Ringo´s Plattenkiste - Ramases: Space Hymns
Vor unendlich langer Zeit: Die seligen Sechziger Jahre klingen mehr und mehr psychedelisch aus und läuten die nächste Dekade stilvoll experimentell und spacig ein. Diese Siebziger versprechen ein musikalisch ein äußerst buntes und facettenreiches Jahrzehnt, das einem steten Wandel unterworfen sein wird. Viele Paradiesvögel werden die Bühne betreten und auch meist genauso schnell wieder verschwinden…
Eine der schillerndsten und zugleich wohl auch erfolglosesten Figuren dieser Ära war ohne Zweifel der abgedrehte und orientierungslose Brite Barrington Frost, der sich nach einem sehr wandlungsreichen Leben schließlich als Ramases der Musik zuwandte. Der exzentrische Frost gab sich seinen Künstlernamen in Anlehnung an den altägyptischen Pharao Ramses II.
Angeblich sei ihm der Geist des Pharao eines Tages während der Arbeit als Klimatechniker überraschend erschienen und hätte ihm offenbart, dass er seine Reinkarnation sei. Es macht „Puff!“, Frost entledigt sich seiner Kleidung, sagt dem Kunden wohin er die Rechnung schicken könnte und war fortan nicht mehr der einfache englische Arbeiter der er zuvor gewesen. Er war Ramases! Auf seinem mit Kühlflüssigkeit betriebenem Götterwagen düst er nach Hause.
Wenig später am Küchentisch überrascht der neu erstandene Pharao seine Frau mit seiner reinkarnatischen Identität, so dass Dorothy Frost – eine Kellnerin – sich ihrer Kleiderschürze entledigt und in die Ecke wirft und sich unter verheißungsvollem und kehligem Stöhnen schlagartig ebenfalls ihrer ägyptischen Wurzeln bewusst wird. Wobei sie sich theatralisch am Küchentisch aufstützt und ihre Augen mit dem rechten Unterarm bedeckt. „Oh, ein Abgrund in der Zeit tut sich auf“, wispert sie und… Stop. Da geht gerade meine Phantasie mit mir durch.
Sie heißt jedenfalls fortan Selket. Was auch wohlklingender ist als Dorothy. Gemeinsam verfassen die beiden merkwürdig entrückte und verwirrende Texte und Gedichte und konsumieren dabei wohl auch eine Menge an bewusstseinserweiternden Substanzen. Das Ehepaar kleidet sich zunehmend entsprechend ihrer Vorbilder. Sie tragen nun selbstgeschneiderte Gewandungen in ägyptischem Stil - oder was sie zumindest dafür halten. Frost schert sich sogar den Kopf kahl. Ramases, der seit seiner Kindheit Gitarre spielt und zwischenzeitlich als Sänger in einer Jazzband ist, beginnt nun auch selbst Musik zu machen und ergattert 1968 schließlich überraschend sogar einen Plattenvertrag bei CBS.
Flugs wird die Single Crazy One aufgenommen und veröffentlicht, die allerdings gnadenlos floppt. Crazy One ist im Gegensatz zu Ramases´späteren Songs sehr eingängig und melodiös, durchaus tanzbar und spiegelt sowohl den Zeitgeist der ausgehenden Sechziger wieder, als auch die Weltanschauung des versponnenen Ehepaars. Sehr schön zur Geltung kommt hier Selkets Stimme, die sehr lasziv und nach Schlafzimmer klingt. Eine richtig geile Nummer, die auf Space Hymns (zumindest) in dieser Version leider nicht enthalten ist, aber dazu später mehr. Genauso schnell wie Ramases seinen Plattenvertrag bekommen hat, ist er ihn auch schon wieder los. CBS kündigt die Zusammenarbeit einfach wieder auf. Dumm gelaufen.
