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Rabe Raphael Folge 10 - Der Plan des Täuschers

StoryDer Plan des Täuschers
Rabe Raphael Folge 10

Raphael ist ein sogenannter Paraspürer, im weitesten Sinne ein Geisterjäger. Vor allem aber ist er ein Rabe, und eigentlich hat er nicht die geringste Lust, Geister oder übernatürliche Phänomene aufzuspüren. Partner und Sitzgelegenheit Frederic Berger ist nach dem Tod seines alten Herrn der Mann, der ihn füttert und sagt, wo es lang geht. Aber nur gemeinsam sind sie stark.

Nachdem Berger die leerstehende Kunststoff - Gießerei betreten und so die beiden angriffslustigen Wächter - Figuren ausgesperrt hatte, schloss er leise die Tür hinter sich und drehte sich um.

Das erste was ihm auffiel, war ein seltsames, grünliches Leuchten, das irgendwo im hinteren Bereich der Halle seinen Ursprung haben musste. Mehr konnte er von seiner jetzigen Position aus noch nicht erkennen, da der Blick auf das Zentrum der Halle von mehreren zugedeckten Maschinen blockiert wurde, die ihm aber immerhin Deckung boten.

Da er nicht genau wusste, wie lange der “Werde eins mit den Schatten” - Zauber noch anhalten würde, erneuerte er ihn, wobei er wieder eine leichte Erwärmung des Amuletts spüren konnte.

Obwohl das von Helena verliehene Kleinod ihm schon sehr dienlich gewesen war, wusste Berger, dass er seine Kräfte einteilen musste, denn auch wenn er kein voll ausgebildeter Magier war, so hatte Konstantin ihm immerhin beigebracht, dass jede angewandte Magie von seinem magischen Potential zehrte, bis dieses irgendwann aufgebraucht war.

Je nach dem Talent oder der Erfahrung des Anwenders konnte das früher oder später passieren. Jemand wie Zacharias konnte vermutlich einen mächtigen Spruch nach dem anderen abfeuern, während Anfänger wie Florian oder Benno mit ihrem Potential oder ihrem “Mana”, wie Konstantin es genannt hatte, haushalten mussten. Wenn jemand, der nicht über dieses magische Potential verfügte, einfach nur einen Spruch aufsagte oder ihn von einem Zettel ablas, passierte dagegen gar nichts. Genau aus diesem Grund hatte Zacharias Leute gesucht, die zumindest über ein geringfügiges Potential verfügten, um ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen.

Und nun versteckte Berger sich hinter einer ausgedienten Spritzgussmaschine und war praktisch nur noch eine kleine Kopfbewegung davon entfernt, herauszufinden, worum es sich dabei handelte. Da die Maschine ihm von der Höhe her nur bis zur Brust reichte und die gebückte Haltung bereits unangenehm wurde, ließ er sich auf die Knie nieder und spähte dann um die nach altem Öl stinkende Maschine herum in die Halle hinein.

Die meisten der Maschinen waren entweder entfernt oder zur Seite geräumt worden, so dass Berger freie Sicht auf das Zentrum der Halle hatte, in dem sich genau in diesem Moment eine Szene abspielte, die ihm sofort vertraut erschien: Um ein längliches, in einem hellen grün leuchtendes Objekt herum hatten sich sieben Personen postiert, von denen eine wesentlich kleiner und schmächtiger war, als die anderen und die neben dem Mann mit der Augenklappe stand: Zacharias.

Wie die anderen sechs hatte auch er seine Hände in Richtung des leuchtenden Objekts ausgestreckt, und wie bei den anderen “wuchsen” aus seinen Händen grüne, wabernde Energiefäden, die sich mit dem Objekt zu verbinden schienen.

Doch so bedrohlich und gleichermaßen faszinierend dieses Bild auch sein mochte, gab es noch etwas anderes, das Bergers Atem stocken ließ und seinen Herzschlag beschleunigte: Eine Art Lichterscheinung, die sich am hinteren Ende der Halle befand und wie ein riesiges, grün leuchtendes Fenster ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben schien.

