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Von der Freiheit des Moist von Libwig: Terry Pratchetts "Going Postal" - I

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneVon der Freiheit des Moist von Libwig
Terry Pratchetts »Going Postal« - I

»He insist that all condemned prisoners should be offered the prospect of freedom.« »Freedom? But there’s a great stone through here.« »Yes, there is that, sir, yes, there is that«, said the warder.  
»It’s only the prospect, you see.«

Pratchett, Terry: Going Postal - A Discworld Novel. Corgi, 2005. S.14

Terry Pratchetts "Going Postal" - zu deutsch "Ab die Post", was leider den doppeldeutigen englischen Ausdruck nicht annähernd wiedergibt, ist "Going Postal" nicht nur ein "zur Post gehen" sondern auch ein "bekloppt werden" - handelt an der Oberfläche von dem Konflikt zwischen alter und neuer Technologie. Die Clacks, vergleichbar mit den Telegrammen unserer Geschichte, haben die Scheibenwelt erobert. Information ist schnell verfügbar, wenn man denn genügend dafür zahlen möchte oder kann. Aber unter der Oberfläche - im wahrsten Sinne des Wortes, wie wir noch sehen werden - fragt Pratchett danach, was eigentlich Freiheit ist und wie diese definiert werden kann. In den nächsten Ausgaben der Kolumne schauen wir uns daher einfach mal an, was und wie Pratchett unter Freiheit versteht oder was die Figuren von "Going Postal" darunter verstehen. Falls allerdings irgendwas Aktuelles vorkommen sollte, schiebe ich das natürlich dazwischen. Aber da es Sommer ist, erwarte ich nicht unbedingt jetzt was Dramatisches - außer Huawei übernähme Microsoft. Oder es gäbe jetzt DAS neue Social-Media-Tool. Hmm, merkwürdig, dieses Jahr haben wir noch nichts Neues gehabt... Dabei sind alle Zitate aus der obigen erwähnten englischen Ausgabe, ebenso verwende ich die englischen Namen und Ausdrücke. Was einfach daran liegt, dass ich das Buch nicht auf deutsch vor mir liegen habe. Pratchett auf deutsch ist immer so eine Sache. Man spürt als Leser das Bemühen, den Wortwitz zu übertragen, aber gerade diese Mühe stört mich persönlich immer beim Lesen. Abgesehen davon: Haben die nicht auch den Übersetzer gewechselt? Und die Cover der englischen Taschenbuchausgaben sind einfach viel schöner. Ja, auch ein Argument beim Kauf... Es folgt also Teil Eins.

Im Anfang sind die Prologe oder Pratchetts Kunst der Themeneinführung
Moist von Lipwig einen freien Mann zu nennen wäre zu Beginn von Terry Pratchetts „Going Postal“ sehr verwegen. Wobei: Es ist eigentlich nicht Moist, der zu Beginn des Romans in der Klemme, also im Kittchen sitzt, es ist eine von Moists vielen Persönlichkeiten. Als exzellenter Schwindler und Betrüger mit einem Gesicht, das sich nie in das Gedächtnis seiner Umwelt einprägt, steht Moist als „Albert Spangler“ kurz davor hingerichtet zu werden. Wenngleich er immer aus heiklen Lagen rausgekommen ist: Hier ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Und obwohl Moist bis zuletzt auf ein Eingreifen des Patriziers hofft, des leitenden Tyrannen der Stadt Ankh-Morpork, passiert dies nicht. Im Gegenteil: Lord Vetinari ist zwar anwesend, aber er drängt eher darauf dem Ganzen schnell ein Ende zu machen. Und so öffnet sich die Falltüre und Moist stürzt in die Schwärze des Todes…

Wobei: Eigentlich beginnt der Roman gar nicht mit Moist. Pratchett stellt der Handlung nämlich zwei Prologe voran. Einmal den 9.000-Year-Prologue und daran anschließend den One-Month-Prologue. Der erste Prolog führt - wie der Leser später erfahren wird - den Golem Anghammard ein, der auf dem Meeresgrund ohne Instruktionen darauf wartet, dass irgendwas passiert. Eine Art Vorausgriff auf die spätere Szene, in der Anghammard ebenfalls an einem Punkt warten wird. Damit ist - obwohl das dem Leser noch nicht klar ist - das Thema der Freiheit von Pratchett schon mal indirekt erwähnt. Dass Pratchett ein brillanter Verschränken von einzelnen Handlungsfäden ist, das weckt natürlich die Erwartung des Lesers, dass dieser erste Prolog sich irgendwann „auszahlen“ wird. Insgesamt ist es eine sehr poetische Szenerie, die Pratchett hier darstellt: Schiffe, die gesunken sind, kreisen in unendlichen Bahnen in den Ozeanen umher bis die Planken verfault, die Nägel verrostet und die Mannschaft selbst nur noch Skelette sind. Gut, ob man Skelette romantisch nennen kann ist die Frage, aber insgesamt gesehen haben wir einen sehr poetischen, fast zauberhaften Tonfall. Der Ton wird später in der ähnlichen Szene gespiegelt werden und die Situation, in der Anghammarad sich dann befindet gleicht der im Prolog. Allerdings haben sich bis dahin einige Dinge getan, die nicht nur wesentlich für die Motivation des Helden Moist sind sondern auch das furiose Finale vorbereiten. Dennoch ist es bemerkenswert, dass Pratchett schon hier quasi nebenbei auf das Thema Freiheit anspielt. Was Freiheit aus der Sicht eines Golems bedeutet darf später noch betrachtet werden. (Nämlich im nächsten Teil der Kolumne.)

