Rabe Raphael Folge 6 - Der Mann, der durch Wände ging
Der Mann, der durch Wände ging
Rabe Raphael Folge 6
Das Telefon klingelte und Berger schüttelte seufzend den Kopf.
Gerade erst hatte er mit Helena gesprochen und ihr von den jüngsten Aktivitäten ihrer ehemaligen “Hexenschwester” Patrizia berichtet. Diese hatte kürzlich einen weiteren Anhänger für Zacharias rekrutiert, womit nun auch Helena klar sein musste, dass sie praktisch beschlossen hatte, den Weg der dunklen Magie zu beschreiten.
“Kann es nicht sein, dass er sie irgendwie… dazu gezwungen hat?” hatte Helena gefragt, womit sie auf Florians Entführung anspielte.
Berger hatte nur humorlos gelacht und ihr dann ganz genau geschildert, wie seine letzte Begegnung mit Pat verlaufen und was danach geschehen war. “Also weißt du gar nicht, wo sie jetzt sind?” hatte sie gefragt.
“Nein, aber selbst wenn ich es wüsste, könnte ich nicht viel gegen sie ausrichten, geschweige denn, Pat oder einen der anderen befreien.”
Tatsächlich war Bergers bisher einziger Erfolg die Befreiung Federers gewesen, allerdings hatte ihn das letzten Endes auch nicht gerettet.
Seine Laune stieg also nicht gerade ins Unermessliche, als er die Nummer auf dem Display als die von Frau Portmann, die Mutter Florians, zu erkennen glaubte. Es stand wohl außer Frage, aus welchem Grund sie morgens um 9 Uhr bei ihm anrief, also nahm Berger den Anruf mit einem leicht mulmigen Gefühl im Magen entgegen.
“Hallo Herr Berger, ich wollte Ihnen nur sagen, dass mein Sohn sich gemeldet hat.” eröffnete sie das Gespräch.
Berger spürte einen Hauch von Erleichterung. “Was hat er gesagt?”
“Eigentlich nur, dass ich mir keine Sorgen machen soll und dass es ihm gut geht”, antwortete sie mit einem zweifelnden Unterton.
Natürlich, dachte Berger. Was sollte er ihr auch sonst sagen…
“Hat er Ihnen irgendetwas über seinen jetzigen Aufenthaltsort verraten?”
“Nein, aber er hat gesagt, dass ich ihn auf keinen Fall suchen lassen soll. Weder von Ihnen, noch von der Polizei.”
Berger nickte. Einerseits musste er darüber beinahe froh sein, weil es die Dinge nur komplizierter und schwieriger gemacht hätte, wenn sie die Polizei einschaltete. Andererseits befand Florian sich in Gefahr, auch wenn er das noch nicht zu wissen schien, und Berger hatte nach wie vor keine Ahnung, wohin Zacharias mit seinen Anhängern verschwunden war, nachdem sie Konstantins Haus aufgegeben hatten.
Er versprach Frau Portmann, die Füße still zu halten, bat sie aber, ihn sofort anzurufen, falls ihr Sohn sich wieder bei ihr melden sollte. Dann legte er auf. “Anscheinend müssen wir wieder bei Null anfangen”, sagte er an den Raben gewandt, der auf der aktuellen Tageszeitung saß, die auf dem Küchentisch lag.
Berger schüttelte tadelnd den Kopf. “Raphael, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich die Zeitung zuerst gern lesen würde, bevor du dich darauf verewigst.”
