Ein Requiem für einen Freund zum Zweiten
Ein Requiem für einen Freund zum Zweiten
Eine Holz-Statue, die einen Uhu mit Kurts Kopf zeigt, hatte er mit seinem Tapferkeitsorden aus dem Krieg behängt.
Weshalb er diesen Orden bekam, hat er niemals erzählt. Er erwähnte manchmal, dass er wegen des Krieges sein Maschinenbau-Studium abbrechen musste, dessen physikalisches Wissen ihm bei den technischen Konstruktionen seiner Raumschiffe von unschätzbarem Wert war.
"Alle von meinem Lehrgang, die mit eingerückt sind, wurden Helden!" erklärte Kurt einmal. Was bedeutet, dass er der einzige dieser jungen Menschen ist, der den Krieg überlebte.
Er war zeitweilig zum technischen Dienst in Peenemünde abkommandiert, wo mit der V2 die ersten Raketen abgeschossen wurden und die Menschheit damit der erste Schritt auf der Straße zu den Sternen machte. Aber so gern wir auch Geschichten von einer Bekanntschaft mit Werner von Braun und Kurt Brand gehabt hätten, und so sehr sie der Leser vielleicht herbeisehnt. Es gibt sie nicht. Kurt erzählte, dass er Werner von Braun einige Male von weitem gesehen hat. Aber gesprochen haben sie nicht miteinander. Zwischen ihnen lagen Galaxien. Wernher von Braun, der geniale Wissenschaftler, der mit einer Rakete als „Wunderwaffe“ das zerbrechende Nazi-Imperium retten sollte und Kurt Brand, der einfache Soldat. Da gab es keine Chance der Annäherung.
Sonst hat Kurt Brand den Krieg heil überstanden und es irgendwie geschafft, ohne Kriegsgefangenschaft nach Köln durchzukommen und dort bei seiner Mutter unterzutauchen. Aber konkret hat uns Kurt über diese turbulente Zeit seines Lebens nie etwas erzählt.
Kommen wir zurück zu Statue des Uhus mit seinem Gesicht.
Diese Skulptur, speziell von Yakub Yalcinkaya für ihn geschaffen. Es war mal ein Geschenk unserer Runde zu einem Anlass, den ich vergessen habe. Und der Uhu erinnerte an eine Episode aus der Zeit, als Kurt ihm auf einem SF-Con ein Bild von sich zeigte. Dazu kam die Bemerkung: "Wollt ihr mal einen Uhu sehen? Einen, der nicht eingesperrt ist, sondern frei rumläuft..." Deswegen wurde er auch in unserem Kreise scherzhaft „der Uhu“ genannt.
Gelegentlich konnte Kurt mit rheinischem Humor über sich selbst Späße machen aber wehe, andere scherzten über ihn. Dann war er unglaublich schnell beleidigt. Er verstand es auch sonst, immer seinen Willen durchzusetzen. Sein Sternbild, der Stier, war das passende Symbol für sein gelegentlich cholerisches Temperament.
Bei Kurt Brand gab es nur ein „Ja“ oder ein „Nein“, keine Kompromisse. Und wenn etwas „abgesprochen“ war, dann war das für ihn so, als hätte es ein Notar besiegelt. Geschäftlich hat ihm das viele Ungelegenheiten im Leben bereitet, aber bis zuletzt ist er nicht von diesen Prinzipien abgegangen.
Aus diesem Grund ist Anfang 1991 „Raumschiff Promet“ beim inzwischen in Konkurs gegangenen Milton-Verlag, einem deutschen Kleinverlag, nicht neu aufgelegt worden. Der Eigner dieses Verlages war auf Werners, Hermanns und meine Empfehlung nach Kaltern gefahren und gab Kurt dort das Versprechen, „Raumschiff Promet“ neu aufzulegen und weiterzuführen. Er solle die alten Romane zur erneuten Veröffentlichung freigeben und ein weiterführendes Konzept entwickeln. Sein Autoren-Team sollte sich Kurt Brand selbst zusammenstellen können. Der Milton-Verlag wollte alle Kosten des Projekts übernehmen.
Als ihm Kurt Brand dann 8oo,- DM Telefonkosten in Rechnung stellte, mit denen er ein Autoren-Team zusammengestellt hatte, wurde die Kostenübernahme vom damaligen Verlagsleiter abgelehnt. Es sei ja nichts Schriftliches vereinbart.
„Als dieser Mensch mein Haus verließ, ist die Lüge gegangen!" klagte Kurt und zog als Konsequenz die Rechte an der „Promet“ zurück, auch da gab es kein Schriftstück. Das war Kurt Brands letzte „geschäftliche“ Enttäuschung.
Es sei noch am Rande erwähnt, dass ich mich mit dem Gedanken trug, beim „Milton“-Verlag ein Projekt in Sachen „Abenteuer-Phantastik“ zu starten. Als er dann bei weitergehenden Verhandlungen die Bemerkung machte, auch „ein Kurt Brand musste bei mir zurückstecken“, war für mich die Angelegenheit erledigt.
Ein Kurt Brand steckte nicht zurück. Er war den „germanischen Handschlag“ gewöhnt und hatte in dieser Hinsicht den geschäftlichen Ehrenkodex eines ostfriesischen Pferdehändlers, bei dem der Handschlag bindend wie ein Vertrag ist. Ein gegebenes Wort war für Kurt so gut wie ein Schriftstück.
Umso zorniger konnte er werden, wenn er erkannte, dass man ihn auf eine nach dem geschriebenen Recht völlig legale Art austricksen oder übers Ohr hauen wollte. Dann donnerte seine Stimme wie die eines zornigen Gottes, er sprach perfektes, geschliffenes Hochdeutsch und seine sonst entspannte Haltung wurde starr wie die eines preußischen Stabsfeldwebels.
