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Alessan 7 - Der Handelsherr

Magirian Wonder TaleAlessan
Kapitel 7
Der Handelsherr

Was bisher geschah ...

Nach den Ereignissen um den Tod Kalwes (vgl. Alessan Buch 1: Laurínamardi) hat Alessan auf Harantors Gut Nastados eine Heimat gefunden, doch es ist nicht leicht für den rebellischen Jungen ...

Alessan 7Alessan

Ich hasse es, den Hühnerstall auszumisten. Es stinkt einfach bestialisch. So ätzend ist der Gestank, daß er einem in der Kehle zu kratzen und in den Augen zu brennen scheint. Selbst mit einem ausgiebigen Bad scheint man ihn nicht wieder loszuwerden. Er sitzt tief in den Poren und der Lunge und nur ein starker Kaffee oder ein anderes starkes Getränk scheinen ihn vertreiben zu können.

Hühnerstall ausmisten war hier auf Harantors Gut die unbeliebteste Arbeit. Kein Wunder! Aber jeden hier traf in regelmäßigem Abstand das traurige Los. Selbst Harantor nahm sich davon nicht aus, ein Zug an ihm, den ich ihm hoch anrechnete. Sowie einige andere Dinge. Wenn ich ihn auch noch immer mit jeder Faser meines Körpers haßte für die Dinge, die er mir bei meiner Gefangennahme antat.

Ich dachte an einen anderen Tag, als Harantor mir das Ausmisten des Hühnerstalls als Strafe aufgebrummt hatte. Ich schwöre bei allen Göttern, eine bessere Strafe gibt es nicht! Jedenfalls war ich wütend gewesen, sehr wütend.

Denn nicht ich, sondern die neue Magd Magda hatte den Beutel mit Pfeifenkrautsamen gestohlen, den Harantor vermißte.

Aber dumm war sie nicht gewesen! Hatte sofort den Verdacht auf mich gelenkt und jeder hatte ihr natürlich geglaubt.

Merkwürdig, warum hatten mich die Verdächtigungen der anderen hier eigentlich so getroffen? Ich hielt inne.

Hatte ich etwa damals schon geglaubt oder gehofft, daß es hier anders sein könnte als auf dem Landgut von?

Allerdings gab es hier keinenGarvinus und auch nicht Regius, seinen Bruder, die hinter mir herhetzten. Die Gedanken an sie gaben mir einen Stich. Sie setzten einige der unangenehmsten Erinnerungen in meinem Leben frei.

Vergewaltigung! Ich! Ausgerechnet das mußte Magda gegen mich ins Feld ziehen, um endgültig den Verdacht gegen mich zu verdichten. Wenn Hinner nicht gewesen wäre, hätte man mich wohl mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt.

Ich habe es ihm nie gesagt, wie sehr ich mich über seine Hilfe gefreut hatte. Ich begriff bis heute nicht, warum er es tat. Er mochte mich nicht, zumindest damals nicht. Wie es in diesem Augenblick aussah, wußte ich nicht. Obwohl manchmal...

Ich hatte geweint. Nun konnte ich es zugeben. So groß war mein Schmerz gewesen über diese Anschuldigung. Ja, ich glaube wirklich, ich war der Ansicht gewesen, hier auf Nassetussa könne mir dergleichen nicht passieren. Daß es doch passiert war, traf mich umso tiefer.

Auf dem Landgut hatte es keinen Hinner gegeben...

War es Garvinus´ Rache gewesen, weil ich den wilden Eber geschossen hatte und ihm dadurch das Leben rettete? Hatte dieses Ereignis seinen Stolz so schwer angekratzt, daß er sich so entsetzlich an mir rächen mußte?

Ich sah wieder Anwens süßen Augenaufschlag vor mir. Roch den süßen Duft des frischen Heus. Wer hätte widerstehen können? Und dann Garvinus´ Gesicht über uns beiden...

Nackt hatte er mich aus dem Stall gezerrt, die heulende Anwen hinter sich herziehend, die er vor meinen Augen geschändet hatte. Nackt war ich auch noch gewesen, als ich als Strafe die zwanzig Stockhiebe erhielt.

Meine Strafe für Garvinus´ Vergehen! Meine Strafe dafür, daß ich besser mit dem Bogen umgehen konnte als er!

Die Erinnerungen schmerzten, würden wohl immer schmerzen. Aber der ohnmächtige Zorn von früher streifte mich nur kurz, trotzdem ich meine Hände zittern fühlte.