Über der Lichterscheinung, bei der es sich, wie Berger vermutete, um eine Art Portal handeln mochte, schwebte der ihm bereits bekannte, blaue Energiekäfig, in dem sich sein gefiederter Partner Raphael befand. Im Unterschied zu seiner letzten Gefangenschaft versuchte er diesmal allerdings nicht, sich wild flatternd daraus zu befreien, sondern schien im Zentrum des Käfigs zu schweben. Das wirklich erschreckende an diesem Bild jedoch war der grüne Energiefaden, der sich wie bei den sieben Magiern aus dem Raben herauszuwinden schien, wobei der Faden in diesem Fall nicht auf das am Boden liegende Objekt ausgerichtet war, sondern auf die Lichterscheinung.

Unwillkürlich musste Berger an die Skizze denken, die er in Konstantins Buch entdeckt hatte. Wenn es noch Zweifel gegeben hatte, dass diese etwas mit dem hier stattfindenden Ritual zu tun haben musste, so waren diese nun beseitigt, auch wenn Zacharias das Buch letztlich wohl doch nicht benötigt hatte, um es durchführen zu können.

Zwar hatte Berger keine Ahnung, was der dunkle Magier hier tat, worum es sich bei dem Objekt handelte oder was es mit der Lichterscheinung auf sich haben mochte, aber es stand wohl außer Frage, dass jenes seltsam geformte Symbol, dass er für eine Sonne gehalten hatte, von seinem Raben repräsentiert wurde, der das Portal vermutlich irgendwie stabilisierte. Aber welche Rolle er auch immer bei dem Ritual bekleidete, es war Berger eigentlich völlig egal, er wollte ihn nur aus diesem Käfig befreien, und wenn das bedeutete, dass er damit auch gleich diese ganze Prozedur störte oder beendete, um so besser.

Die Frage war nur, wie er das anstellen sollte. Zwar wusste er nach seinem letzten Fall, wie er den Energiekäfig zerstören konnte, und wenn er es irgendwie schaffte, auf eine der Maschinen zu klettern, die sich neben dem grünen “Portal” befanden, würde er auch nah genug an ihn herankommen, um den Zauber wirken zu können, allerdings gab es dann immer noch das Problem mit dem grünen Energiefaden, der offenbar in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des Fensters stand.

Aber was auch immer nötig war, um Raphael möglichst unbeschadet aus seinem magischen Gefängnis zu befreien, er musste es tun, und er musste es sehr bald tun, denn als er seine Aufmerksamkeit nun wieder auf das Ritual richtete, schien sich dort etwas verändert zu haben.

Das Objekt, welches die Energiefäden zu absorbieren schien, leuchtete nun merklich heller, was offenbar an den Kräften der Magier zehrte, wie Berger an deren Körperhaltung erkannte. Nur Zacharias selbst schien davon nicht betroffen zu sein. Er hielt sich nach wie vor aufrecht und trat nun auch näher an das Objekt heran. Dann zogen sich die Energiefäden plötzlich zurück, worauf zwei der Magier taumelten und zusammenbrachen. Berger wagte es kaum zu atmen und konnte nur fassungslos zusehen, wie Zacharias dessen ungeachtet die Hände nach dem Objekt ausstreckte, das sich daraufhin zunächst aufrichtete, langsam auf ihn zuschwebte und dann seinen Körper zu umhüllen begann, bis dieser schließlich ganz damit zu verschmelzen schien.

Während jene Magier, die noch bei Kräften waren, sich um die kümmerten, die zusammengebrochen waren - Berger vermutete, dass einer von ihnen der alte Mann war, der zuletzt zur Gruppe gestoßen war - setzte der nun völlig von einem grün leuchtenden Anzug umhüllte Zacharias sich in Bewegung und ging langsam auf die Lichterscheinung am hinteren Ende der Halle zu. Berger glaubte bereits zu wissen, was als nächstes passieren würde, staunte aber dennoch nicht schlecht, als der dunkle Magier tatsächlich in das knapp über dem Boden schwebende “Fenster” hineintrat und im nächsten Moment darin verschwunden war.

