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Ein Requiem für einen Freund zum Dritten

Teestunde mit RolfRolf schrieb einen ausführlichen Kurt Brand Nachruf für den Gedächtnisband des EDFC. Wir bringen ihn in drei Teilen. Besten Dank an Gustav und Franz.

Ein Requiem für einen Freund zum Dritten

Die Nachricht vom Tode Kurt Brands erreichte mich eine Stunde vor dem Eintreffen eines Schreibens des EDFC. Mit diesem Brief wurde mein versprochener Beitrag für einen geplanten Jubiläumsband zur Feier von Kurt Brands 75sten Geburtstag angemahnt. Es folgt der letzte Teil.


Kurt BrandKurt Brands 70ster Geburtstag war ein Fest, wie wir es alle lieben. Gutes Essen, gepflegte Getränke, geistvolle und gleichzeitig lustige Gespräche und niemand, der die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet. Man genießt das Dasein und denkt nicht an den morgigen Tag.

Wer jemals Schillers Gedicht „An die Freude“, das am Schluss von Beethovens „Neunter Sinfonie“ gesungen wird, Satz für Satz gelesen und verstanden hat der kennt die innere Lebenseinstellung jenes Freundeskreises, der sich die Tafelrunde von Helleb nennt.

Ja, es sei zu berichten, dass das Gelage lief, bis uns der Wirt gegen zwei Uhr morgens trotz unseres empörten Protestes vor die Türe wies. Auch hier wurde die „Form Helleber Tradition“ gewahrt, nach welcher der „Herrscher“ zuletzt die Schankräume verlässt.

Vorher hatten Hans und ich noch mit Gitarre und Schlagzeugteilen die Party ein wenig mit Country und „German-Beer-Drinking-Music“ in Schwung gebracht. Und die Bierchen haben natürlich vorzüglich geschmeckt, zumal man in Südtirol vornehmlich das Bier aus Deutschland importiert (unser Domizil im „Schönblick“ hat beispielsweise „Warsteiner“ vom Faß).

Es sei hier mal gebeichtet, dass ich anschließend noch mit Hans und Werner K. Giesa samt Frau zum „Schwarzen Adler“ gefahren bin, weil Kurt glaubhaft versicherte, dass er die beiden Kalterer Polizisten heute Nacht beurlaubt habe und man das hier alles nicht so eng sehe.

Gut, dass ich Kalterns verwinkelte Gassen einigermaßen kenne und dass Leute in einem gewissen Zustand von einer ganzen Legion Schutzengeln um lagert werden. So ist es gut gegangen aber ein Heldenstück war das nicht...

Ansonsten gibt es von dieser Tour nicht mehr viel zu berichten, außer dem Abenteuer der Rückfahrt, die nur bei Hans Klipp Erinnerungen hervorrufen. Immerhin mussten wir noch in ein Österreicher Plattenstudio, und der Termin drängte. So fuhren wir nicht nur bei Schneesturm über einen total verschneiten Brenner, sondern auch über völlig abseits liegende, einspurige und ungesicherte Passstraßen, die kaum auf einer Karte eingezeichnet sind.

Rechts stierte Hans in eine gähnende Tiefe, links kratzte der Wagen sich fast an den Felsen, und wir zogen die Hüte auf, weil diese Tour an einen Spaziergang á la Indiana Jones erinnerte. Es sei nebenher bemerkt, dass wir durch Lawinengebiet fuhren, deren Ausläufer unmittelbar am Rand der Straße lagen, und dass der Himmel mein heißestes Stoßgebet hörte, als uns um eine Kurve herum ein einheimischer Milchwagen entgegen kam - und wir gerade das Glück hatten, in einer der wenigen Einbuchtungen im Felsen in Deckung zu gehen.

Dass ich dann nach dem Gespräch im Plattenstudio über Füssen fuhr und von dort nach Neuschwanstein pilgerte, konnte Hans gut verstehen. Immerhin habe ich mit dem König nicht nur das Geburtsdatum, sondern auch den Hang zur Fantasy und der Musik von Richard Wagner gemeinsam. In den frühen Morgenstunden kamen wir in Kassel an und am nächsten Tag ging‘s wieder an die Arbeit...

Das waren so die Geburtstage bei Kurt Brand, immer kurze, aber intensive Urlaubstage im Frühjahr, auf die wir uns freuten. Naja, nicht an jedem Jahr waren wir da. Zumal Kurt unmittelbar danach meist mit Maria nach Ungarn oder in das heutige Kroatien in Urlaub fuhr. Beenden wir hier einmal die Gedankensplitter der Erinnerung und wenden wir uns den letzten Jahren von Kurt Brand zu.

Im Herbst 1989 waren Kurt und Maria beim Phantastic-Con anlässlich der Buchmesse in Frankfurt mit dabei. Kurt trank zwar seine Bierchen, sah aber gar nicht gut aus, und war auch nicht mehr so quirlig wie sonst. Dazu kam, dass bei dem Convent mehr Horror-Fans anwesend waren, die „John Sinclair“ liebten und um die geheim im Busen gehegte Hoffnung getrogen wurden, dass der vergötterte Jason Dark vielleicht doch noch ohne Ankündigung kommen würde. Und denen war der Schriftsteller Kurt Brand völlig unbekannt.

Obwohl die dritte Auflage von Ren Dhark auf dem Markt war, wurde Kurt Brand auf diesem Con kaum beachtet. Ein Höflichkeit-Applaus bei der Vorstellung der Ehrengäste und ein offenes Interview auf der Bühne, das die versammelten Horror-Freaks zu langweilen schien, mehr war für ihn nicht drin. Für einen Schriftsteller, der nicht mehr im Geschäft ist, ist das eine bittere Pille. Aber auf diesem Con war absolut nicht sein Publikum.

Werner und ich kamen überein, Kurt im nächsten Jahr an seinem 73sten Geburtstag in Kaltern zu besuchen. Obwohl Kurt versuchte, es sich nicht an merken zu lassen, sah sein Gesundheitszustand stark angegriffen aus.

Dem „Sternenbaron“ wurde erklärt, dass man nicht bis zum 75sten warten, sondern schon mal die „Halbzeit“ feiern wollte. Kurt und Maria waren hoch erfreut, da sie jeder Besuch aus ihren alltäglichen Trott brachte und etwas Abwechslung schaffte.

Selbst als meine Eltern, die Kurt von meiner Hochzeit her kannten, bei einer Bus-Fahrt nach Rom in der Gegend von Kaltern eine Zwischenübernachtung hatten, und sich telefonisch bei Brands meldeten, fuhren Kurt und Maria zu ihrem Hotel und sie verbrachten einen Abend, von dem meine Eltern immer wieder gern erzählen.

Wenn ich recht informiert bin, bekam auch Helmut Pesch einmal eine Einladung nach Kaltern, die er nutzte. Ein Besuch bei Kurt Brand war immer ein Erlebnis, und kann es heute noch sein. Denn Kaltern wird für uns auch künftig das Ziel für Kurzurlaube sein, man fährt eben „den Kurt besuchen“, auch wenn er körperlich nicht mehr da ist. Sein Geist lebt für uns weiter.

Aber kommen wir zurück zu den Tagen, wo Kurt Brand noch unter uns weilte...

Im Januar 1991 war die Tafelrunde auf Jürgens 50sten Geburtstag zum letzten Male komplett, und an diesem Abend wurde Horst-Hermann von Allwörden in den Kreis aufgenommen. Ich habe von dieser Feier schon berichtet, und mache also einen Zeitsprung zum 9.Mai 1990, den Tag vor Kurt Brands Geburtstag. Jürgen und Karin wollten zwar kommen, aber Jürgens labile Gesundheit machte einen Strich durch die Rechnung.

Wir residierten zum ersten Male im „Schönblick“. Anwesend waren außer dem Chronisten Hexen-Hermann, Hans, mein Bruder Peter, Werner und Heike Gisa sowie Uwe Schnabel, mit seiner Sabine damals heimlich verliebt, später heimlich verlobt und jetzt unheimlich verheiratet. Petra konnte nicht da bei sein, weil wir uns einige Monate vorher für immer getrennt hatten.

Kurt kränkelte in diesen Tagen vor sich hin, und so sehr er sich über unseren Besuch freute, war er nicht sonderlich gut drauf. Was ihn jedoch nicht an der Bier-Patrouille hinderte, denn als Peter, Hermann und ich uns am Frühmittag im Vial-Weg meldeten, war er mit Heike und Werner schon auf Streife.

Hermann hatte Räucher-Aale mitgebracht, die Kurt und Maria besonders zu schätzen wussten und die es in ihrer Gegend nicht gibt. Und es sei neben her erwähnt, dass Hermann stets, wenn er Richtung Kaltern fuhr, frische Aale im Gepäck hatte, die gerade aus der Räucherkammer kamen. So brachte der Küstenbaron seine „Abgaben ans Reich“ nach Calda ro.

Der Tag vor Kurts Geburtstag war regnerisch, und der „Sternenbaron“ drängte auf ein Kartenspiel. Er war leidenschaftlicher Skat-Spieler, der diesen Genuss jedoch selten hatte. Denn die Südtiroler spielen nicht nur mit dem „Deutschen Blatt“, sondern auch Spiele, durch die nur ein Einheimischer durchblickt. So oft ich zugesehen habe, einen Sinn habe ich in den Tiroler Kartenspielen noch nie gefunden.

Außer Maria konnte keiner in Kaltern Skat, und deshalb fehlte stets der dritte Mann. Nun, diesmal waren mehrere dieser Gattung da, und so bildeten wir zwei Runden. Während ich Heike und Maria reizen durfte, droschen am Nebentisch Kurt, Hans und Hermann die Karten wie die Landsknechte auf den Tisch.

