Oh, meine Götter, Teil 3: Wie Zeus unbedingt die Fürstentochter Io haben muss

Oh, meine Götter!Teil 3:
Wie Zeus die Fürstentochter Io haben muss

Wer trug eigentlich „Eulen nach Athen“?

Wurde Sisyphus je mit seiner Arbeit fertig? Und kam der Götterbote auch immer ausgerechnet dann, wenn der Empfänger gerade leider nicht Zuhause war?

Kleine Ausflüge in das Reich der griechischen Mythologie.

Gustav Schwab: Sagen des klassischen AltertumsDiese Sage beginnt wie viele andere bei den Griechen: mit Zeus und einer Frau. Wie bereits erwähnt, ist der Donnergott kein Kind von Traurigkeit und vermehrt sich fröhlich, mit wem immer er so trifft. So fällt ihm eines Tages die schöne Io ins Auge. Io ist die Tochter des Inachos, des Stammesfürsten der Pelasger, eine der ältesten griechischen Bevölkerungsgruppen.

Zeus bemerkt Io, als sie gerade die Herden ihres Vaters hütet und fackelt nicht lange. Er nimmt menschliche Gestalt an, begibt sich zu Io auf die Weide und erzählt allerlei von ihrer Schönheit, dass sie nur einen Gott (vorzugsweise ihn) als Partner verdiene und von seinen göttlichen Blitzen, mit denen er sie vor allen Gefahren schützen will. Vielleicht war das Io alles ein bisschen viel oder Zeus einfach nicht ihr Typ, jedenfalls hat sie wenig Lust, sich mit dem Gott einzulassen und versucht, zu fliehen. In ihrer Angst ist Io rasend schnell, und so wäre ihr die Flucht wohl auch gelungen, doch so leicht lässt Zeus seine Beute nicht entkommen. Er hüllt das ganze Land in dichten Nebel, sodass Io nichts mehr sieht und nicht mehr so schnell vorwärtskommt. Zeus kann sie einholen und bringt die hübsche Stammesfürstentochter in seine Gewalt.

Hera, Zeus´ Schwester und Ehefrau, die ironischerweise unter den Göttern als Hüterin der Ehe gilt, weiß längst um die Treulosigkeit ihres Ehegattens. Verständlicherweise ist Hera so zu einer misstrauischen und eifersüchtigen Partnerin geworden, und auch an diesem Tag will sie gerade kurz überprüfen, was Zeus unten auf der Erde so treibt, als sie bemerkt, wie plötzlich alles unter ihr finster wird. Da kann sie sich schon denken, dass das was mit ihrem untreuen Ehemann zu tun haben muss, also fliegt sie auf einer Wolke hinunter zur Erde und befiehlt dem Nebel, sich zu verziehen.

Zeus, der bemerkt hat, dass Hera im Anmarsch ist, verwandelt Io schnell in eine schneeweiße Kuh. Auch als Kuh ist Io noch wunderschön. Hera kennt ihren Mann gut und kann sich sehr gut vorstellen, was hinter der ganzen Sache steckt. Sie stellt sich aber unwissend, lobt das schöne Tier und fragt Zeus, woher die Kuh stammt und wem sie gehört. Zeus antwortet schnell, sie komme aus der Erde. Bei der Antwort ist sich Hera sicher, dass etwas nicht stimmt, aber statt Zeus zur Rede zu stellen, verlangt sie von ihm, ihr die Kuh zu schenken. Zeus, der Angst hat, dass er erst recht verdächtig wirkt, wenn er Heras Bitte abschlägt, gibt ihr die Kuh. Hera tut, als freue sie sich über das Geschenk, knüpft der Kuh ein Halsband und nimmt die verzauberte Io mit.

Doch Hera reicht der Besitz der Kuh nicht aus. Zu groß ist die Gefahr, dass Zeus das Tier einfach wieder entführt. Also hat Hera eine Idee: Sie übergibt das Tier an Argos, ein riesiges Ungeheuer mit hunderten von Augen. Als Wache für Heras Kuh ist Argos bestens geeignet, denn von seinen zahlreichen Augen schläft immer nur ein Paar und auch am Hinterkopf hat das Monster seine - richtig, daher kommt das also -  „Argusaugen“.

So ist die arme Io nun unter Argos´ nie ruhenden Augen in von Hera vermuteter Sicherheit vor Zeus. Tagsüber darf Io zwar nach draußen, aber egal wohin sie sich dreht, Argos hat seine Augen überall. Nachts wird sie mit schweren Ketten in Höhlen versteckt. Auch hat Hera Argos angewiesen, nicht lange an einem Ort zu bleiben, deshalb zieht er mit dem Tier durch das Land. So kommt Io auch zurück in das Land ihres Stammes und schafft es sogar, zu ihrem Vater Inachos zu gelangen, doch der erkennt sie in ihrer Tiergestalt nicht. Zwar streichelt und füttert er die Kuh, aber dass er da seine vermisste Tochter vor sich hat, ahnt der alte Mann nicht.  Als Io mit ihren Hufen Schriftzeichen in den Boden ritzt und Inachos zu verstehen beginnt, was geschehen ist, schreitet Argos ein und schleppt die bemitleidenswerte Io fort auf einsame, abgelegene Weiden. Er selbst klettert auf einen nahen Berggipfel und behält von dort alle Himmelsrichtungen im Blick.