Berger warf einen raschen Blick auf Raphael, der noch immer völlig regungslos in dem blauen Energiekäfig zu schweben schien.

Da die Magier gerade abgelenkt und Zacharias verschwunden war, beschloss Berger, die Gelegenheit zu nutzen, um den Raben zu befreien, zumindest wollte er zunächst einmal versuchen, den Energiekäfig zu beseitigen, danach würde er weitersehen.

Er erneuerte den “Werde eins mit den Schatten” Spruch und checkte dann nochmal kurz die Lage. Von den sechs Magiern lagen zwei am Boden und wurden von einem der anderen versorgt. Blieben noch drei übrig, die sich inzwischen zu dem Kerl mit der Augenklappe gesellt hatten. Da sie jedoch alle ehrfuchtsvoll auf das grüne Fenster starrten, standen sie mit dem Rücken zu Berger, der sich so unbemerkt aus seinem Versteck herauswagen und geduckt auf die rechte Seite der Halle zu bewegen konnte. Dort hatte man noch weitere der ausgedienten Maschinen abgestellt, und Berger hatte von seinem Versteck aus gesehen, dass in unmittelbarer Nähe ein paar Hochregale standen, von denen eines nicht allzu weit von dem über dem grünen Tor schwebenden Energiekäfig entfernt war. Er robbte darauf zu, richtete sich dann vorsichtig auf und prüfte, ob das Regal ihn halten würde, wenn er daran hoch kletterte. Da sich unzählige Werkzeuge und Metallgussformen darin befanden, musste er nicht befürchten, mitsamt dem Regal umzukippen. Er warf noch einen raschen Blick auf die wartenden Magier, die ihn dank seines Verhüllungszaubers noch nicht bemerkt hatten und kletterte dann an dem Metallregal empor. Als er die oberste Ebene erreicht hatte, befand er sich fast auf einer Höhe mit dem Energiekäfig, der sich nun sogar unterhalb seiner Position befand, allerdings immer noch knapp drei Meter von ihm entfernt. Berger hoffte, dass die Distanz ausreichte, konzentrierte sich und wirkte die “Energieabsorber” - Formel. Zunächst passierte gar nichts und Berger fluchte bereits leise vor sich hin, dann sah er, wie das Energiegebilde um den Raben herum in einer Kaskade aus blauem Licht auseinanderstob. Die vor dem grünen Fenster wartenden Magier waren im ersten Moment so überrascht, dass sie unwillkürlich zurücktaumelten.

Berger hoffte indes, dass sein gefiederter Freund nicht einfach herunterfallen würde, aber auch wenn er diese Möglichkeit nicht wirklich bedacht hatte, erwies sich zumindest diese Sorge als unbegründet, denn der Rabe schwebte, nun von dem Energiekäfig befreit, nach wie vor in der Luft, umhüllt von einer grün leuchtenden Aura, während der von ihm ausgehende Energiefaden nach wie vor auf das Fenster gerichtet war. Doch während die Magier sich besorgt umschauten, stieß der Mann mit der Augenklappe einen heiseren Schrei aus und deutete auf das Hochregal, auf dem Berger nach wie vor lag. Offenbar hatte das Wirken der Energieabsorber-Formel den Verhüllungszauber aufgehoben.

Berger zögerte nicht lange und trat erneut die Flucht nach vorn an. Er schaute sich kurz um und sah neben dem Regal einen geschlossenen Müllcontainer, auf den er sprang. Als er nach einem weiteren Sprung auf dem Boden landete und sich umdrehte, hatte der Kerl mit der Augenklappe ihn schon fast erreicht. Berger packte den Container und riss ihn herum, so dass der Einäugige direkt davor knallte und zu Boden ging, wobei er noch die Eisenstange fallen ließ, die er bereits zum Schlag erhoben hatte. Berger, der sein Versprechen an Helena nicht vergessen hatte, versetzte ihm einen harten Tritt in die Seite und rannte dann in Richtung der grünen Lichterscheinung los.

