Emil ohne die Detektive - Eine Kurzgeschichte
Emil ohne die Detektive
Eine Kurzgeschichte
Seltsamerweise hat es doch ein Schweizer Betrüger geschafft, die Susanne Klatten, die reichste Frau Deutschlands, ich sage nur BMW, auszunehmen, der aussieht wie ein Buchhalter. Ich meine, wie man sich einen Buchhalter aus den 1950er Jahren vorstellt, es gibt sicher auch attraktive Buchhalter, zu denen dieser Helg Sgarbi ganz bestimmt nicht gehört. Man kann annehmen, dass er dafür eine Granate im Bett beziehungsweise auf der Rückbank eines BMW X7 ist. Betrüger, das klingt jetzt schon einmal interessant in meinen Ohren.
Welche andere Möglichkeit habe ich denn, zu Geld zu kommen? Ich könnte natürlich auch alten Damen die Handtasche klauen, wie vor etlichen Jahren dieser österreichische Schlagersänger namens Tony Wegas, in Wirklichkeit Toni Sarközi, es gemacht hat. Er hing an der Heroin-Nadel, nicht dass er deshalb völlig verblödet war, aber er brauchte wohl sehr dringend einen Schuss. Man muss sich das mal vorstellen, Tony Wegas war damals allseits bekannt, praktisch jeder und besonders jede alte Dame kannte sein Gesicht. Die handtaschenberaubte Dame ist seinerzeit wahrscheinlich einfach zur Polizei gegangen und hat gesagt: „Der Tony Wegas war´s.“ Er machte es sogar zweimal, demnach hatte er beim ersten Mal doch Glück gehabt. Bestimmt war diese Dame fast blind. Dafür sah die zweite alte Dame gut.
Der Buchhalter ist mir irgendwie im Kopf steckengeblieben. Ein Freund von mir arbeitete früher eben als Buchhalter. Er ist fleißig und fähig, heute hat er einen noch viel besseren Job. Er hat auch Frau, Kinder, Haus, Hund, alles was auch ich gerne hätte. Lassen wir das jetzt besser! Nun, in jenen Tagen arbeitete er in einer Einzelhandelsfirma. Beim Kontieren fiel ihm sofort auf, kann ja gar nicht anders sein, dass sein Chef viele Optionen auf D-Mark gegen US-Dollar zu bestimmten Kursen an die Hausbank verkauft hatte. Es handelte sich um hohe Beträge, ein gewaltiger Crash kündigte sich an, da der Chef die Kurse nicht abgesichert hatte. Er schilderte das sofort seinem Chef, worauf dieser antwortete: „Der Doktor Weber hat einen Fehler im weltweiten Finanzsystem entdeckt, den wir jetzt ausnützen.“ Mein Freund, er heißt übrigens Gerry, setzte dem Chef auseinander, dass es das Finanzsystem seit achthundert Jahren gäbe. Ein Fehler würde innerhalb von Minuten, wenn nicht Sekunden, bemerkt werden und die Lücke geschlossen. Aufgrund der Zahlen musste das Geschäft schiefgehen, anders war es gar nicht möglich. Sein Chef beschimpfte Gerry daraufhin als Hohlkopf, als misstrauischen Idioten. Gerry rechnete dem Chef in Kurzform die Geschäfte auf einem Blatt Papier aus. Sein Versuch fruchtete nicht. Ein paar Monate später hatte sein Chef fünfzehn Millionen Schilling verloren. Dabei war er ein sehr kluger Mann, aber Geld frisst Verstand, so ist es doch.
Dann gab es noch die Geschichte des Investmentunternehmens AvW, die spektakulär verlief und dramatisch endete. AvW steht für Auer von Welsbach, wie Carl Auer Freiherr von Welsbach, dessen mutmaßlicher Urenkel Wolfgang Auer-Welsbach diese Firma betrieb. Sie gab Genussscheine aus, weil diese „Wertpapiere“ nicht den Bedingungen für die Bezeichnung Aktien gemäß der Österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde genügt hatte. Herr Wolfgang lockte natürlich mit superhohen Profiten und gewann viele Kunden, auch mit Hilfe der Banken. Er sammelte ordentliche Summen ein. Es gab sogar einen eigenen AvW-Index, der bei manchen Banken aushing. Ich weiß nicht, ob er nur aus einem Chart bestand oder auch einem schriftlichen Teil. Die Leute standen wirklich da und betrachteten diesen Käsezettel. Klarerweise baute die Organisation auf dem Schneeballprinzip auf.
Die Firma war in Krumpendorf am Wörthersee ansässig. Ich wohnte damals nicht weit entfernt. Ich sah Herrn Wolfgang öfters. Ging ich auf einem Fußweg spazieren, und er kam mit seinem getunten Mercedes, weichte er weiträumig aus. Damals war er ziemlich beleibt. Er wirkte sympathisch. So jemandem traut man solch einen Schwindel gar nicht zu, könnte man meinen. Doch das ist falsch gedacht, denn nur wenn jemand nett und harmlos wirkt, überlassen ihm die Leute ihr Geld.