Der Rabe krächzte beleidigt und hüpfte zur Seite, sodass Berger nun freie Sicht auf die Schlagzeile hatte:
Gefängnisausbruch stellt Polizei vor Rätsel
Er überflog den Artikel darunter, in dem von einem Mann berichtet wurde, der offenbar spurlos aus seiner verschlossenen Zelle und anschließend aus dem Gebäude entkommen war. Das wirklich interessante an der Story war die Aussage seines Zellengenossen, der Stein und Bein behauptete, der Entflohene sei nicht durch die Zellentür sondern einfach durch die Wand gegangen, was natürlich als Spinnerei abgetan wurde. Stattdessen wurde derzeit der wachhabende Aufseher vernommen, dessen Schlüssel man als einzige Möglichkeit erachtete, die Zelle verlassen zu können. Berger jedoch war sich da gar nicht so sicher. Da er einen alten Bekannten bei der hiesigen Polizei hatte, der ihm noch einen Gefallen schuldete, beschloss er, diesen anzurufen. Vielleicht konnte der ihm etwas mehr über die genauen Umstände dieses ungewöhnlichen Ausbruchs erzählen.
***
“Tut mir leid, Berger, aber da kann ich dir leider auch nicht helfen”, sagte Alberts, was allerdings nicht wirklich bedauernd klang. “Zumindest wüsste ich nicht, wie oder warum ich dir überhaupt irgendwelche Informationen zu diesem Fall liefern sollte.”
Berger seufzte vernehmlich. “Also erstens hilfst du nicht mir, sondern ich könnte euch helfen. Zweitens möchte ich nur wissen, ob der Entflohene kurz vor seiner Flucht Besuch bekommen hat. Und wenn ja, von wem…”
“Herrgott, Berger, du weißt selbst, dass das nicht unser Fall ist. Darum kümmern sich die Kollegen in Bielefeld. Davon abgesehen gibt es auch in Gefängnissen sowas wie Datenschutz…”
Berger ächzte. “Das könnte aber wichtig sein, Alberts. Es könnte sogar der Schlüssel zu allem sein.”
Alberts erwiderte das Ächzen. “Könnte sein. Oder auch nicht. Es geht uns nichts an. Aber ich sag dir was im Vertrauen. Die Befragung des Wachmanns und des Zellengenossen hat die Ermittler nicht wirklich weitergebracht. Der Wachmann steht kurz vor der Pension. Es wäre völliger Unsinn, jetzt irgendwelchen Insassen zur Flucht zu verhelfen.”
“Und der Zellengenosse?” fragte Berger.
“Der gibt noch Rätsel auf. Er gilt zumindest als relativ glaubwürdig und sein Geisteszustand soll auch in Ordnung sein. Die Behauptung, sein Nachbar wäre durch die Wand spaziert ist also ziemlich unerklärlich.”
“Und wenn es wirklich so war?”, gab Berger zu bedenken.
Alberts lachte. “Mir ist schon klar, dass jemand wie du das nicht ausschließt. Ich verstehe nur nicht, inwiefern die Besucherliste dir da weiterhelfen würde.”
“Sie könnte meinen Verdacht bestätigen, dass ihm jemand bei der Flucht geholfen hat”, sagte Berger ernst.
Alberts seufzte wieder. “Ich will gar nicht wissen, wie genau man sich das vorzustellen hat, aber okay. Ich werde sehen, was sich machen lässt.”
***
Berger musste nur knapp zwanzig Minuten auf den Rückruf warten. Er ließ es einmal klingeln und nahm den Anruf dann entgegen.
“Das ging aber schnell”, sagte er.
“Es war auch leichter, als gedacht, an die Informationen heranzukommen”, erklärte Alberts. “Der Flüchtige hatte Besuch von seinem Sohn. Der hat ihn während der gesamten Haftzeit genau zweimal besucht. Das letzte Mal einen Tag vor der Flucht. Da soll er aber schon nach einer Viertelstunde wieder gegangen sein.”
“Was kannst du mir über ihn sagen?” wollte Berger wissen.
Alberts seufzte. “Was genau hast du eigentlich vor, Berger? Du willst doch hoffentlich nicht die Ermittlungen behindern?”
“Habe ich das jemals getan?”, fragte Berger grinsend.
