Das Projekt (He Knew All The Answers)
Das Projekt
(He Knew All The Answers) von Mack Reynolds
Er trug diese kühne Idee zwischen der Lektüre der Meinungsseite und der Börsenberichte seiner Frau vor.
„Was redest du da, Schatz?“ fragte sie dröge.
Martha erschien immer dröge zum Frühstück – das war einer der Gründe, warum Perkins seine Ehe zunehmend kritischer betrachtete. Der andere Grund war, dass er einen Abscheu für große Frauen hegte. Martha war doppelt so groß wie er. Man könnte hier die Frage aufwerfen, warum ihm das nicht schon vor der Hochzeit aufgefallen war. Aber wir berechnen hier Größe nicht in Zentimetern, sondern in Pfund. Und Martha wuchs weiter.
Er dozierte klar und verständlich – und legte gestisch Wert darauf, zu zeigen, wie klar und verständlich er dozierte: „Ich habe gesagt, dass ich keinen Grund habe zu glauben, dass das Licht anbleibt, wenn ich meine Augen schließe.“
„Ahso.“ Martha wandte sich wieder einer ihrer Lieblingstätigkeiten zu und bestrich ihren Toast mit einer abstoßend dicken Schicht Honig. Perkins' Aufmerksamkeit kehrte zurück zur Börsenseite.
„Aber, Jeremias“, wandte Martha nach einer Weile ein, „natürlich bleibt das Licht an, wenn du deine Augen schließt.“
Er hob die erwähnten Augen über die Zeitung, um seine Frau anzusehen und erklärte geduldig: „Ich hab ja auch nicht gesagt, dass es ausgeht. Ich habe nur gesagt, ich habe keinen Grund zu glauben, dass es anbleibt.“
Sein Blick kehrte zurück zu den Börsenberichten. „Was etwas völlig anderes ist“, fügte er hinzu.
Martha bekannte schüchtern: „Ich glaube nicht, das ich verstehe, was du da redest, Jeremias...“
Mit einer Geste mühsam zusammengeraffter Geduld legte er seine Zeitung beiseite und starrte durch die starken Brillengläser seines Kneifers. „Dann werde ich es mal ganz einfach erklären“, versprach er. „Du hast sicher von diesen Leuten gehört, die sich fragen, ob das Licht in ihrem Kühlschrank noch brennt, wenn die Tür geschlossen ist?“
„Aber ja!“ bestätigte Martha mit Enthusiasmus nickte so heftig, dass ihre Kinne widerlich zu wabbeln begannen. „Mrs. Klatz hat uns erst letzte Woche einen Witz darüber im Brigde-Klub erzählt, und...“
Er starrte sie kalt an, und sie gab es auf, ihm erzählen zu wollen, welche Pointe Mrs. Klatz über Kühlschrank-Licht in petto hatte.
„Ja, Schatz.“
Er fuhr fort: „Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, einer Person, die auch nur einigermaßen bei Verstand ist, zu demonstrieren, dass das Licht im Kühlschrank tatsächlich ausgeht, wenn die Tür geschlossen wird. Eine dieser Methoden könnte darin bestehen, ein kleines Kind in den Kühlschrank zu stecken und die Tür zu schließen. Allerdings ist dieses System fehleranfällig, denn es hängt von der Tendenz des Kindes ab, die Wahrheit zu sagen oder zu lügen. Ich persönlich neige nicht zur Leichtgläubigkeit und lehne diese Methode ab. Ein besserer Weg wäre, ein kleines Fenster in die Kühlschranktür einzulassen; dann kann eine zweifelnde Person selbst überprüfen, was passiert, wenn sie die Kühlschranktür schließt. Hab ich mich soweit verständlich ausgedrückt?“
Sie schluckte ihren Mund voll Honigtoast hastig hinunter und versicherte: „Ja, Schatz.“
„Sehr schön. Mein Problem ist nun, daß ich, während ich zufriedenstellend beweisen kann, dass das Licht im Kühlschrank ausgeht, wenn ich die Tür schließe, keinen plausiblen Beweis erbringen kann, dass das Licht anbleibt, wenn ich die Augen zumache.“
Sie blinzelte ihn an und verschüttete fast den Inhalt der Kaffeetasse in ihrer rundlichen Hand. Er bemerke wie immer, dass sie die Tasse mehr mit fetter Sahne als mit Kaffee gefüllt hatte.
Er fuhr fort, zu dozieren.
„Sagen wir, ich besuche die Nachmittags-Vorstellung eines Theaters. Welchen Grund habe ich anzunehmen, dass draußen weiter die Sonne scheint, während ich drin bin?“
Sie wandte zögerlich ein: „Du könntest in der Pause rausgehen und nachsehen.“
Perkins schnaubte verächtlich. „Aber verstehst du denn nicht? Wenn ich das machen würde, würden SIE das Licht wieder andrehen.“
Und damit kehrte er endgültig zu seiner Zeitung zurück, für ihn war das Thema damit abgeschlossen.