Er hatte keine Ahnung, wie er Raphael befreien sollte, aber er wusste, dass er diesen Ort nicht ohne ihn verlassen würde. Er kam allerdings nur ein paar Meter weit, bevor er feststellen musste, dass sämtliche Magier, abgesehen von den beiden, die zusammengebrochen waren, ihn eingekreist hatten und nun langsam auf ihn zukamen. Als Berger sich gehetzt umdrehte, sah er, dass auch der Einäugige sich wieder aufgerappelt hatte und ihm grinsend den Rückweg abschnitt.

Berger wusste, dass er jetzt zu dem einzigen Teil seiner kleinen Rettungsaktion kam, den er tatsächlich geplant hatte. Dazu musste er eine Formel wirken, die zwar keinen Schaden anrichtete, aber dennoch zu den mächtigsten und effektivsten zählte, die ihm bekannt waren. Der Nachteil war, dass er dem Anwender eine beachtliche Menge an magischem Potential entzog, und auch wenn das Amulett ihn hoffentlich noch verstärken würde, musste Berger sich darauf einstellen, dass er anschließend keinen weiteren Spruch mehr würde wirken können.

Er wartete, bis die fünf Gestalten nahe genug heran waren, dann brüllte  er so laut er konnte die “Verwirren” - Formel. Im nächsten Moment geschahen zwei Dinge beinahe gleichzeitig: Das Amulett auf seiner Brust wurde so heiß, dass er glaubte, es würde sich in die Haut brennen, und seine Verfolger blieben abrupt stehen. Dann rissen sie wie entsetzt die Augen auf und rannten in wilder Panik in alle Richtungen davon.

Berger riss sich das Amulett von der Brust und steckte es in seine Jackentasche, dann schaute er sich nach seinen Gegnern um, die noch immer wie aufgescheuchte Hühner durch die Halle rannten.

Als Berger sich zu dem grünen Portal umdrehte, stockte ihm der Atem, denn der Mann mit der Augenklappe, der ebenfalls von der Wirkung der Formel betroffen war, rannte nun blindlings darauf zu. Berger stieß einen Fluch aus und setzte ihm nach. Er hatte keine Ahnung was passieren würde, wenn der Kerl einfach in das Tor oder was auch immer es war hineinstolperte, aber nach allem was Zacharias veranstaltet hatte, bevor er hindurchgegangen war, konnte es eigentlich nur katastrophale Folgen haben, schlimmstenfalls auch für Raphael, der noch immer mittels grünem Energiefaden mit der Lichterscheinung verbunden war. Aber vielleicht hätte Berger sich das früher überlegen sollen, denn wie schnell er auch rannte, er war noch zu weit von dem Portal entfernt, um den Mann noch aufhalten zu können.

Als er die Lichterscheinung schließlich erreicht hatte, konnte er nur noch zusehen, wie das unvermeidliche geschah. Einauge lief mitten in das Portal hinein, stieß beim Übergang einen gellenden Schrei aus und war verschwunden. Berger blieb wir angewurzelt stehen und starrte auf das Portal, das plötzlich zu flackern begann. Im nächsten Moment erlosch die Erscheinung wie eine durchgebrannte Glühbirne, nur ein blassgrüner noch immer leicht flackernder Abdruck war noch zu sehen.

Berger warf einen raschen Blick auf seinen Gefährten, der nun von dem grünen Energiefeld, das ihn umhüllt hatte befreit war und sofort laut krächzend durch die Halle zu fliegen begann.

“Raphael: Zu mir!”, rief er. Der Rabe benötigte nicht viel Zeit, um die Situation zu erfassen und landete keine drei Sekunden später auf seiner Schulter. Jetzt sah Berger, dass Raphael offenbar doch noch nicht ganz befreit war, denn der grüne Energiefaden war noch immer vorhanden und führte zu dem schwach flackernden Überrest des Portals. Nur die grüne Aura war verschwunden, und Berger hoffte einfach, dass der Faden ihn nicht mehr an die Erscheinung binden und sich auflösen würde, wenn sie verschwanden. Als er sich rasch unschaute, sah er, dass die übrigen Gegner inzwischen stehengeblieben waren und verwirrt in die Richtung schauten, in der sich gerade noch das Portal befunden hatte. Allerdings bezog sich diese Verwirrung nun nicht mehr auf Bergers magische Formel, also beschloss er, abzuhauen.

