# 61 - Das schwarze Huhn
# 61: Das schwarze Huhn
Wohin nun mit dem Tier, fragte man sich? Aber da war ja noch Rolf
"Erlik von Twerne" Michael, Zamorra- und Magier-Autor, Statthalter des
Fürstenthums Helleb, Schlagzeuger in einer Tanzkapelle,
Alleinunterhalter und eben auch Tierfreund, der nicht lange zögerte,
als er gefragt wurde (aber er war ja noch Junggeselle), ob er den Vogel
aufnehmen würde. So wurde er dann zum Rabenvater. Er taufte den Vogel
"Wotan" und nahm ihn mit in seine Menagerie nach Ahnatal-Weimar.
Dort schwang sich Wotan alsbald zum Herrn des Hauses auf, von dem, der ihn das Futter brachte liebevoll das Schwarze Huhn genannt. Sein "Rabääh" schallte durch die Wohnung und der Rabenvater, der ohnehin in dem Dorf als exzentrisch galt, lieferte nun einen Grund mehr für Gesprächsstoff im Dorf. In manchen Punkten sind viele Menschen wie Hobbits (aber viele wissen es nicht).
Dem Raben ging es gut und bei meinen Besuchen freundete ich mich mit ihm an. Wotan genoss die Aufmerksamkeit und liebte es, wenn man mit ihm spielte. Man musste bloß vorsichtig sein. Das Vieh hatte einen spitzen Schnabel, den er gern und häufig zum Einsatz brachte. Trug man ihn auf den Schultern, empfahl es sich, eine Kunstlederweste zu tragen, denn Wotan war nicht stubenrein und seine Verdauungsendprodukte nur schwer aus der Kleidung zu entfernen, außerdem veränderten diese Ausscheidungen (wohl ob ihrer Ingredienzien) Farben auf Hemden und weil sie von der Konsistenz her eher flüssig war, durchnässte die Kacke dann auch noch die Kleidung bis auf die Haut. Aber Kunstleder erwies sich als resistent gegen die Anfeindungen der Ausscheidungen des Vogels.
Dann kam die Zeit, da Rolf mitsamt seiner (damaligen) Gattin (die ebenfalls Tiere mag und den Raben auch, was nur eingeschränkt auf Gegenliebe seitens des Vogels stieß) zurück nach Kassel-Helleböhn ziehen wollte. Aber die Wände in der Rhönstraße waren zwar nicht durchsichtig, aber doch recht hellhörig, und eine sich bei Sonnenaufgang meldende Rabenkrähe wäre da ein Grund, über kurz oder lang von den anderen Mietern gesteinigt oder auf die Straße geschickt zu werden.
Nun, Drochtersen ist Provinz und wir hatten Platz für das Schwarze Huhn. Eines Sonntags also packte ich den Vogel in mein Auto und nahm ihn mit nach Drochtersen, wo ihn bereits eine Volliere mit Ausblick auf unsere Hühner erwartete. Der Vogel fühlte sich wohl und wurde argwöhnisch von unseren Hühnern im Auge behalten. Eines Tages hatte ich ihn auf den Schultern an einer Leine, als er sich auf das Futter für unsere Eierproduzenten stürzte. Die Hühner fielen über Wotan her und seine kläglichen Hilferufe spornten mich an, ihn zu retten. Erst recht, als der mehrfach so große Hahn herbei stürmte. Dessen Sporen an den Füßen waren für Wotan nicht ungefährlich.
Eines Tages im Winter führten durch den Schnee Spuren zu seiner Volliere und das Tier war befreit worden. Glücklicherweise hatte ich sein Gefieder auswachsen lassen und es gab reichlich Krähenschwärme, denen er sich anschließen konnte. Somit gab ich von vornherein auf, ihn wieder einzufangen. So ist Wotan noch jahrelang umher geflogen. Man konnte Wotan aber immer gut erkennen, weil er der Trottel war, der bei Sturm immer auf den höchsten und dünnen Zweigen saß. Mittlerweile ist er in Freiheit gestorben, aber er hatte ein großartiges Leben.
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