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Rabe Raphael Folge 7 - Der Spinnenmann

StoryDer Spinnenmann
Rabe Raphael Folge 7

Raphael ist ein sogenannter Paraspürer, im weitesten Sinne ein Geisterjäger. Vor allem aber ist er ein Rabe, und eigentlich hat er nicht die geringste Lust, Geister oder übernatürliche Phänomene aufzuspüren. Partner und Sitzgelegenheit Frederic Berger ist nach dem Tod seines alten Herrn der Mann, der ihn füttert und sagt, wo es lang geht. Aber nur gemeinsam sind sie stark.

“So, das war die letzte”, sagte Berger und wischte sich die Finger an seiner Jeanshose ab. Raphael krächzte gelangweilt.

“Ich weiß, du glaubst nicht, dass Zacharias noch einmal jemanden durch unsere Wände schickt, aber sicher ist sicher.”

Berger hatte nach dem Besuch des Mannes, der mittels Magie massive Hindernisse wie Wände oder Türen passieren konnte, seine Datenbank durchsucht und die “Magiebrecher” - Formel gefunden, die jeden Versuch, Magie zu wirken sofort aufheben und damit die Wände hoffentlich unpassierbar machen würde. Leider beschränkte der Spruch sich nur auf passive Magie, wie Verhüllungszauber, Schutzzauber oder eben jene, die Materie beeinflussen oder verändern konnten. Bei einem Angriffszauber blieb sie ebenso wirkungslos, wie bei Illusionsmagie oder Elementarzaubern, wie sie einige der zu Zacharias Gruppe zählenden Magier so gern anwandten.  

Auch die ohnehin schon magisch gesicherten Türen und Fenster hatte Berger noch einmal präpariert, zusätzlich zu den Sicherheitsschlössern, die er ebenfalls verstärkt hatte, so dass er nun glaubte, das Haus verlassen zu können, ohne befürchten zu müssen, bei seiner Rückkehr ein erneutes Chaos und schlimmstenfalls den in seinem Schreibtisch verborgenen Safe leer vorzufinden.

Inzwischen hatte er es geschafft, etwa die Hälfte der darin befindlichen Bücher seines verstorbenen Freundes und Meisters Konstantin zu inspizieren, aber das eine Buch, nach dem Zacharias offenbar suchte, war entweder nicht dabei gewesen oder er hatte es nicht erkannt.

Da Konstantin nicht lange genug gelebt hatte, um seinen neuen Schüler intensiv auszubilden, waren ihm einige der Bücher völlig unverständlich, während er andere wiederum beinahe auswendig kannte, nicht zuletzt deshalb, weil er ihren Inhalt erst vor kurzem in seine Datenbank übertragen hatte.

Als ihm irgendwann der Kopf brummte, hatte Berger beschlossen, sich die zweite Hälfte der ihm vermachten Werke zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen und sich zunächst darum gekümmert, dass ihm die wertvollen Bücher vorher niemand vor der Nase wegstahl.

Jetzt musste er sich aber erst einmal um seinen aktuellen Fall kümmern, den er bereits vor zwei Tagen angenommen hatte (siehe RR 6).

Eine ältere Dame hatte ihn angerufen und von seltsamen Spinnenfäden berichtet, die sich in ihrer Garage befinden sollten und die so extrem lang und widerstandsfähig wären, dass sie aus Angst vor der Bauherrin fluchtartig ins Haus zurück gerannt sei. Berger war zu ihr gefahren um die Fäden unter die Lupe zu nehmen und musste feststellen, dass die Frau mit ihrer Beschreibung nicht übertrieben hatte. Er entnahm eine Probe, die sich nach einer kurzen Untersuchung zwar als beinahe unzerstörbar erwies, als er jedoch am Abend nach dem Einbruch einen erneuten Blick darauf werfen wollte, waren die Fäden rückstandslos verschwunden, so als hätten sie sich in Luft aufgelöst.

Berger, der für den Nachmittag bereits mit der alten Dame verabredet war, fragte sich, ob auch die Exemplare in ihrer Garage inzwischen verschwunden waren, aber selbst wenn es so war - wovon er ausging - blieb noch die Frage, wie sie überhaupt dorthin gekommen waren.