Wenn man ihn belog, wurden die Konsequenzen blitzschnell gezogen. Alle Vereinbarungen waren schlagartig nichtig, auch, wenn er dadurch in erheblichen Nachteil geriet. Und eine Entschuldigung gab es danach nicht mehr.
Es sei nebenher erwähnt, dass der Milton-Verlag einige Monate später Konkurs machte ( ) und sein ehemaliger Eigener sich jetzt als „Wirtschaftsberater“ sein Geld verdient.
Ich wollte vom täglichen Leben des literarischen Rentners Kurt Brand berichten.
Er stand meistens gegen neun Uhr auf. Nach ausgiebiger Morgentoilette und einem Frühstück bestieg er seinen Wagen und fuhr ins „Dorf“, wie er zu sagen pflegte. Gemeint ist damit der eigentliche, von Weinbergen umgebenen Ort Kaltern im Tal mit seinen wunderschönen alten Häusern und Gehöften, dem malerischen Marktplatz und zahlreichen Gaststätten.
Zur Saison von Anfang März bis Ende Oktober schieben sich Touristenströme über die Hauptstraße, den Marktplatz und durch die verwinkelten Gassen, durch die mit dröhnendem Motor die kleinen Traktoren der Winzer fahren. Die Winzer sind an ihren traditionellen blauen Schürzen erkennbar.
Kurt fuhr also in „zügigem Tempo“ durch enge Straßen zwischen den Weinbergen zu Tal und stellte seinen Wagen stets an der gleichen Stelle fünfzig Meter oberhalb der Hauptstraße ab. Dass hier Halteverbot war, sorgte dafür, dass der Brand‘sche Parkplatz auch frei war. Kurt kannte die beiden Kalterer Polizisten recht gut, und die kannten seinen Wagen. Außerdem... wenn‘s um den Straßenverkehr geht, ist man in Kaltern trotz allen Deutschtums in Italien, da sieht man gewisse Dinge nicht so eng...so lange nichts passiert.
Nun begann das, was wir die „Bier-Patrouille“ nannten. Er zog von Kneipe zu Kneipe und trank überall ein kleines Bier. Traf er jemanden, mit dem der besser bekannt war, dann war auch schon mal ein längeres Schwätzchen drin. Aber im Allgemeinen drehten sich diese Gespräche nur um das Tagesgeschehen. Unterhaltungen, die dem geistigen Niveau eines Kurt Brand entsprachen, konnte er mit den Kalterern kaum führen. Deswegen war er immer froh, wenn mal Besuch kam, der ihn für eine kurze Zeit aus dem geistigen Einerlei herausholte.
Die Bier-Patroullie dauerte bis gegen 12 Uhr, dann fuhr Kurt nach Hause. Und in all den Jahren ist trotz der Bierchen und gelegentlichen Körnchen in Kaltern nie etwas passiert.
Eine von Kurts Schattenseiten ist die Tatsache, dass er gelegentlich auch stark alkoholisiert mit dem Auto fuhr und in diesem Falle keinen Vorhaltungen zugänglich war. Maria hatte keinen Führerschein, und da sich Kurt in jeder Lebenslage fahrtüchtig fühlte, gab es für ihn keinen Grund, sich nicht hinters Steuer zu setzen und zu fahren. Auch Geschwindigkeitsbeschränkungen wurden stets „pro Reifen“ gerechnet.
In Italien wird ja die Polizei bei Verkehrs-Delikten erst dann aktiv, wenn etwas passiert. In Deutschland hat man ihm mal den Führerschein wegen Alkohol am Steuer entzogen. Aber wofür hatte Kurt seine italienische „Fahrkarte“?
In Holland, wo auf den Autobahnen Tempo 100 Höchstgeschwindigkeit ist, stoppte ihn nach dem Amsterdamer Perry-Rhodan-Con eine Streife, als er so sein normales, „zügiges“ Tempo fuhr. Die „Point Of“ hatte zu dieser Zeit das italienische Kennzeichen, und von der Optik war Kurt Brand ohnehin Weltbürger. In diesem Fall konnte er zweifelsohne als Italiener gelten. Und dieses Spiel spielte er mit den braven Polizisten aus dem Land der Tulpen und des Käse: Er verstand natürlich weder Holländisch noch Deutsch oder Englisch... und nur ein Italiener hätte seine Wort-Kanonade als eine Aneinanderreihung italienischer Flüche und Beleidigungen verstanden, die einzigen italienischen Worte, die Kurt drauf hatte. Es war wenige Kilometer vor der Grenze und die entnervten Polizisten ließen ihn fahren, da sie seinem Wortschwall höchstens ein „Kannit verstahn“ entgegen zu setzen hatten. Und das war gut so. Denn eine Blutprobe hätte sich am Morgen nach der legendären Feier im Crest-Hotel als verheerend erwiesen.
Kurt zog also durch die Kalterer Gaststätten, wie ich es in meinem Beruf als Ordnungsbeamter auch tue. Doch hatte er eben seine eigene, von meiner Tätigkeit völlig verschiedene Art, die Sauberkeit der Bierleitungen zu prüfen.
Wer aber jetzt eine Pilgerfahrt auf Kurt Brands Spuren in Kaltern machen möchte und fragt, nach welchen System Kurt vorgegangen ist und wo er ständiger Gast war, dem kann ich nur sagen, dass er kein System hatte und in allen Kneipen zu Hause war. Wenn man zu seinen Zeiten durch die Kalterer Gastronomie ging, dann traf man ihn zwangsläufig.
