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Lichtspiele - Über das Überarbeiten - Am Beispiel einer Geschichte von Andreas Wolz

Aus der SchreibmaschineLichtspiele
Über das Überarbeiten –
Am Beispiel einer Geschichte von Andreas Wolz

Vor einigen Tagen habe ich von der Schreibwerkstatt berichtet, einem Schreibseminar von Uschi Zietsch. Knapp zwei Wochen vor dem Seminar musste jeder Teilnehmer eine Geschichte oder einen Auszug aus einem Roman einschicken, Höchstumfang 10.000 Zeichen. Diesen Text las man dann auf dem Seminar vor und besprach ihn in der Gruppe. Um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie die Texte besprochen wurden und welche Änderungen sich darauf ergaben, stelle ich heute einen Auszug aus meinem eingereichten Text der überarbeiteten Version gegenüber. Dabei erläutere ich im Detail die Gründe für die Änderungen.

Andreas 'Andi' WolzFür meinen Seminartext wählte ich das Anfangskapitel eines Science-Fiction-Romans, an dem ich zurzeit schreibe. Der Roman spielt zu einer Zeit in der Zukunft, in der sich die Erde vollständig im Besitz einer großen Firma befindet, der Firma Redox. Diese Firma hat im Atlantik riesige Leuchtreklamen installiert, um vom All aus weit sichtbar für sich zu werben. So gut wie alle Erdbewohner sind Angestellte von Redox, und alle sind mit der Firma zufrieden. Alle? Nein, ein einsamer Student namens Tim wehrt sich und begeht Sabotage. Der Text setzt ein, als Tim auf der Flucht ist.

Am besten lest Ihr zuerst den kurzen Text am Stück: Hier seht Ihr die ursprüngliche, hier die überarbeitete Fassung. Es folgen nun die Erklärungen zu den Korrekturen. Ihr findet jeweils einen Link zu der entsprechenden Stelle in der Fassung vor und in der nach der Bearbeitung:

1 Die neue Fassung beginnt gleich mit einer komplett neuen Einstiegssequenz. Auf dem Seminar wurde zu Recht bemängelt, dass der Leser in der ersten Fassung unvermittelt in die Szene mit dem Paar auf der Bank hineingeworfen wird, ohne zu wissen, wo er sich überhaupt befindet. Dadurch kann er das Gespräch nicht richtig zuordnen. Der Ort der Handlung muss klar werden. Außerdem muss Tim als Hauptdarsteller sofort eingeführt und in Beziehung zu dem Paar gesetzt werden. Nur dann kann man die größtmögliche Spannung aus dem Gespräch des Paares und seine Wirkung auf Tim rausholen.
(vorher / nachher)

2  Sowohl die eZeitung
(vorher / nachher) als auch das Mega-Phone (vorher / nachher) hielt ich zwar für gelungene Wortspiele, allein sie kamen bei den anderen Seminarteilnehmern nicht gut an. Schicksal. Auch wenn es noch so schmerzhaft ist, man muss auf Dinge verzichten, die den Lesern nicht gefallen. Selbst wenn sie einem selber wahnsinnig gut gefallen.

3 An dieser Stelle sagt Tim in der Urfassung, dass er nur aus Langeweile die Buchstaben manipuliert hat. Das schwächt seine Handlung und für den Fortgang des Romans seinen Charakter zu sehr ab. Es ist wichtig, dass er absichtlich und zielgerichtet handelt.
(vorher / nachher)

4 Auf dem Seminar erfuhr ich, dass Hacker sich selber nicht als Hacker bezeichnen.
(vorher / nachher)

5 Hier begann der Absatz ursprünglich mit der Bitte des Mannes am Schalter und blendete dann zurück zur Auswahl Tims. Das ist ein unnötiger Rücksprung, der beim Lesen verwirrt und die spannende Chronologie der Ereignisse ohne jeden Grund unterbricht. Daher habe ich die Rückblende rausgenommen und alles der Reihe nach erzählt. Außerdem musste Tim an dieser Stelle nervöser werden, emotionaler. Der darauf folgende Absatz gefiel dann allen umso besser. (vorher / nachher)