Er packte ein paar Sachen zusammen und verließ dann mit dem Raben das Haus. “Ich hoffe, du hast keine Angst vor Spinnen, mein Freund”, scherzte er, während er in den Wagen stieg. Raphael krächzte zweimal.

“Tja, dann hast du mir was voraus”, sagte er und startete den Wagen.

***

Als Berger bei dem kleinen, grau verputzten Haus ankam, erwartete Frau Hoffmann ihn bereits in der offenen Haustür.

“Ich würde gern noch einen Blick in die Garage werfen”, sagte er nach einer kurzen Begrüßung.

Die alte Dame nickte und kramte in ihrer Schürze herum, dann lief sie zu der Garage, an deren Tor bereits großflächig der Lack abgeblättert war und schloss sie auf.

Berger half ihr, das Tor zu öffnen und war nicht überrascht, die Garage abgesehen von dem üblichen Gerümpel leer vorzufinden. Die seltsamen Spinnenfäden waren auch hier völlig rückstandslos verschwunden.

“Aber… wie kann das sein?” fragte Frau Hoffmann.

“Das kann ich mir ehrlich gesagt auch nicht erklären”, gab Berger zu. “Zumindest noch nicht.” Er deutete auf das Haus. “Wohnen Sie allein hier?”

Frau Hoffmann schüttelte den Kopf. “Mein Sohn wohnt noch zu hause.” Sie winkte ab. “Der ist schon zweiundvierzig aber noch Junggeselle. Hatte vor Jahren mal ne Wohnung, aber Hotel Mama ist halt billiger.”

Berger nickte. “Ich verstehe. Ist er zu hause? Ich würde gern kurz mit ihm sprechen.”

Sie winkte wieder ab. “Der ist in seinem Laden. Zu hause ist er in letzter Zeit nur noch selten. Also wenn er Hunger hat oder Geld braucht.”

Berger runzelte die Stirn. “Geld? Sagten Sie nicht, er hätte ein eigenes Geschäft? Oder habe ich das...”

Die alte Dame lachte. “Ach, der Laden wirft doch nichts ab. Das ist nur so ein…” Sie überlegte kopfschüttelnd. “So ein Laden für Spieler.”

“Ein Spielwarengeschäft?” fragte Berger.

“Nein, nein, mehr so ein Laden für diese Spieler, die sich verkleiden und dann an einem Tisch sitzen, würfeln und irgendwelche Texte lesen.”

“Ach so, Sie meinen Rollenspiele…”

“Ja genau! Er verkauft diese Spiele, Zubehör und weiß der Geier, was man dafür sonst noch braucht. Jedenfalls hat er den Laden früher immer nur stundenweise aufgemacht, aber in letzter Zeit ist er meistens den ganzen Tag dort.”

Berger zuckte die Schultern. “Naja, so ungewöhnlich ist das nicht. Die Spieler treffen sich dort sicher auch und sind vermutlich befreundet…”  

Frau Hoffmann winkte heftig ab. “Ach der Fred hat doch gar keine Freunde. Und der Laden ist meistens wie leergefegt. Ich habe ihm vor kurzem sein Mittagessen vorbeigebracht. Ist ja gleich hier um die Ecke. Da hatte er das Schild mit der “Geschlossen” - Seite nach außen in die Tür gehängt, und es war abgeschlossen.”

Berger nickte. “Können Sie mir sagen, wo genau ich den Laden finde?”

Frau Hoffmann erklärte es ihm. Sie sprachen noch kurz über den Verlauf der letzten Tage, aber die alte Dame hatte keine weiteren Spinnweben entdeckt, weder im Haus, noch im Garten, was Berger nun auch nicht mehr wunderte. Er verabschiedete sich und lief dann zum Wagen zurück, wo Raphael ihn mit einem beleidigten Krächzen begrüßte.

“Tut mir leid, alter Freund, beim nächsten Halt darfst du mich wieder begleiten. Mein Gefühl sagt mir, dass ich dann brauchen werde…”

***

Berger erkannte den Laden erst als solchen, als er direkt davor stand.