Garvinus und sein Bruder waren weit weg. Sie konnten mich hier nicht quälen. Irgendwann, irgendwie hoffte ich, ihn für all diese Demütigungen zahlen zu lassen. Später...

Hier war es anders, besser. War ich froh, daß ich hier war? Ich wußte es nicht. Sicher, hier quälte mich niemand. Aber es gab auch hier niemanden, der mich gemocht hätte. Niemand würde mich hier vermissen.

Niemand hatte mich jemals vermißt. Ich war immer allein gewesen, immer... Daran würde sich wohl nichts ändern!

Teufel, warum brannten meine Augen nur so? Heute war der Gestank aber wieder besonders ätzend!

Ich setzte meine ungeliebte Arbeit fort, vielleicht nur um auf andere Gedanken zu kommen, bis ein Ruf Hinners meine Neugier weckte...

 

Harantor

Wuchtig rammte ich den Spaten in den Dünger aus den Stallungen meines Geflügels. Fast ein Jahr hatte der Mist, vermischt mit Abfällen aus dem Garten Zeit gehabt sich in Kompost zu verwandeln, und somit die ätzende Schärfe zu verlieren, die Geflügeldung zu eigen ist, als mich das Rufen meines Knechtes Hinner von meiner Arbeit ablenkte.

„Harantor! Harantor! Am Strand...“, rief er völlig außer Atem.

Ich richtete mich auf und suchte den aufgeregt rufenden Hinner.

„Was ist denn los?“ rief ich ihm zu.

„Ein Schiff! Da liegt ein Schiff auf dem Strand!“ rief mir Hinner zu.

Ich stach die Forke in den kompostierten Mist meiner gefiederten Haustiere und winkte Hinner stehen zu bleiben.

Ich ging ihm entgegen. Als ich ihn schließlich erreicht hatte, war er wieder zu Atem gekommen.

„Die Männer haben Feuer entzündet und bringen Teer zum Kochen. Offensichtlich muß es kalfatert werden.“

„Das will ich mir ansehen. Komm mit Hinner“, sagte ich zu meinem Knecht, den ich, wie Karaval, in den Jahren, die er mir diente, schätzen gelernt hatte. Sie waren zuverlässiger als ich vermutet hatte. Im Grunde waren wir eher Freunde, denn Herr und Knecht und ich mochte diese Burschen wirklich.

In der Zwischenzeit waren noch fünf Mägde dazugekommen, um meinen wachsenden Haushalt zu betreuen. Aber da würde wohl bald zumindest eine Hochzeit anstehen, denn Karaval und Clahra hatten zueinandergefunden.

Dann gab es da noch Alessan, den jungen Hüpfer, den ich zunächst nur zur Gesundung auf Nassetussa aufgenommen hatte, der dann aber auf Laurealkas Bitten bleiben durfte.

Im ersten viertel Jahr hatte dieser Bengel nicht als Ärger verursacht. Er war aufsässig, widerspenstig und wollte nur seinen Kopf durchsetzen. Jede Anweisung betrachtete er als persönliche Beleidigung.

Hinner und Karaval hatten sein Verhalten richtig gedeutet. Der Junge war zutiefst verunsichert und verletzlich, und die beiden hatten ihn behandelt wie ein rohes Ei, waren behutsam gewesen, allerdings ohne Erfolg. Alessan war vollends mißtraurisch geworden und hatte sich fast völlig von uns allen zurückgezogen. Ich war drauf und dran einzugreifen und Alessan rauszuwerfen, vor allen Dingen nach seinem verstockten Verhalten mir gegenüber, als ich ihn über den fehlenden Pfeifenkrautsamen ausfragte. Aber alles kam ganz anders, und ich frage mich noch heute, was da eines Morgens im Hühnerstall wirklich vorgefallen sein mochte...

Jedenfalls war die Folge, daß die drei anscheinend Freunde wurden.

Meine Beziehung zu Alessan war komplizierter, vielschichtiger. Es dauerte lange, bis ich Alessan mehr als nur auf Nassetussa duldete. Der Tod Kalwes stand wie ein Fanal zwischen uns.

Doch die Schatten der Vergangenheit begannen zu verblassen, aber mehr auch nicht. Für mich war dieser Junge immer noch ein Fremdkörper, und wenn ich ehrlich zu mir war, ich wollte ihn noch garnicht verstehen.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als wir die Dünen erreichten. Vorsichtig lugte ich mit Hinner durch den Strandhafer zum Strand hinunter.

