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Straße der Verdammnis

Mainstreams MatineeStraße der Verdammnis

Mit einem wahren Geniestreich wollte Walt Disney 1940 die Kinowelt in Staunen versetzen. Zeichentrickfilme mit klassischer Musik war für Disney nichts Neues, doch so etwas bei einem abendfüllenden Film zu probieren, war riskant.
 
Für Disney war der Monoton bei den Orchesteraufnahmen nicht akzeptabel, und selbst die ersten stereofonen Aufnahmen überzeugten den Perfektionisten nicht. Die Techniker in seinen Studios arbeiteten hart und letztendlich erfolgreich: FANTASIA war der erste Konzertfilm im Zeichentrickformat mit einem eigenen Tonsystem, dem Fantasound.
 
Je nach Größe des Auditoriums mussten zwischen 30 und 80 zusätzliche Lautsprecher im Saal angebracht werden. Doch die Initialzündung wurde zum Rohrkrepierer. Die Kinos verweigerten sich dem kostspieligen Umbau, das Publikum blieb aus.
 
Fantasia, der erste kommerzielle Stereofilm, wurde ein Jahr später von RKO mit einer herkömmlichen Stereospur versehen und wieder auf den Markt gebracht, mit ebenso wenig Erfolg. Zumindest konnten wesentlich mehr Kinos diese Innovation spielen, und so verkürzte es sich auf ein paar Jahre, bis Fantasia seine Kosten endlich wieder in der Kasse hatte. Das junge Unternehmen Disney jedoch stand mit seinem speziell entwickelten Fantasound kurz vor dem Bankrott.

 

Viele Entwicklungen sollten das Kino immer und immer wieder interessant für das Publikum gestalten. Farbfilm, Cinemascope, Cinerama – oder Sensurround. Gewaltige Niederfrequenzboxen simulierten beispielsweise durch eine bestimmte Tonmischung und Phasentrennung bei dem aufwendigen Film Erdbeben die Katastrophe. Der Schalldruck ließ nicht nur Inventar, sondern auch die Schädeldecken vibrieren, und machte das Gesehene erlebbar. Herzkranken Menschen wurde vom Besuch abgeraten. Obwohl noch Schlacht um Midway, Achterbahn und zwei Kampfstern Galactica-Filme folgten, zeichnete sich die Kurzlebigkeit schon bei Erdbeben ab. Zeitgleich startete damals nämlich Der Pate Teil II, und beide Filme liefen meist in benachbarten Sälen. Wer Michael Corleone genießen wollte, beschwerte sich bitterlich über den Lärm aus dem nebenstehenden Kino. Mafia gegen Naturkatastrophe, keine Frage, wer als Sieger hervorging.

Gerade, als die Toningenieure von Battlestar Galactica die Vorzüge von Sensurround mit wirklich innovativen Tonmischungen heraushoben, war Schluss mit lustig und dem Angriff auf den Herzschrittmacher. Viel zu aufwendig, viel zu kontrovers, viel zu limitiert in der Anwendung. Aber die Idee befand man in der Filmindustrie durchaus als nachahmenswert. Obwohl sich der Lichtton längst etabliert hatte, besann sich 20th Century Fox für ein eigenes, neues System auf den guten alten Mehrkanal-Magnetton, der immer wieder versuchte dem Lichtton Konkurrenz machte. Und mit dem wesentlich anfälligeren Magnetton ließ sich manches anfangen. Eine Spur war für die Mitte der Leinwand gedacht, über die ganz normal die Dialoge liefen. Der linke und rechte Kanal versorgten größere Vollfrequenzboxen an der Seite. Und der Effektkanal war direkt hinter den Zuschauern angebracht. An und für sich überhaupt nichts Besonderes, nur dass Magnetton eine wesentlich dynamischere Bandbreite gegenüber dem Lichtton aufwies, der seit 1960 endgültig dominierte.

Während das herzerschütternde Sensurround nur mit Niederfrequenztönen die Zuschauer attackierte, umschloss das neue System von Cent-Fox förmlich den Zuschauer. Basshaltige Raketenstarts konnten es sogar mit Sensurround aufnehmen, darüber hinaus sorgten aber auch rauschende Wassermassen oder zischende Kakerlaken für ein unglaubliches „Mittendrin-Gefühl“. Der Film hieß Straße der Verdammnis, das Tonsystem „Sound 360°“, die Lebenserwartung  für den innovativen Ton war gerade ein einziger Film.