6 Jetzt mal ehrlich, wem ist der Dreher in diesem Ausdruck bei der ersten Fassung aufgefallen? Im Seminar lag die Quote bei 1 zu 6 – lediglich eine Teilnehmerin hat den Fehler entdeckt. Kompliment an sie!
(vorher / nachher)

7 Diesen Satz habe ich ans Ende des Absatzes gezogen, da der nervige Schalterangestellte zuvor noch nicht durch nervige Dialoge aufgefallen ist. Zumindest nicht für den Leser.
(vorher / nachher)

8 Ich wurde zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass nicht nur junge Männer hacken, die Suche sich also sicher auch gegen Frauen richten wird. An dieser Stelle habe ich das geändert. Beim Paar in der Eingangsszene habe ich es gelassen, um dem Mann mehr Vorurteile zu geben.
(vorher / nachher)

9 Diese Person habe ich nun schon etwas früher deutlich eingeführt (
nachher), sie beobachtet nun Tim schon, als er die Nachricht von Susan bekommt. Die Person ist im Verlauf des Buches noch von großer Bedeutung. Deshalb ist eine richtige Vorstellung wichtig. (vorher / nachher zur späteren Einführung)

10 Leuchtreklamen-Löscher wurde als zu harmlos empfunden, daher habe ich den Namen ersetzt.
(vorher / nachher)

11 Wir haben uns darauf geeinigt, dass das Mittelmeer zu klein für so eine Leuchtbotschaft ist. Daher bin ich mit den ganzen Neonröhren in den Atlantik umgesiedelt. 
(vorher / nachher)

Kommentare  

#1 Bettina.v.A. 2009-10-22 16:09
Hervorragende Idee, Andreas, die Vorher/Nachher-Version so zu erläutern. Vielen Dank für deine Bereitschaft, deine Texte zu "entblättern".
#2 Andrew P. Wolz 2009-10-23 00:41
Vielen Dank, das freut mich! Ich hatte zuvor in der Tat Bedenken. Das Wort "entblättern" trifft es gut: Man streicht ja noch die Schwächen der Geschichte heraus.

Umgekehrt, und auch das ist interessant, gibt es immer Alternativen, zwischen denen man sich entscheiden muss. Am Beispiel der 1. Änderung: Ich habe erfahren, dass Stephen King in einem seiner frühen Romane ganz bewusst den Leser mitten in ein Gespräch hineingeworfen hat, um so die Wirkung zu erhöhen. Ohne gleich die Situation zu erklären.

Aber das sagt Uschi ja auch in ihrem Seminar: Viele Regeln muss man kennen, um sie absichtlich brechen zu können. Mir gefällt weiterhin der neue Einstieg aus der Nachher-Version besser. Oder? :-?
#3 Mainstream 2009-10-23 08:48
-
Hallo Pisanelli,
hier haben wir gerade mit Erläuterung 1, was ich in unserer
letzte Kommentar-Runde in Frage gestellt habe. Wahrscheinlich
spricht Andrew hier auf CHRISTINE von King an (ist das so?).
Auf alle Fälle wäre auch CHRISTINE ein sehr schönes Beispiel.
Für mich persönlich der gelungenste Einstieg in einen Roman
überhaupt.

Nach wie vor stimme ich zu, das man Regeln kennen muss,
um sie bewusst zu brechen. Keine Frage. Andrew fühlt sich
auf den richtigen Weg gebracht und scheint mit der Änderung
zufrieden. Ich persönlich finde ganz subjektiv die erste Version
des Einstiegs wesentlich spannender.
#4 Andrew P. Wolz 2009-10-25 20:37
Ich meinte tatsächlich CHRISTINE. Und was Kings Schreibstil angeht, kann ich (sinngemäß) Andreas Eschbach zitieren und bestätigen: Aus Kings Buch "Das Leben und das Schreiben" geht hervor, dass er ein sehr intuitiver Schreiber ist. Und um seine Intuition kann man ihn nur beneiden.
#5 Harantor 2009-10-25 22:46
Natürliche bzw. intuitive Erzähler, deren schlüssiger Plot beim Shreiben entsteht sind in gewisser Hinsicht zu beneiden. Da flutscht es und es kommt was bei raus.

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