Ich sah einen Segler, der eine komische Mischung aus bauchigem Kauffahrer und schlankem Kampfschiff darstellte, zudem waren die Heckaufbauten sehr niedrig. Das Banner am Heck war eingezogen, aber es hätte mir auch nicht viel gesagt, da ich außer Tol Uinor auf Magira kaum etwas kannte. Ich war eben hier seßhaft geworden, liebte das Land, die Nähe zum Meer, mein Hühner, Enten, Gänse und mein Pfeifenkraut, das hier gut gedeihte und sehr aromatisch wurde.

Die Matrosen waren dabei das Schiff zu kalfatern. Teer wurde in Kesseln gekocht und da die Männer feuchtes Treibholz verwandten, rauchte es viel und der Teer stank zum Himmel.

Am Strand saß auf einem Stuhl ein kleiner dicker Mann, der Wein schlürfte und den Leuten bei der Arbeit zusah.

„Hol mir den Benngur“, wandte ich mich an Hinner. „Ich will mir das aus der Nähe ansehen.“

Hinner, der wußte, daß ich auf keinen seiner Einwände reagierte, zog sich zurück, um mir mein Schwert zu bringen.

 

Wellcyd

Was hatte mich nur an diese von allen Göttern verlassene Küste geführt? Waren es die Götter in ihrer unendlichen Allmacht, deren Wege unergründlich sind; das launische Schicksal oder das Unvermögen meines Kapitäns?

Gab es auf ganz Magira nicht noch bessere Plätze, um neue Märkte für den Handel unter den großen Städten zu erschließen und dazu noch ein bißchen ehrlichen Schmuggel zu betreiben. Aber diese Insel...

Es gab hier zwar eine Stadt, wo ich mein Schiff hätte kalfatern lassen können; Kruaul nannte sich das Nest, das so provinziell war, daß selbst das Freudenhaus exotische Wünsche nicht erfüllen konnte; aber der Preis auf der Werft war Wucher. Andernorts baut man für das Geld eine Flotte aus guten seetüchtigen Schiffen.

Also hatte Delvor, mein Kapitän, ein Mann von geringen Verstand, aber großer Trinkfestigkeit, den Vorschlag gemacht, Teer und alles übrige bei einem der Ausrüster zu kaufen, und sich eine einsame Bucht zu suchen, um dort die nötigen Ausbesserungen an der ‘Winterwind’ selbst durchzuführen.

So hatte Delvor, dem ich ob seiner seemännischen Fähigkeiten wohl oft unrecht tat, das Schiff bei Flut auf den Strand gesetzt. Die Männer hatten nachdem die Ebbe eingesetzt hatte, sofort damit begonnen, ihre Vorberei­tungen zu treffen, um die ‘Winterwind’ wieder hochseetüchtig zu machen.

Ich saß auf einem Stuhl und konnte meinen Leuten bei der Arbeit zusehen oder auf das Meer hinaussehen. Ich hatte beschlossen, Delvor Südkurs setzen zu lassen, sobald die Männer mit der Arbeit an der ‘Winterwind’ fertig waren, denn es galt noch ein paar Geschäfte zu machen. Drei neue Faktoreien hatte ich auf meinem bisherigen Weg gegründet und fähige und relativ ehrliche Verwalter eingestellt. Meiner Geldkatz würde das guttun.

„Herr“, sprach mich einer der Matrosen an. „Da kommt ein einzelner Mann.“

Ich wandte mich zu den Dünen um, und in der Tat, eine seltsame Gestalt kam die von dort herab. Er war hochgewachsen und trug ein Schwert. Es war wohl der örtliche Bauer, der ein gestrandetes Schiff geplündert hatte, - denn wie sonst kommt ein Tölpel von Erdwühler und Viehtreiber an ein Schwert? -, und sich nun als Herr über diese Gegend aufspielen wollte. Wahrscheinlich würde er versuchen, eine Art Gebühr zu kassieren. Nun gut, er sollte bekommen, was er verdiente. Zusätzlich bot sich mir die Gelegenheit, meine üble Laune an einem Unbeteiligten auszulassen.

Ich winkte meinen beiden Leibwächtern, stämmigen Burschen, die längere Zeit als Söldner in den verschiedensten Kriegen gearbeitet hatten, und nun für meine persönliche Sicherheit sorgten, mir zu folgen. Diesem Bauern würde ich eine Lektion erteilen...