Nach dem „Frühschoppen“ gab es dann das Mittagessen. Und dass Maria eine vorzügliche Köchin ist, bezeugt nicht nur Kurts „untersetze Gestalt“ (nein, er konnte nicht dick genannt werden, der Begriff „wohlbeleibt“ passte schon besser), sondern auch wir erlebten oft genug den kulinarischen Genuss ihrer Küche. Ihre Lasagne schlägt das Produkt jedes Italieners, und wenn ich an den „Rheinischen Sauerbraten“ denke, den sie damals von einer Reise nach Deutschland mitbrachten, dann könnte ich jetzt sofort das nächste gutbürgerliche Restaurant stürmen... Maria Brand war in der Gastronomie zu Hause, und vor einigen Jahren war sie auch noch zur Saison in renommierten Kalterer Hotels tätig. Und da wird sie wohl oft genug den Küchen-Chefs über die Schultern gesehen und „mit den Augen geklaut“ haben. Jedenfalls ist Maria der Garant für eine vorzügliche Mahlzeit, die auch ein anspruchsvoller Gaumen wohl zu schätzen weiß.
Das bedeutet jedoch nicht, dass wir in Kaltern stets an Kurts Tafel geschmaust und Maria Arbeit in der Küche gemacht hätten. Wenn‘s um gutes Essen geht, gibt es in allen Ortsteilen noch andere Adressen vorzüglicher Gastlichkeit. Aber ein Essen im Hause Brand, von der Herrin des Hauses mit viel Liebe zubereitet, war immer etwas Besonderes.
Nach dem Essen hielt Kurt bis gegen 16 Uhr sein Mittagsschläfchen. Dann folgte die tägliche zweite Auflage der Bier-Patroullie und gegen 19 Uhr zog er sich zum Abendessen, Fernsehen und der Nachtruhe zurück. Also ein völlig „normales“ Rentner-Dasein. Nichts Außergewöhnliches und nichts Aufregendes.
„Ich bin ein Mensch! Nichts Menschliches ist mir fremd!“ Diese Worte des römischen Dichters Terentius sind wie für Kurt Brand maßgeschneidert. Er konnte gütig und verständnisvoll sein wie ein Vater. Wenn ihm aber etwas nichts passte, dann grollte er im nächsten Augenblick wie ein Sommergewitter aus heiterem Himmel. Und dann hatte man alle Arten der Rhetorik nötig, ihn davon zu überzeugen, dass er im Unrecht war. Bei seiner Starrköpfigkeit (Merke: Sein Sternbild war der Stier) war das fast unmöglich.
Aber hier ist nicht der Ort, dunkle Charakterpunkte, die jedweder Mensch hat, der Öffentlichkeit bloßzulegen. Welcher Mensch ist schon fehlerfrei und läuft bereits in den Tagen seines Lebens mit einem Heiligenschein herum?
Allerdings sei gesagt, dass selbst in den Dingen, wo Kurt Brand einmal nicht den Weg des Lichtes wandelte, dieser davon überzeugt war, dass er und nur er selbst im Recht war! Seine Tugenden waren die eines Ehrenmannes! Seine Schwächen die eines Mannes!
Wobei Letzteres die Schwächen für Wein, Weib und Tabak sind.
Dass bei den Bier-Patroullien Einiges an schäumendem Gerstensaft zusammenkam, ist verständlich. Oft genug kamen diverse Körnchen dazu. Eine sogenannte Steinpilz-Kur: Steinhäger – Pilsner - Steinhäger - Pilsner... Als Hermann ihn mal alleine, bzw. mit seiner damaligen Freundin besuchte, reichte eine Flasche Bourbon-Whiskey (Jack Daniels war seine Lieblingsmarke) für die „Dienstbesprechung“ der beiden „Reichsbarone von Helleb“ nicht aus...
Hermann hat nur noch eine verschwindend geringe Ahnung, was und wieviel in dieser Nacht gebechert wurde.
Der Kurt konnte also einiges vertragen. Dennoch machte er zu keiner Zeit den Eindruck, als sei er vom Alkohol abhängig. Auch seiner Gesundheit schien es nicht sonderlich abträglich zu sein. Es schmeckte ihm eben besonders in Gesellschaft.
Von seiner zweiten Leidenschaft hat er uns nur erzählt, denn als wir ihn kennenlernten, hatte Kurt Brand schon das Rauchen aufgeben müssen. Er war leidenschaftlicher Zigarren-Raucher, spezialisiert auf dicke, dunkle Brasil-Zigarren. Und die rauchte er nach seinen Erzählungen damals so Kette wie andere Leute Zigaretten.
Irgendwann bekam er ein Raucherbein, was ihm der untersuchende Arzt sofort amputieren wollte. Kurt wehrte sich dagegen und der Arzt räumte ihm nur dann eine Überlebenschance ein, wenn er das Rauchen sofort und auf der Stelle einstelle. Die grausige Notwendigkeit vor Augen entschloss sich Kurt Brand zu der Rosskur, dies von einem auf den anderen Augenblick radikal aufzugeben.
Nur, wer mal selbst geraucht hat weiß, wie schwierig das ist und wie man nach mehr lechzt, wenn man trotz jahrelanger Entwöhnung mal wieder einen Zug Tabak-Qualm durch die Lunge säuseln lässt.
Kurt erzählte uns mal, dass er sich Jahre nach dem Abgewöhnen in einer gemütlichen Gesellschaft überreden ließ, mal wieder eine Zigarre anzustecken und den Rauch zu inhalieren.
"...und dann habe ich geglaubt, es öffnen sich mir alle sieben Himmelstüren und alle Englein singen!" erzählte er in seinem gemütlichen Kölner Dialekt. "Und dann hab“ ich ganz schnell die Zigarre so richtig fest im Aschenbecher ausgedrückt... und seit der Zeit nie wieder eine angesteckt!"
Das wird ihm schwer gefallen sein. Denn Maria ist passionierte Zigaretten-Raucherin und in den Kneipen raucht man ja auch passiv mit, wenn man atmet.