Er orientierte sich kurz, um den Eingang wiederzufinden, doch in diesem Moment wurde der auf seiner Schulter sitzende Raphael plötzlich wieder von der grünen Aura umhüllt, die aber scheinbar nicht stark genug war, um ihn erneut in einen handlungsunfähigen Schwebezustand zu versetzen.  Berger drehte sich um und tatsächlich begann das Portal sich an der alten Stelle wieder zu rematerialisieren. Für eine oder zwei Sekunden war er ratlos, da er nicht wusste, welche Folgen es haben mochte, wenn er sich jetzt einfach mit Raphael entfernte. Doch als er sich dann vorsichtig ein paar Schritte mit ihm zurückzog, sah er wie der Energiefaden, der von dem Raben in Richtung des Portals führte, langsam dünner wurde. Da er nicht warten wollte, bis das Portal vollständig rematerialisiert und Raphael wieder als Verbindungselement gefangen war, riskierte er es einfach und lief mit ihm in Richtung der Metalltür zurück. Als er noch einen letzten Blick auf das Portal warf, das nur schwach leuchtete und wieder heftig flackerte, sah er, wie eine grün leuchtende Gestalt aus dem Portal stürzte, die einen großen, würfelförmigen Gegenstand umklammert hielt. Im nächsten Moment brach das Tor endgültig zusammen und auch Raphael war von dem Energiefaden befreit. Berger sah, dass die Magier auf Zacharias zueilten und beschloss die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen.

Als er mit dem Raben durch die Metalltür trat, machte er sich auf einen weiteren Angriff der beiden Torwächter gefasst, aber die Wirkungsdauer des Beschwörungszaubers schien beendet zu sein, denn die lebenden Figuren waren verschwunden.

“Ich glaube, wir haben es geschafft, mein Freund”, sagte Berger.

Raphael reagierte nicht wie gewohnt mit einem Krächzen, aber als Berger ihm eine der Erdnüsse anbot, die er aus Helenas Haus mitgenommen hatte, nahm er sie und verlangte krächzend nach mehr.

Da es kein eindeutigeres Zeichen dafür geben konnte, dass es ihm gut ging, erlaubte Berger sich zum ersten Mal seit einer kleinen Ewigkeit, erleichtert aufzuatmen.

***

Zwei Tage später rief Anna Sattler, die Enkelin des Flötisten bei ihm an.

“Frau Sattler… was kann ich diesmal für Sie tun?”, fragte Berger.

Er glaubte an jenem Tag gesehen zu haben, dass Sattler Senior einer der beiden Magier gewesen war, die nach der Erschaffung des seltsamen Energieanzugs zusammengebrochen waren. Bei dem anderen musste es sich um den großmäuligen, aber offenbar nicht sehr konditionsstarken Benno gehandelt haben, da er bei dem Angriff auf Berger durch Abwesenheit geglänzt hatte.

“Es geht um meinen Großvater”, begann die Frau dann auch. “Er… liegt im Krankenhaus und möchte Sie sprechen…”

“Er liegt im Krankenhaus?” wiederholte Berger wenig verwundert.

“Ja, es geht ihm sehr schlecht. Sie wissen ja, dass er sich mit diesen… Leuten eingelassen hat, die ihn für irgendein okkultes Ritual eingespannt haben, oder? Jedenfalls hat er mir gesagt, dass Sie Bescheid wissen.”

Da Berger nicht glaubte, dass Sattler seiner Enkelin sehr viel mehr als das verraten hatte, bestätigte er das nur und ging nicht weiter darauf ein.

“Und warum will er mich sprechen?” fragte er dann.

“Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aber wenn Sie ihm diesen Wunsch erfüllen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Es schien ihm wirklich sehr wichtig zu sein, mit Ihnen zu reden…”

Berger musste nicht lange überlegen. Er ließ sich die Adresse des Krankenhauses geben und fuhr dann sofort los.

