Ringo`s Plattenkiste: Type O Negative - Bloody Kisses
Type O Negative - Bloody Kisses
Der Februar endet rabenschwarz und grün, zumindest was die Plattenkiste betrifft. Denn die heutige Band ist bekannt für ihre düsteren Texte und ihr grimmiges Auftreten. Im groben Raster wird sie zwar dem Metal zugerechnet, ich selbst sehe sie aber eher in der Gothic-Ecke.
Wie im Rock-Zirkus üblich, gab es vor der endgültigen Bandkonsolidierung natürlich Vorläufer, und einer davon trug den schmissigen Namen Carnivore (Fleischfresser). Die Brooklyner Band Carnivore ging aus Fallout hervor, die von 1979 bis 1982 bestand und eine selbstfinanzierte Single in einer Auflage von 500 Stück veröffentlichte. Frontmann Peter Ratajczyk und Drummer Louie Beateaux gründeten dann die besagte Fleischfresserband, die anfangs den Namen Disciple (Jünger) trug. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass es einige Jahre später eine weitere Metal-Band mit demselben Namen geben sollte. Die Knoxviller Band Disciple allerdings war christlich orientiert, was die textliche Ausrichtung betraf.
Carnivore war extrem, was Musik, Lyrics und Auftreten betraf. Die Musik war roher, ungeschliffener Thrash-Metal. Die Texte provokant, radikal und teils menschenverachtend, was sich unter anderem in einem Song-Intro zeigte, das einen Ausschnitt aus einer Hitler-Rede beinhaltete. Was der Band zwar viel Ärger, gleichzeitig aber auch viel Publicity einbrachte. Die Live-Auftritte waren berüchtigt, da die Band gerne und reichlich Tierblut und rohes Fleisch ins Publikum verteilte (würg). Aus heutiger Sicht eher lächerlich war die Kostümierung der 3 Musiker, die einem postapokalyptischen Film zu entstammen schien. Viel Leder, Fell und selbstgebastelte Rüstungsteile erinnerten an Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel.
Trotz ihres radikalen Images erhielten sie einen Plattenvertrag und veröffentlichten 1985 ihr erstes , selbstbetiteltes Album dem 2 Jahre später ein zweites und letztes folgte. Carnivore lösten sich auf und Peter arbeitete für das New Yorker Parkamt, für das er die Mad Max-Klamotten ablegte. Ratajzcyk, der sich inzwischen Steele nannte, lernte den unerfahrenen Sal Abruscato kennen, dem Louie Beateaux das Schlagzeugspiel beibrachte. Bald stießen Kenny Hickey und Josh Silver hinzu, die Peter schon von Fallout her kannte und Steele ließ sich überreden, eine neue Band zu gründen. Nach einigem hin und her, zuerst lautete der Name Repulsion (Ekel, wie der gleichnamige Film von Roman Polanski), dann Sub Zero, einigte man sich auf Type O Negative, inspiriert von der gleichnamigen Blutgruppe. 0 Rhesus Negativ, wie der deutsche Name lautet, ist die seltenste Blutgruppe, die sich durch ihre Kompatibilität mit allen anderen Blutgruppen auszeichnet. 1975 nahm Udo Lindenberg übrigens einen Song mit diesem Titel auf: „Es war Mitternacht, ich ging spazieren…“ Vielleicht berichte ich über ihn auch noch einmal, denn sein Blutruppensong hat mich als Elfjährigen seinerzeit schwer beeindruckt.
Demoaufnahmen entstanden, deren Songs einer selbst erfundenen Legende nach Peter Steele in volltrunkenem Zustand innerhalb einiger Stunden geschrieben haben soll, die an Plattenfirmen verschickt wurden. Die Band landete schließlich bei Road Runner Records, bei denen zuvor schon Carnivore unter Vertrag waren. Das Label existierte seit 1979 und hatte Bands wie Annihilator, Atrocity, Korn, Biohazard, Dog eat Dog und später Korn, Slipknot und den Guns n´Roses-Dickhals Slash unter Vertrag. Das Label wurde später vom allmächtigen Warner-Konzern übernommen. Steele unterzeichnete den Vertrag mit einer Mischung aus seinem eigenen Blut und Sperma (Igitt!).
