Stanton, Siccine und Notfallpläne
Stanton, Siccine und Notfallpläne
Weil ich Hermann zugesagt habe, dass die Teestunde weiter läuft, habe ich erst mal an einem günstigen Abschnitt in der Romanhandlung unterbrochen und die Teestunde eingeschoben.
Es geht also immer noch, wie letzte Woche, um Nebenfiguren, speziell meine Nebenfiguren, weil ich die am besten kenne oder die von Werner, wie sie mir noch so einfallen.
Das gibt es beispielsweise in Werners Romanen einen ›Commander Siccine‹, der den ›Leichten Kreuzer Antares‹ kommandiert und sie Befehle meist von Colonel Balder Odinsson bekommt - mit dem wir uns auch noch beschäftigen.
Außerdem gibt es da gelegentlich in Werners Romanen einen gewissen Rodger Benjamin Stanton, Schriftsteller seines Zeichens, dem »eine dicke Brille und ein seltsam geformtes Bärtchen ein eulenartiges Aussehen verliehen.« In meiner Südamerika-Trilogie ist er übrigens auch dabei, ohne die ganz großen Heldentaten zu verrichten. Neben-Figuren eben, die irgendwann wieder in der Versenkung verschwunden sind - und niemand hat's festgestellt oder betrauert.
Auch für den etwas bekannteren ›Magnus Friendensreich Eysenbeiß‹ hatte Werner das vorgesehen. Einmaliger Auftritt, noch mal eine gelegentliche Gastrolle und dann Verschwinden im Nirwana der abgehalfterten Helden wie Stanton und Siccine. Nur, die ältere Zamorra-Leser wissen es, war dieser Eysenbeiß ein zäher Hund, der einfach nicht sterben wollte und vermutlich auf eine Art Werner selbst übernahm. Denn wie wird man sonst als kleiner Magier aus dem Mittelalter irgendwann Dämon und Fürst der Finsternis - vielleicht sogar noch mehr - ich hab's vergessen.
Es kann also hier festgestellt werden, dass Magnus Friedensreich Eysenbeiß eine der Figuren waren, die sich bei Werner beim Schreiben entwickelten und stärker und immer stärker wurden. Das ging hier auch einfach, weil er ja auf der Gegenseite stand - also auf der Seite des Bösen.
Ich erinnere mich, das Werner aus ihm mal so eine ›graue Gestalt‹ machen wollte, bei der man nicht weiß, nach welcher Seite sie tendiert. Aber eigentlich ist ihm das in gewisser Weise nur bei Asmodis gelungen, der er ja in einem Anagramm zu Sid Amos machte.
Den ›Assi‹ kann man eigentlich nicht als ›Neben-Figur‹ sehen, genau so wenig wie Nicole Duval oder damals Merlin. Gerade wenn Werner das Konzept der beiden ›Brüder‹ so konsequent weiter verfolgt hätte, wie ich es ihm damals vorgestellt hatte.
Die alten gälischen Legenden besagen ja, das Merlin ein Kind des Teufels sei - und das hat Werner von Anfang an mit übernommen. Ein Kind des Teufels und einer Sterblichen. Bei Werner sprach Merlin immer vom ›dunklen Bruder‹ - auch im Zamorra-Film ist das drin. In beiden steckt also das Gute wie das Böse. Ich hatte Werner vorgeschlagen, die beiden deshalb auch mal die Seiten wechseln zu lassen Also das Merlin plötzlich der Hölle zugearbeitet hätte - und von Asmodis gestoppt worden wäre.
Nach meinem Konzept waren beide als Diener der Schicksals-Waage ausgesucht - auch wenn sie sich zu bestimmten Zeiten oder besonderen Umständen dagegen wehrten. Jeder saß, sinnbildlich gesehen, auf einer Waagschale und Zamorra hätte am mittleren Drehpunkt der Waage gestanden und durch die Verlagerung von Gewicht die Waage jeweils im Gleichgewicht gehalten.