Es wundert mich, dass er in seinen letzten Lebenstagen nicht wieder zu seiner mühsam unterdrückten Leidenschaft zurückkehrte. Oder doch? Jedenfalls haben wir die Zigarre, die er sich für den Wechsel ins Jahr 2000 zurückgelegt hatte, am Abend nach seiner Beerdigung vergeblich gesucht, um sie in seinem Gedenken zu rauchen. Die wird er wohl vorher vernascht haben.
Und dabei sind wir beim dritten Laster, was ein Mann so hat. Aber darüber wehen die Schleier der Diskretion. Kurt war Kavalier alter Schule und zu allen Frauen äußerst charmant. Auf meiner Hochzeit, bei der ich mit Hans Klipp zusammen selbst die Musik machte (Orgel und Gitarre hatten wir sicherheitshalber mitgenommen), war Kurt der absolute Tanzbodenkönig, und Petras Tante Hilde (90 Jahre) war ganz begeistert von seiner Konversation und der Tatsache, dass sie mit ihm noch mal einen Tango aufs Parkett legen konnte.
Kurt war in Damenkreisen also ein amüsanter Plauderer, ein Bel Ami in allen Salons, der es vermochte, ihre Aufmerksamkeit zu erwecken und mit geschickten Reden ihre Sinnlichkeit zu wecken.
Doch nur den jüngeren Damen zeigte er sein goldenes Amulett, das er um den Hals trug, und das bei Frauen jeden Alters stets ein verschämt-sinnliches Lächeln hervorrief.
Was das für ein Amulett war? Auch darüber mögen die Nebel des Schweigens wehen. Für Wissende sei gesagt, dass es das Symbol eines griechischen Gottes war, der als Sohn des Dionysos und der Aphrodite gilt. In Pompeji zeigt es auf dem alten Straßenpflaster den Weg zum Lupanar...
Wäre da noch die Episode mit der Bauchtänzerin zu erzählen. Sie ist sogar auf Video festgehalten.
Es war an Jürgen Grasmücks (Dan Shokers) 50sten Geburtstag. Jürgen gab in einem Saal der Hanauer Stadthalle eine Feier, bei der in erlesenem Rahmen den illustren Gästen außer vorzüglichen Speisen und Getränken verschiedene Darbietungen geboten wurden. Unter anderem hatte Jürgen eine Bauchtänzerin engagiert, die den Festgästen mit großer Hingabe und noch größerem Können uns die sinnliche Welt des geheimnisvollen Orients nahe brachte.
Während Maria die Sache ganz cool betrachtete, erfreute sich Kurt am Anblick dieser makellosen Schönheit, die sich im orientalischen Kostüm in anmutigen Bewegungen zum Klang einer fremden, aufreizenden Musik vom Tonband drehte. Mit ihrer in allen Proportionen vollendeten Figur war diese Frau auch wirklich eine Augenweide.
Wenn man bedenkt, dass der Bauchtanz im Orient für die Männerwelt eine Art sexueller Appetitanreger ist, so glich Kurt in diesem Augenblick einem Sultan, der sich geistig ausmalt, welche Freuden und Wonnen des Paradieses ihm diese Schönheit des Morgenlandes schon auf dieser Erde bereiten kann.
Es geschah, was kommen musste. Suleika, die Zierde von Arabia, erkannte das flammende Begehren in den Augen unseres Sternenbarons. Halb zog sie ihn, halb sank er hin... auf die Tanzfläche.
Und dann geschah, was keiner vermutet hätte. Mit traumwandlerischer Sicherheit passte sich Kurt Brand ihren aufreizenden Bewegungen an. Die Video-Aufnahmen dokumentieren, dass er den Tanz der Frau größtenteils völlig ergänzt. Obwohl die arabischen Rhythmen für ihn außergewöhnlich waren und das Wimmern der Flöten und der anderen Instrumente barbarisch klingen mussten, er passte sich nicht nur dem Takt, sondern auch den Bewegungen der Tänzerin an. Das wirkte völlig natürlich. Begeistert begannen die Zuschauer den Takt mitzuklatschen.
Dann ein Trommelwirbel und es geschah.
So, als gehörte es dazu und sei als Show lange einstudiert worden, machte Kurt, was jeder Sultan an seiner Stelle auch gemacht hätte. Er sprang die Schönheit an, umfasste ihren grazilen Körper und... küsste ihr den Nabel.
Obwohl verblüfft über diese bei einem Herrn im fortgeschrittenen Alter ungewöhnlichen Situation gelang es ihr, Kurts Arme abzustreifen und ihn mit einer fließenden Bewegung, so als wäre die ganze Szene abgesprochen, in den Kreis der Umstehenden zu rückzuschieben, deren Männerwelt ihn ob dieses Erlebnisses glühend beneidete. Der Tanz setzte sich noch einige Zeit fort, aber dieser „Höhepunkt“ wurde nicht mehr erreicht...
Wenden wir uns nun von Tugenden und Lastern dem Schriftsteller Kurt Brand zu!
Wie ich schon an anderer Stelle beschrieben habe, wurde Kurt Schriftsteller, weil er keine Bücher verkaufen konnte. Er hatte nach mehrfachen anderen Versuchen, nach dem Kriege in Köln eine Existenz zu gründen, einen Buchladen eröffnet, der sehr rasch in die Pleite ging. Um seine Verbindlichkeiten zu regeln, eine diskrete Umschreibung des Begriffes „Schulden bezahlen“ begann er selbst zu schreiben und hatte damit ziemlich rasch Erfolg.
"Jede Mark von damals habe ich treu und brav zurückgezahlt!" sagte Kurt und schlug zur Bekräftigung seiner Aussage mehrfach auf den Tisch. So 800 Romane sollen es gewesen sein, die er geschrieben hat. An die genaue Zahl konnte er sich nicht mehr erinnern.
Viele seiner alten Werke sind in Leihbüchern abgedruckt. Aber der überwiegende Teil seiner Romane waren Hefte. Gelegentlich finden sie Verlagsinteresse für Taschenbuch-Projekte. So geschehen mit seiner zyklischen SF-Reihe „Der Weltraum-Reporter“.