1991 erschien ihr erstes Album mit dem Titel Slow, deep and hard, nachdem der ursprüngliche Titel None more Negative verworfen wurde. Da der Vorschuss der Plattenfirma für anderes verpulvert wurde, finanzierte Josh Silver die Aufnahmen mit 6000$, die er sich von seinen Eltern geliehen hatte. Die Musik war laut, wütend und krachend, wie man es schon von Carnivore kannte, versprühte aber bereits ein wenig von dem, was zum Markenzeichen der Band werden sollte: lange, in sich selbst gegliederte Songs, an Black Sabbath erinnernde Gitarrenriffs und eine düstere, unheilschwangere Gesamtatmosphäre.
Textlich ging es aber gewohnt provokativ zu, vor allem was den Song „Der Untermensch“ betraf. Ein weiteres Mal, diesmal aber nachhaltiger, geriet Steele ins Kreuzfeuer der Kritiker, die ihn nun eindeutig in die rechte Ecke einordneten. Was der Band aber nur recht war, denn gerade dadurch erhielten sie unglaublich viel kostenlose Publicity. Ob das Spiel mit Begriffen aus dem Nationalsozialismus bewusst eingesetzte Provokation war oder nur aus Dummheit geboren war, bleibt offen. Jedenfalls distanzierte sich die Band ganz schnell davon. Auch der Song „Unsuccessfully Coping with the natural beauty of Infidelity“ wurde ob seiner (vermeintlichen?) Frauenfeindlichkeit scharf kritisiert. „The Misinterpretation of Silence and its desastrous Consequences“ ist hingegen ein Dummer-Jungen-Streich. Es handelt sich einfach um das Rauschen einer leeren Audiokassette. Die Band wollte, dass die Hörer denken, ihre Stereoanlage funktioniert nicht richtig funktioniert und sie deshalb die Lautstärke voll aufdrehen und beim nächsten Song mit geballter Lautstärke an die Wand geblasen werden würden. Ein echter Schenkelklopfer.
Das Cover war, wie es zum Markenzeichen der Band werden sollte, in Grün und Schwarz gehalten und zeigte die Nahaufnahme einer expliziten Szene aus einem Pornofilm. Steele distanzierte sich später übrigens und entschuldigte sich sogar für seine angebliche Frauenfeindlichkeit.
1992 erschien das Nachfolgealbum The Origin of the Feces, das vordergründig ein Live-Album ist, tatsächlich aber im Studio aufgenommen wurde. Durch geschicktes Abmischen und Hinzufügen von gestellten Publikumsgeräuschen und einem wegen einer fiktiven Bombendrohung unterbrochenen Song entstand ein rauher Live-Charakter. Die Songs waren Neuaufnahmen von bekanntem Material, einem unveröffentlichten Song und einer Coverversion: Aus Hey Joe wurde Hey Pete, womit natürlich Steele gemeint war. Der Albumtitel ist eine Anspielung auf Charles Darwin`s „The Origin of the Species“. Passend zum verballhornten Darwin waren auch die Photos der vier Musiker, die mit einem Häufchen garniert waren. Das Cover war erneut provokativ, denn es zeigte die Nahaufnahme von Steeles gespreiztem Hinterteil. Spätere Auflagen verzichteten auf das ekelhafte Bild und ersetzten es durch eine Grafik aus dem 15. Jahrhundert des Nürnberger Künstlers Michael Wolgemut.
Ein Jahr später erschien dann das Album, um das es heute geht: Bloody Kisses. Die Band vollzog einen rasanten Stilwechsel und kehrte den Trash-Elementen ihrer Musik und den Provokationen weitgehend den Rücken. Stammten die Songs des Debuts großteils noch aus Carnivore-Tagen, wurden die Titel für Bloody Kisses eigens für dieses Album geschrieben. Steele reizte auch die Herausforderung, wie er in einem Interview einmal sagte und wollte musikalisch anspruchvollere Songs einspielen. Aufgenommen wurde überwiegend in Josh Silvers Systems Two in Brooklyn, produziert wurde das Album von Josh Silver. Weitere Aufnahmen entstanden im Sty in the Sky, das ebenfalls Silver gehörte und vermutlich mit dem erstgenannten identisch sein dürfte.