Wenn ich mich nicht irre, kommt das sogar in Werners alten Romanen manchmal durch. Nachdem er sich dann von mir zurück gezogen und andere Berater hatte, war es nur logisch, dass deren Ideen in die Serie eingebaut wurden und dieses Konzept einer logisch nachvollziehbaren Basis fallen gelassen wurde.
So hat es eben andere Romane gegeben - und wenn ich mal einen gelesen habe, war ich meist am fluchen, weil ich gesehen habe, was man hätte machen können, wäre das alles verbunden worden. Denn vieles, was da bei den neuen ›Brain-Stormings‹ im Hause Giesa, als Nachfolger der legendären Bier-Konferenzen, erdacht wurde, war wirklich nicht schlecht. Nur - es ging für mich nichts so richtig in die Tiefe für ein unverrückbares Fundament.
Und so war es natürlich nach Werners Tod sehr einfach, von seinem ganzen Ideen-Gebäude nur ein paar ›Ecksteine‹, sei es Ideen oder Figuren, zu übernehmen - und den Rest einfach beiseite zu fegen.
Nicht nur mein ›Ring‹ beim Zamorra wurde nicht rund - der von Werner auch nicht. Obwohl sicher Volker Kärmer in der Lage gewesen wäre, Werners Ideen so zum Abschluss zu bringen, dass ein völlig neues Ideengebäude hätte errichtet werden können. Volker Krämer kannte W. K. Giesa aus der Zeit, als sie die Heft-Serie »Star-Gate« machten, die Volker Krämer heraus gab. Dass dieser Serie kein langes Leben beschieden war, dürfte wohl den Grund gehabt haben, dass es für einen etablierten Verlag mit seine Verbindungen recht einfach ist, auf den Vertriebsweg Einfluss zu nehmen.
Werner, der »Star-Gate« (nicht mit der TV-Serie verwandt oder verschwägert) mit Herzblut geschrieben hat, weil er endlich mal SF schreiben konnte, hat mir damals alles brühwarm erzählt. Aber alle Details habe ich vergessen - es hat mich selbst ja auch nicht betroffen. Nur für Werner war es schlimm, weil er eine SF-Serie verlor. Und weil er sich, als es um den Milton-Verlag ging, in der Hoffnung auf einen Schreibtisch als Chef-Redakteur das erste Mal gegen seine Freunde stellen musste. Und zwar gegen Kurt Brand und mich.
Hermann war damals dabei, als wir in Jürgen Grasmücks esoterischer Buchhandlung darüber sprachen - und auch am Abend bei einem recht kurzen Besuch im Hause Giesa. Aber genutzt hat es Werner gar nichts – der Milton Verlag ist dann alsbald ein ruhendes Gewerbe geworden.
Leider habe ich keinen Kontakt mehr zu Yakub, den ich mit zu den wertvollsten Menschen rechne, die ich gekannt habe. Über meinem Bett hängen, in Holz nachgeschnitzt, die drei Schwerter ›Gorgran‹, ›Salonar‹ und ›Gwaiyur‹ - das Schwert der Gewalten. Vielleicht bringe ich sie zum Zamorra-Con nach Wetzlar mit, damit die echten Fans sie sehen und in die Hände nehmen können - evtl. auch Fotos davon machen.
Direkt neben meinem Schreibtisch hängt eins seiner Bilder, das viele meiner Zamorra-Ideen in sich vereinigt. Amun-Re erwächst aus einem Kraken, das Schwert Gwaiyur steckt in einem Stein und Zamorra, natürlich im berühmten weißen Anzug, hält ihm den Juju-Stab entgegen, aus dem Blitze schießen.
Werner und ich hätten Yacub Yalcinkaya gerne als Zeichner für die Zamorra-Titelbilder gehabt. Aber irgendwelche Leute im Verlag wollten damals nicht - und so wurden dann so ab Band 300 jede Menge freie Bilder mit Horror- und Fantasy-Inhalt von Agenturen angekauft, zu den wir uns dann Zamorra-Romane einfallen lassen mussten. Dazu erzähle ich später noch mal was - und habe innerhalb der Teestunde auch schon Einges erzählt.
