Mein Herz pochte laut und schmerzhaft. Trotzdem konnte ich mich über meine weibische Reaktion nicht schämen. Die Erkenntnis, daß ich tatsächlich gerettet wurde, schien mich meine letzte Kraft zu kosten. Ich konnte es einfach nicht glauben. Noch nicht...

 

Harantor

Da stand ich nun, und sah mir den Gang an. Der Staub lag vor einigen Türen dicht, aber vor mindestens der Hälfte der Türen. Die waren aus dicken Bohle, die jedes normale Geräusch dahinter schluckten.

Ich würde entweder jede Tür einzeln öffnen müssen oder mich hinter einer der Türen verstecken und darauf warten, daß sich eine andere öffnete, um so dann zu erfahren, hinter welcher Abzweigung des Ganges Alessan gefangen gehalten wurde.

Ich entschied mich dafür zu warten, denn ich konnte Alessan mit einer unbedachten Aktion eher gefährden, denn ihm nützen.

Ich schlich mich an das Ende des Ganges, die Muskeln angespannt, denn ich wußte nicht, ob sich im gleichen Moment vor mir eine Tür öffnen würde. Ohne daß etwas passierte oder auch nur ein Geräusch an meine spitzen Ohren drang, erreichte ich das Gangende. Vor der letzten Tür lag eine dicke Staubschicht, die nicht von trampelnden Füßen zerstört worden war.

Vorsichtig zog ich die Bohlentür auf und verschwand in dem Raum. Vor mir tat sich eine Abstellkammer mit alten Möbeln auf. Umso besser, denn so bestand keine Gefahr, daß sich noch jemand hierher verirrte, es sei denn, er hatte Sehnsucht nach einer alten Liege oder dem Stuhl seiner Kindheit.

Ich ließ die Tür einen Spaltbreit offen und spähte in das Dunkel des Ganges und harrte der Dinge, die da kommen würden.

Plötzlich drang, gedämpft durch Türen und dicke Mauern, ein wahnsinniger Schrei an meine Ohren. Irgendetwas ging da vor, und ich mußte eingreifen. Todesangst, kreatürliche Todesangst schwang in dem Schrei mit, und mir war der Junge, der diesen Schrei ausstieß inzwischen nur allzu bekannt.

Was machten die beiden da?

Dann begriff ich: Die Ratten im Sack waren auf den Jungen losgelassen worden. Mich schauderte es. Ratten haßte ich, denn sie konnten zu unberechenbaren Bestien werden, wenn man sie reizte. Und durch den Transport im Sack mußten die Biester so unberechenbar wie nur was sein.

Wahrscheinlich sollten ihn die Nager in den Wahnsinn treiben, damit er als völlig haltloser Verbrecher dargestellt werden konnte. Bei den Valar, nicht mal Alessan gönnte ich ein solches Schcksal.

Augenblicklich stieß ich die Tür auf, und folgte den Schreien Alessans, die mir als Wegweiser dienten.

Ich öffnete ohne nachzudenken die Bohlentür, und rannte mit gesenkten Kopf, einem wilden Stier gleich, durch den abzweigenden Kellergang.

Zwei Männer kamen mir entgegen, die für einen Moment wie gelähmt waren.

Die Erstarrung fiel von dem ersten ab, und er nestelte an einem großen, unterarmlangen Dolch herum, den er an der Seite trug.

Zwei schnelle Schritte und ich war bei ihm. Ein kurzer Hieb ans Kinn warf ihn zurück. Er prallte gegen die Mauer und rutschte ohnmächtig daran hinunter.

Der zweite, er hatte eine gebrochene Nase, warf sich mir entgegen. Ich hämmerte ihm mein Knie in den Magen, und er klappte zusammen. Dann zog ich mein rechtes Bein an und ich brach ihm seine Nase ein weiteres Mal.

Er taumelte und stöhnte vor Schmerz auf. Ich zog ihn wieder zu mir heran und schickte ihn mit einer kurzen Gerade ins Reich der Träume.