Die Besetzung sah aus wie folgt:
Peter Steele: bass, lead Vocals
Josh Silver: keyboards, Synthesizers, Effects, Programming
Kenny Hickey: Guitar, Background Vocals
Sal Abruscato: Drums, Percussion
Unterstützt wurden die Drab Four, wie sie sich in Anspielung an die Beatles (kennt die jemand?) nannten, von:
Paul Bento: Sitar, Tambura
Eine Sitar ist das charakteristische Instrument der indischen Musik mit einem unverwechselbaren Klang. Bekannt wurde sie in den Sechzigern durch Ravi Shankar, der durch George Harrison Bekanntheit erlangte. Die Sitar ähnelt keinem westeuropäischen Instrument und besteht aus einem eher kleinen Resonanzkörper, der gewöhnlich ein Flaschenkürbis ist sowie einem sehr langen Hals mit verschiebbaren Metallbünden. Das Instrument hat üblicherweise 20 Saiten und wird im Sitzen gespielt.
Die Tambura, auch Tanpura genannt, ähnelt der Sitar in Form und Klang. Sie unterscheidet sich von der Sitar aber dadurch, dass sie keine Bünde hat und die 4 bis 5 Metallsaiten ungegriffen gezupft werden.
The Bensenhoist Lesbian Choir: Background Vocals.
Bensonhurst ist ein Stadteil Brooklyns in New York City, der unter anderem als Drehort für The Warriors , John Wick 3 und French Connection diente. Bensonhurst ist auch die Wiege der 3 Stooges, von Leah Remini, Sandy Koufax und Peter Steele. Der Chor selbst ist eine lose zusammengewürfelte,ständig wechselnde Truppe aus dem Freundeskreis Peter Steeles. Der lud nämlich gerne Freunde und Bekannte zu den Aufnahmen ein.
The Brooklyn Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Verdigris Phlogiston, offensichtlich einer fiktiven Person. Phlogiston ist übrigens der Name einer hypothetischen Substanz, von der man früher annahm, dass sie bei der Verbrennung entsteht. Verdigris ist ein Oxidationsprodukt von Kupfer und auch Messing und wurde zur Herstellung von Farben im Farbton Grün verwendet.
Erasmus High SchholBoys Special Edition. Hinter diesem sperrigen und schrägen Namen verbergen sich die Life of Agony Musiker Keith Caputo, Joey Zampanella und Alan Robert.
Das Album erschien im August 1993 als Doppel-LP im Gatefold mit einem
sehr ästhetischen Cover, das die Köpfe zweier Frauen zeigt. Steele äußerte sich nur vage zur Bedeutung der Photographie und überließ es dem Betrachter, eigene Schlüsse daraus zu ziehen. Küssen sich die beiden Damen, schlafen sie oder sind es gar die Portraits von zwei Toten? Im Kontext mit dem Albumtitel tendiere ich zu ersterem
Klappte man das Cover auf, erblickte man die Portraits der vier Musiker in Negativ-S/W. Die Platten selbst steckten in bedruckten Sleeves. Auf jeweils einer Seite standen die Lyrics während die andere s/w-Photos zeigte: einmal die vier Musiker, einmal 4 Gestalten in Schutzanzügen.
Bloody Kisses wurde ein Jahr später auch als CD im schmucken Digipak veröffentlicht, allerdings nur mit 8 Tracks des Original-Albums. Als Schmankerl gab es das bisher unveröffentlichte „Suspended in Dusk“ dazu. Aber auch die Reihenfolge der Songs auf der CD war anders.
Hier die Tracklist des Original-Albums:
Seite 1:
- Machine Screw
- Christian Woman
- Body Of Christ (Corpus Christi)
- To Love God
- C. Looks Like Me
- Black No. 1 (Little Miss Scare-All)
Seite 2:
- Fay Wray Come Out And Play
- Kill All The White People
- Summer Breeze
- Set Me On Fire
Seite 3:
- Dark Side Of The Womb
- We Hate Everyone
- Bloody Kisses (A Death In The Family)
Seite 4:
- 0.I.F.
- Too Late: Frozen
- Blood & Fire
- Can't Lose You
Sehen wir uns die Songs ein wenig genauer an
Machine Screw eröffnet das Album mit einer industrialartigen Soundcollage, die mit wollüstigem Stöhnen garniert ist, das von einer Freundin Silvers stammt. Dieser Track fehlt übrigens auf der CD, was aber nichts macht.