Nicht entmutigt veröffentlichen die beiden im selben Jahr bei einem anderen Label eine weitere Single – Screw you -, die aber ebenfalls keine Beachtung findet. Das war´s dann erstmal mit der Plattenkarriere, sollte man meinen. Aber Ramases gibt nicht auf und macht weiter. 1970 schließlich erhält er dann ungeachtet seiner vorangegangenen Misserfolge erneut einen Plattenvertrag. Diesmal landet er bei Vertigo. Wie ihm dies gelingt, bleibt schleierhaft. Ein guter Grund für die Entscheidung des Labels dürfte wohl aber Frosts ungewöhnliches Äußere gewesen sein.
Vertigo, spezialisiert auf progressive und ungewöhnliche Acts wie z.B. Gentle Giant, Uriah Heep, Black Sabbath, sieht in dem exzentrischen Ramases wohl einen potentiellen Erfolgskandidaten. 1971 schickt man Ramases und Sel dann ins Studio um ein Album aufzunehmen. Als Studioband engagiert man Eric Stewart, Graham Gouldman, Lol Creme und Kevin Godley. Wem die Namen jetzt nichts sagen sollten: das Quartett gründet wenig später die Erfolgsgruppe 10CC.
Unterstützt werden die Musiker teilweise von einem gewissen Martin Raphael an der Sitar. Fälschlicherweise wird Raphael oftmals als wahres Alter Ego von Ramases genannt.
Ramases und Sel schreiben und singen alle Songs selbst. Space Hymns ist also kein frühes 10CC-Album, wie manchmal behauptet wird.
Hier die Tracklist des Albums:
Die Musik selbst ist schwer einzuordnen. Der Sound ist psychedelisch mit vielen Soundeffekten wie z. B. die obligaten Rückwärtsspuren, dazu noch Flöten und atonales Moog-Gezwitscher. Zwischendurch gibt es dann auch Ethno-Anleihen bei arabischer Musik inkl. näselndem Muezzin-Gesang beim drogenschwangeren Song Molecular Delusion der mit Sitar (!) untermalt ist. Die Songs sind insgesamt sehr einfach und schlicht in ihrer Struktur, die Texte sind spirituell, esoterisch und mit Abstand betrachtet, auch ziemlich naiv. Eingängige Melodien oder Passagen findet man nur vereinzelt. Einzig der Opener Life Child und – stellenweise - Balloon besitzen in sich eine gewisse Dynamik und vermögen auch zu überzeugen. Bei letzterem Track nerven allerdings die Soundeffekte sehr, da sie wie zum Selbstzweck aufgesetzt wirken und einfach nicht zum Song passen. Ramases´ Stimme vermag seine Texte nicht recht überzeugend vorzutragen, ist sie doch zu wenig ausdruckslos und abwechslungsreich. Einen Höhepunkt sucht man auf dem Album leider vergebens, ein Tiefpunkt ist aber schnell ausgemacht und gefunden: You´re the only one ist ein verdammt lästiger Track, in dem Ramases mit seiner nervig nölig-näselnder Stimme eine einzige Textzeile über 30 mal wiederholt. Ähnlich beschwerlich ist das fragmentarische Dying Swan year 2000.
Viele der Songs wirken wie am Lagerfeuer entstanden, z.B. Oh Mister, Jesus (schlimm) oder das schon fast country-eske And the whole world.
Der Track Crazy One von der ersten Single findet sich auf dem Album als Quasar One wieder, diesmal aber völlig anders arrangiert und dargebracht. Auf Space Hymns klingt es nicht mehr versponnen-arabisch-angehaucht, sondern very hypnotisch und zeitgemäß spacig. Man sieht hier förmlich die rauchenden und kreisenden Joints vor sich.
Die Scheibe klingt mit dem 6-Minüter Journey to the inside aus, der mit Rückwärtsschleifen, Moog-Sounds und musikalischen Dissonanzen nicht geizt. Ramases erzählt uns hierzu mit seiner näselnden Stimme – die einen erdigen Cockney-Akzent nicht ganz verleugnen kann – seine ganz eigene Sicht des Mikrokosmos und was geschieht, wenn man seine Körpergröße verkleinert und verkleinert und verkleinert… Auch hier vermag man die rauchenden und kreisenden Joints förmlich zu erahnen.