Zwar behagte es ihm ganz und gar nicht, Raphael nach allem, was geschehen war, allein zu hause zu lassen, aber da sein Haus sehr gut gesichert war, glaubte er es riskieren zu können, zumal er nicht glaubte, dass Zacharias den Raben jetzt noch brauchte. Was auch immer sich hinter dem grünen Portal befunden hatte, befand sich jetzt in seinem Besitz und auch wenn Berger noch nicht wusste, was der Magier mit dem rätselhaften Objekt vorhatte, schien es ziemlich wichtig oder wertvoll für ihn zu sein, in Anbetracht des gewaltigen Aufwands, den er betrieben hatte, um es bergen zu können. Zwar glaubte Berger nicht, dass Sattler mehr darüber wusste, dennoch war er sehr gespannt, was er ihm zu sagen hatte.

Nachdem Berger sich im Krankenhaus nach seinem Zimmer erkundigt hatte, fuhr er mit dem Fahrstuhl auf die Station, stand dann nach einer kurzen Suche vor der richtigen Zimmertür und trat nach einem kurzen Klopfen ein. In dem Zimmer lagen drei ältere Männer und Berger brauchte einen Moment, bis er Sattler erkannte. Seine Enkelin schien nicht übertrieben zu haben, denn er sah wirklich schlecht aus.

Immerhin war er wach und als Berger an ihn herantrat, setzte er sich auf und lächelte verlegen. “Herr Berger… gut, dass Sie gekommen sind.”

Berger nickte nur. “Sie wollten mich sprechen?” fragte er.

Sattler nickte ebenfalls. “Ich… möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Es klingt für Sie sicher wie der reine Hohn, aber Sie müssen mir glauben, dass ich nicht gewusst habe, was dieser… Mensch vorhatte.”

Berger zuckte die Schultern. “Ich glaube Ihnen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass auch die anderen nicht wussten, was er vorhatte.”

Sattler hob die schmalen Schultern. “Ich hatte keine Zeit, die anderen näher kennenzulernen, nur den Jungen.”

Berger stutzte. “Den Jungen? Sie meinen Florian…”

Sattler nickte. “Das ist der eine Grund, warum ich Sie sprechen wollte. Sie müssen ihn unbedingt da rausholen, Herr Berger. Die anderen… naja, das scheinen alles Gauner zu sein, aber Florian ist im Grunde ein anständiger Junge, er hat bei diesem Kerl nichts verloren.”

Berger war sich nicht sicher, wie anständig Florian tatsächlich war, aber er nickte. “Ich… werde sehen, was ich tun kann. Das habe ich auch seiner Mutter schon versprochen. Aber dafür muss er sich natürlich auch helfen lassen wollen.”

“Das wird er, glauben Sie mir”, sagte Sattler.

Berger nickte. “Sie… sagten vorhin, es gäbe da noch etwas, was Sie mir sagen wollten?”

Sattler griff mit zitternden Händen nach dem Wasserglas auf seinem Nachttisch. Berger war schneller und reichte es ihm. Der alte Herr bedankte sich, trank einen Schluck und schaute ihn dann mit großen, plötzlich sehr klaren Augen an. “Ich glaube, ich weiß, was dieser kleine Scheißkerl plant”, sagte er leise. 

Berger ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. “Er hat Sie in seine Pläne eingeweiht?” fragte er verwundert.

Sattler zuckte die Schultern. “Das nicht, jedenfalls nicht direkt. Aber als ich ihm erzählt habe, dass ich Konstantin gekannt habe, hat er mich nach einer bestimmten Person gefragt.”

“Sie… kannten Konstantin?” wunderte Berger sich.

Sattler lachte heiser. “Da können Sie mal sehen, wie klein die Welt ist. Ja, ich kannte ihn. Und ich wusste auch, dass er…” Er unterbrach sich und schielte auf seine Nachbarn, die fest zu schlafen schienen.

“Dass er ein mächtiger Magier war. Zacharias kannte ich dagegen nicht, den muss er nach unserer Bekanntschaft kennengelernt haben…”

Berger nickte. “Er war sein Lehrling. Eigentlich nur ein kleiner Helfer, der sich zu sehr für die dunkle Magie interessierte, also hat er ihn zum Teufel gejagt.”