Immer wieder wird die Frage gestellt, warum Kurt so plötzlich aufhörte, Romane zu schreiben. In Interviews erklärte er immer, er ziehe sich auf sein Altenteil zurück, um der Jugend eine Chance zu geben.
Das ist sicher zum Teil richtig aber der Hauptgrund ist ein anderer.
Ich schrieb schon, dass er in einer Einliegerwohnung im Keller zu Hause war. Die Treppe zu seiner Wohnung hinunter ist sehr steil. Und schon bevor wir uns kennnenlernten, ist er diese Treppe einmal hinabgestürzt und hat sich eine Art Gehirnerschütterung zugezogen.
Ärzte kennen sicher dafür einen Fachausdruck, praktisch gesagt war es so, dass er nach ca. 20 Seiten nachlesen musste, was er am Anfang geschrieben hatte. Kurt Brand wurde kurzfristig vergesslich ohne dass diese Erinnerungen jedoch ganz verschwanden. Die kamen später wieder. Aber ein regelmäßiges Arbeiten an Spannungsromanen mit fließender Handlung war unmöglich geworden.
So schrieb Kurt Brand gelegentlich Kurzgeschichten und zum eigenen Vergnügen Exposés. Mit „Laurin - Der aus dem Feuer kam“ hatte er sogar eine Idee für eine zyklische Sword and Sorcery-Story dabei.
Aber er litt sehr darunter, keinen „abendfüllenden Roman“ mehr schreiben zu können. Dennoch, irgendwelche angeschriebenen Fragmente lagen stets an seinem Arbeitsplatz neben der Schreibmaschine.
Kurt Brands literarisches Werk wird sicher von anderer Seite besser gewürdigt. Wie ich schon erwähnte, schrieb er jede Art von Unterhaltungsliteratur, wenn sie nur spannend sein konnte. Es ist hier nicht der Ort, auf seine Western einzugehen, an seine Krimis zu erinnern, seine Abenteuerromane zu erwähnen oder über seine Grusel-Romane zu reden.
Seine große Liebe gehörte der Phantastik.
Nicht nur „Ren Dhark“ und „Raumschiff Promet“ oder seine Beiträge zur Perry-Rhodan-Serie, sondern verschiedene freie Science-Fiction-Romane sowie die SF-Krimi-Reihe „Checkpart“ zeugen davon. Und einige „Zeit-Kugel“-Romane wie z.B. „Als die großen Wasser kamen“. Darin beschrieb er die Sintflut auf der Basis des „Gilgamesch-Epos“. Der Roman war eine gelungenen Mischung aus Sachbuch, Fantasy und SF, gewürzt mit echter Spannung und der in seinem Sinne neu gedeuteten Geschichte des Utna-Pitschim, des alt-sumerischen Noah.
Oder der Zeit-Kugel-Roman „Das Blutbad der Gräfin“, in der die Untaten der siebenbürgischen Gräfin Erzebeth Barthory beschrieb. Diese weitgehend unbekannte geistesgestörte Adlige des ausgehenden Mittelalters badete im Blut von Jungfrauen, da sie hoffte, so die ewige Jugend zu erlangen. Eine Thematik, wie geschaffen für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, die Kurt in Ungarn sorgfältig recherchierte, weil hierzulande über Erzebeth Barthory kaum Material zu bekommen ist.
Den Roman legte der Altmeister dann so an, dass er für mich zu den besten Real-Horror-Romanen zählt und so abgefasst war, dass der Jugendschutz ihn trotz korrekter Widergabe der historischen Ereignisse nicht mit seinem Bannstrahl belegen konnte. Denn gelegentlich werden durch die Bundesprüfstelle von den Autoren historische Entstellungen und Unwahrheiten verlangt, wenn die Beschreibungen der tatsächlichen Zustände vergangener Jahrhunderte ihrer Meinung nach zu blutrünstig sind - auch, wenn es sich so und nicht anders abgespielt hat. Kurt Brand war ein alter Hase im Geschäft und wusste, was er literarisch riskieren konnte. Andere Grusel-Autoren haben von den in diesem Roman von Kurt Brand beschriebenen historisch verbürgten Tatsachen profitiert, indem sie nicht lange zu recherchieren brauchten.
Ein weiterer interessanter Roman von Kurt Brand mit Realo-SF, von der wir Menschen hoffentlich verschont bleiben, erschien als No-Name-Band innerhalb der Katastrophen-Serie „Inferno“.
In dem Roman „Heller als tausend Sonnen“ schildert Kurt Brand einen sogenannten GAU (den Größten anzunehmenden Unfall) in einem Atomkraftwerk. Und er beschreibt die Handlung so, dass auch ein normaler Heftleser bei der von ihm verständlich geschilderten Technik begreift, worauf es ankommt, und wo Segen und Gefahren bei der „friedlichen Nutzung der Kernkraft“ liegen.
Die „militärische Nutzung“ der Atomkraft in unzähligen SF-Romanen angedeutet oder beschrieben, fürchtete Kurt Brand wie nichts auf der Welt. Als vor einigen Jahren politische Spannungen die Gefahr eines Atom-Krieges heraufbeschworen, schrieb er den Text zu einem Anti-Atom-Lied. Hans Klipp, der zusammen mit seinem Partner Harry Harper mit „Vampir-Music“ einen Musikverlag mit eigenem Studio betreibt, wurde von Kurt gebeten, den Text zu vertonen.
Die Melodie wurde von unserem Freund Harry Harper komponiert, da Hans im Allgemeinen die Texte schreibt. Bis auf die Kinderstimme wurde von Harry das Arrangement vollständig eingespielt und gesungen.