Christian Woman ist ein Song, den Steele über eine frühere Freundin geschrieben hat. Sie war – wie Steele auch – Römisch-Katholisch und liebte die Herausforderung. So verkleidete sich Steele ihr zuliebe als Priester bevor er mit ihr ins Bett ging. Der Song besteht aus drei Teilen, deren Titel recht zweideutig sind: Steele vergleicht sich hier recht selbstsicher mit Gott und Jesus Christus (She needs… the Body of Christ/Jesus Christ looks like me). Der Dreiteiler beginnt mit einem einfachen aber sehr eingängigen Keyboardriff, das an einen Kirchenchor erinnert und in einen dynamischen, langsamen Rocksong übergeht. Der Mittelteil ist ruhig und lyrisch: über Vogelzwitschern schwebt eine akustische Gitarre und Peter Steele singt mit seiner sehr angenehmen und tiefen Stimme. Fast meint man, versehentlich PME-Musik aufgelegt zu haben, doch bald schon wird es rockiger. Drums und E-Gitarre setzen ein und der letzte Part bringt mit einem markanten Gitarrenriff wieder ordentlich Rock ins Spiel. Interessant an diesem Song sind sowohl der abwechslungsreiche Aufbau sowie das harmonische Zusammenspiel elektrisch verstärkter Instrumente mit Der Song wurde in einer gekürzten Version als Single ausgekoppelt und avancierte zu einem der bekanntesten Songs der Band.
Black No. 1 (Little Miss Scare-All) beginnt mit einem eingängigen Basslauf und Sixties-Orgel-Einsprengseln, die ein wenig an die B 52`s erinnern. Black ist anfangs sehr rockig, wartet im Mittelteil mit einem Spinett auf und wird richtig lyrisch. Die Musik ist originell und abwechslungsreich und erinnert stellenweise an die Titelmelodien von The Munsters und The Addams Family. Vor allem in den drei letzten Minuten. Der Song ist mit 11 Minuten der längste des Albums.
Der sarkastische Text handelt von einem Gothic-Girl, mit dem Steele damals liiert war und die man zuhauf in den einschlägigen New Yorker Clubs finden konnte. Dieses Girl konnte überhaupt nichts mit Steeles Musikgeschmack anfangen und kritisierte ihn ständig dafür. Am meisten aber störte es ihn, dass diese Art Mädchen sich selbst so unglaublich ernst nahm. Steele schrieb den Song nach eigenen Angaben, als er einen Müllwagen kutschierte. Auch dieser Song wurde als Single ausgekoppelt, ebenfalls radiotauglich zurechtgestutzt. Zusammen mit Christian Woman wurde er zu einem der bekanntesten Songs der Band und machte sie auch über die Grenzen des Undergrounds hinaus berühmt. Was ihnen viele Hardcorefans übelnahmen und sie des Ausverkaufs und der Mainstream-Anbiederung beschuldigten. Im dazugehörigen Video wirken übrigens die Life of Agony Musiker mit, verkleidet als Droogs in Anlehnung an Stanley Kubricks Meisterwerk Clockwork Orange.
Seite 1 ist dann zu Ende, drehen wir die Platte also um
Fay Wray Come Out And Play ist ein so genanntes Segue, also ein Part, der einen nahtlosen Übergang von einem Song zum nächsten erwirkt. Zu hören gibt es Dschungelgeräusche im Hintergrund sowie eine Art afrikanisches Beschwörungszeremoniell zu dem eine (wahrscheinlich blonde) Frau angstvoll schreit. Es ist, nicht nur aufgrund des Songtitels (Fay Wray war die Schauspielerin, die die Rolle der Dwan im allerersten King Kong verkörperte) offensichtlich, dass sich die Band hier von King Kong inspirieren ließ. Auch dieser Track fehlt auf der CD.
Kill All The White People ist Thrash, wie man ihn aus der Anfangszeit der Band kannte. Titel und Text des Songs, der mit nervigem MG-Geknatter untermalt ist, sind eine Art unbeholfene und eher peinliche Distanzierung von dem – selbstgeschaffenen - Bild aus den Anfangstagen, speziell des ersten Albums. Dieser Track ist ebenfalls nicht auf der CD-Version.