Kurt ging völlig aus sich raus und gab sich voll und ganz dem Spiel hin. Natürlich ging es um keine Einsätze, sondern um den „Bier-Lachs“, d.h. wer verliert zahlt drei Gläser edlen Hopfenblütentee. Und dabei kann jeder der Sieger sofort antrinken, denn es ist keine Gabe der Mildtätigkeit sondern Beute!

Wenn ich mich recht erinnere, war Kurt Brand in seiner Runde an diesem Abend der dritte Sieger, aber die Bierpreise im „Schönblick“ sind noch zu bezahlen. Kurz vor Zwölf stahlen sich Hans und ich nach draußen. Wir hatten Gitarre und Banjo mitgebracht und betraten Schlag Mitternacht mit dem üblichen „Happy Birthday“ den Gastraum, während alle Anwesenden einstimmten.

Kurt war gerade in ein tiefsinniges, weises Gespräch verwickelt, sah erstaunt auf und fragte voll Erstaunen:

"Wie? Hätt jemand Jeburtstaach?"

Der Gute hatte über das Gespräch völlig vergessen, dass die Ehrung ihm galt. Diese Verblüffung dauerte aber nur eine kurze Weile, und dann freute er sich wie ein kleines Kind über die Geschenke. Die lange Weste aus echtem Lammfell, die er damals von uns bekam, hat ihm bei Wetterumschwüngen noch gute Dienste geleistet. Und am letzten Tag, als wir ihn besuchten, trug er sie - das hat er nicht vergessen.

Maria hatte vorsorglich heimlich Sekt geordert, und bei geschlossener Tür und leichter Verdunklung (die Sperrstunde wird in Italien sehr streng gehandhabt) wurde noch eine kleine Feier improvisiert. Das eigentliche Fest sollte am anderen Abend traditionsgemäß im „Seeblick“ stattfinden.

Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten.

Denn am nächsten Tage hatte unser Hotel Ruhetag. Also mussten wir uns selbst irgendwo unser Futter zum Mittag suchen.

Es wurde vereinbart, dass jeder den Tag so gut als möglich rumkriegen sollte, um am Abend fit zu sein. Also setzen sich Werner mit Heike, und Uwe mit Sabine ab, um den Damen die Gegend zu zeigen. Peter borgte sich meinen Wagen, um sich in den Antiquariate von Bozen nach Schellack-Platten mit Jazz-Musik und anderen antiken Besonderheiten umzusehen. Denn auf diesem Gebiet ist er eifriger Sammler, der in einem Museum lebt, d.h. nur in antiken Möbeln und keine Gelegenheit auslässt, nach Schätzen dieser Art zu suchen.

Hans, Hermann und ich beschlossen, uns den Tag mit einer Weinprobe zu vertreiben. Die begann in unserem „Keller“ und wurde um die Mittagszeit in einem von einer Mauer umgebenen Wein-Hof, der sicher schon einige hundert Jahre alt ist, fortgesetzt.

Im geräumigen Hof an rustikalen Eichentischen schmausten wir Käse, scharfen Südtiroler Bauernspeck und das würzige Fladenbrot... und selbstverständlich tranken wir auch...und das nicht zu knapp. Hermann war ja der Ansicht, dass man vom Wein ohnehin nicht betrunken wird das sei ihm als Biergewohntem Nordländer noch nie passiert.

Hans und ich wussten es zwar besser, hatten wir doch schon bei anderen Besuchen die wahrhaft um werfende Wirkung der Kalterer Rebengewächse kennengelernt. Aber der Tag war viel zu schön, um sich Gedanken an den Abend zu machen. Die Sonne lachte vom kitschig-blauen Postkartenhimmel und sorgte dafür, dass der in durstigen Zügen geschlürfte Wein so richtig seine Wirkung tat.

Nach dem Mahle orderten wir Goldmuskateller. Das ist, wie schon erwähnt, ein weißer, schwerer Likörwein, in der Art etwa dem „Samos“ verwandt. Er kam in Karaffen, und wir waren inzwischen geistig so weit in unsere Helleber Dimension eingedrungen, dass wir die Gläser zurückwiesen.

Die braven Bürger des zwanzigsten Jahrhunderts in uns waren durch den Alkohol und die romantische Umgebung schon beiseite gedrängt. Am Tisch saßen nicht mehr drei Gestalten aus der Zeit des Mondfluges und der Coca Cola, sondern die drei Musketiere. Logo, dass Hans als der „Chef“ den Athos darstellte und Hermann mit seiner Gestalt, die man in der Theatersprache als „schwerer Held“ bezeichnet, den Porthos. Nun ratet mal, wer den galanten Aramis doubelte...

Die Gläser wurden von uns also höflich im Schreibstil des Monsieur Dumas zurückgewiesen, und die Karaffen mit dem goldgelben Rebentrank erhoben. Ja, und schamvoll sei es hier bekannt, dass wir diesen wahren Göttertrank wie Bier in uns hineinkippten. Wie ließ schon R.E. Howard seinen „Conan“ sagen?

"Zivilisation ist etwas Unnatürliches! Am Ende wird immer die Barbarei siegen!"

Wie Recht er doch hatte an diesem Tage waren wir der beste Beweis für seine Erkenntnis. "Der Wein ist unter den Getränken das Nützlichste, unter den Arzneien das Schmackhafteste und unter den Nahrungsmitteln das Angenehmste!" lehrte uns der Römer Plutarch. Und wir waren eifrig beschäftigt, die Wahrheit dieser Worte zu ergründen. Nur dass wir den edlen Rebensaft eben nach Germanen-Art tranken.

Nur Crom weiß, wie viele Wein-Karaffen wir geleert haben. Aber so zwei Literchen von dem süßen Muskateller hat jeder von uns getrunken - ohne das, was vorher war ...und hinterher noch kommen sollte.

Und Crom weiß auch, was wir am Schluss zahlten und wieviel Trinkgeld wir gegeben haben. Denn als wir gingen, machten die Servierdamen vor uns einen Hof-Knicks, wie er zu Versailles in den Tagen von Locken-Louis vom Dienstpersonal üblich war. Bedauerlicherweise hatten wir keine Hüte mit Federn auf, um mit der galanten Verbeugung eines französischen Chevaliers zu antworten.

Irgendwie ging es uns drei Musketieren gut, als wir den Ort unseres Gelages verließen. Ehrfurchtsvoll machten uns die Touristen Platz, als wir wieder unserem Wein-Keller zustrebten, der nach beendeter Mittags-Pause inzwischen wieder geöffnet hatte. Na logo wurde weiter getrunken.

Hier fand uns Werner Kurt Giesa. Da ich, dem Alter sei‘s verziehen, stehend an der Theke eingeschlafen war (es geht nichts über ein wohltuendes Mittagsschläfchen nach einem ordentlichen Frühtrunk), erwies er sich als wahrer Freund und schaffte mich zu meinem Bett im Hotel. „Aramis“ war also aus dem Rennen.

Aus Erzählungen weiß ich, dass „Athos“ und „Porthos“ noch weitermachten und noch manches Gläschen leerten. Peter fand die beiden Helden im Stadium einer gewissen „Sättigung“ und beschloss, sie zum „Schönblick“ zu transportieren.

Zuerst war Hermann dran, abgeführt zu werden. Der hatte jedoch noch Durst und wer ihn kennt, der weiß, dass es einiger Kraft bedarf, diesen Nordlandbären abzuführen. Nach einiger Überredung, dass man im „Schönblick“ wieder Bier zapfen würde, ließ Hermann sich brav ins Auto packen, und Peter zog los, den „Chef“ zu holen. Der ließ sich ohne größeren Widerstand zu leisten problemloser von der Theke lösen.

Am Auto angekommen, war Hermann nicht mehr da. Es gab nur einen Ort, wo er sein konnte. Der „Küsten-Baron“ hatte Durst bekommen und trank in einer nahe gelegenen Kneipe noch ein Bier. Allerdings musste Peter ihn erst mal suchen, denn im Zentrum von Kaltern gibt es viele Gaststätten, und Hermann konnte in jede hineingestolpert sein.

Peter, in diesem Falle selbstverständlich „d‘Artagnan“, der seine Musketier-Freunde aus jeder noch so peinlichen Situation rettet, schaffte „Athos“ und „Porthos“ also in die Betten und fuhr mit dem Wagen alleine zum „Seeleiten“.

Hier war die Festgesellschaft schon versammelt. Über seinen hauseigenen „Geheimdienst“, die „Stasi von Caldaro“, war Kurt über unsere kleine „Weinprobe“ schon bestens informiert.

Zwar donnerte er los wie eine beleidigte Gottheit, aber mit einem gewissen Verständnis. Wäre er dabei gewesen, ich zweifele nicht dran, dass er als „Monsieur de Treville“ bei diesem kleinen Umtrunk mitgemacht hätte. Es gibt ja genug Erlebnisse, in denen er solche Dinge sogar anzettelte... Die Sache geht aber noch weiter...

Gegen 20,00 Uhr wurde der „Bannerführer von Helleb“ vom „Sternenbaron“ beauftragt, die „Saufsäcke“ aus den Betten zu schmeißen und herzubringen. Das tat er bei mir mit brüderlicher Sorgfalt und der Zärtlichkeit eines Feldwebels. Nur wer jemals in einer solchen Situation den „Gesundungsschlaf“ abbrechen musste weiß, wie ich gelitten habe. Mir war schlecht und der Gedanke, schon wieder speisen und trinken zu müssen, ließen Gedanken an Freitod oder Fahnenflucht aufkommen.

Doch der wahre Krieger ermannt sich, und ein Held stirbt aufrecht. Und siehe da ich konnte gehen, auch wenn ich wie eine Dreimastbark bei einer Vergnügungsreise um Kap Hoorn schwankte.