Vielleicht wäre diese Sache nie wieder zur Sprache gekommen, hätte Mrs. Perkins nicht bemerkt, dass ihr Mann zunehmend von der Idee besessen war, seine Vermutungen zu bestätigen. Zum Beispiel fiel ihr auf, dass Jeremias, unten im Keller mit seiner Giftpilzzucht beschäftigt, von Zeit zu Zeit wie wild die Kellerstufen hinaufrannte, um angewidert aus dem Küchenfenster zu starren.
Beim Mittagessen murmelte er, zu niemand speziellem: „Ich hatte es gestern fast geschafft, als ich zwei U-Bahn-Stationen vor meiner ausgestiegen und zur Straße hochgerannt bin.“
Selbst jetzt (Martha war eine besonders aufmerksame Ehefrau, wenn er diese Anfälle hatte, und glauben Sie nur nicht, dass dies der erste dieser Art war) hätte sie nichts weiter getan, wenn es eine Weile so weitergegangen wäre und er das Ganze dann allmählich vergessen hätte. Das Problem war – er vergaß es einfach nicht. Es wurde schlimmer. Er sann ständig über Möglichkeiten nach, tagsüber im Dunkeln zu sein – er hielt sich in Theatern, U-Bahnstationen, Kellern, Dachböden und fensterlosen Räumen auf - um plötzlich einen Spurt nach draußen zu machen, in der Hoffnung herauszufinden, ob die Sonne verschwand oder nicht, wenn er sich aus ihrer Reichweite entfernte.
Er schien sonderbar enttäuscht zu sein, wenn er sie am Himmel fand.
Eines Abends, als sie nach dem Abendessen im Wohnzimmer saßen, fragte sie ruhig: „Warum sollten SIE das wollen – das Licht ausmachen, wenn du die Augen schließt oder oder wenn du im Keller oder auf dem Dachboden bist?“
Er las grade den Kinsey-Report und sah ungeduldig auf. „Woher soll ich das wissen? Vielleicht, um ihre Macht zu wahren.“
Normalerweise trieb sie die Dinge nicht weiter, wenn sein Ton noch gereizter klang als sonst, aber diesmal wappnete sie sich und fragte: „Wer sind SIE, Schatz?“
„Wer ist wer?“ schnappte er. „Wenn du schon redest, versuch doch, dich einigermaßen klar auszudrücken, Martha.“
„Wer sind diejenigen, die das Licht ausknipsen könnten, wenn du die Augen zumachst?“
Er seufzte tief und schloß das Buch, einen Finger in der Seite dort steckenlassend, wo er stehengeblieben war. Er nahm seinen Kneifer ab und sagte: „Ich hab nicht die leiseste Idee. Aber, wer immer sie auch sind, ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass sie das ganze Projekt zunehmend schlampiger verfolgen. Extrem schlampig sogar.“
Nun, wo sie schon so weit gekommen war, hatte es wenig Zweck, den Rückzug anzutreten, also fragte sie so gelassen wie möglich: „Was für ein Projekt, Schatz?“
Er sah sie für einen langen Moment an, die Lippen fest zusammengekniffen vor Ungeduld.
„Na schön!" Sagte er endlich. „Ich sehe, du bestehst darauf, diese Rolle bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Zweifellos bist du so instruiert worden. Aber ich gestehe dir und deinen Vorgesetzten offen, dass ich euch durchschaut habe. Ich habe die Natur dieser... wie soll ich es nennen, Martha – dieser 'Welt'? durchschaut. Seit langem.“
Sie öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, doch er winkte aggressiv ab und fuhr fort. „Euer großer Fehler war, das Ganze so offensichtlich absurd zu gestalten. Wer auch immer an oberster Stelle dafür verantwortlich ist, wäre vielleicht erfolgreicher darin gewesen, mich zu täuschen, wenn er der Sache wenigstens einen Anschein von Plausiblität verliehen hätte.“
„Aber Jeremias...“
„Sei still, bis ich fertig bin, Martha. Ich habe vor geraumer Zeit festgestellt, dass der einzige Grund, warum diese sogenannte 'Welt' mit allem Drum und Dran überhaupt existiert, darin besteht, mich von der eigentlich Wahrheit fernzuhalten, meinen Geist zu trüben, und mich so zu verwirren, dass mir die eigentliche Wahrheit nicht ins Auge springt. Schön, ich behaupte, dass dieses Unternehmen ziemlich dilettantisch aufgezogen wurde. Ich räume ein, dass ich nicht ganz verstehe, warum diese Dinge passieren, aber was immer hier geschieht, ist sehr schlampig gemacht, versichere ich dir, sehr schlampig.“
Er setzte seinen Kneifer wieder auf den Nasenrücken und kehrte zu seinem Buch zurück, offenbar entschlossen, das Thema an dieser Stelle fallenzulassen.