Unvergessen ist Yakubs "Werwolf", den er auf den ersten Buchmessen zum Besten gab, wo auch der "Pferdeknecht" aufgeführt wurde. W.K. Giesa in der Rolle des Grafen, Hexen -Hermann als Pferdeknecht und meinereiner als Diener Johann. Besonders die Opern-Fassung des "Pferdeknecht" hatte umtosten Beifall wie eine umjubelte Ring-Inszenierung in Bayreuth.
Ja, nach »Star-Gate« und ›Milton‹ hat es (zumindest in diesen Dimensionen) nie wieder einer gewagt, im Heftroman-Sektor sich etwas vom Kuchen abzuschneiden, der sich Bastei, Pabel (mit seinem Restprogramm) und Kelter seit 1986 brav teilen. »Star-Gate« ist eine Episode im ›Romanheft-Geschäft‹, ähnlich wie der ›Milton-Verlag‹, wo Fans mit etwas Geld versucht haben, nach dem Verschwinden der Pabel-Serien 1886 in eine Marktlücke zu kommen.
Man könnte die beiden damaligen Verleger als ›Rebellen‹ des Heftromans bezeichnen. Aber dann schlug das ›Imperium‹ zurück - auch wenn ich kaum annehme, dass der ›Imperator‹ davon überhaupt Kenntnis hatte. Ich gehe davon aus, dass die ›kaufmännische Abteilung‹ das geregelt hat - und selbst die Leute in den Redaktionen, die es vielleicht betroffen hätte, wussten sicher von Nichts.
Das ist eben Geschäft - da geht es zu wie früher in ›Dallas‹, wenn J.R.Ewing lachte oder in ›Denver‹ Blake Carrington mit steinhartem Gesicht Geschäftsbriefe unterschrieb.
Ja, um zum Ausgangspunkt der Abschweifung zurück zu kommen - auch Werners Ring ist nicht rund geworden. Vielleicht lag es auch daran, dass er kein direktes schriftliches Konzept hatte und vermutlich nach unserer Zeit sich immer von der Handlung treiben ließ. Nur einen Schluss der Serie hatten wir geplant - was aber keine wissen durfte. Einmal in drei Bänden - und für einen ›Schnellschuss‹ in einem einzigen Band. Aber heute wäre das Konzpet ohnehin unmöglich, weil die wichtigste Komponente fehlt - die Hölle und der Kaiser Luzifer hinter der Flammenwand - wie sie den damaligen Vorstellungen entsprachen.
Als W.K. und ich die Serie zusammen strickten (Manfred Weinland hatte immer eine eigene Schiene, die unsere Sachen nicht tangiert) dachten und planten wir immer 50 Bände im Voraus. Noch nicht direkt ab Band 200, weil da noch nicht absehbar war, dass ich längerfristig beim Zamorra mit rein kam. Aber schon in meinem zweiten Band »Herr der Grünen Hölle« begann das Amulett schwächer zu werden und sich zu verweigern.
Es dauerte dann etwas, bis ich Werner begreiflich gemacht hatte, dass dies zur Spannung beiträgt. Denn vorher war das Amulett die ultimative Waffe zum Showdown geworden. Der Satz: »Das Amulett schlug zu!« findet sich fast in den letzten Zeilen von jedem Giesa-Roman vor Band 220. Ab dann verfolgten wir das Konzept, das Amulett schrittweise immer weiter zu entmachten. Zamorra musste sich also mehr einfallen lassen, als auf deine Allzweckwaffe zu vertrauen - was neue Spannung in die Romane brachte. Sie waren nicht mehr so einfach vorhersehbar.
Am liebsten hätte ich damals das Amulett völlig raus genommen und Zamorra wieder zu dem gemacht, was ja auf dem Titel stand: »Der Meister des Übersinnlichen«. In späteren Bänden - als der ›Befehl‹ mal wieder erging »einfacher schreiben, dass es der Leser begreift« und das berühmte »Der Zamorra ist eine Grusel-Serie!« hatte ich dann dem Herrn Professor einen kleinen Diplomatenkoffer ins Gepäck gelegt, wo sich die wichtigsten magischen Gegenstände oder Substanzen drin befanden, aus denen man Zaubertränke etc. anrühren konnte. Das war allerdings Anfang 1986 und der Koffer verschwand nach der alleinigen Übernahme der Serie durch Werner genau so diskret aus der Serie wie die beiden Nebenfiguren, mit denen ich begonnen habe - und mit den ich auch gleich schließe.