 

Harantor

Ich ging aufrecht die Dünen hinab, und so war es nur natürlich, daß sie mich früher oder später entdeckten.

Bis Hinner, der nun hinter mir im Strandhafer lag, mir den Benngur geholt hatte, hatte ich die Szenerie, die sich mir am Strand bot, beobachtet. Zwei Männer waren mir sofort aufgefallen. Sie hatten nichts getan, waren bewaffnet und breitschultrig. Dazu trugen sie eine Rüstung, die aus den verschiedensten Himmelsrichtungen zu stammen schien. Lauter noch als das Gehabe der Männer, schrieen diese Rüstungen: ‘Wir sind Söldner!’

Ich hatte dieses Typen nur allzuoft gesehen, und nur ganz selten hatte ich sie lieb gewonnen. Meistens endeten unsere Begegnungen mit gebrochenen Nasenbeinen oder bösartigeren Wunden.

Trotz des merkwürdigen Schiffes, das halb Kauffahrer, halb Kampfschiff schien, machte der Eigner den Eindruck, eher ein Handelsherr aus fernen Ländern zu sein.

Als ich den Strand halb hinab gestiegen war, wurden die Männer am Strand endlich auf mich aufmerksam. Wäre ich ein Räuber mit einer Bande halbwegs fähiger Männer gewesen, dieses Schiff wäre bereits mein Eigentum.

Der Handelsherr, ein kleiner, dicklicher Mann, winkte seinen Söldnern, nachdem er mich ausgiebig gemustert hatte, und kam mir entgegen.

„Guten Morgen“, wünschte ich höflich, als die drei auf wenige Schritte heran waren. Sie blieben stehen, und die Söldner nahmen eine drohende Haltung ein, ihre Hände schwebten demonstrativ über den Schwertknäufen.

„Was willst du, Bauer? Möchtest du eine kleine Gebühr für die Benutzung deines Strandes kassieren? Geh doch wieder auf deine Felder spielen, und damit du es nicht vergißt, werde ich dir deine Gier austreiben lassen. Solche Typen wie dich gibt es wohl an jeder Küste“, höhnte der Handelsherr, statt meinen freundlichen Gruß zu erwidern.

Bevor ich überhaupt etwas sagen, konnte, hatte er seinen Söldnern ein Zeichen gegeben.

Wortlos setzten sich die beiden Schläger in Bewegung und zogen ihre Klingen.

Mir blieb keine Wahl, der Benngur glitt aus der Scheide. Ich wartete garnicht, bis sie mich erreichten, sondern griff beherzt an. Allerdings wollte ich sie nicht töten, aber ich hatte die ernste Absicht, ihnen eine Lektion zu erteilen, die sie ihr Lebtag, nicht vergessen würden.

Den ersten schickte ich den Sand, in dem ich ihm, noch bevor er seine Klinge völlig blank gezogen, mit meinen linken Fuß zwischen die Beine trat, so daß er sich krümmte, und gleich darauf hämmerte ich ihm mein Knie unters Kinn. Mit einem Grunzen versank er im Reich der Träume. Ich glaubte nicht, daß er von Frauen träumen würde...

Den zweiten konnte ich nicht mehr überraschen, er wich einige Schritte zurück und ging mit seiner Klinge in Kampfstellung.

Ich griff ihn an. Der ‘Benngur’, ein trotz seiner drei Fuß Klingenlänge enorm leichtes und hervorragend ausgewogenes Schwert, sirrte durch die Luft. Ich deckte den Söldner mit einigen Hieben ein, daß ihm hören und sehen verging.

Er schnaufte, versuchte sich verzweifelt zu verteidigen, aber ich ließ ihm keine Zeit, um Luft zu holen. Dann durchbrach ich seine Deckung, trat mit einem Ausfallschritt vor ihn und mit eine netten Lächeln hämmerte ich ihm meine Linke an die Schläfe.

„Guten Morgen“, wiederholte ich meinen Gruß freundlich. „Ich bin kein Bauer, und eure Söldner, sollten besser ein wenig üben.“

Der Handelsherr war zur Salzsäule erstarrt...

 

Wellcyd

Sowas hatte ich noch nie gesehen. Dieser Mann hatten meine hoch bezahlten und angeblich kampferprobten Leibwächter, wie Anfänger zusammengeschlagen und niedergemacht.