Die beiden gaben ein wunderschönes Bild ab. Immer noch hörte ich das Brüllen des Jungen. Ich kümmerte mich nicht weiter um seine Folterknechte, sondern ging schnellen Schrittes, den Kopf immer schön gesenkt, um mir nicht noch selbst den Schädel einzurammen, weiter.

Hinter der Tür klang noch sehr gedämpft ein Schluchzen und Wimmern auf, die Schreie waren verstummt. Ich schwor mir, wenn ihn der Wahnsinn in den Klauen hielt, würde ich ihn mit einem Stich erlösen.

Ich öffnete die Tür, eine Ratte versuchte an mir vorbei zu entkommen. Ich trat ihr auf den Kopf, leise konnte ich das Knacken des Genicks hören.

Vor mir an der Wand hing der gefesselte Junge in den Seilen. Alessan war dem Tod näher als dem Leben, so geschunden sah er aus, aber in seinen verheulten Augen war noch Leben, das kalte Glühen des Wahnsinns stand noch nicht darin zu lesen.

Nun mußte ich ihn nur noch hier herausbringen. Ich ging auf den Jungen zu...

 

Alessan

Endlich kamen meine Hände frei. Ich war so schwach, daß sie wie ein paar Steine an dem Balken herabgefallen wären, doch Harantor ließ sie langsam herabgleiten. Trotzdem wälzte sich ein Schmerz aus glühender Lava über meine Schultern, daß ich laut aufstöhnte und fast die Besinnung verlor.

Harantor hielt einen Moment inne, als wolle er lauschen. Dann packte er mich und schob mir seinen linken Arm unter den Achseln hindurch, um mich so zu stützen. Er ging unerwartet vorsichtig mit mir um, so vorsichtig, wie ich es seiner hünenhaften Statur nie zugetraut hätte. Dennoch entrang sich mir nochmals ein leises Stöhnen, daß ich dieses Mal jedoch zähneknirschend dämpfen konnte.

Dann zog mich Harantor langsam durch die Tür. Er ging behutsam, als wolle er mir genug Zeit lassen, damit ich neben ihm Schritt halten konnte. Doch er merkte anscheinend recht schnell, daß das illusorisch war. Denn er zog mich mehr neben sich her, als daß er mich stützte. So fest ich meine Hand auch in seiner Tunika verkrallte, ich war einfach zu schwach. Meine Beine trugen mich nicht mehr.

Harantor brummte etwas in seinen Bart und plötzlich fand ich mich auf seinen Armen wieder. Mit solcher Leichtigkeit wuchtete er mich hoch, als sei ich nur ein dreijähriges Kind. Dieser Elb mußte Riesenkräfte haben! Und trotz seiner Größe und meiner Last war er so leise, daß es fast unheimlich war.

Ich ahnte den Schatten mehr, als daß ich ihn sah, als ich über seine Schulter lugte.

„Vor...siccht“, konnte ich noch hervorwürgen, als Harantor sich im gleichen Augenblick herumwirbelte. Fast als habe er geahnt, daß jemand uns folgte. Es blitzte silbern in dem nur matt erleuchteten Gang auf, und ich erkannte ein Jagdmesser, das auf Harantor zuzuckte. Er warf sich zur Seite, mich ließ er dabei achtlos zu Boden gleiten, und warf sich auf seinen Gegner.

Schmerz durchzuckte mich und benebelte meine Sicht. Nur wie durch dichten Nebel sah ich die kämpfenden Gestalten, während ich krampfhaft darum bemüht war, nicht das Bewußtsein zu verlieren. Ich erkannte Garvinus, kurz bevor ein hammerharter Schlag von Harantor ihn mitten auf der Nase traf.

Er taumelte gegen die Wand. Aufglitzernd flog das Messer durch die Luft und klirrte nur wenige Handbreit von mir entfernt zu Boden. Ich spürte fast, wie Garvinus danach lechzte, und robbte stöhnend darauf zu. Mit letzter Kraft umschlossen meine klammen Finger den Griff und wieder fühlte ich, wie die Schwärze nach mir gierte, wie sie sich in mir ausbreitete, nach meinem Herzen greifen wollte.