Veröffentlicht wurden diese 11 Songs 1971 auf dem Album Space Hymns, das in opulenter Aufmachung erschien. Die Hülle war kein übliches Klappcover, sondern gleich ein 6-faches! Klappt man die Hülle komplett auf, offenbart sich das Wesen des vermeintlichen Raumschiffs. Es ist in Wahrheit der obere Teil eines Kirchturms! Das Motiv wurde von niemand geringerem als Roger Dean (bekannt von Yes, Gentle Giant, etc.) gestaltet. Die Idee dazu aber lieferte Ramases selbst (in recht aufdringlicher Art und Weise, wie Dean meint). Die dargestellte Kirche existiert übrigens wirklich. Es handelt sich um die St George's Church in Stockport.
Trotz dieses aufwendigen Covers blieb das Album aber erfolglos. Vertigo trennte sich aber dennoch nicht von seinem exzentrischen Duo, sondern gab ihnen noch eine weitere Chance. 1975 erschien das zweite Album, Glass Top Coffin, diesmal aber mit anderen Musikern eingespielt. 10CC waren inzwischen schon zu erfolgreich und andersweitig beschäftigt. Auch dieses Album erschien mit einem aufwendigen und ungewöhnlichen Cover, blieb aber leider auch genauso erfolglos wie sein Vorgänger. Ein drittes Album mit dem Titel Sky Lark war zwar geplant, blieb aber unveröffentlicht. Desillusioniert und mutlos nahm sich Frost im Dezember 1976 das Leben. Bekannt wurde sein Ableben aber erst in den Neunzigern. So bedeutungs- und belanglos war er inzwischen geworden.
Ramases und sein Werk wären heute völlig vergessen, hätte nicht der schwedische Schauspieler Peter Stormare – er spielte den grimmigen und wortkargen Killer Gaear Grimsrud in „Fargo“ – die Witwe Frost ausfindig gemacht und sich mit ihr in Verbindung gesetzt. Eine deutlich gealterte und verlebt wirkende Sel überließ ihm alle verbliebenen Aufnahmen und Bänder, und Stormare ließ sie veröffentlichen. Das Treffen Stormares mit Sel ist übrigens auf Youtube dokumentiert.
Space Hymns wurde 2004 auf CD wiederveröffentlicht, in optisch ansprechender Weise und opulent aufgemacht im Digisleeve. Beigelegt war ein Poster, welches das Original-Artwork zum Aufklappen zeigt. Auf der Disc sind zusätzlich 4 Bonustracks enthalten:
Einzig Track 2 ist auf dem Original-Album nicht enthalten sondern findet sich als Flipside auf der ausgekoppelten Single „Balloon“ wieder. Der Track ist nicht schlecht, kommt aber stilistisch über eine Lagerfeuer-Weise nicht hinaus.
Space Hymns war kein großer Wurf und schon gar kein Meilenstein. Es ist aber auch kein wirklich schlechtes Album. Ein gutes aber leider auch nicht. Es ist, wie soll ich sagen… irgendwie zu strange. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Anders, eben. Space Hymns könnte aufgrund seiner textlichen und musikalischen Fremdartigkeit ein Album aus einer Parallelwelt sein. Aber das Cover ist gut.
Seinen Platz in meiner Plattenkiste verdankt es dann auch einzig seinem exorbitantem Artwork.
Barrington Frost hat seinen Platz in unserer Welt leider nie gefunden und sehr darunter gelitten. So sehr, dass er freiwillig ins Jenseits ging und seine Frau alleine zurück ließ. Anubis sei ihm gnädig.
Kommentare
Die Sache mit dem Bandnamen von 10cc ist übrigens ganz witzig: Das Durchschnittsspermavolumen eines Mannes bei einem Orgasmus beträgt 9cc... der Rest erklärt sich von selbst.