Bei den Göttern, nun geht es dir an den Kragen, schoß es mir durch den Kopf.

Ich erstarrte einfach zur Salzäule, aber meine Rechte hatte sich um Griff des Dolches mit der vergifteten Klinge geschlossen. Sollte dieser Mann, der wohl eher ein Krieger denn ein Bauer war, mich versuchen anzugreifen, würde ich ihn umbringen.

Ich hatte nicht umsonst jahrelang das aufreibende Geschäftsleben überlebt, um an einem von Göttern verlassenen Strand zu sterben, zerhackt von einen als Bauer getarnten Krieger.

„Guten Morgen“, wiederholte er seinen Gruß freundlich. „Ich bin kein Bauer, und eure Söldner, sollten besser ein wenig üben.“

Ich beschloß, weiter den Ängstlichen zu spielen.

„Ja, Herr“, stotterte ich. „Werdet ihr mich nun auch...“, ich deutete hilflos mit der freien Linken auf die beiden Schlafenden, und dabei beschloß ich ihnen, den Lohn zu kürzen.

Der hochgewachsene Blonde mit den schulterlangen Haaren schmunzelte.

„Nur wenn ihr die Hand nicht von dem Dolch laßt“, grinste er. „Ihr seid nicht halb so ängstlich wie ihr tut.“

Erst jetzt war ich wie vor den Kopf gestoßen. Ich ließ die Hand vom Dolch, und zeigte ihm meine Handflächen.

„Wie ihr wünscht“, entgegnete ich ihm, und überlegte dabei fieberhaft, wie ich die Situation retten könnte. „Darf ich Euch zu einem Wein einladen, aber bitte steckt Euer Schwert ein. Es macht mich doch ein wenig nervös und ungebetene Gedanken über das bevorstehende Lebensende sind überaus unangenehm und wollen nicht so recht zu diesem überaus heiteren Tag passen, guter Mann.“

„Gern, wenn ihr Eure Mannschaft über die veränderte Lage in Kenntnis setzt“, sagte der Mann offensichtlich amüsiert.

Er redet eben so gestelzt wie ich, dachte ich belustigt, doch um kein flaschen Eindruck zu erwecken unterdrückte ich ein Lächeln, denn mein Gegenüber hielt immer noch dieses übergroße Messer in der Hand.

Ich wandte mich um, und sah, daß sechs oder sieben Matrosen mit Enterhaken kamen.

„Geht zurück an eure Arbeit. Es ist alles in Ordnung, das war nur ein Mißverständnis. Bringt noch einen Kelch und einen zweiten Stuhl und sammelt den menschlichen Unrat auf“, wobei ich auf meine Leibwächter wies, und ich beschloß ihnen, ihre Weinrationen zu kürzen.

„Ich darf mich vorstellen. Ich bin Wellcyd Revellyn, Handelsherr aus XXXX, mit einigen Niederlassungen und Faktoreien in einigen Ländern unserer schönen Welt“, sagte ich nun freundlich.

„Ich bin Harantor, ich züchte Geflügel und baue Pfeifenkraut an“, war die karge Antwort.

Ich fragte mich, was einen Mann, der mit seinem Schwert ein kleines Vermögen verdienen könnte zur Geflügelzucht trieb. Bevor ich ihn aber nicht besser kannte, hielt ich meine brennenden Fragen zurück. Man fragt nicht nach eines Mannes Vergangenheit, wenn er so gut mit der Klinge umzugehen versteht, denn es könnte sein, daß er die Fragen mißversteht und er die Neugier statt mit Antworten mit guten Stahl befriedigt...

Wir gingen zu meiner improvisierten Tafel, und ich unterhielt mich nett mit dem Mann, der in Windeseile zwei Söldner ausgeschaltet hatte. Ich sollte trotzdem versuchen etwas mehr über ihn zu erfahren, ohne dabei allerdings zu offensichtlich neugierig zu erscheinen, vielleicht ließ er sich als Leibwächter anheuern. Statt viel zu fragen, sollte ich ihn erzählen lassen. Das erschien mir am besten zu sein...

Kaum saßen wir, fingerte er nach einem Lederbeutel, holte Papyrus hervor und legte braunes, offensichtlich getrocknetes Kraut hinein, drehte dies ein paarmal zwischen seinen Fingern und klebte das Papyrus mit seinem Speichel zu, in dem er die Zunge über den überstehenden Rand des Papyrus gleiten ließ. Mit Zunder und Feuerstein entzündete er dieses Gebilde und inhalierte den Rauch.