Nach einiger Zeit und einer „Jerry-Cotton-Kur“, d.h. eine eiskalte Dusche, ging es besser. Da ich einige Zeit geschlafen hatte, war ich wieder bedingt kampffähig. Was jedoch nicht für die beiden anderen Gentlemen galt, die voll des süßen Weines im anderen Kämmerlein in den Betten lagen.

"Wir wollen aber wir können nicht!" waren klägliche Stimmen zu vernehmen, als Peter erklärte, dass Kurt stocksauer sei. Aber war auch der Geist willig, so war das Fleisch doch schwach.

Der Wein verjüngt des Menschen Herz!" heißt ein biblischer Sinnspruch. Unsere Freunde hat er in diesen Stunden nicht nur am Herzen, sondern auch am Körper verjüngt, und ins Stadium der Neugeborenen versetzt, die nicht einmal mehr krabbeln können.

Es half weder Zureden noch Zaubersprüche.

Nun musste der Spezialist ran. Schon halb bekleidet mit weißem Hemd und Pantoffeln betrat ich in der Pose eines Scharfrichters den Raum. Mit einem Griff angelte ich die Gitarre.

"Aufstehen oder ich singe!" klirrte es durch den Raum.

"Erbarmen! Wir k”nnen nicht!" lallte es zurück.

"Ha, endlich einmal ein Publikum, das nicht flieht!" triumphierte ich.

"Nicht fliehen kann!" wurde die Rede verbessert. Doch das Flehen um eine körperliche Folter half nichts. Jetzt kam die süße Rache für die unendliche Geschichte der Lästereien über meinen „göttlichen Gesang“, die ich normalerweise ergeben wie der Barde „Troubadix“ über mich ergehen lasse. Das übliche: "Nein, du wirst nicht singen!" wurde stets mit stoischer Gleichmut hingenommen.

Doch jetzt kam die Rache des Helleb-Barden!

„Ich werde euch den Brand Trojas besingen!" verkündete ich den Bedauernswerten. "Zündet die Stadt an, damit wir die richtige Kulisse für dieses Kunstereignis haben!"

"Erbarmen! Sei gnädig, Cäsar!" kam es aus den Betten. Aber es war zu spät. Ein kurzes Tremolo auf der Gitarre und dann begann die Psycho-Folter.

Es war ein uraltes Studenten-Lied, dessen Text und Melodie ich als Kind mal gehört und aufgeschrieben habe. Da es aber weitgehend unbekannt ist, schreibe ich hier mal für die Fantasy-Fans den recht originellen, aber ziemlich unbekannten Text nieder, wobei dem Leser natürlich auf den Genuss meines an Kaiser Nero erinnernden Gesanges samt dem nicht immer ganz sauber gegriffenen Saitenspiel verzichten muss.

"Im Jahre Elfhundert ante Christum Natum
da wollte es das unbeugsame Fatum
dass Troja von den Griechen zerstört ward –
wie das noch niemals gehört ward.
wie dieses den Griechen gelang,
jaja –
davon soll euch nun künden mein Sang!

Im Jahre Elfhundert ante Christum Natum,
da brachte der Paris den Achilles mit List um.
er streckte im Staub seine Glieder
der Held, so brav und so bieder.
Drauf gerieten die Griechen in Wut
jaja –
und so etwas tut doch nicht gut!

Und es schrieb Odysseus, der weltbekannte Schlaukopf
an Nestor, den mindestens ebenso vielmal genannten Graukopf
"Ich bin, mein guter Freund, wiß es –
noch immer der schlaue Ulysses.
Ich nehme die Trojerstadt bis
jaja –
drei Tage vergangen! Ulyss!

Denn es hatte der Odysseus einen ganz schlauen Einfall.
Der verschaffte den Trojanern den diesbezüglichen Reinfall.
Es machte der schlaue Ithaker
zuschanden die Trojanischen Racker.
Mit Hilfe der Geometrie
jaja –
erfand er ein hölzernes Vieh!

Hurra, nun sind sie fort, diese dreimal verdammten Griechen
Doch am Strand, da ließen sie noch so allerhand liegen.
In dem Pferd zogen die trojanischen Bauern ihr Pech in die eigenen Mauern.
So sehr auch Laokoon schrie
jaja –
die Dummen verringern sich nie!

Des Nachts beim Schein einer ganz winzigen Laterne,
des Mondes und einiger unbedeutender Sterne,
entstiegen dem hölzernen Pferde
einige Helden vom besten Werte.
Die öffnen den andern das Tor
jaja –
Meine Herren, wie kommt Ihnen das vor?

Als am anderen Morgen die rosenfingrige Eos erwachte
fand sie zu ihrem Erstaunen eine gänzlich veränderte Lage der Sache.
Wo gestern noch Troja gestanden
war nur noch Schutt und Asche vorhanden.
Drauf ackert dahin und daher
Jaja -
in Hexametern der Papa Homer!

Das war also das erste Lied, mit dem ich die Helden von den Pfühlen treiben wollte. Doch es gelang ihnen nicht, sich zu regen. Sie lagen wie auf der Folterbank und wimmerten um Erbarmen. Doch das Erbarmen war zu den Bären geflohen.

Der noch in meinem Blut rasende Bacchus sorgte dafür, dass ich nach dieser Darbietung alle Arten von andren mir bekannten unanständigen Liedern jubilierte. Ich bin sicher, dass man mich in jedem Opernhaus dieser Welt engagieren würde. Für die Rolle der aus dem Gehölz hervorbrechenden Wildsau im „Freischütz“ bin ich als „Ehrenschwein“ sicher bestens geeignet.

"Mach wenigstens das Plektron aus den Saiten!" stöhnte Hans, und brachte so die Erklärung, warum das Instrument so schräg klang. Dieser Umstand, dass sich das Schlagblättchen noch zwischen den Saiten befand, war mir vorher noch nicht aufgefallen, brachte die künstlerische Darbietung jedoch in neue Dimensionen. Jetzt begannen die Harmonien etwas sauberer zu klingen, und das brachte die Party erst richtig in Schwung. Schade, dass die bei den „Delinquenten“ so wenig Verständnis für die „wahre Kunst“ besaßen...
"Eine Engelserscheinung!" stöhnte Hexen-Hermann, auf mein weißes Hemd anspielend. "Ich bin ein Erzengel!" gab ich beleidigt zurück... wofür trage ich sonst den Namen Michael?

"Wenn die Engel im Himmel so singen, dann will ich in die Hölle!" stöhnte Hans verzweifelt. Null Problemo, immerhin ist er ja schon vor geraumer Zeit aus dem Verband der Kirchensteuerzahler ausgestiegen und hat nach geltendem Kirchenrecht jenseits der Wolken keinen Mietvertrag mehr zu erwarten.

"Aufstehen!" "Wir können nicht!" "Na, dann also...zwei- drei- ein Lied...!" Nun denn: Singe, wem Gesang gegeben in dem Deutschen Dichterwald...

Aber irgendwann wurde das Spielchen langweilig, denn die Deliquenten konnten sich tatsächlich nicht erheben. Außerdem kam Peter ins Zimmer, fauchte mich an, mit dem Gejaule aufzuhören (Göttlicher Orpheus, ich bin von Banausen umgeben) und mich fertig zu machen. Wenigstens ich müsste nach unten und Kurts Donnerwetter vertretungsweise für die beiden Gentlemen gleich mit über mich er gehen lassen.

Was blieb mir anders übrig, zumal auch der „Herrscher“ mir nachrief, dass er sich auch hier wieder einmal von seinem „Statthalter“ vertreten lasse - wofür habe man denn als Herrscher seine Vasallen.

Ergeben ließ ich mich von Peter zum „Seeleiten“ fahren, brabbelte bei Kurt und Maria eine improvisierte, vom Restalkohol gezeichnete Entschuldigung und brachte den Rest des Abends bei alkoholfreien Getränken zu. Nur das Essen, das musste hinunter und da blieb es auch. Lieber den Magen verrenken als dem Wirt was schenken...

Einge Stunden später gelang es Peter noch, Hans aus dem Bett zu holen. Sonderlich gut ging es ihm nicht und auch er bevorzugte jetzt Teenager-Getränke. Was einer trunken sündigt, muss er nüchtern büßen.

Nur Hermann war noch nicht „vernehmungsfähig“. Jetzt weiß er, dass man von Wein auch betrunken werden kann.

Als wir nach Ende der Feier dann gegen Mitternacht am „Schönblick“ ankamen, war Hermann allerdings verschwunden. Er war inzwischen wach geworden und wollte sich, nach den Sternen navigierend, einen Weg durch die Weinberge zum „Seeleiten“ bahnen. Er verfranste sich aber völlig zwischen den Reben und kam unverrichteter Dinge zurück.

Kurt nahm uns diese Sache nicht übel, sondern amüsierte sich diebisch über unser Missgeschick. Obwohl er über Hermann, dem er noch nicht „den Marsch geblasen hatte“, noch ein kurzes Donnerwetter niedergehen ließ. Und die drei Musketiere wurden drei brave Buben, die versprachen, es nie, nie wieder zu tun.

Mehr ist über diese Tage nicht zu erzählen, denn ich fuhr mit Hermann und Peter einen Tag früher nach Hause. Das Jahr begann, seinen weiteren, gewohnten Gang zu nehmen.

Kurt fuhr in diesem Jahr mit Maria wie üblich in Urlaub nach Ungarn und war im Oktober wieder auf dem Buchmesse-Convent. Diesmal hatte es sich unter SF-Fans herumgesprochen, dass einer der Altmeister der Deutschen SF anwesend war. In einem besonderen Raum in den hoch über Frankfurt liegen den Räumen des Henninger-Turmes gab es einen richtigen Ren-Dhark-Con, bei dem die Fans viele Fragen an den geistigen Vater Ren Dharks stellen konnten.