Weit entfernt hörte ich den dumpfen Laut von brechenden Knochen. Schemenhaft erkannte ich wie Garvinus durch Harantors hochgerissenes Knie zu Boden ging, bevor er seinen Satz in Richtung des Messers auch nur andeuten konnte. Es folgten einige weitere dumpfe Schläge und ein schauerliches Ächzen. Dann war es vorbei.

Harantor trat auf mich zu. Wortlos beugte er sich zu mir herunter und zog mich hoch. Das Messer entglitt meiner Hand. Er hob es auf und steckte es ein, während er mir ein verständnisloses Kopfschütteln schenkte.

„Dummkopf“, brummte er dann und schleppte mich den Gang entlang. Ich versuchte ihm so gut es ging zu helfen, denn er schien verletzt zu sein. Sein Gang war seltsam schwer. Doch ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Glieder. Die Welt entfernte sich immer mehr von mir. Ich fühlte die frische Luft auf meinem Gesicht, als wir endlich die Gänge verließen. Und ich hämmerte mir ein: Du bist frei, frei! Aber es schien mir nichts zu bedeuten.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir schließlich den Waldrand, wo Harantor mich zu Boden gleiten ließ. Jemand erwartete uns dort und fing mich mit sanften Händen auf, ließ mich zu Boden gleiten, bis ich in den Armen des Unbekannten lag, den Kopf auf seine Schulter gestützt.

Mein Herz pochte wild und schmerzhaft. Die Anspannung fiel mit einer solchen Heftigkeit von mir ab, daß ich unkontrolliert zu zittern begann. Ich fühlte, wie ein Schluchzen sich in meiner Kehle einen Weg nach oben bahnte.

„Es ist gut“, wisperte eine sanfte Stimme, eine Stimme, die mich in den Träumen der letzten Stunden beruhigt und gewiegt hatte. Laurealka.

„Du bist in Sicherheit“, setzte sie noch hinzu, und ihre Arme drückten mich sanft an ihre Brust.

Meine Fassung brach. Das Schluchzen drängte sich wild und hemmungslos über meine Lippen. Ich weinte, am ganzen Körper zitternd wie ein kleines Kind.

Sachte begann sie meinen nackten Rücken zu streicheln. Die Finger ihrer anderen Hand wanderten in meinen Nacken und liebkosten ihn zärtlich. Und behutsam drückte sie mich an sich, mich einlullend in ihren Armen wiegend, ihre Wange gegen mein Haar gedrückt.

Ich fühlte, wie ihre Wärme mich durchdrang. Noch nie hatte mich jemand so voller Zärtlichkeit in den Armen gehalten. Ich weinte, als wolle ich die Welt in meinen Tränen ertrinken. Schlang die Arme um Laurealka, aus Angst, sie könne ein Traum sein, der plötzlich in meinen Armen zu funkelnden Sternen zerstieben könnte.

Doch sie blieb fest, beruhigend real und wiegte mich weiter, bis ich die Schwärze wieder fühlte, die entlang meiner Glieder zu meinen Herzen kriechen wollte. Ich keuchte voller Angst auf, wehrte mich gegen die beginnende Ohnmacht mit letzter Kraft, wollte die beruhigende Wärme dieses Körpers nicht aufgeben. Vergebens.

Kälte umklammerte mein Herz und meine Gedanken und ich fühlte, wie meine Arme von ihr herabglitten. Wie mein Kopf zur Seite sank.

Sanft fing sie mich auf. Ihr Gesicht neigte sich über meines. Ihre Miene voller Sorge. Ich sah noch wie ihr Mund sich bewegte, doch ich konnte nicht verstehen, was sie sagte. Ihre taubenblauen Augen bannten mich, hielten mich noch einen letzten Augenblick fest. Sie waren das letzte, was ich sah, bevor die Schwärze mich umhüllte.

Dann nichts mehr...

 

Ende von Buch 1

 

Fortsetzung folgt in Kapitel 7

Der Handelsherr


 

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