Der Geschäftssinn in mir erwachte...

 

Alessan

Die Schaufel in die Ecke werfend, kam ich gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Harantor ohne weiteres Aufhebens zwei Krieger am Strand flachlegte.

Bei allen Göttern, ein toller Auftritt! Wenn ich doch nur annähernd so gut kämpfen könnte wie er! Aber wer hätte sich wohl die Mühe gemacht, es mir beizubringen!

Ich ließ mich in den Sand fallen. Auf dem Bauch liegend, stützte ich den Kopf auf meine Hände und beobachtete das Treiben am Strand. Die frische Brise hier draußen war herrlich. Sie vertrieb all die dunklen Gedanken, die eben noch durch meinen Kopf gegeistert waren.

Die Hühner konnten warten! Immerhin fehlten nicht mehr viel und der Mist war weg!

Hinner kam an mir vorbeigetrabt und blieb kurz mit einem fragenden Blick stehen.

„Bist du schon fertig?“ erkundigte er sich mit zusammengekniffenen Augen, diesem komischen Ausdruck auf dem Gesicht, ein Mittelding zwischen wissendem Lächeln und einem mißbilligendem Blick.

„Nur noch ein paar Schaufeln“, entgegnete ich wahrheitsgemäß. Hinner wußte, daß ich nie log. Es war unter meiner Würde.

Er seufzte. „Du solltest fertig sein, wenn Harantor zurückkommt“, meinte er.

Er sagte nicht: Sonst bekommst du Ärger. Oder etwas ähnlich unnötiges. Das mochte ich an Hinner. Er schwafelte nicht rum so wie andere Leute.

„Keine Angst, Hinner“, lachte ich. „Ich werd schon rechtzeitig zurückkehren.“

Als ich seinen zweifelnden Gesichtsausdruck sah, setzte ich als Erklärung hinzu: „Ich hab noch nie ein Schiff gesehen. Nur von weitem, am Horizont.“

Hinner lächelte. „Schon gut, Junge“, gab er nach und ging zurück zur Farm.

So war Hinner, kurz und bündig. Das mochte ich an ihm. Was ich haßte, war, daß er mich immer wieder Junge nannte. Hölle und Pest, war ich denn ein Kind? Aber so richtig ärgern konnte ich mich darüber nicht mehr, nicht so wie am Anfang. Dafür kannte ich Hinner inzwischen zu gut. Ich wußte, er wollte mich damit nicht ärgern. Im Gegenteil, es war seine Art, nett zu mir zu sein.

Nett, nie hätte ich gedacht, daß irgendjemand einmal nett zu mir sein würde!

Ich schüttelte den Kopf. Merkwürdige Gedanken gingen mir in letzter Zeit durch den Kopf. Sie verwirrten mich, machten mich unsicher. Besser ich vergaß sie.

Als ich mich wieder dem Geschehen am Strand zuwendete, tranken Harantor und der kleine Dicke zusammen Wein und pafften dazu eine Pfeife.

Igitt! Wie konnte man nur dieses eklig stinkende Zeug rauchen!

Anscheinend hatten sie viel miteinander zu besprechen. Auch auf dem Schiff gab es nicht viel neues zu sehen. Es wurde langweilig.

Die Sonne brannte auf meinen Rücken und machte mich schläfrig, als ein Schatten hinter einem der vorgelagerten Felsen meine Aufmerksamkeit erregte.

Ich beschattete meine Augen. War das ein weiteres Schiff?

Ich stand auf und rannte ein paar Schritte den Strand hinauf, wo ich eine bessere Sicht auf die Felsen hatte. Dann sah ich es.

Es war tatsächlich ein Schiff!

 

Harantor

Kaum hatte ich meine Yulepse entzündet, glänzten die Augen des Handelsherren so merkwürdig. Er betrachte die Pfeifenkrautrolle mit unverhohlenem Interesse.

Ich trank einen Schluck Wein, den ein Matrose gebracht hatte, der mich mißtrauisch angesehen hatte. Er war weder zu trocken noch zu süß, schmeckte fruchtig und erfrischte mich.

„Was ist das da?“ fragte er und zeigte auf meine Yulepse.