Künftig hatten Werner und ich vor, jeweils für 50 Bände eine Art ›Master-Plan‹ anzulegen. Der Leser wurde schon nach dem Jubiläumsband mit einem Begriff konfrontiert, auf den es hinaus laufen sollte. Schon am Ende vom 250er Zyklus kommt am Schluss der erste Hinweis auf die Dynastie der Ewigen - von denen zu diesem Zeitpunkt nur ungefähre Vorstellungen bestanden. In den ersten Teestunden habe ich die ›Dynastie‹ sehr ausführlich behandelt - falls da jemand Fragen hat, kann er nachlesen.
Worauf wie bis Band 350 steuern wollten, weiß ich wirklich nicht mehr. Das letzte, was ich Werner empfohlen habe - und was er auch gemacht hat - ist es, Asmodis mal für fünf bis zehn Bände ›als fünfte Kolonne‹ aus der Hölle zu nehmen, dass er versucht. das Zamorra-Team von innen kaputt zu machen. Nun ja, da ist er heute noch - der gute Assi hätte sicher Besseres verdient gehabt... in unserer kalten Welt zu leben ohne zwischendurch mal ein kleines Hexchen oder einen Buhl-Dämon auf der Lava-Matratze vernaschen zu können.
Nun ja, etwas Hölle muss es für den Teufel ja auch geben...
Croms Donner - zu meinen Nebenfiguren sind wir gar nicht gekommen, weil ich mich mal wieder verplaudert habe. So ist das nun mal bei mir - mein Fehler und nicht mehr zu ändern. So ist denn noch die Frage offen, warum ich mich ausgerechnet an ›Commander Siccine‹ und ›Rodger B. Stanton‹ erinnere - die ja eigentlich im Heer der Neben-Figuren innerhalb der Zamorra-Serie untergehen müssten.
Nun, Hans Klipp hatte bei seinen »Brüder unter den Sternen« in Antares das Pseudonym ›William C. Siccine‹ - entnommen aus dem Zyklus der ›Interstellaren Händler‹ von Hans Kneifel. Später wurde das ›William‹ dann der Name des Herrschers von Helleb. Spätestens der Hinweis auf den ›Leichten Kreuzer Antares‹ zeigte Fans und sonstigen Insidern, wer hier gemeint war.
Auch Roger Benjamin Stanton war ein Pseudonym von Hans Klipp, unter dem er vermutlich im »Time-Gladiator«, bei ›Terra-Press‹ oder anderen SF-Magazinen Stories veröffentlicht hat. Aber ich vermute, das hat er heute selbst vergessen. Inzwischen ist Hans Klipp, wie ich auch, beruflich im Ruhestand, nebenher ein erfolgreicher Texter von deutschen Schlagern, treusorgender Familienvater und immer noch Langstreckenläufer. Und das ›eulenartige Aussehen‹, wie Werner Siccine (also den ›Chef‹) damals beschrieb, ist heute auch nicht mehr vorhanden.
Eine Augenoperation, die damals noch nicht möglich war, sorgt jetzt dafür, dass Hans Klipp auf die gewohnte Brille verzichten kann und plötzlich die besten Augen seiner Familie hat. Schade, dass man mir mein Asthma nicht raus operieren kann. Aber der damalige Chef-Arzt der Klinik sagte mir vor sieben Jahren, als es fast soweit war, dass ich zwanzig, vermutlich auch zehn Jahre früher nicht zu retten gewesen wäre. Man sieht also an diesem Beispiel - und an dem von Hans mit den Augen, was die Medizin für gewaltige Fortschritte macht.
So, und nun fangt an, das erste Kapitel von ›Visionia‹ zu lesen. Falls ihr das nicht schon getan habt und die Teestunde zum Dessert genommen habt.
Wir lesen uns in einer Woche ...