Auf der Straße der VerdammnisZwei Jahre nach dem dritten Weltkrieg gibt es nur wenige Überlebende. Die Erdachse hat sich verschoben, und so wird der Himmel mit bizarren Lichtspielen illuminiert. Nachdem eine Explosion ihre Station zerstört, machen sich vier Soldaten mit ihren zwei speziell angefertigten Amphibienfahrzeugen auf die Reise nach Albany, wo ein Funkspruch weitere Überlebende vermuten lässt. Riesenskorpione, Erdbeben, Killer-Kakerlaken, Sandstürme und Springfluten erwarten die Kundschafter auf ihrem Weg über die Straße der Verdammnis. Ein Fest der Effekte, ein Schmaus für die Ohren. Wobei der Ton tatsächlich die Oberhand behält, denn viele der optischen Spezial-Effekte sind selbst für die damalige Zeit echte Brüller. So sieht man in vielen Einstellungen, dass die Masse der verfolgenden Kakerlaken nur starre Gummiattrappen sind, die auf einem beweglichen Unterbau durchs Bild gezogen werden. Aber es gibt auch reichlich echte Exemplare der harmlosen, aber größten Spezies, der Fauchschabe aus Madagaskar.

An vielen Stellen wird deutlich, dass man mit diesem Film nur viele Effekte verkaufen wollte. Die Schauspiel-Regie lässt in den meisten Szenen zu wünschen übrig und erinnert eher an billige Fernsehgeschichten aus demselben Zeitraum. Gerade wegen des damals stolzen Budgets von fast 17 Millionen Dollar hätte man sich mehr ins Zeug legen können. Das Auftauchen des Fahrzeugs aus den Fluten ist erstaunlich offensichtlich ein kleines Modell. Viele Rückprojektionen und einkopierte Effekte sind eher peinlich statt überwältigend. Jeder freie Blick auf Himmel wurde mit farbigen Nebel- und Lasereffekten nachbearbeitet, um die verschobene Erdachse zu demonstrieren. Manchmal wirkt das durchaus überzeugend, manchmal überhaupt nicht.

Mit der großen Springflut richtet sich die Erde wieder korrekt aus, und sofort gibt es strahlend blauen Himmel mit wunderbaren Wolkenbildern. Die wissenschaftliche Logik ist bei diesem Film komplett außer Kraft gesetzt. Warum hat so ein Film dennoch Nachhaltigkeit bewiesen? Weil er 1977 schlicht und ergreifend jeden Zwölfjährigen begeistert hat. Heute ist man eher peinlich berührt oder gluckst kichernd hinter vorgehaltener Hand. Heute lockt er wahrlich keine Zwölfjährigen hinter dem Laptop hervor.

Der Hingucker des Films war der voll funktionsfähige Landmaster, das für diesen Film entworfene Amphibienfahrzeug. Der Landmaster wurde zwar nur einmal gebaut, aber im Film so aufgenommen, dass es nach zwei Exemplaren aussah. Als ich einmal Mitte der Achtziger durch die nördlichen Ausläufer von Los Angeles fuhr, sah ich auf plötzlich den Landmaster an einer heruntergekommenen Tankstelle einfach so zwischen gebrauchten Autos herumstehen. Ich war sehr enttäuscht. Auch wenn ich keine zwölf Jahre mehr alt war, hatte ich mir das Gefährt doch trotzdem wesentlich imposanter vorgestellt. Im Jahr darauf war der Landmaster von jener Tankstelle verschwunden. Ich genierte mich, danach zu fragen. Erst zwanzig Jahre später erfuhr ich dank des WWWs, dass es ihm gut geht. Wäre auch sehr schade gewesen, trotz seiner wahren „Größe“.

Straße der VerdammnisSomit lässt sich nicht verleugnen, dass Straße der Verdammnis einen Eindruck hinterlassen hat. Irgendwie. Bestimmt nicht den besten Eindruck, aber ganz tief hinten im Bewusstsein war der Film immer gegenwärtig. Und wenn es nur wegen des fantastischen Ton-Erlebnisses war. Der Vorteil von „Sound 360°“ war es eben, dass kein Sicherheitsnetz unter die verzierte Decke des legendären Graumanns Chinese Theatres gehängt werden musste, um die Zuschauer vor den vom Schalldruck gelösten Deckenmaterialien zu schützen. Selbst wenn der Film Erdbeben damit seinem Titel wirklich Ehre gemacht hat, aber Sensurround hat die Leute doch mehr verärgert.
Ach, was soll’s. 1981 kam ja dann Roar in die Kinos, und was ich da erst zu hören bekam...

Darsteller: George Peppard, Jan-Michael Vincent, Dominique Sanda, Paul Winfield und Jackie Earley Haley u.a.

Regie: Jack Smight; Drehbuch: Alan Sharp, Lucas Heller nach dem Roman von Roger Zelazny; Kamera: Harry Stradling Jr.; Bildschnitt: Frank J. Urioste; Musik: Jerry Goldsmith

USA / 1977; circa 91 Minuten


Bildquelle: Twentieth Century-Fox
 

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