“Ja, hast du…” antwortete Alberts.
Berger überlegte kurz. “Ach so, ich weiß, worauf du anspielst, aber das ist Auslegungssache. Bei dieser Sache damals lief es ähnlich ab, wie in diesem Fall. Es wurden Hinweise ignoriert, weil die Polizei sie nicht als solche anerkennt oder sie auch nur wahrnimmt.”
“So wie bei dem Mann, der durch Wände gehen kann?” fragte Alberts.
Berger verzichtete auf eine Antwort “Also hast du nun einen Namen für mich?”, fragte er.
Alberts schien mit sich zu ringen, dann seufzte er wieder. “Der junge Mann heißt Benno Meisner. 23 Jahre alt, ohne festen Wohnsitz. Besser gesagt wurde der letzte gerade zwangsgeräumt. Sagt dir der Name was?”
“Er… kommt mir bekannt vor”, sagte Berger, was natürlich stark untertrieben war.
“Jedenfalls ist er wohl früher mit seinem Vater zusammen aufgetreten”, fuhr Alberts fort. “Das war so eine Art Zauberkünstler und sein Sohn hat ihm assistiert. Da war er vielleicht elf oder zwölf Jahre alt.”
“Ein Zauberkünstler…”, sagte Berger. “Das ist interessant. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Polizei einen Wachmann verdächtigt, der kurz vor der Pension steht…”
Alberts stöhnte laut. “Was erwartest du denn, Berger? Dass wir als erstes annehmen, der Flüchtige könnte sich aus der Zelle hinausgezaubert haben, weil er schließlich ein Zauberkünstler ist? Und selbst wenn es so war, es geht uns nichts an, weil das wie gesagt nicht unser Fall ist. Also tu mir einen Gefallen und halt dich da bitte raus…”
“Natürlich”, sagte Berger. Und das war nicht einmal gelogen.
Zwar wusste er nun, wer der Flüchtige war und er wusste auch etwas mehr über dessen Sohn Benno, dem er schon ein paar mal begegnet war und der seinem Vater offenbar zur Flucht verholfen hatte, um ihn Zacharias vorzuführen. Allerdings half ihm das nicht, solange er nicht wusste, wo der Täuscher sich mit seinen Anhängern aufhielt. Mit anderen Worten, selbst wenn Berger sich in die Ermittlungen hätte einmischen wollen, hätte er keine Ahnung, wo er hätte ansetzen sollen. Er war praktisch zur Untätigkeit verdammt und konnte nur abwarten. Natürlich hätte er Alberts erzählen können, dass es zwecklos war, nach dem Flüchtigen zu fahnden, aber da es gute Gründe gab, das nicht zu tun, verzichtete er darauf.
***
Eine knappe Woche später fehlte von dem Flüchtigen nach wie vor jede Spur, aber da es sich bei dem Mann nicht um einen gefährlichen Verbrecher, sondern nur um einen Betrüger handelte, interessierte sich die Presse schon nicht mehr so sehr für seinen Verbleib.
Auch Berger hatte in den letzten Tagen von keinem Fall gehört, bei dem jemand durch Hauswände oder verschlossene Ladentüren spaziert wäre.
Er war derzeit ohnehin mit anderen Dingen beschäftigt. Eine ältere Dame hatte ihn zu sich bestellt, weil sie in ihrer Garage eine äußerst ungewöhnliche Entdeckung gemacht hatte. Es handelte sich angeblich um Spinnweben, besser gesagt um einzelne Fäden, die außergewöhnlich dick und klebrig sein sollten. Die ganze Garage sei voll davon, so dass man sich kaum darin bewegen konnte.