„Das ist eine Pfeifenkrautrolle oder in meiner Sprache, Yulepse“, antwortete ich ihm. „Man kann es auch, gröber geschnitten, in einer Pfeife rauchen oder auch in Pfeifenkrautblätter gerollt.“

„Bei den Göttern, das ist interessant, das ist etwas, was auf Magira noch fehlt. Darf ich mal probieren?“ fragte er neugierig.

Ich schmunzelte.

„Seid vorsichtig, ich rauche eine sehr starke Mischung. Ungeübte husten danach oft. Wartet, ich gebe euch meine Pfeife. Dieses Kraut ist mit Früchte und Wein aromatisiert. Es ist mild und brennt nicht auf der Zunge.“

Ich stopfte ihm sorgfältig eine Pfeife und zündete sie ihm an. Dann zeigte ich ihm, wie sie zu rauchen ist.

Während ich dies tat, musterte mich Wellcyd genauestens. Ich spürte, wohin der Hase lief und freute mich schon auf seine Offerte. Natürlich würde er mich betrügen, aber ich war mit wenig zufrieden, es mußte nur reichen und gelegentlich ein paar Annehmlichkeiten auf dem Markt zu kaufen, meine Untergebenen zu bezahlen und darüberhinaus noch etwas für schlechte Zeiten in mein Versteck zu schieben. Nur übertreiben durfte er es nicht mit seinen Forderungen.

Er nahm die Pfeife in den Mund und sog genüßlich den Rauch ein.

Er hustete nicht, wie ich erwartet hatte, sondern schloß genußvoll die Augen.

„Ahh“, sagte er. „Das ist herrlich! Unglaublich entspannend, ein fantastischer Geschmack.“

Sein Gesichtsausdruck änderte sich von einen Moment zum anderen. Ein kalter Glanz war in seinen Augen.

„Habt Ihr schon jemanden, der dieses... ähh... Pfeifenkraut für Euch handelt?“ fragte er in einem Ton, der geschäftsmäßig kühl klang.

„Nein, bisher verkaufe ich einen Teil meiner Ernte in Kruaul. Aber das Geschäft ist eher schleppend“, antwortete ich wahrheitsgemäß, zu gegebener Zeit würde man sehen, was er bieten würde. Aber einen kleinen Angstmacher schob ich nach. „Ein Kaufmann in Kruaul hat Interesse gezeigt, das Geschäft im größeren Stil aufzunehmen.“

„Was soll Euch ein Kaufmann, dieser gottverlassenen Insel nützen? Sucht Euch einen Handelsherren und keinen Krämer. Ich wette der schleppende Verkauf, das liegt an einer fehlenden Marktstrategie. Ich würde mich, gegen eine Beteiligung selbstverständlich, um die Vermarktung, dieses Produkts in seinen verschiedenen Varianten bemühen. Ich glaube, wir sollten einen Vertrag aufsetzen...“, lächelte mich der Kaufmann an.

 

Wellcyd

Die Götter hatten mich hierher geführt, jubilierte ich innerlich. Seit der Erfindung des Bieres war dieser Genuß das beste, was Magira hatte passieren können.

Aber bevor ich die Luft ging und Magira, diesen Duft der großen weiten Welt präsentierte, mußte ich erst noch versuchen, einen für mich vorteilhaften Vertrag mit diesem Mann zu ergattern. Aber sein Verhalten, nachdem er meine Leute zusammengeschlagen hatte; ich beschloß ihnen, die Zuschüsse, für die Instandhaltung ihrer Rüstungen zu kürzen; war für mich Warnung genug. Dieser Mann ließ sich nicht so leicht übers Ohr hauen.

‘Vielleicht probierst du es mal mit Ehrlichkeit, dieses Produkt dürfte sich in solchen Massen absetzen lassen, daß genug abfällt’, sagte eine Stimme zu mir.

’Vielleicht höre ich sogar mal auf die Stimme meines Gewissens’, ging es mir wie eine Antwort durch den Kopf.

„Wieviel wollt ihr denn bezahlen?“ fragte mich mein Gegenüber.

„Ich denke, wir sollten den Gewinn im Verhältnis vier zu sechs teilen; sechs für Euch, versteht sich.“

Das Angebot erschien großzügig und bei vielen wäre nun dieses gierige Leuchten in die Augen getreten, denn die wenigsten dachten daran, daß es viele Wege gibt einen Gewinn mit ein paar Manipulationen so zu schmälern, daß er verdammt gering wurde und so doch der größte Teil des Geldes in meine Taschen floß.