Und was ist nun mit Zeus, mag man sich fragen, überlässt der Io einfach ihrem Schicksal, an dem er ja nicht ganz unschuldig ist? Nein, Zeus kann das Leid der Hirtentochter nicht mit ansehen und bittet Hermes, ihm zu helfen. Hermes ist – wie sollte es anders sein – ein unehelicher Sohn von Zeus, und zwar aus einem Verhältnis zur Tochter des Atlas (der wiederum ist ein ebenfalls ein Enkel von Gaia und Uranos, also ein Vetter von Zeus, aber das nur am Rande). Er gilt als der Götterbote, aber auch als der Gott der Kaufleute und Diebe und fungiert als Verkünder von Zeus´ Beschlüssen und Anordnungen. Auch ist Hermes für seine Listigkeit bekannt, die Zeus nun helfen soll, das Augenlicht des verhassten Wächters auszulöschen und Io zu befreien.

Hermes nimmt seine einschläfernde Rute und fährt zur Erde nieder, verkleidet als ein einfacher Hirte. Als er in die Nähe von Argos und Io kommt, beginnt er auf seiner Syrinx, einem Hirtenrohr, wunderschöne Melodien zu spielen. Argos, dem von dem ganzen Wachehalten und Stillsitzen auf seinem Berg inzwischen schon langweilig ist, lädt den vermeintlichen Hirten zu sich auf den Berg ein, um zu rasten. Das Angebot nimmt Hermes natürlich gerne an und verwickelt den Wächter in ein Gespräch, das schnell den ganzen Tag dauert. Nach und nach beginnen die Augen des Argos einzuschlafen, doch einige der hundert Augen bleiben immer offen.

Um Argos endgültig einzuschläfern, erzählt ihm Hermes die Geschichte von der Herkunft seiner Syrinx, und noch bevor Hermes zum Ende kommt, schließt Argos für kurze Zeit alle seine Augen. Schnell nimmt Hermes seine Zauberrute und berührt die Augen, um deren Schlaf zu verstärken. Als der Wächter tief und fest eingeschlafen ist, holt Hermes ein Schwert, das er unter seinem Gewand verborgen hat, hervor und schlägt es mit aller Wucht in den nach vorne gebeugten Nacken des Ungeheuers. Argos´ Kopf fällt abgetrennt nach vorne, dann kippt auch sein restlicher Körper.

Io ist jetzt frei, aber immer noch verwandelt, und so schnell sie kann flieht sie außer Reichweite des Wächters. Hera aber hat die ganze Befreiungsaktion mit angesehen und denkt sich eine neue Bestrafung für Zeus´ Angebetete aus: sie schickt ihr eine Bremse, die die schöne Kuh in den Wahnsinn treiben soll. Das funktioniert auch ganz gut, und die Bremse jagt Io um den halben Erdball.

Am Nil angekommen, sinkt die weiße Kuh erschöpft auf die Vorderpfoten und klagt und muht in Richtung Himmel. Zeus hört Ios Jammern und kann das kaum ertragen. Er fleht Hera an, Io aus ihren Qualen zu erlösen, und verspricht, sich von ihr fernzuhalten und sein Verlangen nach ihr unter Kontrolle zu bringen. Hera hört das schreckliche Klagen der Kuh ebenfalls und lässt sich schließlich von Zeus erweichen.

So eilt Zeus Richtung Erde und streicht der Verwandelten über den Rücken, woraufhin Io sich in ihre menschliche Gestalt zurückverwandelt. Und als die wunderschöne Io so vor ihm steht, sind alle Versprechungen an Hera schnell vergessen. Noch am Nil wird der gemeinsame Sohn Epaphos geboren. Weil die Einwohner der Lande um den Nil Io von da an wegen ihrer wundersamen Verwandlung wie eine gottähnliche Erscheinung verehren, herrscht sie dort in vielen folgenden Jahren als Fürstin. Nach ihr folgt ihr Epaphos auf den ägyptischen Thron und regiert die Ägypter mit seiner Frau Memphis. Auch nach ihrem Tod werden Io und Epaphos von dem Nilvolk in Tempeln angebetet und erhalten bei den Ägyptern als Isis und Apis göttliche Verehrung.

Mehr dazu in:  »Sagen des klassischen Altertums« (1838-1840) von Gustav Schwab

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