Zurück in Kaltern fand Kurt Brand jenen verhängnisvollen Brief aus der Bozener Klinik vor. Er hatte sich vor der Abreise wieder einmal durchchecken lassen, und in dem Brief stand zu lesen, dass er noch einmal vorsprechen möge. Man hätte da noch „etwas“ gefunden.

Am 22. Oktober 1990 erfuhr Kurt Brand von den Ärzten in Bozen, dass er in absehbarer Zeit sterben müsse. Ein bösartiges Krebsgeschwür in der Lunge machte seine Lage hoffnungslos. Ob das eine Nachwirkung des Rauchens war, ist nicht geklärt, jedoch als sicher anzunehmen. Einer Operation wurden kaum Chancen eingeräumt und deswegen verzichtete Kurt auf das Risiko, unter Chirurgenhänden zu sterben.

Allerdings konnte ihm keiner der Mediziner sagen, wie lange er noch auf dieser Welt wandeln würde, da auf den Röntgenbildern die Größe des tückischen Geschwulsts nicht zu erkennen war. Nach Auskunft der Ärzte hätte eine Spiegelung Luft daran geführt und zu einer explosionsartigen Vergrößerung geführt, die das sichere Ende nur noch schneller heranbrachte.

"Es kann ein halbes Jahr dauern... ein Jahr... vielleicht auch fünf Jahre...!" war die vage Auskunft der Jünger Äskulaps.

Zwei Stunden nach der Verkündigung seines bald bevorstehenden Todes saß Kurt Brand auf dem Stuhl eines Fotografen in Bozen und ließ jenes Bild machen, das auch auf seiner Todesanzeige zu sehen ist und das hier neben meinem Arbeitsplatz steht.

Dieses abgeklärte und doch in der bevorstehenden Vollendung seiner Erdentage das Leben bejahende Lächeln habe ich nur einmal real sehen dürfen - am Tage, als wir uns das letzte Mal von ihm verabschiedeten.

Seinen Freunden hielt Kurt die schreckliche Tatsache vorerst verborgen. Erst zum Beginn des neuen Jahres erfuhren wir davon. Hermann war in Kaltern gewesen, weil er in Kurts Auftrag seine gesammelten Beleg-Exemplare und sonstige gekaufte Heftromane verkaufen sollte, und er sie dazu notwendigerweise nach Hamburg bringen musste.

Zum besseren Verständnis sei gesagt, dass Hermann als mein „literarischer Geschäftsträger“ agiert und mit der „Romanagentur Grasmück“, die mich als Schriftsteller aufgebaut hat, Hand in Hand arbeitet, da Jürgen und Karin bedingt durch ihren Buchladen und die Esoterik-Kurse kaum noch Zeit für die Roman-Agentur haben. Hermann hat also Verbindungen zu Verlagen geknüpft, und Kurt bat ihn schon bei diesem Zusammensein, Maria zu helfen, wenn sich nach seinem Tode jemand für seine Romane interessierte.

Denn das Schicksal ist wie ein Rad, und was heute unten ist, das ist Morgen ganz oben. Niemand kann wissen, was der neue Tag bringt. Und niemand weiß, ob man sich nicht nach vielen Jahren erst den Werken vergessener Autoren erinnert und sie über Nacht zu Bestsellern werden wie z.B. R.E. Howards „Conan“. Und dem galt es vorzubeugen.

Nachdem Kurt die bereits beschriebene Enttäuschung mit dem inzwischen in Konkurs gegangenen „Milton-Verlag“ verwunden hatte, vereinbarte er mit Hermann und mir im Spätherbst einen Treff in Kaltern, bei dem er uns die jeweils bis Band 500 weiter gedachten Exposés für „Ren Dark“ und „Raumschiff Promet“ vorlegen und erläutern wollte.

Vorher aber wünschte er die „Bande“, wie er uns gelegentlich nannte, noch einmal zu seinem 74sten Geburtstag in Kaltern zu sehen. Peter musste zu Hause die Stallwache übernehmen. Hunde- und Katzenhalter wissen, dass man seine Lieblinge ungern aus der gewohnten Umgebung gibt und da Peter auch einen Hund und eine Katze hat, gab es keine Probleme.

Optimisten, die wir sind, verdrängten wir im Inneren die Befürchtung, dass es Kurts letztes Wiegenfest sein konnte. Und auch Kurt hatte für den 75sten schon ein ganzes Hotel vorgebucht... in das wir die Hunde hätten mitnehmen können.

Jürgen bedauert es heute, dass er dringende geschäftliche Verpflichtungen nicht absagen konnte. Als Schriftsteller konnte er sich schon mal einige Tage von der Arbeit lösen, oder die Schreibmaschine in Urlaub mitnehmen, um wenigstens einige Stunden täglich zu arbeiten, als Veranstalter esoterischer Kurse war seine Präsenz gefragt. Und die Termine dazu werden sehr früh festgelegt. Denn die Kapazitäten der Esoterik, die er nach Hanau holt, sind international bekannt, und man muss froh sein, dass sie ihr Wissen in einer für Weltenbummler doch recht abgelegenen Stadt wie Hanau weitergeben.

Aber den Termin zu Kurts 75sten hatte sich Jürgen ganz rot im Kalender angestrichen. Das unerbittliche Geschick wollte es jedoch, dass sie sich zu seinem 50sten Geburtstag zum letzten Male sahen. Darüber habe ich bereits ausführlich berichtet, es war die Episode mit der Bauchtänzerin... Die Fahrt zu Kurts 74sten Wiegenfest wurde wieder einer der berüchtigten Nacht-Ritte nach Kaltern, den ich mit Hans und Hermann unternahm.

Am Morgen fuhren wir in Kaltern ein. Heike und Werner waren schon vor uns eingetroffen. Und der Tag war so turbulent, dass wir nicht dazu kamen, mit einem kleinen Schläfchen im Hotel die verpasste Nachtruhe nachzuholen. Hermann schlief dann am Abend eine Stunde auf dem zweiten Sofa im Wohnzimmer der Brand‘schen Wohnung, weil Kurt unbedingt in den Geburtstag reinfeiern wollte. Selbstverständlich gab es Bier, das „Forst-Bräu“ aus Meran war Kurt Brands Hausmarke.

An diesem Abend gegen 22,00 Uhr machte Kurt Brand sein literarisches Testament. Er machte es mündlich und ganz formlos. Die Zeugen sind außer seiner Frau Maria Hans Klipp, Heike und Werner K. Giesa, Horst Hermann von Allwörden und der Schreiber dieser Zeilen.

Die finanziellen Gewinne aus Kurt Brands literarischen Hinterlassenschaften und seinen Ideen gehören seiner Frau Maria und später Tochter Doris.

"Verlaßt sie nicht, wenn ich nicht mehr da bin!" bat er uns, und wies auf Maria. Und wir gaben unser Wort darauf.

Horst Hermann von Allwörden wurde nach Kurts Tod zu Marias Geschäftsführer bestallt, da Kurt seine Frau niemals in seine Geschäfte einbezog, und sie davon keine Ahnung hat. Mit seinen derzeitigen Verlagskontakten hat er die besten Voraussetzungen dafür.

Die Weiterführung oder Umarbeitung seiner Romane bzw. die Realisierung seiner per Exposés festgehaltenen Ideen obliegt unserem Freundeskreis, der Tafelrunde, in der Gesamtheit. Wir müssen unter uns ausmachen, wer von uns für welche Art Schreibe der geeignete literarische Testamentsvollstrecker ist.

All das wurde in wenigen, inhaltsschweren Worten ausgemacht und nach Germanenart mit Wort und Handschlag besiegelt. Danach ging das Gespräch wieder übergangslos in zwanglose Plauderei über.

Irgendwann stellten Hans und ich fest, dass wir Kurts Geschenk vergessen hatten, aber wir hatten den Wagen nicht dabei, und vom Vial-Weg zu unserm Hotel ist es ein strammer Fußmarsch. Also wurde er schon vorher drauf hingewiesen, dass die „Bescherung“ erst am Morgen sein. Bis auf... aber das kommt gleich.

Per Video sahen wir uns noch einmal die Aufzeichnungen von Jürgens Geburtstagsfeier an, auf denen auch Kurt Brands Ballett-Einlage mit der Bauchtänzerin zu sehen ist. Und dann schlug die Uhr Mitternacht.

Niemand von uns wusste zu diesem Zeitpunkt, dass Kurt Brands letzter Geburtstag angebrochen war.

Nach der Gratulation bekam Kurt von Hermann ein weißes T-Shirt mit dem eigens aufgedruckten „Reichswappen von Helleb“. Dieses Wappen trägt in der Mitte unser altes ANTARES-Symbol, die eine mit dem Schwert gekreuzte Rakete darstellt. Darüber befindet sich ein schäumender Bierkrug, darunter eine keltische Harfe. Auf der Helmzier darüber ist natürlich die Adelskrone zu sehen.

„Kurt von Caldaro“ war in Buchstaben auf das Shirt gedruckt, und Kurt hatte in den folgenden Tagen viele Mühe, den deutschnationalen Südtirolern zu erklären, dass wir in dieser Welt den Ort nur als „Kaltern“ akzeptieren, er in jener anderen Dimension, in der unser geistiges Fürstentum liegt, aus Gründen des Wohlklanges „Caldaro“ heißt.

Aber was verstehen diese biederen Leute, wenn man ihnen versichert: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt...!"

Jedenfalls war Kurt von dem Geschenk begeistert, riss sich das obligatorische weiße Hemd vom Leibe und zog das Shirt an. Wer erwartet von einem 74-jährigen Mann eine solche jungenhafte Reaktion?