Selbstverständlich ging die Sache krachend schief. Kunden wollten ihr Guthaben-auf-dem-Papier ausgezahlt haben, einen Wunsch, dem die Firma nicht entsprechend konnte. Im Jahr 2011 wurde Herr Wolfgang zu acht Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, von denen er fast sechs Jahre absaß. Eigentlich hätte er noch früher freigelassen werden sollen, aber dann betrank er sich. Ein anderes Mal wurde er von einem Zellenkumpan verhaut, weil er etwas mit Zwiebeln gekocht hatte. Der Zellenkumpan hatte nichts vom Essen abbekommen und sich am Geruch gestört. Ein wirklich bitterer Abstieg!
An weiterer Unbill kam für Herrn Wolfgang dazu, dass sich seine Frau bald nach seinem Haftantritt von ihm scheiden ließ. Es sagt sich ja leicht: „Schatz, ich warte doch acht Jahre auf dich, kein Problem“, nur stimmt es dann bei einer attraktiven Frau doch nie. Wahrscheinlich hatte sie ihm vorher gesagt, so könnten sie einen Teil seinen Vermögens schützen, dabei hatte sie natürlich einen Lover. Dafür ist der arme Herr Wolfgang jetzt dünn
Gut, aber dieses Geschäftsmodell ist nicht leicht übertragbar, da es kostspielig ist. Man muss nicht nur teuer angezogen sein und ein dickes Auto fahren, sondern man braucht auch eine Firma, die im Firmenbuch eingetragen und in einem ansprechenden Gebäude untergebracht ist. Und ein hundert Kilogramm schwere Krügerrand wäre nicht schlecht, wie ihn Herr Wolfgang in seinem Investmentunternehmen ausgestellt hatte. Möglicherweise würde es auch ein vergoldeter tun, aber wer bitte verkauft einen neunundneunzig Komma fünf Kilogramm schweren Krügerrand aus Blei? Niemand, na eben.
Doch anderseits sind das nur Halsabschneidereien. Die Klienten verlieren zwar Geld, aber ihre Gesundheit bleibt erhalten. Im Russland der 1990er Jahre soll ein begehrter Job für Burschen der eines Racketeers gewesen sein, also eines Geldeintreibers. Mit Brikettfrisur und breitem Kreuz vor dem schwitzenden Opfer stehen und es martern, wenn es nicht zahlen kann. Es soll ja Leute geben, denen so etwas Spaß macht. Die italienische Mafia praktiziert das ja schon länger, als Mitglied bei ihnen ist man sicherlich besser angezogen als bei den Russen. Für mich wäre das nichts, denn grundsätzlich muss, wer austeilen kann, auch einstecken können. Dazu fehlt mir einfach die körperliche Fitness.
Durch das viele Sinnieren komme ich auch auf keinen grünen Zweig. Was soll ich jetzt konkret tun? Momentan fällt mir nichts Besseres als der Neffen- oder Enkeltrick ein, denkt Emil.
Er nimmt ein Telefonbuch zur Hand. Das ich das noch einmal brauchen würde, hätte ich nicht gedacht, überlegt er. Er schlägt es bei Klagenfurt am Wörthersee auf, A. Ich brauche jemanden mit einem Festnetzanschluss und mit einem Vornamen, den er vor hundert Jahre auch haben hätte können, denkt er. Vielleicht sollte ich nicht gleich einen, der einen antiquierten Vornamen trägt, mit einem A-Nachnamen nehmen. So jemanden könnte schon ein anderer Gauner abgestaubt habe. Emil macht das Telefonbuch wieder zu und schlägt es auch einer zufälligen Seite wieder auf, S. Sagmeister, Anton, na ja. Schweinfurtner Gernot, nicht alt genug. Selig, Friedericke, hm, besser, aber wollen wir mal sehen, ob wir jemand noch besseren finden. Ah hier, Seifensteiner, Konrad Wilhelm. Das ist ein Treffer! Emil wählt 0463-539738. Tüt – tüt – tüt. „Grüß Gott, Seifensteiner Konrad hier.“ Die Stimme klingt alt genug, um von Nichten- auf Enkelinnentrick umzuschwenken. „Herr Seifensteiner, mein Name ist Freudenberger Horst. Ich rufe Sie aus Hurghada an. Die Situation ist ernst!“, sagt Emil „Aha, Ägypten, dann erzählen Sie mal, was los ist“, sagt Herr Seifensteiner. Oje, Herr Seifensteiner weiß, dass Hurghada in Ägypten liegt, denkt Emil. „Es geht um Ihre Enkelin, die … Sie wissen schon“, sagt er. „Die Evi, meinen Sie?“, fragt Herr Seifensteiner. „Ja, natürlich, die Evi, stellen Sie sich vor, das arme Mädchen ist hier in einem Freudenhaus gefangen, und Sie wissen ja sicher, welche Krankheiten die Leute hier alle haben“, sagt Emil. „Das ist wirklich schlimm“, sagt Herr Seifensteiner. „Ja, ist es, aber es gibt eine Möglichkeit, die Evi auszulösen. 5.000 € will der Schmutzfink von Evis Zuhälter, dann lässt es sie frei. Wenn Sie, lieber Herr Seifensteiner, diesen Betrag freimachen könnten, wäre die Evi erlöst. Na, wie sieht´s aus?, fragt Emil. „Wie es aussieht, dass will ich Ihnen gleich sagen, junger Mann: Sie sind nicht nur ein Betrüger, sondern auch ein Vollidiot! Meine Enkelinnen heißen Rudolfine, Mathilde und Erna. Und wissen jetzt Sie, was? Sie eignen sich alle nicht für die Prostitution, weil sie nicht hübsch genug sind. Überdies haben Sie mich nicht einmal mit unterdrückter Telefonnummer angerufen. Aber, da ich ein netter Mensch bin, mache ich Ihnen einen Vorschlag: Wir treffen uns morgen um 12 Uhr im Gasthof zum goldenen Geier, wo Sie mir 500 € aushändigen werden. Soviel ist Ihnen Ihre zukünftige Freiheit doch sicher wert, nicht?“, sagt Herr Seifensteiner.