So etwas wie ein Ladenschild gab es nicht, und die beiden Schaufenster wurden von schweren, dunklen Vorhängen verhüllt. Nur ein schlichter, an der Tür angebrachter Schriftzug verriet, dass es sich hier um ein Geschäft handelte. “Pen, Paper & More” stand dort, womit Bergers Vermutung bestätigt wurde, dass hier Artikel aus der Welt der Rollenspiele verkauft wurden.

Seit die alte Dame ihm von dem seltsamen Verhalten ihres Sohnes berichtet hatte, stand für Berger fest, dass die merkwürdigen Fäden in der Garage in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Verhalten stehen mussten, denn dass ein Fremder die Garage in eine Art riesiges Spinnennetz verwandelt hatte, konnte man wohl ausschließen.

Einen Hinweis auf Öffnungszeiten gab es nicht, dafür hing das von der Mutter erwähnte Schild wieder mit der “Geschlossen” - Seite nach außen in der Tür, die wie die Fenster von einem Vorhang verdeckt war.

Berger spähte durch einen freien Spalt hindurch, konnte aber nichts erkennen. Was auch immer der Sohn im Innern des Ladens trieb, er schien Wert darauf zu legen, dass ihn niemand dabei beobachtete.

Als Berger hinter der Tür eine Gestalt zu sehen glaubte, nahm er die Gelegenheit wahr und klopfte an die Scheibe.

Wie erwartet, reagierte der Ladenbesitzer nicht, also klopfte Berger noch etwas energischer und rief: “Kundschaft!”  

Diesmal musste er nur eine halbe Minute warten, bis der Vorhang zur Seite geschoben wurde und ein bärtiges, grimmig dreinblickendes Gesicht zum Vorschein kam.

“Hallo…”, sagte Berger lächelnd. “Darf man eintreten?”

Der Mann schüttelte sofort den Kopf, doch dann fiel sein Blick auf den Raben, der auf Bergers Schulter saß. Seine Augen wurden etwas größer, und das Gesicht verschwand wieder hinter dem Vorhang.

Berger fluchte leise, aber dann hörte er das Schnappen des Türschlosses und die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet.

Hoffmann Junior taxierte ihn kurz, dann wandte er sich wieder dem Raben zu und seine Miene hellte sich auf. “Ein prächtiges Tier”, sagte er.

Berger nickte. “Danke, das hört er nicht oft. Obwohl er es natürlich weiß, nicht wahr mein Freund?” Der Rabe krächzte bestätigend.

Hoffmann warf einen kurzen Blick auf die Straße und wandte sich wieder an Berger. “Hat Zacharias Sie geschickt?”, fragte er.

Berger ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Er folgte einfach seiner Intuition und nickte. “Richtig. Er würde gern auf Stand gebracht werden, wenn Sie verstehen…”

Hoffmann beäugte ihn skeptisch und Berger glaubte schon, zu hoch gepokert zu haben, doch dann trat er zur Seite und ließ ihn herein.

***

In dem Laden herrschte eine trübe Dunkelheit, es gab nur eine einzige flackernde Neonröhre direkt über dem mit unzähligen Schachteln und Büchern zugestellten Verkaufstresen.

Hoffmann steuerte darauf zu und Berger folgte ihm bis hinter den Tresen, wo sich eine schmale, geschlossene Tür befand, die wohl in ein Hinterzimmer führte. Dort drehte der Mann sich zu Berger um, der durch die geschlossene Tür hindurch leise scharrende Geräusche hören konnte.

Raphael, der seit dem Betreten des Ladens auffällig unruhig geworden war, krächzte zweimal. Für Berger ein klarer Hinweis auf eine magische Aktivität, die aber scheinbar nicht dunkler Natur war.

Hoffmann deutete mit dem Kinn auf den Raben. “Er kann sie spüren, oder?”, fragte er grinsend.

Berger, der bereits ahnte, was sie hinter der Tür erwartete, nickte nur.

“Ich gehe davon aus, dass Sie Ihre Spinnen unter Kontrolle haben?”, wagte er einen weiteren Schuss ins Blaue.

Hoffmann nickte heftig. “Natürlich! Es sind beschworene Kreaturen, was bedeutet, dass sie nur aktiv werden, wenn sie angegriffen werden oder wenn der Beschwörer angreift oder angegriffen wird.”