Aber so war Kurt Brand. Trotz Greisenalter hatte er im Gemüt die Kraft und das Feuer der Jugend. Aber wie erstaunte er, als Hans, Hermann, Werner und ich ebenfalls die Hemden auszogen und die gleichen Shirts mit unseren Helleber Namen sichtbar wurden. Die Tafelrunde in einheitlicher Gewandung.

"So gehen wir morgen früh den Frühschoppen einnehmen!" befahl Kurt Brand unternehmungslustig und erteilte Order, dass wir uns am Morgen um zehn Uhr mit diesen Shirts gekleidet auf dem Marktplatz einzufinden hätten.

So geschah es auch, und die „Eingeborenen“ hatten was zu tuscheln, als wir in dieser ungewöhnlichen „Reichs-Einheits-Kluft“ im „Lauben-Café“ am Marktplatz einzogen und Bier bestellten. In dieser Situation geschah dann die bereits erwähnte Episode, als Kurt den vorlauten Schwaben zurecht wies.

Dann bekam Kurt sein Geschenk von Hans und mir. Eine hölzerne Butler-Figur in Hobbit-Größe mit Tablett, auf das wir einen Bierkrug (ein seltenes Stück mit Motiven zur deutschen Einheit) und einen 6er Träger Kasseler Bock-Bier gestellt hatten.

Kurt wusste den Butler gleich praktisch zu nutzen. Er stellte ihn in seinem Wohnzimmer so auf, dass er jedem, der sich Richtung Toilette bewegte, herausfordernd das Tablett hinhielt. „Bitte keine Lire“ stand auf einem Zettel zu lesen. Muss ich sagen, dass wir bei jedem Gang zum „Thronsaal“ zu Kurts diebischer Freude dem Diener sein Trinkgeld gaben?

Es gelang den vorjährigen „drei Musketieren“, trotz einer klitzekleinen Weinprobe, den Nachmittag fast nüchtern zu überstehen und am Abend zum traditionellen „Hotel Seeleiten“ zu fahren (zurück ging es diesmal mit einem Taxi).

Obwohl alle Gäste am Tisch über Kurt Brands Zu stand informiert waren, führte jeder Gespräche, als ob der Gratulant gute Chancen hätte, hundert Jahre alt zu werden. Als Kenner der römischen Historie fühlte ich mich ein wenig an das letzte Gastmahl des Gajus Petronius erinnert. Ich meine jenen Petronius aus dem Roman „Quo Vadis“. Er hat tatsächlich gelebt und gab, als er bei Kaiser Nero in Ungnade gefallen war, ein letztes Fest unter Freunden, bei dem er sich die Adern öffnen ließ. Tacitus berichtet, dass auch dort, obgleich der Gastgeber eine sichere Beute des Todes war, auf seinen Wunsch gescherzt wurde und man amüsante Gespräche führte, die den traurigen Anlass überdecken sollten.

Auch bei Kurt Brands letzter Geburtstagsfeier traten ernste Gespräche in den Hintergrund. Nur in dem bereits geschilderten Augenblick wurde es feierlich, als Kurt Brand aufstand, sein Glas erhob und feierlich die Worte sprach: "Auf das, an was wir glauben!"

Und diesen Glauben muss jeder mit sich selbst und seiner inneren Stimme abmachen. Da Kurt Brand jeder Religion, die das Gute und die Kräfte des Lichts verehrt und dem Bösen und den Mächten der Finsternis und der Zerstörung Feind ist, die gleiche Ehre der Daseinsberechtigung einräumte, bezeichnete er sich im allgemeinen als Heide.

Das resultiert aus der Tatsache, dass die großen Weltreligionen Christentum und Islam dogmatisch nur ihren eigenen Weg zur Seeligkeit sehen. Jeder andere Weg wird abgelehnt und verdammt.

Und in der blutigen Vergangenheit beider großen Glaubensrichtungen, die sich in der Zukunft zweifelsohne wiederholen kann, wurde diese Lehre den Unwissenden oder den Andersgläubigen mit Feuer und Schwert aufgezwungen. Wer nicht das Kreuz küsste oder das Banner des Propheten ergriff, den umarmte der Tod.

Das Heidentum ist in Glaubens- und Gewissensfragen tolerant. Es erkennt im Wesen der Götter keinen Unterschied und fragt nicht nach ihrem Namen. Jeder mag sich einen Namen für seinen Gott oder seine Götter aussuchen. Die „Unsterblichen wissen, dass sie ihren eigentlichen Namen keinem Menschen genannt haben und ihre Namen von den Betern dieser Erde den Lauten, die Menschen artikulieren können, entnommen sind“.

Aus der christlichen Apostelgeschichte wissen wir, dass Paulus auf dem Areopag von Athen vor einem Altar predigte, den die Griechen dort dem „Unbekannten Gott“ geweiht hatten.

Der unbekannte Gott, den jeder für sich selbst suchen muss. Den die alten Philosophen Griechenlands erahnten, und die Weisen Indiens suchten und die Wissenden Ägyptens verehrten. Ein Gott, der sich nicht vom Geist des Menschen ergründen lässt.

Das war es und das ist es. Wie in vielen anderen Dingen hielt es Kurt, ohne sich dessen recht bewusst zu sein, mit der Lehre des griechischen Philosophen Epikur. Und dessen Erkenntnis bedeutete ungefähr, dass es wohl Götter gäbe, die sich aber nicht um die Geschicke der Menschen kümmerten. Sie hätten die Erde erschaffen -- aber das Interesse daran verloren, wie kleine Kinder, die eine Sandburg bauen und sie danach entweder zerstören oder sich anderen Din gen zuwenden.

So lehrte Epikur, dass der Mensch zwar für sich und seine Umwelt verantwortungsbewusst durchs Leben gehen soll, sich aber nicht vor dem „Morgen“ fürchten und jeden Tag mit maßvollem Genuss bewusst erleben soll. Und da sich die Götter eben um nichts kümmern, soll er den Gott seiner eigenen Erkenntnis niemandem aufzwingen.

Kurt Brand hasste nicht nur religiösen Zwang, sondern jede Art von Dogmatismus. In Sachen des Glaubens folgte er seiner inneren Stimme wie wir anderen vom Freundeskreis auch. Auch ich persönlich, obwohl Kirchensteuerzahler, bezeichne mich im epikureischen Sinne als Heide.

Aber man soll diese Art von Glaubensbekenntnis nicht unter die „Atheisten“ rechnen. Vielleicht ist unsere innere Einstellung zum Leben auch eine Abart des Buddhismus.

Für religiöse Leser, die diese Worte erschrecken, sei erwähnt, dass die katholische Kirche unter dem Pontifikat von Paul VI während des 2. Vatikanischen Konzils im sogenannten „Heiden-Papier“ diese Art von überlieferten Volks-Religionen und eigenen Erkenntnissen religiöser Wege inzwischen toleriert und nicht die Feuer der Inquisition wieder aufflammen lässt. Oder wie es Friedrich der Große von Preußen so treffend formulierte: "Jeder soll nach seiner Facon selig werden!"

Jeder Mensch weiß, dass von allem irdischen Streben am Ende für ihn selbst nichts übrig bleibt. Er verlässt diese Sphären so, wie er gekommen ist. Nur Spuren seines Lebens kann er hinterlassen.

Und diese Spuren hinterließ Kurt Brand in seinen Romanen. Gewiss, niemand, weder die heutigen Leser noch kommende Generationen, wird sie zur Weltliteratur rechnen. Doch ich bin sicher, dass sie noch gelesen werden, wenn wir alle längst diese Welt verlassen haben.

Und den Namen „Kurt Brand“ wird man kennen, ohne sich für die einstige Person zu interessieren, die er in seinem Leben war. Wer hat noch eine Vorstellung vom Aussehen oder vom Charakter des Hans Dominik?

Dennoch, die Roman-Figuren, die Kurt Brands Geist ersann, sie leben weiter. Und die Abenteuer werden von jeder Leser-Generation aufs Neue erlebt.

"Wir treffen uns alle in Walhall! Und wer zuerst dort ist, der hält Plätze frei und bestellt schon mal das Bier!" war eins unserer geflügelten Worte.

Und obwohl zu ahnen war, dass Kurt Brand vom biologischen Wege der Erste sein würde, hat das niemand akzeptiert. Das Schicksal mischt die Karten recht sonderbar. Ein Verkehrsunfall, hervorgerufen durch Übermüdung auf der noch zu schildernden Rückfahrt am 3.November, hätte dafür sorgen können, dass Hermann und ich Kurt Brand in Walhall mit erhobenen Gläsern willkommen hießen.

Oder als auf der Fahrt zu seiner Beerdigung Hermanns Wagen ausgerechnet in einer Baustelle mit defektem Stromverteiler den Geist aufgab. Ohne die Sicherheit eines Standstreifens mit immer matter werdendem Warnblinker standen wir in tiefer Dunkelheit eine halbe Stunde im Angesicht heranbrausender Lastwagen am Rande der stark befahrenen Autobahn und müssten auf den Wagen des ADAC warten. Wenn da einer der Trucks in Hermanns Kadett reingerauscht wäre, dann hätte Kurt in Walhall recht schnell die beiden fehlenden Partner für seine geliebte Skatrunde bekommen können.

"Auf das, an was wir glauben!" Nehme jeder für sich diese Worte von Kurt Brand als ein persönliches Vermächtnis... Gelegentlich überkam Kurt während der Feier eine Ahnung, dass er das nächste Jahr nicht mehr erleben würde. Die Ärzte wagten es nicht, ihm seine konkrete Lebensspanne voraus zu sagen.