Der zweite Prolog schildert die Perspektive eines sogenannten Clacksman. Und auch hier erfährt der Leser erst später in welcher Beziehung der Charakter, der am Ende des Kapitels in die Tiefe stürzt - und dessen Details ziemlich klarmachen, dass hier ein Mord verübt wird - zu den Hauptpersonen steht. Auch hier wird der Begriff „Freiheit“ nicht wörtlich erwähnt, der Charakter in diesem Prolog - so kann man durchaus folgern - ist eben nicht frei sondern von der Maschine gefangengenommen worden, die selbst seine Träume beherrscht. Jedoch wirft Pratchett dem Leser quasi im Vorbeigehen einen Satz zu, der sich durchaus mit dem Thema „Freiheit“ verbinden lassen würde: „Sometimes, the clacksmen thought they could fly“. Die Verbindung zwischen „Fliegen“, „Vogel“ und „frei sein“ ist unserer Kultur ziemlich ausgeprägt. Zudem ist in diesem Prolog eine Art von Schiffs-Metaphorik zu finden. Da ist die Rede von Planken, vom Schwanken, vom Wind. Die Rede davon, dass man eine weite Aussicht hat. Der Clacksmen steht zwar nicht über den Wolken, wo die Freiheit wohl grenzenlos scheint, wie ein Pirat allerdings scheint er eine Freiheit zu genießen, die dem normalen Menschen nicht zugänglich ist. Jedoch: Die Maschine zur Verbreitung von Kurznachrichten - vergleichbar mit Morse-Apparaten unserer Historie - hat sich selbst bis in seine Träume geschlichen. Ob Clacksmen wirklich frei sind wird in der weiteren Handlung des Romans durchaus thematisiert. Geschickt allerdings verbindet Pratchett den Schluss des Kapitels mit dem Schicksal, dass Moist von Lipwig erwartet. Hier wie dort spielt ein Seil eine Rolle, hier wie dort wird den Charakteren der Boden unter den Füßen entzogen und hier wie dort stürzen beide in eine abgrundtiefe Dunkelheit.

Beide sind darüberhinaus nicht Herr ihres eigenen Schicksals - ein weiterer Aspekt des Themas der Freiheit. Im Prolog stürzt der Clacksman in den Tod, weil jemand sein Sicherheitsseil ausgeklinkt hat. Moist selbst wurde von der Legislative der Scheibenwelt gefangengenommen - und man könnte argumentieren, dass er durchaus Herr über sein Schicksal ist, denn wenn er nicht den Weg des Schwindlers eingeschlagen hätte, wäre er ja kaum im Gefängnis gelandet. Hier jedoch muss er sich in die Abläufe der Obrigkeit fügen und selbst sein ehrgeiziger Versuch aus der dieser Lage doch noch zu entkommen bringt ihm nichts ein. Außer einem neuen Löffel und einen weiteren Stein, der frisch verfugt die Hoffnung, die Aussicht  auf Freiheit bietet. Nicht die eigentliche Freiheit selbst wohlgemerkt. Das wäre, so kommentiert der Wärter ja auch ein wenig blödsinnig. Und so stürzt Moist am Ende des ersten Kapitels in die abgrundtiefe Schwärze. Der Vergleich zu „Alice im Wunderland“ drängt sich natürlich auf. Die Falltür - der Fall durchs Kaninchenloch. Aber ebenso wie später Lord Vetinari sich als eine Art Scheibenwelt-Morpheus generiert, wenn er Moist die Wahl lässt zwischen der nächsten Falltür und dem Arbeiten für die Stadt als Post-Master, ist der Fall durch das Kaninchenloch nur ein Rückgriff auf den Fundus der Erzählungen. Spannender ist die Frage, wie Pratchett den Begriff der Freiheit in seinem Roman angeht.

Anhand von drei Charakteren geht Pratchett der Frage nach: Einmal anhand des Protagonisten Moist, anhand des Schicksals des Golems Anghammarad und anhand des Patriziers Lord Vetinari. Während Moists Entwicklung über den Roman auserzählt wird, werden die beiden anderen Charaktere nur am Rand gestreift. Zwar ist Anghammarad durchaus wichtig, so als Gegengewicht zum anderen Golem-Charakter des Romans und sein Schicksal leitet den letzten Teil der Handlung ein. Jedoch ist er nur eine Nebenfigur. Wie auch Lord Vetinari selbst. Aber Anghammarad ist dennoch der Punkt, an dem wir uns dem Thema Freiheit nähern werden. Denn Golems sind etwas unkomplizierter als Menschen was das betrifft. Wie wir noch sehen werden. Im zweiten Teil der Kolumne nämlich.

Kommentare  

#1 Larandil 2017-08-04 09:22
Über die Freiheit der Golems schrieb Pratchett auch schon 1996 in "Feet of Clay" - übersetzt als "Hohle Köpfe" ...
#2 sarahh 2017-08-04 19:45
Das mit den hässlicheren deutschen Covern stimmt für die Bücher im Piper-Verlag auf jeden Fall, aber es gibt einen Großteil der Scheibenwelt-Romane auch noch in älteren Ausgaben von Goldmann, und da sind die Cover genau wie bei den englischen Originalbänden. So wie sich das gehört - die tollen Einbände von Josh Kirby gehören einfach zur Scheibenwelt dazu.

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