Er stutzte. “Das habe ich Zacharias aber alles schon erklärt…”

Berger nickte schnell. “Schon klar, ich wollte nur sichergehen, dass sie inaktiv bleiben, wenn der Rabe in der Nähe ist. Dann lassen Sie mal sehen…”

Hoffmann öffnete die Tür und tastete nach dem Lichtschalter. Im nächsten Moment wurde es in dem Raum hell und Berger trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

In dem kleinen mit unzähligen vollen und leeren Kartons zugebauten Abstellraum wuselten etwa zehn schwarze, tennisballgroße Spinnen umher, die überall ihre Fäden hinterlassen hatten, sodass man den Raum kaum betreten konnte, ohne sich darin zu verfangen.

Dass es sich bei den Kreaturen um neutral gesinnte Wesen handelte, schien Raphael nicht zu stören, denn er flog sofort los und nahm eine der Spinnen ins Visier.

“Raphael: Zu mir!” rief Berger.

Der Rabe gab ein beinahe enttäuscht klingendes Krächzen von sich und kehrte zu Berger zurück. Hoffmann nickte anerkennend.

“Gut dressiert, Ihr kleiner Gefährte…”

Berger nickte nur und deutete dann auf die Spinnen. “Wie lange wirkt der Beschwörungszauber?”

Hoffmann Junior verzog das Gesicht. “Leider nur knapp zwei Stunden. Die Fäden halten etwas länger, aber ich arbeite daran…”

Berger fragte sich, wie genau diese “Arbeit” aussah. Brauchte er einfach nur stärkere Formeln oder musste er auch selbst stärker werden, was deren Anwendung betraf? Leider kannte Berger sich mit diesem Zweig der Magie nicht aus, also fragte er lieber nicht weiter nach.

“Ich werde bald in einen höheren Rang aufsteigen”, verkündete Hoffmann, so als hätte er seine Gedanken gelesen. “Dann kann ich auch stärkere Kreaturen beschwören.”

Berger, dem allein bei der Vorstellung größerer oder stärkerer Kreaturen ganz anders wurde, versuchte sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen und nickte anerkennend. Dabei spielte er bereits mit dem Gedanken, Hoffmann das Handwerk zu legen, solange er die Gelegenheit dazu hatte. Vorher aber wollte er diese noch für etwas anderes nutzen. “Das sieht aber doch schon sehr gut aus”, sagte er. “Zacharias wird mit Ihrer Arbeit fürs Erste zufrieden sein. Ich nehme an, Sie wissen schon, wann und wo Sie ihn treffen werden?”

Hoffmann nickte, wobei er wieder sein selbstzufriedenes Grinsen zur Schau stellte. Offenbar schöpfte er noch immer keinen Verdacht, aber auch Lob und Anerkennung hatten so etwas wie eine magische Wirkung, wie Berger wusste.

“Man sagte mir, dass er sich in den nächsten Tagen bei mir melden wird, um sich meine Arbeit anzusehen. Deshalb habe ich mich auch ein bisschen gewundert, dass er Sie geschickt hat…”

Berger nickte. “Im Moment ist er noch zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, aber ich bin sicher, dass er das nachholt. Wir… haben ja gerade erst ein neues Domizil gefunden…”

Sein Gegenüber runzelte die Stirn. “Ein neues Domizil?”

Berger fluchte innerlich. Hatte er ernsthaft erwartet, dass man Hoffmann bereits verraten hatte, wo sich das neue Quartier befand? Und selbst wenn, hätte er dieses Wissen noch nicht wirklich zu seinem Vorteil nutzen können. Da das Eis, auf dem er sich bewegte, langsam dünner wurde, war es wohl besser, wenn er sich zunächst zurückzog, um dann in Ruhe zu überlegen, wie er verhindern konnte, dass der Beschwörer, den er für den bislang gefährlichsten Anwärter der kleinen Gruppe um Zacharias hielt, sich diesem anschließen konnte.

“Ich bin mir sicher, dass man Sie darüber noch aufklärt”, sagte er schnell. “Ich möchte den Meister nicht verärgern, indem ich ihm vorgreife. Eigentlich sollte ich ihm nur einen ersten Eindruck vermitteln, und das kann ich ja jetzt.” Er deutete auf die Hinterlassenschaften der Spinnen. “Ich gehe mal davon aus, dass Sie das mit den Fäden noch in den Griff bekommen?”