Leider hat man bei den großen kommerziellen Platten-Produzenten, wenn man keine Beziehungen hat, sehr wenig Chancen, dass Demo-Bänder dieser Art überhaupt angehört werden. Das ist so wie bei den Verlagen. Und deswegen wird Kurt Brands Lied kaum Chancen haben, seine Botschaft über einen kleinen Kreis Auserwählter hinaus der großen Masse, die es eigentlich angeht, nahegebracht zu werden.
Das Blatt mit dem Original-Text ist in Harry Harpers Studio verloren gegangen, als seine Freundin mal wieder richtig aufräumte. Die einzige Kassette mit der Aufnahme des Liedes hat Maria Brand. Deshalb ist es mir leider nicht möglich, hier den nur einige Male gehörten Text wiederzugeben.
Kurt Brand als Schriftsteller...
Über die Zusammenarbeit mit ihm können altgediente Autorenkollegen, Redakteure und Verlagsleiter sicher mehr erzählen als ich. Und es gäbe von dort sicher manches Stücklein zu berichten, wenn diese Leute aus den Nähkästchen vergangener Jahre plaudern würden.
Die Anekdote, die er uns mal erzählt hat und die ich hier in Uraufführung zum Besten gebe, wird jedoch selbst den Leuten vom Martin-Kelter-Verlag, die mittelbar daran beteiligt waren, in dieser Form neu sein.
Normalerweise hat Kurt Brand niemals einen Abgabetermin für einen Roman verpasst. Aber mit einem der Ren-Dhark-Taschenbücher (bei welchem, weiß ich nicht mehr) hatte er den Termin buchstäblich „verschlafen“. Das hinderte ihn nicht, hellwach zu sein, als der Verlag anrief und das Manuskript anmahnte.
Der Volksmund sagt, dass eine Notlüge gestattet ist. Und diese Rechtsbeugung des Beichtspiegels machte sich Kurt Brand in dieser für ihn äußerst unangenehmen Situation zu Nutze.
"Das Manuskript habe ich abgeschickt!" behauptete er in seiner bekannten Überzeugungskraft steif und fest am Telefon. Und er nannte ein Absendedatum, das tatsächlich im Bereich der vorgegebenen Frist lag. Also lag der Fehler nicht bei ihm, sondern bei der Post. Die hatte das Manuskript verschusselt. Die Post als Sündenbock zur Rechenschaft ziehen und bestrafen - das ist so, als ob man einen Brontosaurier mit einem Streichholz verprügeln will. Beim Verlag in Hamburg sah man ein, dass es nicht viel brachte, Nachforschungen anzustellen. Überdies erbot sich Kurt, den Durchschlag des Manuskriptes sofort abzusenden. Einige Zeit würde es wohl dauern, die italienische Post sei sehr langsam (was ich nur bestätigen kann!). Im Kelter-Verlag war man beruhigt und wartete ab.
Kurt fuhr mit seiner Frau gemütlich Essen, orderte dann zwei Kannen starken Kaffee und setzte sich an die Schreibmaschine. Und nach eigenen Angaben verließ er die erst, nachdem der Roman fertig war (menschliche Bedürfnisse einmal ausgeklammert). Zwei Nächte und der dazwischen liegende Tag gingen drauf, und nur ein Schriftsteller kann ermessen, was der Kurt da für eine Ochsenschicht abgezogen hat.
Dann packte er den Durchschlag des Romans in ein Couvert und das Original in den Papierkorb, fuhr direkt nach Bozen und gab den Brief gerade noch rechtzeitig für den Frühzug über die Alpen auf. Danach soll er zu Hause in einen totähnlichen Schlaf gefallen sein. Ich kann‘s verstehen. Bei Kelter ist die Sache übrigens niemals herausgekommen.
Dass „Ren Dhark“ Kurt Brands literarisches Lieblingskind war, ist bekannt. Und es hat ihn schwer getroffen, dass man ihm bei beiden Neuauflagen fast konkret zusagte, die Story weiterlaufen zu lassen - und erst im letzten Augenblick eine Vollbremsung machte.
Da gab es bei Perry-Rhodan noch eine Figur, die er sehr mochte und deren außergewöhnliche Charakteristik ihm vorzüglich gelungen ist. Ich spreche von Tyll Leyden, dem terranischen Astronom und Physiker mit der besonderen Eigenart, grundsätzlich seine Frühstückspause korrekt einzuhalten und dadurch den Administrator selbst warten zu lassen.
Als Werner in den P.R. Taschenbüchern „Eine Sonne entartet“ (Bd. 241) und „Hyperzone Weißer Zwerg“ (Bd. 270) Tyll Leyden zur Zentralfigur machte, sagte er mit feuchten Augen: "Da hast du einem alten Mann eine richtige, große Freude gemacht!"
Kurt Brands SF-Romane waren nicht nur actionreich, sie waren auch nach der Wahrscheinlichkeit physikalisch durchdacht. Seinen Erzählungen nach hat er lange physikalische Bücher gewälzt, weil man ihm im Verlag den Schwarzen Peter zuschob, das Geheimnis der „Posbis“ logisch zu entschlüsseln, ohne es im Romanexposé besonders zu beschreiben. Für Uneingeweihte: die „Posbis“ sind „positronisch-biologische“ Einheiten, eine Art Roboter mit denkendem Plasma.
Kurt Brand fand nach langem Nachdenken über das Problem die „hypertoiktische Verzahnung“, besser gesagt, er ließ sie im Roman Tyll Leyden finden. Er hat uns mal den Begriff „hypertoiktisch“ erklärt, aber ich habe vergessen, wie das alles zusammenhängt. SF ist Technik, und davon versteht ein passionierter Fantasy-Autor nicht viel. Wenn‘s bei dem Probleme gibt, dann erfindet er einen Zauberspruch...
Noch interessanter war das „Raumschiff in der Höhle“.