Sattler wirkte verblüfft. “Das passt ins Bild. Nun ja, jedenfalls hatte Konstantin früher mal einen Bekannten, mit dem er aber in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens keinen Kontakt mehr hatte. Nach diesem Bekannten hat Zacharias sich erkundigt.”

“Und wer soll das sein?” fragte Berger, der zum ersten Mal von einem solchen Bekannten hörte.

Sattler hob die Schultern. “Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass Zacharias auf der Suche nach diesem Bekannten ist.”

“Und warum?”, fragte Berger gespannt.

“Es geht um irgendein magisches Artefakt. Sie haben ja sicher mitbekommen, dass er danach sucht. Wir mussten ihm dabei helfen, das erste dieser Artefakte zu bergen, aber es gibt noch mindestens zwei weitere.”

Berger starrte ihn fassungslos an. “Das hat er Ihnen alles erzählt?”

Sattler lachte leise. “Nicht direkt, aber ich konnte es mir anhand dessen, was er angedeutet hat, zusammenreimen.”

Berger nickte nachdenklich. “Also war dieser leuchtende Raum so etwas wie ein… magisches Schließfach?”

Sattler nickte zögernd. “So etwas in der Art, vermute ich…”

“Und der alte Bekannte Konstantins besitzt ein weiteres Artefakt?”

Der alte Mann zuckte die Schultern. “Ich gehe davon aus. Zumindest scheint er zu wissen, wo sich die verborgene Kammer befindet, in dem das Artefakt versteckt liegt.”

Berger schüttelte den Kopf. “Das heißt, dass Zacharias das Ritual irgendwann wiederholt. Und ich dachte, dass er den Raben jetzt nicht mehr braucht.”

“Wenn ich das richtig verstanden habe, braucht er ihn auch nicht mehr”, sagte Sattler. “Der Rabe war eine Art… Katalysator, den er brauchte, um die Magie dieser einen Kammer zu neutralisieren, aber die anderen Kammern könnten ganz anderer Natur und auch anders gesichert sein.”

Berger nickte, obwohl er diesen Gedanken noch nicht teilte.

“Ich… danke Ihnen, Herr Sattler. Ich glaube, Sie haben mir wirklich geholfen. Auch wenn ich beim besten Willen nicht weiß, wie ich verhindern soll, dass er die anderen Artefakte an sich bringt.”

Sattler hob wieder die Schultern. “Finden Sie diesen alten Bekannten Ihres Freundes Konstantin. Am besten bevor Zacharias ihn findet…”   

“Das klingt nach einem Plan”, sagte Berger lächelnd.

Er wünschte Sattler noch eine gute Besserung und verließ dann das Krankenhaus. Sein Kopf schwirrte ihm nach all den Informationen.

“Eins nach dem anderen”, sagte er sich. Jetzt musste er zunächst einmal herausfinden, wer dieser ominöse Bekannte seines alten Freundes Konstantin war. Und vielleicht gelang es ihm dann ja sogar, Zacharias zuvorzukommen. Berger wusste nicht, ob ihm das mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten gelingen würde, er wusste nur, dass er unter allen Umständen verhindern musste, dass der Täuscher alle Artefakte in seinen Besitz brachte. Denn was auch immer das bedeuten mochte, es konnte nichts gutes sein…

Ende

© by Stefan Robijn

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Kommentare  

#1 Toni 2022-02-15 20:05
Ein weiterer spannender Teil.
Schöne Sache mit der Befreiung Raphaels :-)
Bin immer noch gespannt wie es weiter geht.
#2 Robert Martschinke 2022-02-16 00:12
Mich beschleicht gerade die Ahnung, dass das hier noch ziemlich lange weitergeht.
Meinetwegen gern!
Bei diesem Kapitel hege ich mal die Vermutung, dass der Kasten, den Zachy von "drüben" mitgebracht hat, lediglich ein Behältnis ist. Entscheidend ist: Was ist drin?
#3 Cartwing 2022-02-16 05:55
Vielen Dank...
Ich denke, man kann schon sagen, dass es noch ein bisschen weitergeht.
Das war sozusagen die erste Staffel...

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