Hoffmann verzog wieder das Gesicht, dann nickte er. “Wie gesagt, das ist nur eine Vorstufe. Es wird andere, bessere Kreaturen geben. Und dann…” In diesem Moment klingelte irgendwo im Laden ein Handy. “Einen Moment”, sagte Hoffmann und verschwand aus dem Raum.

Berger beschloss, die Gelegenheit zu nutzen, um ebenfalls zu verschwinden. “Ich glaube, wir haben alles soweit besprochen”, sagte er, während er an Hoffmann vorbei auf die Ausgangstür zuging. Dieser nickte heftig, aber das Nicken schien sich nicht auf Bergers Bemerkung zu beziehen. Der hatte die Tür fast erreicht, als Hoffmann plötzlich wie von der Natter gebissen um den Tresen herumgerannt kam und ihm den Weg abschnitt. In der rechten Hand hielt er einen Baseballschläger mit dem er nun auf ihn deutete. Raphael krächzte laut und breitete die Flügel aus.

“Du arbeitest also für Zacharias, wie?” fragte Hoffmann grinsend.

Berger hob die Schultern. “Ich fürchte, das war eine Notlüge.”

“Und ich fürchte, dass ich dich nicht so einfach gehen lassen kann”, gab Hoffmann zurück.

Berger nickte. “Dann musst du wohl versuchen, uns aufzuhalten. Raphael: Angriff!”

Der Rabe flog augenblicklich los und visierte Hoffmanns Augenpartie an. Dieser duckte sich und holte gleichzeitig mit dem Baseballschläger aus. Beinahe im selben Moment hörte Berger das schon vertraute Scharren der Spinnen, die auf den Angriff des Beschwörers hin sofort aktiv wurden und in den Kampf eingriffen.

Da der Rabe sich in der Luft befand, flitzten sie auf Berger zu, der über die ersten drei vier Spinnen hinwegsprang und die fünfte kurzerhand zertrat. Dann wurde er von gleich zwei Spinnen angesprungen, die sofort an ihm hochkrabbelten und dabei ihre klebrigen Fäden an seiner Kleidung hinterließen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Hoffmann weiter von Raphael attackiert wurde. Zum Glück war es dem fettleibigen Kerl bisher nicht gelungen, den dank seiner Parasinne unglaublich geschickten Raben zu erwischen, aber Berger wollte sich nicht darauf verlassen, dass es dabei blieb. Außerdem fürchtete er, den verbliebenen Spinnen nicht allein Herr zu werden, also disponierte er um.

“Raphael: Abwehr!” rief er. Der Rabe flog sofort in seine Richtung und stürzte sich auf eine der Spinnen, die gerade zum Sprung ansetzte. Die anderen hatte Berger zwar abschütteln können, aber ihre Fäden behinderten ihn bereits, weil sie seine Kleidung verklebten. Hoffmann nahm die Gelegenheit wahr und kam mit erhobenem Baseballschläger auf ihn zugestürmt. Berger sah, dass Raphael fast spielend mit den Spinnen fertig wurde, von denen bereits drei mit verkrümmten Beinen auf dem Boden lagen. Da sein Geschicklichkeitswert höher war, als seine Kampfkraft, wie man es in diesem Metier ausdrückte, beschloss er, Hoffmann auszutricksen. Er lief zurück in den Spinnenraum und Hoffmann rannte hinter ihm her. Berger hatte vorhin bemerkt, dass die Spinnen etwa in der Mitte des Raumes ein regelrechtes Nest aus ihrer extrem klebrigen Spinnenseide gewoben hatten. Darauf hielt er zu und sprang darüber hinweg. Als er sich nach Hoffmann umdrehte, holte dieser gerade mit dem Baseballschläger zum Schlag aus. Da er weder besonders schnell noch besonders kräftig war, konnte Berger den Schläger einfach kommen lassen, dann packte er ihn und zog mit einem Ruck daran, in den er all seine Kraft legte.

Wie er gehofft hatte, hielt Hoffmann den Schläger fest, geriet ins Straucheln und fiel dann kopfüber in das Spinnennest hinein, wobei er den Schläger schließlich doch reflexartig losließ, um sich abzustützen.