Kenner wissen, das ist die Situation, als Ren Dhark und seine Freunde auf dem Planeten Hope in einer Höhle den Ring-Raumer finden, den sie später „Point Of“ nennen.
Kurt schrieb mit Begeisterung die Szene des Eindringens von Rhen Dark und seinen Freunden in besagte Höhle und das Erstaunen, als sie darin einen mächtigen Ringraumer finden. Diese Situation erinnert fast an eine Abenteuer-Story und Kurt machte sich beim Schreiben keine Gedanken darum, dass die Höhle nur einen kleinen Eingang besaß, sich darüber aber ein ganzer Berg befand. Das Raumschiff war in der Höhle. Und irgendwann stellte er sich dann selbst die Frage, wie es hineingekommen war.
Das war ja mit einem nach menschlicher Mathematik und Physik nicht begreiflichen Wissen der Erbauer, die Kurt die „Mysterious“ nannte, noch erklärlich. Wie der Raumer in die Höhle gekommen war, da konnte sich der Autor schon irgendwie rausreden.
Aber das Problem war, auf logisch erklärbarem Wege den Raumer aus der Höhle zu bekommen. Denn im SF-Roman zieht der Gag mit dem umgedrehten Vergrößerungsglas, mit dem der Raumer verkleinert wird und dann bequem durch die Tür geht, nicht mehr.
Nach Kurts Angaben hat er drei Tage in der Kölner Bibliothek in physikalischen Büchern nach der Antwort gesucht und sie dann rein zufällig gefunden. Das „Intervall-Feld“ - eine Art besonderer Weltraum in einer anderen Dimension (wie ich als unwissender Fantasy-Autor das begreife) war geboren.
Und das Wissen der „Mysterios“ in Form von dünnen Scheiben, im Roman „Mentcaps“ genannt, durch Essen zu sich zu nehmen, ist meines Erachtens neu gewesen. So haben Ren Dhark und seine Leute im wahrsten Sinne des Wortes die „Weisheit mit Löffeln gegessen..."
Niemals hat Kurt Brand bei technischen Problemen in seinen SF-Romanen irgendwelches futurologisch klingendes Zeug zusammengeschrieben, das mit dem irrealen Zauberwort „Energie“ die absolute Lösung darstellt. Die technischen Erläuterungen mussten schon Hand und Fuß haben und der Leser musste die Sache halbwegs begreifen. Sicher war das neben der Spannung in seinen Romanen eins seiner Erfolgsrezepte.
Physik, Chemie und artverwandte Gebiete faszinierten Kurt Brand schon als Kind. Er erzählte uns mal, dass er als Halbwüchsiger mit einer Karbidlösung in einem öffentlichen Brunnen in Köln das Wasser zum Brennen brachte zum Erschrecken der braven, biederen Bürger seiner Heimatstadt.
Originalzitat: "Schwarzpulver herzustellen war im Alter von zehn Jahren kein Problem für mich...!" Das lässt erkennen, dass Kurt in seiner Kindheit nicht gerade ein Chorknabe war. Und in der Schule soll er auch keine Leuchte gewesen sein. Aber, Hand aufs Herz und Ehrlichkeit vor uns selbst, wer von uns war das schon?
Leider sind die Erzählungen, die Kurt aus seiner Jugendzeit zum Besten gegeben hat, sehr spärlich gewesen. Und manches ist auch vergessen worden. Die Vergangenheit, das war eine Sache, von der er nur gelegentlich erzählte. Und er mochte es nicht, wenn man ihn direkt danach fragte. Manchmal fallen mir Bilder ein...
In den zehn Jahren, die wir Kurt Brands Lebensweg mit begleiten durften, gab es genügend Episoden, an die ich mich gern erinnere. Allerdings war er nicht an all den kleinen geschilderten Erlebnissen und Histörchen direkt beteiligt. Gelegentlich war er nur der Auslöser oder mittelbar in der Handlung da bei. Wie beispielsweise damals beim Perry-Rhodan-Con in Amsterdam einer der seltenen Anlässe, wo die Tafelrunde komplett anwesend war.
Kurt hatte den Treff angesetzt, und wir scheuten nicht den weiten Weg nach Amsterdam, sondern folgen seinem Ruf. Der erste Gag des Tages wurde von Jürgen Grasmück/Dan Shoker gebracht. Am Eingang erklärte er den Kartenkontrolleuren, in seiner Eigenschaft als Literatur-Agent habe er hier einen Treff mit dem berühmten Perry-Rodan-Autor W.K. Giesa, der einige P.R.-Taschenbücher geschrieben habe. Die Sache klappte. Und so sparten Jürgen und seine Frau Karin den gesalzenen Con-Beitrag. Der vorgenannte Autor war jedoch als „Mister Nobody“ erschienen, hatte sich am Eingang nicht zu er kennen gegeben und deshalb den Con-Beitrag voll bezahlt....
Durch Kurt kamen wir bei diesem Con in die Prominenten-Etage. Außer ihm waren als Star-Gäste noch Tanith Lee, Erich von Däniken (ohne dessen Bücher und Theorien ich niemals zu schreiben begonnen hätte) sowie Walter Ernsting, alias Clark Darlton anwesend.
Kurt bekam den Auftrag, im Crest-Hotel, wo er residierte, für den Abend die „Festtafel“ zu richten, d.h. Tische zu bestellen. Es sei nur am Rande erwähnt, dass die Preise im „Crest“ nicht gerade für einen normal verdienenden Lohnabhängigen geeignet sind. Ein Doppel-Zimmer kostete in jenen Tagen 350 Gulden pro Nacht, nur um mal über Preise zu reden...