"Aber ich kämpfe drum!" rief er immer wieder mit geballter Faust. "Ich kämpfe drum! Ich will meinen 75sten in eurem Kreise schaffen. Ich will…!“

Und in das SF-Leihbuch, das ich ihm am Vortage mit der Bitte um eine persönliche Widmung vorgelegt hatte, schrieb er: "Komm zu meinem 75sten Geburtstag! Kurt!"

Und ich glaube, nur dieser fast stur zu nennenden Willen, dem Dunklen Boten mit Stundenglas und Hippe bis zu diesem Termin zu trotzten, gab ihm die äußerliche Kraft und die fast heiter zu nennende Gelassenheit, das Wissen um das unausweichliche En de zu ertragen.

"Kurt war zu bewundern!" schrieb mir Walter Ernsting. "Ich glaube nicht, dass ich so mutig und äußerlich gelassen sein könnte, wenn es mal soweit ist!"

Und über den legendären Zwist dieser beiden Altmeister der Deutschen SF schrieb Walter Ernsting: "Wir haben uns lange in Karlsruhe unterhalten und unsere alte Freundschaft erneuert. Schließlich wussten wir ja beide nicht mehr, warum es diese Missstimmung gab, gut so. Und so kann ich ihn in bester Erinnerung behalten!"

Ja, es gab viele Fehden, die Kurt Brand im Verlauf seines Lebens ausgefochten hat. Und ich bin sicher, dass er auch hier die Gründe, wenn nicht gar die Fehden selbst, vergessen hat. Wer immer sich durch Kurt Brand benachteiligt oder beleidigt fühlt der möge ihm jetzt verzeihen. Denn der Tod löscht alle Schuldkonten und wer wollte über Gräbern zanken.

Erinnert euch nicht an jenen Kurt Brand, der gelegentlich störrisch auf seiner Meinung beharrte und auf den Tisch schlug, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte. Der schnell beleidigt war und bei einer falschen Bemerkung aufstand und davon ging. Denn eine Untugend hatte Kurt Brand jedenfalls nicht: er war kein Heuchler!

Manchmal war es nicht leicht, sein Freund oder Partner zu sein. Denn er war kein pflegeleichter Geselle, sondern ein Mann mit Ecken und Kanten. Einerseits der mit einer unerschöpflichen Phantasie begnadete Schriftsteller, war er andererseits doch auch ein Mensch mit allen Fehlern und Schwächen seiner Art. Und wer von euch ohne jeden Fehler und jede Schwäche ist...

"De mortius nil nisi bene!" sagten die alten Römer. "über die Toten sage nichts außer das Gute!"

Eigentlich hatten weder Hans Klipp noch ich vor, zum Perry-Rhodan-World-Con nach Karlsruhe zu fahren. Aber das Bewusstsein, dass unsere Treffen mit Kurt Brand gezählt waren, ließen uns einwilligen, als Kurt in Kaltern beim Abschied sagte: "Wir sehen uns dann in Karlsruhe!"

Ja, und dort erlebte Kurt Brand noch einmal die Würdigung seiner Lebensarbeit, die ihm lange verwehrt war. Als Erster betrat er die Bühne, auf der sich die anwesenden Autoren vorstellten. Und der Beifall, den ihm die anwesende Fangemeinde und die Kollegen zollten, hat ihn innerlich noch mal unglaublich hochgerissen. Er hat all diese Begeisterung und die Bewunderung, die seiner Person wie seinem Werk galten, unglaublich genossen. Ein Schelm, wer ihm das neidet.

Schmunzelnd lese ich heute noch seinen Artikel in der Festzeitschrift des Cons, in dem er von einer amüsanten Situation berichtet. Während eines Fluges saß ein Schweizer Geschäftsmann und Perry-Rhodan-Leser auf dem Platz neben ihm und diskutierte mit ihm auf Grund eines P.R.-Romanes, den er gerade las, über SF. Und der Roman, der die Diskussions-Grundlage bildete, war ausgerechnet von Kurt selbst geschrieben.

Seltsamerweise kannte sich der Schweizer im damaligen Brand‘schen Rhodan-Universum besser aus als der Meister selber. Nun, im Verlauf der vielen Jahre, in denen „Ren Dhark“ und „Raumschiff Promet“ entstanden, sei dem Kurt dieses Vergessen sicher verziehen.

Und das übelwollende Geschick des Schweizers sorgte dafür, dass er den Mann, der ihm seine Karte gab, nicht zu identifizieren verstand. Dass „Kurt Brand - Schriftsteller“ jener Heft-Autor sein konnte, dessen Werk er gerade mit Begeisterung las, schien der brave Mann nicht zu begreifen. Diese Episode hat uns Kurt nie erzählt, und ich bin sicher, dass es in dieser Form noch viele skurrile Begebenheiten aus seinem Leben gibt.

Auf dem Bild in dem Heft ist Kurt noch mit dem eisgrauen Vollbart zu sehen, den er einige Zeit trug, dann aber wieder abnahm. Und er trägt auf der Fotografie sein ungarisches Puszta-Hemd, das ich als sein persönliches Vermächtnis in Ehren halte.

Vom Con-Programm wurde Kurt ganz schön in Atem gehalten und er blühte so richtig auf. Er machte ihm Freude, im Mittelpunkt zu stehen, bewundert zu werden und Kontakt mit der heutigen Leser-Generation zu bekommen. Nur manchmal, wenn Fragen nach seinen SF-Universen zu konkret wurden, dann setzte die Erinnerung aus und ein gequältes: "Ach, dat weiß ich ni mieh! Dat is schon zu lang häär!" war zu vernehmen.

Viel von den Con-Beiträgen haben wir nicht gesehen. Wir waren ja hauptsächlich wegen Kurt gekommen und natürlich um Walter Ernsting mal wieder zu sehen, der jedoch eine größere Fan-Gemeinde hinter sich her zog als ein Wanderprediger Jünger hat.

So war der „Helleb-Clan“, wie man uns dort hinter vorgehaltener Hand nannte, eher da, den Meister vor etwas zu zudringlichen Fans abzuschirmen und dafür zu sorgen, dass er wenigstens den Abend in gemütlicher Runde genießen konnte.

Am diesen Abend des 24. August wollten wir in meinen Geburtstag hineinfeiern. Aber um 22,00 Uhr wurde Kurt plötzlich schlagartig müde. Niemand nahm es ihm und Maria übel, als sie sich rasch verabschiedeten. Aber ein Zeichen war es für uns doch, denn ansonsten hielten die Brands stets bis zum Schluss durch.

Am nächsten Morgen waren beide wieder fit, und wir verbrachten noch mit geringen Unterbrechungen zwei Stunden. miteinander. Niemand ahnte, dass es für Hans Klipp und Werner Kurt Giesa die letzten Stunden mit Kurt Brand sein würden. Und weil wir alle selbst mal SF-Fans waren, standen wir natürlich vor den begeisterten jungen Lesern zurück, für die Kurt Brand ein ehernes Idol aus dem Elysium der SF Literatur und meisterhafter Komponist der deutschen Space-Opera ist. Der Perry-Rhodan-World-Con vom 24. zum 25. August 1991 war der Schwanengesang von Kurt Brand. Wer ihn dort erleben durfte, der behalte ihn so und nicht anders in Erinnerung.

Denn das Ende zeichnete sich schon auf der Heimfahrt nach Kaltern ab. Was nie vorher geschehen war, Kurt ging ungefähr fünfzig Kilometer nördlich von Bozen von der Autobahn runter und verbrachte mit Maria die Nacht dort in einem Hotel. Er hatte nicht mehr die Kraft, diese für ihn sonst lächerlich kurze Strecke zu fahren und Maria kann nicht Auto fahren.

Über Hans und Hermann, die gelegentlich telefonischen Kontakt nach Kaltern pflegten, erfuhr ich, dass es rapide bergab ging. Hermann und ich beschlossen, um den 20sten November nach Kaltern zu fahren, um die bereits angesprochenen Rahmen-Exposés für „Ren-Dhark“ und „Raumschiff Promet“ mit ihm durchzusprechen. Wir ahnten nicht, wie unbarmherzig ihn die heimtückische Krankheit bereits in ihren Klauen hatte.

"Zu diesem Termin müssen wir spätestens fahren...!" beschwor mich Hermann, der zu gut weiß, dass bei mir dienstlich sehr schnell etwas dazwischenkommen kann.

Was weiter geschah, habe ich am Beginn schon angedeutet.

Am 2. November 1991, am Tage Allerseelen, kam ich um die Mittagszeit nichtsahnend mit dem Hund von der üblichen Runde nach Hause, als meine damalige Freundin mir gleich aufgeregt zurief: "Du sollst sofort den Hans anrufen! Es ist was mit Kurt!"

Ein kurzes Gespräch mit dem „Chef“ und ich wusste, dass Maria uns bat, zu kommen. Da er selbst in Verhandlungen wegen eines Hauses war, das er zu kaufen gedachte, konnte er nicht mitkommen. Auch Werner war so in Termindruck, dass er die Fahrt nicht mitmachen konnte, jedoch versprach, am darauffolgenden Wochenende mit Hans zu fahren.

Aber wir waren der Meinung, dass zwei Mann von uns in dieser Situation genügten, und es besser sei, wenn wir nicht alle zu gleicher Zeit anrauschten.

Kurz entschlossen rief ich in Kaltern an um mich zu vergewissern, dass es wirklich Marias Wille war, dass wir in dieser für sie schrecklichen Situation kommen sollten. Denn sie hatte sich lange vorher den rechten Arm angeknackst, und das war noch nicht recht verheilt. Dazu kam, dass Kurt ihren telefonischen Auskünften nach zum echten Pflegefall geworden war.
 "Ja! Kommt bitte sofort!" war Marias knapp gehaltene Bitte und Antwort. Und meine damalige Freundin, die Kurt und Maria in Karlsruhe kennengelernt hatte, sagte sofort zu, an diesem Wochenende bei mir die „Stallwache“ zu übernehmen.