Berger schnappte ihn sich und hob ihn drohend über den laut fluchenden Hoffmann. “Schön liegen bleiben, oder das Ding landet auf deinem dummen Schädel.”

Aber selbst wenn Hoffmann hätte aufstehen wollen, er hatte sich bereits zu sehr in dem Nest verfangen und je verzweifelter er versuchte, sich daraus zu befreien, desto mehr verfing er sich darin.

Berger nahm hinter sich eine Bewegung wahr und drehte sich um.

“Schon fertig?” fragte er den Raben, der auf seiner Schulter landete.

Raphael krächzte bestätigend.

“Das nutzt dir gar nichts!”, meldete sich Hoffmann. “Ich kann jederzeit neue beschwören. Und die Spinnen sind erst der Anfang!”

Berger nickte nur. “Jetzt hör mir mal zu, mein Freund. Ich könnte dir nun dringend davon abraten, dich Zacharias anzuschließen, nur bin ich damit schon bei deinen Kollegen auf taube Ohren gestoßen. Aber ich warne dich. Wenn du es tust, gibt es kein Zurück mehr. Und wenn dein neuer Herr und Meister dich jetzt sehen könnte, würde er garantiert auf deine Mitarbeit verzichten. Und er würde dich beseitigen…”

Hoffmann starrte ihn für einen Moment irritiert an, dann schüttelte er den Kopf und versuchte weiter, sich zu befreien.

“Lass uns gehen, Raphael”, sagte Berger seufzend.

An der Tür drehte er sich nochmal um. “Ein kleiner Tipp: Anstatt dich so anzustrengen, könntest du einfach ein paar Stunden ruhig liegenbleiben. Dann verschwinden die Fäden von selbst…”

Hoffmann schrie irgendetwas, das Berger nicht verstand. Er warf einen Blick durch die Vorhänge im Schaufenster, um sich zu vergewissern, dass draußen keine Verstärkung auf ihn wartete, dann verließ er den Laden. “Man sieht sich immer zweimal im Leben!” rief Hoffmann ihm nach. Berger verzichtete auf eine Antwort, weil er ahnte, dass das keine leere Drohung war.

“Wir werden uns in Zukunft um Verstärkung bemühen müssen”, sagte er an den Raben gewandt. “Allein schaffen wir es nicht, gegen diese Übermacht zu bestehen.”

Raphaels Krächzen klang nicht wie eine Zustimmung, aber das änderte nichts daran, dass Berger sich ernsthaft Sorgen zu machen begann.

ENDE

© by Stefan Robijn

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Kommentare  

#1 Robert Martschinke 2022-01-23 20:15
Hi Stefan!
Ein sehr gelungenes Kapitel! Spannend, überraschend ... Gelegentlich etwas "Action" tut dem Ganzen durchaus nicht ungut ;-) ... Und tennisballgroße Spinnen SIND gruselig! :eek:
Eine Hexe, ein Pyromant, ein Materiewandler, ein Tierbeschwörer - mittlerweile hat Zachy eine recht bunte Truppe zusammen. Da blühen natürlich Spekulationen auf, was die zusammen so alles anstellen könnten ...
#2 Cartwing 2022-01-24 06:36
Vielen Dank, das freut einen natürlich...

Ich will nicht zuviel verraten, aber die Gruppe des Gegners ist fast vollständig. Dann könnte Zacharias Plan in die nächste Stufe übergehen...
#3 Toni 2022-01-25 16:19
Spannender 7. Teil :-)
Die Sache mit den Spinnen scheint größere Wellen zu schlagen. Habe schon einige dabei erwischt, wie sie bei uns ihr Winterquartier aufschlagen wollten. Gut, dass ich keine Garage habe. In der Innenstadt gibt es einen kleinen Laden der Rollenspiel-Kram verkauft. Werde dem Inhaber mal auf den Zahn fühlen...
#4 Cartwing 2022-01-25 17:52
Vielen Dank...
Mit Rollenspielen kenne ich mich ein bisschen aus, weshalb das Magie - System auch ganz dezent an das AD&D - Regelwerk angelehnt ist.

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