Summer Breeze ist eine Coverversion, die im Vergleich zum beschwingten Original sehr schleppend, düster und mit Black Sabbath- Riffs verziert ist. Steele erzählte, dass es ihm Spaß machte, softe Songs in ein härteres Gewand zu stecken. Und so suchte er sich diesen Schmusesong des Duos Seals & Croft aus. Coverversionen dieser Art wurden im Laufe der Zeit zu einem Markenzeichen der Band. So fand Neil Youngs Cinnamon Girl seinen Platz auf dem Nachfolgealbum October Rust. Auch Summer Breeze wurde als Single ausgekoppelt.
Set Me On Fire ist textlich eine Reminiszenz an den vorangegangenen Song, den Steele ursprünglich zu Summer Girl umdichten wollte. Aber auch der Song selbst entsteht nahtlos aus dem vorangegangenen. Er ist ein gelungenes Beispiel einer Fusion von Metal und …Pop! Der Song ist sehr eingängig und lädt durch seine Beschwingtheit zum Mitsingen und Tanzen ein. Die La-Lahs tun ein Übriges. Richtig geil ist die Schweineorgel gegen Ende.
Soviel zur ersten Scheibe
Dark Side Of The Womb ist eine erneute Klangcollage, zu der die Band offensichtlich durch Pink Floyd inspiriert wurde. Zu hören gibt es Babygeschrei und industrialartiges Gewummer.
We Hate Everyone ist ebenfalls eine Reaktion auf die Vorwürfe, die Band sei rechts orientiert. Dem Song liegt die plumpe und etwas naive Aussage zugrunde, dass man wohl kaum ein Rassist sein kann, wenn man ohnehin alle Menschen hasst und verachtet und somit gleich behandelt. Der Song ist richtiger Punk. Zwischendurch gibt es Marschstiefel und Orgel zu hören, bis der eigentliche Song beginnt, der musikalisch eigentlich perfekt zum Albumkonzept passen würde. Silver steuert ein typisch 80er Keyboardriff bei und Steele singt sehr melodisch. Ein toller Song. Bis auf den blöden Text.
Bloody Kisses (A Death In The Family) dreht sich um Steeles verstorbene Katze Venus, die er 17 Jahre lang hatte. Da er der Meinung war, ein über 2 m großer Kerl mit langem, schwarze Haar und finsterem Gesichtsausdruck wirkt peinlich, wenn er um seine verstorbene Katze trauert, schrieb er den Text metaphorisch. Der Song beginnt sehr sakral mit Kirchenorgel und schleppt sich düster und gaanz langsam dahin. Steele singt den Text eigentlich gar nicht, sondern trägt ihn elegisch, wie bei einem Begräbnis, vor.
Drehen wir also auch diese Scheibe um
3.0.I.F. ist wieder ein Segue, zu dem Steele durch einen (realen oder nur fiktiven?) Motorradunfall inspiriert wurde. Zu hören ist Motorradgeknatter in sehr schönem Stereo, das in mit viel Hall unterlegtem Stimmengewirr übergeht. Und ganz zum Schluß hört man, wie das Motorrad den besagten Unfall baut.
Too Late: Frozen handelt von einer Frau, mit der Steele über 10 Jahre zusammen war und die ihn nach Strich und Faden betrog. Der gleichen Dame widmete er bereits den Song „Unsuccessfully Coping with the natural beauty of Infidelity“ vom Debutalbum. Der Song ist zwar gewohnt düster, aber gleichzeitig auch melodiös-beschwingt, poppig und erinnert stellenweise an die Beatles (kennt die jemand?).
Blood & Fire ist ein richtiger Kracher mit einem gewaltigen Gitarrenriff, das unter die Haut geht. Silver spielt hier mal wieder seine Sixties-Orgel, die in krassem Gegensatz zum harten Sound steht, aber nichtsdestotrotz perfekt passt. Zwischendrin gibt es wieder sehr elegische und schwebende Parts mit viel Synthesizerschwaden und Akustikgitarre.
Can't Lose You ist der letzte Track des Albums, und hier gibt es endlich die indischen Zupfinstrumente zu hören, die den sehr psychedelischen einleiten und begleiten. Der Song ist wieder sehr langsam, ähnlich wie der Titeltrack. Can't Lose You entwickelt sich immer mehr zu einem Gegenstück zu I am the Walrus. Die Sitar dominiert, es kommen Chöre hinzu und die rhythmischen Background-Vocals sind direkt der oben genannten Beatles-Komposition entliehen.