Ein kurzer Anruf in Drochtersen und ich wusste, dass der „Küstenbaron“ bereits den Streitwagen vorfuhr.

"...ich bin in vier Stunden da!" schloss Hermann seinen in ungewohnt militärischer Kürze abgegebenen Bericht. Und das war er auch, und um die Sache abzukürzen sei gesagt, dass wir am folgenden Tage, den 3. November 91 gegen 7.30 Uhr im Vial-Weg vorfuhren.

Kurt geisterte bereits seit vier Uhr morgens durchs Haus. Er wusste, dass „die Bande“ ihn besuchen kam und freute sich drauf. Persönlich öffnete er uns die Tür.

Da war sie nun, die Situation, vor der Hermann und mir heimlich gegraut hatte. Wie begegnet man einem guten Freund, dessen Ende unmittelbar bevor steht?

"Hallo, Kurt! Da sind wir wieder!" So oder ähnliches pressten wir hervor. Dann ein Händedruck, den man kaum als das bezeichnen kann.

Wer Kurt in Karlsruhe noch als einen vitalen, wohlgebauten Mann erlebt hatte, der hätte ihn nicht wieder erkannt. Er war zum Skelett abgemagert. Die Pelzweste und seine sonstige Kleidung schlotterten auf den Knochen. Das Gesicht war eingefallen und aus den sonst so lebhaft sprühenden Augen war jeglicher Glanz gewichen.

Wie üblich wurde über die Fahrt und belanglose Dinge geredet. Man musste laut sprechen, denn Kurt hörte nicht mehr besonders gut. Und oft genug setzte sein Erinnerungsvermögen für alltägliche Dinge aus.

Seine Stimme war leise, fast flüsternd. Aber manchmal, wenn er sich erregte oder wenn ihn etwas besonders interessierte, wurde er laut wie immer. Gelegentlich gab er völlig klare Äußerungen von sich, dann murmelte er wieder unverständliche Worte.

Wir hatten einen Foto-Apparat mitgebracht, um ihn ein letztes Mal im Bild festzuhalten. Doch wir verzichteten darauf. Die Nachwelt soll Kurt Brand so, wie man ihn kennt, im Gedächtnis behalten. Den schmerzlichen Anblick, den wir schauen mussten, tragen wir in unseren Erinnerungen... Doch je länger Hermann und ich da waren, umso mehr schien sich Kurt innerlich zu festigen. Und als wir aßen, verlangte er plötzlich ein Stück Brot mit Käse, das erste Mal seit drei Tagen, wie Maria uns heimlich kundtat. Und auch wenn es lange dauerte, er hat es vollständig gegessen.

Ein letztes Mal auf „Ren Dark“ angesprochen presste er ein letztes: "Ab Band 30 überarbeiten, ab Band 60 neu schreiben!" hervor. Obwohl er sich kaum an Dinge erinnerte, die vor einer Stunde geschehen waren, an sein Lieblingskind „Ren Dark“ dachte er bis zum Schluss.

Heimlich erklärte uns Maria, wie problematisch es sei, ihn in der Wohnung zu halten. Er wollte immer nach draußen zu seinem Auto. Aber sie wagte es nicht, ihn auf die steile Treppe zu lassen. Wir empfahlen ihr, die Tür stets gut verschlossen zu halten und den Autoschlüssel gut zu verwahren. In diesem Zustand war Kurt nicht mehr fahrtüchtig. Erst nach seinem Tode stellten wir fest, dass der BMW ohnehin nicht mehr fuhr - die Batterie war total leer.

"Ich will mal nach draußen an die frische Luft!" sagte Kurt und gemeinsam trugen ihn Hermann und ich mehr als er ging die Stufen herauf.

"Hol mal deinen Wagen. Wir wollen mal ein wenig fahren!"

Wer wollte Kurt diesen Wunsch abschlagen? Hermann fuhr den „Braunen“, seinen Kadett, vor und wir stiegen ein. Kurt saß mit vorne und gab den Kurs an, den gleichen Kurs, den er so viele Jahre gefahren war.

"Hier kannst du parken hier stehe ich auch immer!" wies er Hermann in das schon beschriebene Halteverbot ein.

Und dann begann die letzte Bier-Patrouille des Kurt Brand.

Hermann stütze ihn rechts, ich links, und er gab das Tempo an. Wir gingen zur Hauptstraße von Kaltern hinab, die zum Marktplatz führt. Die Leute kamen gerade aus der Kirche. Einige der Winzer kannten ihn, und er führte mit ihnen kurze Gespräche. Das "behüt di" zum Abschied war aus ehrlichen Herzen gesprochen.

So gingen wir den Weg, den Kurt viele Jahre alleine gemacht hatte. Am Marktplatz angekommen fragte er: "Darf ich euch denn zu einem Wasser einladen?"

Natürlich nahmen wir diese Einladung an und so betrat Kurt zum letzten Mal eine Gastwirtschaft. Die Gespräche der Anwesenden brachen schlagartig ab. Jeder im Gastraum kannte Kurt Brand und erkannte, dass wir einen Sterbenden mit uns führten. Die Wirtin rettete die Situation mit einem: "Ach, der Herr Brand kommt uns wieder mal besuchen!" und wies uns die Plätze an.

Und dann tranken wir Wasser was wir eigentlich nie zuvor getan hatten. Aber es war Kurts Wille, den wir akzeptierten. Und er trank auch zwei Gläser obwohl er die Tage vorher kaum etwas getrunken hatte. Das alles zeigt, dass er den Umständen entsprechend noch einmal aufblühte.

Hermann hatte Postkarten für den Rest der Tafelrunde besorgt. Wir schrieben die Adressen vor und wollten, dass Kurt sich in dieser Form noch einmal verabschiedete. Auch für meinen Bruder Peter wurde eine Karte geschrieben, weil der genau an diesem Tag, den 3. November, Geburtstag hatte.

Kurt jedoch ahnte, dass es nicht nur einfache Grußkarten sein sollten und er versuchte, jedem Einzelnen noch etwas mitzuteilen. Doch die Hand war zu zittrig, der Text verworren und seine Schriftfragmente auf den Karten sind kaum zu entziffern. Dennoch sind es die letzten schriftlichen Aufzeichnungen von Kurt Brand.

Kurt zahlte und gab wie üblich ein recht großzügiges Trinkgeld. Mit einem: "Also dann, kommens bald mal wieder, Herr Brand!" verabschiedete sich die Wirtin und nahm damit der Situation die Unerträglichkeit des ewigen Abschiedes.

In langsamen Tempo führten wir Kurt dann zum Auto.

Wieder zurück in der Wohnung hatte Maria eins ihrer vorzüglichen Essen bereitet. Kurt saß an seinem üblichen Platz, war den Umständen entsprechend aufgedreht und aß mit großem Appetit seinen Teller leer. Niemand von uns ahnte, dass es für ihn eine Art „Henkersmahlzeit“ war...

Danach wurde Kurt müde und wollte ins Bett. Und da Hermann am Montag einen Vortrag über SF in einer Schule in Drochtersen hatte, und ich am nächsten Morgen wieder im Büro antraben musste, war es gut, vor dem „Nachtritt nach Norden“ auch noch eine Mütze voll Schlaf zu nehmen.

Mehr als zwei Stunden blieben uns jedoch nicht, als eine gewisse Frau Ivana zu Besuch kam, die wir schon von Kurts Geburtstagsfeiern kannten. Sie fragte, ob es nicht an der Zeit sei, einen Priester zu holen. Aber da gab es von drei Seiten Protest. Wir wussten nur zu gut, dass Kurt eine Antipathie gegen Leute hatte, die vorgeben, im Namen Gottes zu reden.

"Er ist doch Heide!" sagte Maria in einer Mischung aus Stolz und Trotz und erklärte, dass Kurt ihres Wissens nach aus der Kirche ausgetreten sei. Offen sichtlich hat Ivana das überprüfen lassen und deshalb...aber ich will jetzt den Ereignissen nicht mehr vorgreifen.

Maria erklärte, dass am nächsten Tag der Arzt bei Kurt wieder vorbeisehen würde. Den Umständen entsprechend brauchte er ärztliche Pflege, die Maria vom medizinischen und physischen her nicht mehr geben konnte. Sie dankte Hermann und mir noch einmal, dass wir so spontan gekommen waren.

Mittlerweile war es fünf Uhr geworden, und damit für uns die Zeit zum Aufbruch gekommen. Normalerweise fährt man von Hamburg bis Kaltern in normalem Tempo mit kurzen Pausen zehn Stunden.

Inzwischen war Kurt wach geworden und rumorte in seinem Schlafzimmer. Maria ging zu ihm und machte ihm klar, dass wir nun zurück fahren müssten.

Die Stunde des Abschieds war gekommen. Und wir wussten, dass es ein Abschied für die Ewigkeit werden würde.

Kurt Brand lag in seinem Bett und sein Geist war völlig klar. In seinen Augen lag ein Glanz, der nicht mehr von dieser Welt war. Ein Wanderer, der am Tor zu seiner ewigen Behausung den Gefährten ein letztes Lebewohl sagt, um dann für immer die Ruhe zu finden.

Er trug uns Grüße an alle Freunde auf und nannte ihre Namen, die hier nicht genannt werden. Aber alle, die er grüßen ließ, die wissen es. Dann noch ein Händedruck und wir verließen schnell, um keine Gefühle zu zeigen, das Zimmer.

"Wir sehen uns, Kurt!" rief ich, als ich mich umwandte, um noch einen letzten Blick mitzunehmen. Und setzte, wie so oft, in Gedanken hinzu: "In Wal hall! Bestell schon mal...!"