Doch Martha war außergewöhnlich tapfer heute abend.
„Was ist absurd, Jeremias? Ich glaube nicht, dass ich verstehe, was...“
Er seufzte erneut tief, platzierte das Buch auf dem Teetisch vor ihm und steckte seinen Kneifer wieder in seine Tasche. „Fast alles“, sagte er ruhig. Für einen Augenblick sah er so aus, als hätte er sie vergessen, als würde er mit sich selbst reden. Seine Augen wanderten zur Decke, und er fuhr sanft fort: „Fast alles ist absolut absurd. Nimm zum Beispiel unsere Regierung und unser Gesellschaftssystem. Ist darin irgendetwas oder irgendjemand normal?“
„Du solltest nicht schlecht über unsere Regierung sagen, Schatz“, warf sie prüde ein und fühlte sich sehr selbstsicher in dieser Angelegenheit.
„Das sozio-ökonomische System dieses Landes ist extrem absurd“, fuhr er fort, sie ignorierend. „Man sollte nicht glauben, dass so etwas Lächerliches überhaupt existiert, und daran zweifeln, dass man diese Lächerlichkeit noch übertreffen kann, aber du mußt nur nach England schauen, um es noch lächerlicher zu finden. Und wenn du dir Rußland ansiehst, dann wird es erst richtig grotesk.
Und als ob das nicht reichen würde! Das ist noch gar nichts – die wahre Absurdität des Projekts enthüllt sich bis zum Punkt äußerster Überspanntheit, wenn du dir die zwischenmenschlichen Beziehungen anschaust. Nimm die zwischen den Geschlechtern als als klassisches Beispiel. Er fällt wirklich schwer, sich etwas Farcenhafteres vorzustellen als zwei Personen, wie wir beide, zum Beispiel, die sich einst verliebt haben, was immer das auch heißen mag, und die nun im ewigen Nebeneinander verharren für den Rest ihres Lebens. Der von IHNEN angestrebte Zweck dieser Übung ist zweifellos der, weitere 'Menschen' auszubrüten, um den ganzen Wahnsinn fortzusetzen.“
Martha begann zu weinen.
„Ach bitte!“ stöhnte er. „Gut, ich werde die Angelegenheit nicht weiter verfolgen. Ich wollte dir nur klarmachen, dass ich Bescheid weiß, dass ich realisiert habe, dass dies hier alles eine Farce ist, und dass du Teil der Komödie bist. Meinetwegen kannst du damit fortfahren, deine Rolle zu spielen.“
Er nahm seinen Kneifer aus der Tasche, setzte ihn erneut behutsam auf die Nase und kehrte zu den Forschungsergebnissen des Kinsey-Reports zurück. „Ich bin wirklich überrascht, das SIE zugelassen haben, dass dieses Buch gedruckt wird“, bemerkte er obenhin.
Nach einer längeren Periode des Schluchzens, gegen die er völlig immun zu sein schien, trocknete Martha ihre Augen und stammelte: „Vielleicht solltest zu zum Arzt gehen, Schatz.“
Ohne aufzusehen, informierte ihr Ehemann sie: „Ich habe diesen Vorschlag erwartet. Bitte erwähne ihn nie wieder.“
„Ja, Schatz. Aber, Jeremias...“
Er legte sein Buch zum drittenmal beiseite und schloss für einen langen Moment die Augen. Endlich öffnete er sie und sah sie ernst an. „Martha“, sagte er, „ich halte mich für eine überdurchschnittlich tolerante Person. Dennoch bin ich diese ganze Konversation langsam leid. Ich werde meine Schlüsse hier nur noch einmal darlegen, danach wünsche ich von dem Thema nie wieder etwas zu hören.
Die Frage, ob das Licht an Ort und Stelle bleibt oder ob es verschwindet, ist vergleichsweise unwichtig, obwohl sie mich zugegebenermaßen fasziniert hat. Entscheidend ist, dass die entsprechenden Experimente mir endgültig klar gemacht haben, welcher Natur die sogenannte 'Welt' mit seinen 'Bewohnern' ist. Mann kann mich nicht mehr täuschen.“
„Na gut“, seufzte Martha, „wenn man dich nicht mehr täuschen kann, gibt es auch keinen Grund mehr, sich zu verstellen.“
„Genau.“ bestätigte er gereizt.
Und so verwandelte sich Martha in ihre wahre Gestalt und glitschte aus dem Wohnzimmer und durch die Eingangstür, um ihren Vorgesetzten Bericht zu erstatten.
Jeremias machte sich nicht die Mühe aufzublicken, als SIE verschwand.
Das Projekt
(He Knew All The Answers)
Fantastic Adventures 1951/11
copyright not renewed
Übersetzung Matthias Käther © 2019
Anmerkungen: Mack Reynolds - He Knew All The Answers (Fantastic Adventures, 1951/11)