Und dann ist das Album leider schon zu Ende
Um das Album zu promoten, ging die Band auf eine ausgedehnte Tour, die knapp 2 Jahre dauern sollte. Sal Abruscato verließ die Band und wurde durch Johnny Kelley ersetzt. Bloody Kisses verkaufte sich sehr gut und erlangte Platin-Satus in den USA. Hierzulande schaffte es das Album sogar auf Platz 29 der LP-Charts.
3 Jahre später erschien mit October Rust das lang erwartete Nachfolgealbum, das sich noch besser verkaufte. 1999 und 2003 erschienen noch zwei Alben, bis Peter Steele eine vierjährige Pause einlegte. 2004 verließen Steele und seine Mannen Roadrunner zu Gunsten von Steamhammer Records wo 2007 schließlich das allerletzte Album der Band erschien, die sich 2010 auflöste. Für kurze Zeit begleitete 2009 Scott Warren die Band als Tourkeyboarder.
20011 erschien bei Roadrunner eine Box mit allen LP`s mit Ausnahme des letzten Albums. Origin of the Feces war mit dem Original-Covermotiv vertreten. Als Zugabe enthielt die Box noch einige Aufkleber.
2023 war für kurze Zeit eine Reunion im Gespräch, aus der aber nichts wurde. Kenny Hickey aber wollte nicht mit einem neuen Sänger arbeiten und Josh Silver konnte und wollte nicht wegen seinen beruflichen Verpflichtungen.
Type o Negative waren eine äusserst originelle und prägende Band, was nicht zuletzt am charismatischen Peter Steele lag. Ihre Musik war sehr eigen und hatte einen hohen Wiedererkennungswert. Irgendwie eine Mischung aus Black Sabbath und den Beatles. Auch optisch waren sie eigen: Outift, Bühnendeko und das gesamte Coverdesign waren in charkteristischem Grün und Schwarz gehalten. Das für die Band typische Minuszeichen, natürlich ebenfalls in Grün und Schwarz gehalten, trugen alle Bandmitdglieder als Tatto auf ihrem Körper. Steele entwarf, in Anlehnung an weitschweifige skandinavische Vorfahren, sogar eine Fahne: ein skandinavisches Kreuz in Grün, Schwarz und ein wenig Weiß. Die Flagge wurde als Teil der Bühnendekoration verwendet, zierte aber auch die Rückseite aller Alben ab 1996 mit dem Vermerk: Product of Vinnland. Der isländische Seefahrer Leif Eriksen gab diesen Namen dem teil Nordamerikas, auf dem er versehentlich gelandet war, als er vom Kurs abkam.
Die Band war mir bis zum Erscheinen des Albums völlig unbekannt, und auch das Metal-Genre interessierte mich zu dieser Zeit nicht besonders. Was sich mit Bloody Kisses aber schnell ändern sollte. Meine damalige Freundin stand auf harte Musik, knackige Riffs und langmähnige Männer und schleppte eines Tages das Album an. Tatsächlich hatte sie auch den Erstling der Band zuhause, der mich aber nicht sonderlich ansprach. Bloody Kisses aber überzeugte mich, vor allem wegen der Gothic-Atmosphäre und den tollen Songs. Und so war es kein Wunder, dass die Platte täglich auf dem Teller lag. 1996 fuhren wird dann auf ein Metal-Open-Air mit dem Titel Underground-Festival ins österreichische Wels, bei dem neben Life of Agony und Fear Factory Sepultura und Type 0 Negative auftraten. Letztere spielten vor den Brasilianern, die im Rahmen ihrer Roots-Tour einige der auf dem Album mitwirkenden Xavante-Indios dabei hatten. Aber um die geht es heute nicht.