Berger war sofort hingefahren und hatte festgestellt, dass die Fäden tatsächlich in jeder Hinsicht außergewöhnlich waren. Und auch wenn er keine dazu passende Spinne finden konnte, glaubte er ausschließen zu können, dass sich hier nur jemand einen üblen Scherz mit der alten Dame erlaubt hatte. Also hatte er ihr geraten, die Garage vorerst nicht zu betreten (einen Wagen besaß sie ohnehin nicht mehr), dann hatte er eine Probe entnommen und war nach hause gefahren, wo er die Spinnenfäden sofort untersuchte. Er wusste, dass manche Spinnenarten tatsächlich extrem klebrige und widerstandsfähige Fäden produzierten, diese Exemplare jedoch schienen nicht von einer normalen Spinne zu stammen, denn sie erwiesen sich als beinahe unzerstörbar. Nur Feuer hatten sie nichts entgegenzusetzen. Berger rief bei der Dame an und machte einen weiteren Termin für nähere Untersuchungen.
Er hatte das Gespräch gerade beendet, als das Telefon erneut klingelte.
Berger nahm den Anruf entgegen und rechnete schon damit, dass seine neue Klientin nun doch noch auf die Bauherrin der Fäden gestoßen war, da die Teilnehmerin am anderen Ende sehr aufgeregt und außer Atem schien. “Herr Berger! Kommen Sie bitte sofort rüber und entfernen Sie Ihren Vogel aus meinem Garten!”
“Frau Küppers? Ich kann Ihnen nicht ganz…”
“Ihre Krähe hat mich gerade angegriffen! Ich würde gern meine Wäsche aufhängen, aber dieses Mistvieh greift mich jedes Mal an, sobald ich nach draußen gehe!”
Berger stöhnte leise. “Also erstens ist Raphael keine Krähe…”
“Das ist doch jetzt völlig egal! Kommen Sie jetzt rüber, oder soll ich erst die Polizei rufen?”
“…und zweitens ist er hier bei mir”, sagte Berger zu der toten Leitung.
Er schüttelte den Kopf und wandte sich dem Raben zu. “Ich glaube, unser Freund Benno ist gerade wieder aktiv geworden”, sagte er.
“Ich würde ja sagen, ich geh lieber allein rüber, aber weißt du was? Diesmal darfst du mitkommen.”
***
Schon von Weitem sah Berger die Krähe, von der er wusste, dass sie eigentlich nicht existierte, über dem Garten seiner aufgebrachten Nachbarin kreisen. Er eilte durch das offene Gartentor, lief um das Haus herum und hielt nebenbei Ausschau nach dem Illusionisten, von dem er ziemlich sicher war, dass er sich irgendwo in der Nähe versteckt hielt.
Die Frage war nur, warum er seine kleine Vorstellung dieses Mal in der unmittelbaren Nähe von Bergers Wohnung gab. Die Antwort lauerte schon irgendwo in seinem Hinterkopf und ein beunruhigendes Gefühl überkam ihn, aber ehe er weiter darüber nachdenken konnte, klopfte seine Nachbarin im Inneren des Hauses ans Fenster. Als sie Raphael auf seiner Schulter sitzen sah und ihren Irrtum erkannte, hob sie kurz die Hand an die Wange und deutete dann hektisch zum blauen Himmel hinauf. Berger nickte ihr zu und richtete den Blick nach oben, wo der kleine schwarze Quälgeist noch immer seine Kreise zog.
“Raphael!”, rief er nur. Der Rabe wusste längst, was zu tun war, erhob sich in die Lüfte und flog auf die Krähe zu, während Berger sich auf die Suche nach Benno machte. Dieser schien sich jedoch entweder sehr gut versteckt oder bereits aus dem Staub gemacht zu haben, und nachdem Raffael den vermeintlichen Angreifer verscheucht hatte, tauchten auch keine neuen Illusionen im Garten mehr auf.
Inzwischen hatte sich Frau Küppers wieder nach draußen getraut und stand plötzlich mit ihrem Eimer voller Wäscheklammern neben ihm.
