Der Tourist
Dunkel; keine Sterne. Schwefelgelbes Licht entlang der Zufahrtsstraße. Auf dem Parkplatz vor dem Motel standen zwei Wagen, beide ohne Kennzeichen. Verbrennungsmotoren. Steinzeittechnik. Keine Spur von Leben.
Der Tourist wandte sich ab und schaltete den Fernseher ein. Die Kathodenröhre flappte, flackerte und flammte auf. Pornokanal, ohne Ton. Der Tourist zündete sich eine weitere Zigarette an. Das ganze Zimmer flimmerte. Simulierte Fortpflanzung als Perpetuum mobile. In weiter Ferne der langgezogene, klagende Pfiff einer Lokomotive. Der Tourist fröstelte. Er spürte die Leere. Den Hunger. Den Durst. Er rauchte eine weitere Zigarette. Es half nichts.
Er hielt sich im Schatten. Das war einfach. Nebenstraßen, Dachvorsprünge. Backsteinmauern voller Unebenheiten, griffiger Risse. Flackernde Leuchtreklametafeln. Nachts schaut niemand nach oben. In einem Hinterhof, aus einem rot pulsierenden Fenster Lachen, Schreie, Musik, zwischen aufgeplatzten Abfallsäcken ein Mann, in Lumpen und einer Lache aus Pisse und Kotze. Der Tourist beugt sich über den Mann, der Mann erwacht, der Mann würgt, schreit. Das Rot pulsiert. Kohlenstoff, Aminosäuren. Fett, Proteine. Zwei Drittel Wasser. Endoskelett. Extrem defizitäre Homöostase, extrem limitierte Lebensdauer, zwei Geschlechter, nur eins fortpflanzungsfähig, keine Selbstbefruchtung, auch nicht bei Mutationen. Chromosomenzahl seit Jahrmillionen unverändert.
"Fragt mich der Typ, ob ich wo ´ne Nutte kenne, die irgendwie, wie hat er´s noch gesagt, warte, de-formiert ist oder so. Der ´n Arm fehlt oder ´n Bein oder so."
"Fuck. Perverses Schwein. Und was hast du gesagt?"
"Na, was schon. Dass er sich in sein verficktes Knie ficken soll."
"Perverse Schweine." Homo sapiens. Ein Wagen hält am Straßenrand, eine der Frauen steigt ein, die andere bleibt allein zurück. Zündet sich eine Zigarette an. Inhaliert. Ihre Schritte wie Hammerschläge auf dem Asphalt. Sie legt den Kopf in den Nacken und bläst den Rauch hinauf zu den unsichtbaren Sternen. Öffnet die Augen.
Mit zwei Flügelschlägen ist er bei ihr. Die Sehnen in ihrem Hals reißen beinahe lautlos, als er ihren Kopf lockert. Der Tourist trinkt in großen, tiefen Schlucken, die Augen geschlossen, die Nüstern gebläht. Der Alkohol und das Dimethyltryptamin im Blut der Frau haben keinerlei Einfluss auf ihn.
Dann isst er.
Spürt ihren Blick. Mager, räudig, auf drei Beinen. Pupillen wie seine. Sie maunzt. Er wirft ihr etwas zu. Sie frisst, bis ihr Kopf nass ist von Blut. Der Tourist greift aus, will sie streicheln. Fängt sich einen Krallenhieb ein.
Er ist schon zu lange hier. Ein winziger Planet, der um einen winzigen Stern kreist, am Rande einer ansonsten toten, verschwindend kleinen Galaxie. Zu fettiges Essen und zu wenig Sauerstoff in der Atmosphäre. Primitive Säugetiere, besessen von Sex und Tod, mit Raumfahrtambitionen, höchste Entfernung bisher: 380.000 Kilometer. Der Tourist fröstelte. Zündete sich eine Zigarette an. Ballte die Krallen zur Faust. Der Katzenkörper zuckte, krampfte und erschlaffte. Auch eine endlos sterbende Welt wird irgendwann langweilig. Mit ihrem einsamen, schattengeschliffenen Mond.
Zeit, weiterzuziehen.
Dorthin, wo das Leben tobt.