Ich bin der blödeste Mensch der Welt!, denkt Emil, nachdem er die Verbindung getrennt hat. Ich muss diesen Termin wahrnehmen. Ich brauche 500 €, die ich nicht habe. Egal, ich mache mir einen Fünfhunderter-Schein. Rein ins Internet, den Schein aufgerufen und – mit modernen Druckern geht das nicht, weiß Emil, aber seiner ist fünfzehn Jahre alt – doppelseitig auf normales Kopierpapier ausgedruckt.
Am nächsten Tag um fünf vor zwölf sitzt Emil im rustikalen Gasthof zum goldenen Geier. Herr Seifensteiner wird einen grünen Hut tragen, hatten sie gestern noch am Telefon besprochen. Nun betritt ein kleines Manderl mit solch einem Hut das Lokal. Emil winkt ihm. Das Manderl kommt an seinen Tisch. „Sind Sie Herr Seifensteiner?“, fragt Emil. „Genau“, sagt er, „und Sie sind der falsche Herr Freudenberger, korrekt?“ Er setzte sich zu ihm und bestellte ein Achtel Rot. „Haben Sie, was ich will?“, fragt er. Emil gibt ihm den Fünfhunderter-Schein. Herr Seifensteiner kippt ihn vor seinen Augen und zerknüllt ihn anschließend. Er seufzt und steckt ihn in seine Brieftasche. „Ideen muss man haben, nicht, falscher Herr Freudenberger?“, sagt er. „Wir essen jetzt etwas und trinken ein bisschen, dann gehen wir in guter Stimmung auseinander, ja?“, fährt er fort. Das Tagesmenü ist gebackener Leberkäse mit Pommfritt und gemischtem Salat. Kann man essen, denkt Emil. Herr Seifensteiner erzählt ihm, dass er keine Enkelinnen namens Rudolfine, Mathilde und Erna hat, er hat überhaupt keine Enkelin, und auch keine Enkel, keine Kinder und nie eine Frau gehabt. Jetzt ist er alt, und seine Situation ist unabänderbar. Er führt das Leben, von dem Emil Angst hat, es in Zukunft führen zu müssen.
Herr Seifensteiner trinkt noch drei Achtel Rot und Emil insgesamt drei große Biere. Emil zahlt. „Sie wirklich selten dämlich, falscher Herr Freudenberger“, sagt Herr Seifensteiner noch, „wissen Sie nicht, dass bei einem Festnetztelefon nicht die Nummer des anrufenden Telefons aufscheint?“ Dann verlassen sie gemeinsam das Lokal und gehen in verschiedene Richtungen.
Das ist tatsächlich sehr übel für mich, überlegt Emil. Ich bin einem alten Manderl auf den Leim gegangen statt er mir. Aber unter dem Strich ist die Angelegenheit ja doch ganz gut ausgegangen. Doch was jetzt in Zukunft tun? Ich brauche einen Plan.
Es gäbe es natürlich auch die Möglichkeit, einen Onlineshop zu eröffnen, einfach eine Website zu programmieren, in der ich Waren ausstelle, die ich von den Onlineshops der Hersteller oder Händler kopiere. Klickt jemand eine Ware an, kommt eine Meldung: „30 % Rabatt bei Vorauskasse“. Das werden sicher einige in Anspruch nehmen wollen. Dann kommt das Geld auf ein Konto, das auf einen fremden Namen läuft, und welches ich nach einigen Eingängen auflösen werde. Danach gebe ich ein neues Konto an. Liefern werde ich natürlich nie.
Ich könnte das ja mit Tiefkühlprodukten machen, wie Bofrost, aber nicht mit Verkaufsfahrern, sondern eben im Netz. Hoppla, gibt es überhaupt jemanden, der das macht? Sonst könnte ich das doch einführen. Es wäre sogar legal.