“Tut mir leid, ich habe wirklich gedacht…”
“Schon gut”, sagte Berger abwinkend. Er hätte noch hinzufügen können, dass Raphael sie noch nie angegriffen hatte, aber er verabschiedete sich nur und lief dann mit dem Raben auf seiner Schulter zur Straße zurück.
“Raphael: Ortung!”, rief er.
Der Rabe krächzte bestätigend und flog ein paar Runden über den Dächern der umliegenden Häuser. Berger wusste, dass der Paraspürer sich melden würde, sobald er eine magische Aktivität wahrnahm.
Doch als er sich nach ihm umschaute, sah er ihn schon wieder in Richtung seines eigenen Hauses zurückfliegen, wo er sich auf den Gartenzaun setzte und dreimal krächzte.
Berger blieb für einen Moment stocksteif stehen, dann fluchte er laut und rannte zum Haus zurück.
***
Während er durch die Haustür in die Wohnung stürmte, fluchte er immer noch, wenn auch nur innerlich. Er hatte sich wie ein Schuljunge an der Nase herumführen und aus dem Haus locken lassen. Im Grunde war er nun also schon zum zweiten Mal auf den selben Trick hereingefallen, mit dem Benno ihn schon zu Konstantins Haus gelotst hatte.
Berger betrat das Wohnzimmer und sah seine Befürchtung bestätigt.
Jemand war ins Haus eingebrochen und hatte in der kurzen Zeit seiner Abwesenheit ein heilloses Chaos hinterlassen, wenn sich dieses auch offenbar nur auf das Wohnzimmer beschränkte.
“Raphael: Ortung!”, rief er.
Der Rabe flog los und Berger lief ihm nach, auch wenn er eigentlich nicht glaubte, dass der Eindringling noch hier war, denn dann wäre Raphael auch ohne Befehl losgeflogen.
Als er nach zehn Minuten ausschließen konnte, das sich außer ihnen noch jemand im Haus befand, gab er die Suche auf. Der Eindringling war so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war, aber er hatte noch etwas anderes zurückgelassen, als nur Chaos. Etwas, das sich in der Küche befand, wo Raphael bereits laut krächzend auf ihn wartete.
Zuerst glaubte Berger, der Einbrecher würde sich doch noch hier versteckt halten, dann fiel sein Blick auf die Wand zwischen dem Kühlschrank und dem kleinen Küchentisch. Die Rauhfasertapete sah dort so aus, als würde sie flimmern. Sie schien beinahe vor seinen Augen zu verschwimmen, so wie die Buchstaben in der Zeitung, wenn er seine Lesebrille nicht aufhatte. Berger trat an den Bereich heran, tastete die Wand vorsichtig ab und zog dann reflexartig die Hand zurück.
Wie er bereits vermutet hatte, schien die Wand an dieser Stelle durchlässig zu sein, allerdings fühlte es sich nicht so an, als könnte man sie noch passieren, wie der Eindringling es offensichtlich getan hatte, sondern eher wie eine weiche, zähe Masse. Offenbar schien die Wand sich schon wieder in ihren ursprünglichen festen Zustand umzuwandeln.
Berger wartete die Entwicklung nicht ab, sondern verließ fluchend die Küche, rannte durch die noch immer offene Haustür nach draußen und lief dann ums Haus herum bis zur anderen Seite der Außenwand, welche sein Besucher für sein Eindringen erwählt hatte. Aber natürlich war der Mann, bei dem außer Frage stand, um wen es sich handelte, längst über alle Berge, ebenso wie sein Sohn.
Berger kehrte ins Haus zurück und begutachtete den Schaden im Wohnzimmer. Schnell stand fest, dass der Mann, der durch die Außenwand direkt in seine Küche spaziert war, etwas ganz bestimmtes gesucht hatte. Da sich das Chaos hauptsächlich auf Bergers Bücherregale beschränkte, deren Inhalt überall auf dem Boden zerstreut lag, war es nicht schwer zu erraten, worum es sich bei dem gesuchten Objekt handelte. Nachdem Berger alle Bücher zurück in die Regale geräumt hatte, schien jedoch keines zu fehlen, allerdings wunderte ihn das nicht weiter.