Ich hatte Glück, denn ich konnte einen Platz unmittelbar vor der Bühne ergattern und stand keine 2 Meter entfernt von Peter Steele, der in der Tat eine imposante Erscheinung war. Über 2 Meter groß, lange schwarze Haare. Seinen Bass trug er in gewohnter Art und Weise mit einer massiven Eisenkette über dem nackten Oberkörper. Beim Singen konnte ich seine spitzen Eckzähne zu erkennen. Bis heute ist nicht ganz klar, ob sie nun zugefeilt waren oder ob es sich um Kronen oder Implantate handelte. Bloody Kisses ist eigentlich das einzige Album der Band, das mich anspricht, obwohl auch der Nachfolger October Rust seine Stärken hat, obwohl es mir damals nicht besonders gefiel. Die beiden ersten Platten - naja. Steele war eine solch markante Figur, dass es sogar eine Actionfigur von ihm gibt. Beim Hören muß ich sagen, dass mir die abgespeckte CD-Version im Vergleich zum Doppelalbum wesentlich besser gefällt. Einerseits fehlen die nervigen Soundscapes, andererseits passen die Trash-Kracher vom Vinyl nicht so zu den restlichen Songs. Die CD wirkt deutlich homogener und auch stilvoller. Für mich war Bloody Kisses das Meisterwerk der Band, an das sie künstlerisch nicht mehr anknüpfen konnten, obwohl sich die Nachfolgealben noch besser verkauften. Bis dann schließlich 2007 mit Dead again das allerletzte Album der Band erschien, bei
dem sie sich in Höchstform zeigte: ein durchgehend erstklassiges Album mit genialen Songs, die einer gereiften Band, die einen gekonnten Bogen vom Sound ihrer Anfangszeit bis zu Bloody Kisses schlug. Ein Album voller Knaller und ohne Füller, in sich selbst geschlossen und homogen. Ein Album, das am deutlichsten nach den Beatles klingt..
Später erschien eine 2-fach CD-Edition mit allen Tracks des Original-Albums auf der ersten Disc sowie bisher unveröffentlichte, bzw. andersweitig veröffentlichter Tracks. Im Februar 2025 wird das Album zusammen mit einer 122-seitigen GraphicNovel erneut aufgelegt.
Was wurde aus den Beteiligten?
Peter Steele veränderte sein Outfit ein wenig, indem er sich einen zappaesken Bart stehen ließ und im Priestergewand mit römischen Kragen in grün auftrat. Er ließ sich 1995 hüllenlos für eine Ausgabe des Playgirlablichten, erfuhr aber viel zu spät, dass die Hauptleserschaft ausmännlichen Homosexuellen bestand. Auch hiervon versuchte er sich auf unbeholfene Art zu distanzieren, indem er einen Song mit dem Titel „I love Goils“ aufnahm. Steele verstarb am 14. April 2014 an Herzversagen, dem eine Sepsis aufgrund einer Dickdarmentzündung vorausging. Am 15. April war folgendes Statement auf der Webseite der Band zu lesen:
„It is with great sadness that we inform you that Type O Negative front man, bassist, and our band mate, Peter Steele passed away last night of what appears to be heart failure. Ironically Peter had been enjoying a long period of sobriety and improved health and was imminently due to begin writing and recording new music for our follow up to "Dead Again" released in 2007.
The official cause of death has yet to be determined pending autopsy results. The funeral services will be private and memorial services will be announced at a future date. We'd like to share our thoughts and those of Peter's family below. We are truly saddened to lose our friend and appreciate the tremendous outpouring today from around the world.“
Sincerely,
Josh, Kenny and Johnny
Josh Silver erfüllte sich einen lange gehegten Wunsch und machte eine Ausbildung als Rettungssanitäter und arbeitet als solcher bis heute bei der New Yorker Feuerwehr.
Kenny Hickey spielte nach dem Split zusammen mit Johnny Kelley bei Silvertomb und Seventh Void. Gelegentlich begleitet er Glenn Danzig als Gitarrist bei Live-Auftritten.
Sal Abruscato verließ die Band kurz nach Erscheinen der Platte und schloss sich Life of Agony an, bei denen er mit Unterbrechungen bis 2017 blieb. Sal wurde 1993 durch Johnny Kelly ersetzt, der später zu Danzig wechselte.
© by Ringo Hienstorfer (01/2025)
Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten Mal geht es um Pferdefliegen, die Schlaflieder singen...
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Kommentare
Ich habe das erste Album von Carnivore damals als Schallplatte gehabt. Das war einfach Provokation pur.
Jack Daniels & Pizza (weiss gar nicht mehr, auf welcher Platte das ist) lief bei uns auf jeder Party :)