Er schenkte mir ein Lächeln, das mich irgendwie nervös machte. So hatte er gelächelt, bevor er meine Jungens ins Reich der Träume schickte, und es war vielleicht überhaupt das beste, die beiden bei nächster Gelegenheit zu entlassen...

„Das ist nicht das beste Angebot. Der Kaufmann in Kruaul...“

Ich durfte ihn den Gedanken nicht zu Ende denken lassen, mußte ihn festnageln, deshalb fiel ich ihm ins Wort. Und ich sollte vielleicht versuchen, ihn nicht übervorteilen zu wollen oder der erzielte Mehrgewinn würde dafür draufgehen, daß ich mir ein Heer von Leibwächtern halten müßte, um diesen merkwürdigen Mann davon abzuhalten, einige unangenehme Dinge anzustellen, die in erster Linie auf meine körperliche Unversehrtheit zielen. Trotzdem gehörte ein bißchen Feilschen einfach zum Handwerk und so leicht kommt niemand aus seiner Haut.

„Hört zu. Es ist ein neues Produkt. Mag sein, daß mir die Ware gefällt. Aber ich muß erst aufwendig, die Menschen für Pfeifenkraut interessieren. Meine Kosten... Ich könnte Euch vorrechnen, was...“

„Ich bin sicher, Ihr könnt mir beweisen, wenn Ihr nachrechnet, daß Ihr keine Kupfermünze im Jahr verdient, und nur vom Ersparten Eurer Ahnen lebt“, schmunzelte der Blonde.

„Harantor, hört doch. Es ist so. Die Kosten sind der größte Feind des Kaufmanns. Sie ruinieren den Gewinn. Ich muß die Mäuler zahloser Bediensteter stopfen, Steuern müssen gezahlt werden...“, aber bevor ich mein Lamento steigern konnte, unterbrach er mich wieder.

„Hört auf, ich habe Kaufleuten gedient. Sie klingen wirklich überall gleich. Ihr werdet mich schon nicht zu sehr betrügen, und glaubt mir ich verstehe ein wenig von Buchhaltung...“, er ließ den Satz unvollendet und schenkte mir wieder dieses Lächeln, daß mich so beunruhigte. „Aber gut, holt Euren Schreiber, ich will unterzeichnen...“

Diese Worte hallten in meinen Ohren wieder, und ich dankte den Göttern. Aber bevor ich nach dem Schreiber rief, wollte ich noch auf etwas ansprechen...

„Welchem Namen habt Ihr Eurem Pfeifenkraut gegeben?“ fragte ich ihn. „Oft genug war es schon so, daß auch der Name darüber entschieden hat, ob sich eine Ware unters Volk bringen ließ.“

Er lächelte. Das ist Nassetussa Langrundblatt vom Südhang...“

Bei dem Wort Nassetussa krampfte sich etwas in mir zusammen. Mal abgesehen davon, daß der Name an sich viel zu lang und kompliziert war, als daß ihn sich irgendein möglicher Käufer würde merken können, erweckte Nassetussa in mir das Bild junger Frauen in feuchten Unterkleidern...

„Der Name ist vielleicht ein wenig umständlich...“, begann er, aber ich unterbrach ihn.

„Nicht nur umständlich. Auch Nassetussa, hat einen, bitte verzeiht, werter Harantor, fast schon komischen Klang“, versuchte ich es vorsichtig und lächelte entschuldigend. „Gibt es dafür vielleicht noch einen anderen Ausdruck?“

„Ja“, begann er nachdenklich. „Nassetussa ist Quenya. In einer anderen Sprache meines Volkes lautet er Nastados.“

‘Na bitte’, schoß es mir durch den Kopf. ‘Das klingt doch alles ganz anders’ und genau das teilte ich aus Harantor mit.

„Damit haben wir einen Namen“, kam ich zum Schluß, „auf dem wir unser Verkaufsstrategie aufbauen können...“

Gerade, als ich mich umwenden wollte, um nach meinem Schreiber zu rufen, tauchte hinter uns ein junger Mann zwischen den Felsen auf.

„Piraten!“ brüllte er aus voller Brust. „Piraten, da vorn!“

Er rannte uns entgegen

„Alessan!“ entfuhr es Harantor. Er sprang auf und sah aufs Meer hinaus...

Ende von Kapitel 7

 

Fortsetzung folgt in Kapitel 8

Räuber des Meeres


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