“Du glaubst doch wohl nicht, dass ich die wirklich wertvollen Bücher einfach in mein Regal stelle”, murmelte er kopfschüttelnd. Dann lief er in sein Büro und warf einen prüfenden Blick auf den großen Mahagoni - Schreibtisch. Er öffnete die linke Tür unter der Schreibtischplatte und fand den Safe wie erwartet unbeschädigt an seinem Platz vor. In diesem Safe befanden sich die alten, zum Teil in Kunststoff eingeschweißten Bücher seines Freundes und Meisters Konstantin. Bücher, die er schon zu Lebzeiten des alten Herrn in Verwahrung genommen und im Safe aufbewahrt hatte.
“Die Bücher dürfen auf keinen Fall in falsche Hände geraten!”, hatte der Meister ihm eingeschärft. “Vor allem ein ganz bestimmtes nicht, also pass gut darauf auf.”
Das hatte Berger getan und offenbar hatte Zacharias unterschätzt, wie ernst er diese Aufgabe nahm. Immerhin hatte er seinen neuen Mann geschickt, der durch Wände gehen konnte, so als hätte er geahnt oder gewusst, dass Berger seine Türen alle magisch abgesichert hatte.
“Aber wonach genau hast du gesucht?” fragte er sich, wobei die Antwort eigentlich auf der Hand lag. Er musste nach dem einen Buch gesucht haben, das Konstantin besonders erwähnt hatte, allerdings wusste Berger beim besten Willen nicht, welches der etwa zehn Bücher er gemeint hatte, und vor allem wusste er nicht, warum gerade dieses Buch nicht in falsche Hände geraten durfte.
Aber wenn es Zacharias nicht nur darum ging, die Bücher seines alten Meisters an sich zu bringen, der auch sein Meister gewesen war, dann musste es etwas mit dem Plan zu tun haben, von dem Berger bisher nur wusste, dass er dafür magisch begabte Helfer benötigte. Vielleicht brauchte er für die Vollendung des Planes aber auch dieses eine Buch.
Berger nahm sich vor, die Bücher, von denen er einige nur ein paar mal durchgeblättert hatte, in den nächsten Tagen etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Vielleicht fand er nicht nur das eine Buch, sondern darin auch einen Hinweis darauf, was Zacharias plante. Aber wenn er mit dieser Vermutung wirklich richtig lag, bedeutete das natürlich, dass dieser weiterhin versuchen würde, das Buch in seinen Besitz zu bringen. Und nach diesem Misserfolg würde er bei der Beschaffung beim nächsten Mal womöglich etwas rabiater vorgehen.
Berger musste sich überlegen, wie er sich noch besser vor einem weiteren Überfall schützen konnte. Aber jetzt musste er sich zunächst einmal um den Fall mit den rätselhaften Spinnweben kümmern, der noch immer darauf wartete, gelöst zu werden…
ENDE
© by Stefan Robijn
Kommentare
Wieder ein schönes Kapitel. Bisher hätte ich die Geschichte eher im Mystery-Bereich verortet; mit den vermeintlichen Spuren einer schwanzmagischen (Riesen-)Spinne scheint´s hier allerdings Richtung handfestem Horror zu gehen ...
vielen Dank! Ob hinter den Fäden wirklich eine Spinne oder doch etwas anderes steckt...
erfahren wir demnächst...
Schließe mich Robert an: Wieder ein spannender Teil.
Und immer mit einem Augenzwinkern geschrieben...
Sonntags habe ich auch immer Zeit für längere Texte. Meistens lese ich sie nur, aber manchmal kann ich mich auch dazu aufraffen, welche zu verfassen...