Noch ein Winken und das gleiche Lächeln wie auf dem Bild, mit dem er sich in der Zeitung von seinen Mitmenschen verabschiedete, dann waren wir hinaus.

Kurzer Abschied - lange Freundschaft. So haben wir es immer gehalten. Heute leben wir, über das Morgen webt die Zukunft ihren grauen Schleier.

Ein kurzer Abschied von Maria, dann raste der „Braune“ zurück über die Alpen, und ich erspare es dem Leser, die Strapaze dieses Höllenritts zu schildern. Es wird mir ewig unbegreiflich sein, woher Hermann die Energie genommen hat, diese Fahrt zweimal hintereinander fast ohne Schlaf durchzuhalten, zumal er mich in Kassel nur ausgeladen hat, um Non-Stop nach Drochtersen weiterzufahren, und dort noch vor seinem Vortrag und der anschließen den Schicht an seiner Arbeitsstelle in einen zwei-stündigen Tiefschlaf zu fallen.

Am Montag kam der Arzt ins Haus Brand und ordnete für Kurt sofort stationäre Behandlung in einem Krankenhaus an. Am Dienstagmorgen wurde er nach Bozen gebracht.

Doch davon merkte Kurt nichts mehr. Nach Marias Erzählungen ist er nach unserem Abschied wieder eingeschlafen und dabei sanft ins Koma hinüber gedämmert.

Ein Koma, aus dem er nicht mehr erwachen sollte. Maria war jeden Tag mehrere Stunden an seinem Krankenbett und konnte nicht helfen. Kurt lag schon wie tot da.

Am Freitag, den 8. November, in den Morgenstunden sagte der behandelnde Arzt bei der Visite, dass der Patient den Abend nicht mehr erleben werde. Und so war es auch.

Am selben Abend gegen 23,00 Uhr ist Kurt Brand verschieden, ohne das Bewusstsein zurückerlangt zu haben. Ich übergehe Marias Trauer und die tausend Dinge, die jetzt auf sie einstürmten, sondern will nur noch von Kurt Brands letztem Gang erzählen.

Hermann informierte mich am Samstagmorgen über Kurts Ableben. Die anderen Dinge sind schon erzählt. Obwohl ich mich am liebsten um Trauerfeiern drücke (trotz allen philosophischen Gleichmuts ist es für mich so eine Sache, aufwallende Gefühle zu unterdrücken) war es eine Frage der Ehre, unserem Freund auf seinem letzten Weg das Geleit zu geben.

Auch Werner Kurt Giesa und seine Frau Heike sagten zu, nach Kaltern zu fahren. Als Freiberufler konnte Werner schon am Montag früh aufbrechen. Hermann und ich mussten aus arbeitstechnischen Gründen wieder einen Nachtritt einlegen. Dass uns der bei der Autopanne das Geschick fast wieder mit Kurt zusammen gebracht hätte, sagte ich schon.

Da außerhalb der Saison keine Unterkunft in Kaltern zu haben ist, waren für uns die beiden Couchen im Wohnzimmer reserviert. Werner und Heike ruhten auf mitgebrachten Luftmatratzen.

Hermann und ich kamen gegen 3,00 Uhr morgens in Kaltern an und hatten dadurch noch einige Stunden Schlaf. Außer seiner Frau Maria war nur noch Tochter Doris da. Sie lebt und arbeitet schon seit Jahren in Freiburg. Uns Helleber dazu gerechnet, war es eigentlich eine kleine Trauergemeinde. Denn persönliche Verwandtschaft hatte Kurt sonst keine mehr. Und niemand von uns wusste so recht, auf welche Art man Kurt beerdigen würde. Innerlich hatte ich mir eine Art Grabrede improvisiert falls es niemanden anderes gab, der beim Sarg einige Worte sagen würde.

Doch, es gab jemanden. Und mit dem hätte Kurt Brand niemals gerechnet. Offensichtlich hatte Ivana festgestellt, dass Kurt doch nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten war. Ich weiß nicht, wer das alles in die Wege geleitet hat, aber Kurt Brand wurde nach katholischem Ritus einschließlich einer Toten-Messe beerdigt.

Der Sarg war vor dem Hochaltar der großen Barockkirche von Kaltern gegenüber dem Marktplatz aufgebahrt. Der Sarg war hübsch geschmückt, und auch, wenn wir erst die Einzigen waren, die in den ersten Bänken Platz genommen hatten, als die Toten-Messe begann, hatte sich die Kirche doch noch gefüllt.

Ich glaube, niemand von uns in der ersten Bank betete mit den Lippen - aber mit der Seele. Denn es ist viele Jahre her, seit ich durch „gute Christen“ dazu gebracht wurde, mich geistig von der Kirche zu lösen und kein Messe mehr zu besuchen. Für Hermann als überzeugtem Protestanten war der Ritus des Seelenamtes ohnehin fremd.

Die Predigt war so das übliche, was ein Pfarrer hält, wenn er den Verstorbenen nicht sonderlich gut kannte. Ausgehend vom Paulus-Brief an die Römer, in dem vom Tod und der Auferstehung die Rede ist hielt er eine sicher recht oft genutzte Predigt.

Vor meinen geistigen Augen habe ich den Kurt dabei stehen sehen, halb vorgebeugt und freudiges Erstaunen in seinem Blick. Und von irgendwoher schienen seine Worte zu erklingen: "Dat hann ich ennit jewollt! Ennää, dat hann ich ennit jewollt!"

Ja, Kurt! Aber ich bin sicher, dass es einigen Leuten ihren Seelenfrieden gelassen hat, dass man dich vorschriftsmäßig nach christlichem Ritus ausgesegnet und unter die Erde gebracht hat. Ob dir das was nützt, das weißt nur du selber. Aber geschadet hat es doch nicht, oder? Dann war die Stunde gekommen. Der Sarg der sterblichen Hülle stand bereits auf einem Wagen, denn der Friedhof liegt am südlichen Ende der Stadt und ist von den umliegenden Höhen sehr gut einzusehen. Es war ein wunderschöner Herbsttag mit mildem Sonnenlicht, an dem Kurt Brand zu seiner letzten Ruhestätte gefahren wurde.

Vorneweg ein Ministrant mit dem Grabkreuz, danach die Totenfahne, dann die Messdiener mit dem Pfarrer und einem Ordensbruder, die während des ganzen Weges monotone Litaneien beteten.

Die Sargträger, in Tiroler Umhänge aus dunkelgrünem Loden gewandet, hingen die Kränze an den Wagen mit dem Sarg. Dahinter ging Maria, die von Doris gestützt wurde. Es folgten Werner und Heike. Hermann und ich bildeten den Beschluss der Trauerfamilie.

Mehr als hundert Kalterer waren noch vor der Kirche versammelt und schlossen sich teilweise dem Trauerzug an. Ich hätte niemals geglaubt, dass man Kurt Brand in dieser Stadt, in der er trotz der vielen Jahre immer ein Fremder war, in so großer Zahl das Ehrengeleit gab.

Uniformierte Polizei sperrte die Straßen und salutierte mit dem militärischen Ehrengruß. Der Trauerzug der Kalterer hinter uns betete, von einer unglaublich grell klingenden Frauenstimme angeführt, ein „Ave Maria“ nach dem anderen.

Auf dem Friedhof wurden noch einige Gebete und der letzte Segen gesprochen. Dann besprengte jeder, der Kurt das Ehrengeleit gegeben hatte, den Sarg mit Weihwasser und ging fort. Der Sarg kommt erst in die Erde, wenn niemand mehr auf dem Friedhof ist.

Ich war der Letzte, der den Buchsbaumzweig mit Weihwasser in Richtung auf den Sarg schwenkte.

"Wir sehen uns, Kurt! In Walhall oder anderswo...!" Mehr bleibt nicht zu sagen. Maria wird die Wohnung in Kaltern auflösen und nach Deutschland zurückkehren. In der Eigentumswohnung, die ihr gehört, wird sie wohnen. In Kaltern war sie stets eine Fremde, und jetzt, da Kurt nicht mehr da ist, hält sie dort nichts mehr.

Für die Pflege von Kurt Brands Grab ist gesorgt. Und ich denke, Kaltern ist immer mal eine Reise wert, natürlich fährt man zum Kurt. Seine letzte Ruhestätte ist recht einfach zu finden.

Der Kalterer Friedhof ist unterteilt. Wer Kurt Brands Grab besuchen will, der gehe durch das zweite Tor auf den hinteren, den neuen Friedhof, bis zu der Mauer am Ende. Im dritte Grab rechts ruht Kurt Brand von seinem Erdendasein aus. Als wir am Tage danach nochmal am Grab waren, hatte man alle Kränze darüber gelegt, und das hölzerne Grabkreuz zu Häupten in den Boden gestoßen.

Wenn ihr also an Kurt Brand Grab steht, dann vergießt keine Tränen, die mochte er nicht. Genießt das Leben, so wie er es immer genossen hat.

Früh genug muss jeder von uns die dunkle Barke des schwarzen Fährmannes besteigen, die uns zu den Gestaden trägt, von denen es keine Widerkehr gibt. Lenkt euern Blick zum Sternenhimmel, und ihr werdet die Macht erkennen, an die Kurt Brand geglaubt hat. Und wenn ihr seiner gedenkt, dann, indem ihr das volle Glas auf sein Andenken erhebt, so wie ich es jetzt tue. Den Frauen ziemet die Klage, den Männern treues Angedenken.

Sic itur ad Astra!
Der Rest ist Schweigen!


Kommentare  

#1 Schnabel 2017-05-10 22:30
Ich kenne den Text schon, aber Rolfs Kunst so was zu schreiben gefällt mir sehr und da ich Kurt Brand persönlich auch ein wenig kannte, freue ich mich den Text nochmals lesen zu können.

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