Wir waren noch im Kongress-Zentrum und diskutierten, als Kurt vom Hotel aus anrief und Hans und mir „befahl“, die „Herde rüberzutreiben“. Die Tische hätte er mit viel Überzeugungskraft bestellt. Die anwesende Prominenz, namentlich Däniken und Ernsting, wollten aber weder ihre Gespräche abbrechen, noch die im Kongresszentrum noch vorhandenen Biervorräte im Stich lassen. So zockelten der „Herrscher“ und der „Statthalter“ zum Crest-Hotel, um den „Sternenbaron“ zur Basis zu bitten - und es mal so hinzunehmen, dass seine Bemühungen mit der Tischreservierung für die Katz waren.
Da hatten wir aber was angerichtet. Kurt donnerte los wie eine beleidigte Gottheit. Er habe diese kostbaren Tische auf Ehrenwort bestellt und wir sollten die Meute rüberholen sonst sei er sauer und ginge ins Bett.
Natürlich, er prügelte den Sack und meinte den Esel. Wir empfahlen ihm, am besten Walter Ernsting im Kongress-Zentrum anzurufen, der hat so den Charme, der alle mitreißt. Besser gesagt, er gehört zu den Typen, die man auf menschlicher Basis mit „Führungskraft“, auf animalischer mit „Leithammel“ bezeichnet. Wenn der loszieht, läuft alles hinterher, so gesehen das letzte Mal beim PR-Con in Karlsruhe... der Meister und seine Jünger, die jeden seiner Schritte verfolgen und an seinen Lippen hingen... wer wollte ihnen das verdenken?
Kurt erkannte, dass wir mit unserem Rat Recht hatten. Er ließ sich ein Telefon bringen - einen Dallas-Apparat, den es damals in Holland schon gab, und ließ sich mit dem Kongress-Zentrum verbinden. Das Gespräch mit Walter Ernsting war kurz, intensiv und sehr wirkungsvoll. Denn als Hans und ich zurück zum Kongresszentrum liefen, um die „Meute abzuholen“, kam uns die Karawane der Tapferen bereits entgegen. So schaffte es Kurt Brand alleine, fast die gesamte Amsterdamer Con-Prominzenz nach seiner „Pfeife“ tanzen zu lassen.
Dieser Abend gehört der „Geschichte“ an. Ich hatte endlich die Möglichkeit, ausgiebig mit Erich von Däniken zu diskutieren, und einige Episoden zu hören, die nicht in seinen Büchern stehen. Der Bar-Pianist spielte nach diversen Bestechungsversuchen mit Gulden mehrfach die berühmte Melodie aus „Casablanca“, und mit fortschreitendem Alkohol machte es Spaß, nach Ende der Melodie zum Piano zu gehen, einen nicht gerade kleinen Schein auf die Tasten zu legen und wie weiland Humphrey Bogart das berühmte: "Play it again, Sam!" zu sagen.
Kurt verabschiedete sich gegen Mitternacht. Ein fester Händedruck der beiden „Landflüchtigen aus Steuergründen“, dann sagte Walter die geflügelten Worte: "Kurt, das Finanzamt kann uns..." (der Rest ist nachzulesen im ersten Jugend-Drama des Herrn J. W. v. Goethe... ich meine den „Götz von Berlichingen“, du Literatur-Barbar!).
So gegen zwei Uhr in der Früh wurden wir aus der Bar hinauskomplimentiert, und nur Crom weiß, wer damals die Zeche gezahlt hat...
Crom weiß auch, was alles noch in Walters Zimmer abgelaufen ist, als er uns in die Geheimnisse seines „Spezial-Drinks“ aus 40% Port-Wein und 60% Cognac einweihte. Gut, dass Uwe Schnabel, Dan Shockers ehrenamtlicher Privat-Sekretär, dabei war. Der ist absoluter Anti-Alkoholiker und schaffte Hans, Werner und mich ins Hotel. Ohne ihn wären wir vermutlich in den Grachten notgelandet.
Ich erinnere mich noch, in unserem Altstadt-Hotel die Stiege auf allen Vieren erklommen zu haben. Von Uwe Schnabel, der als der einzige „Überlebende“ anzusehen ist, weiß ich, dass auch alle anderen Teilnehmer an diesem munteren Gelage in den frühen Morgenstunden in absolut unzurechnungsfähigen Zustand waren.
Bleibt noch unser jammervolles körperliches Befinden und unser noch jammervollerer Anblick am nächsten Morgen am Frühstückstisch zu erwähnen.
Tanith Lee war merkwürdigerweise im gleichen Hotel abgestiegen und sah belustigt vom Nebentisch herüber. Sie sah aus wie eine ihrer eigenen Romanheldinnen und Werner bemerkte zu ihr herüber im Brustton der Überzeugung: "Ich bin ein Einhorn!"
Aber die gute Tanith ist, wenn auch vom optischen, so doch sicher nicht mehr vom rein biologischen Stand in der Lage, ein Einhorn zu fangen... und Werner sah bei der Bemerkung so kläglich aus wie Mausbiber Gucky, der einen Mohrrübensaft mit einer „Bloody Mary“ verwechselt.
Der einzige, dem es am Morgen gut ging, war Kurt, da der aus früheren Tagen die Darlton-Feten kennt und zu meiden weiß. Auch Erich von Däniken hatte sich früher zurückgezogen und wir erfuhren, dass der Walter mit ihm am Vorabend so eine Sause gemacht hatte. Und ein gebranntes Kind scheut das Feuer...
Auf der Rückfahrt passierte Kurt dann die schon erzählte Angelegenheit mit den Polizisten, die ihn wegen unerlaubten Tieffluges stoppen wollten und er sich als „Italiener“ aus der Sache buchstäblich „rausredete“.
Erinnerungen an Kurt Brand...
Im Allgemeinen besuchten wir ihn einmal im Jahr in Kaltern. Früher wohnten wir dann im „Schwarzen Adler“, einem urigen Gasthof in einem uralten Haus in Mitterdorf. Einfache Zimmer mit Toilette über den Gang, aber urgemütlich. Die Wirtin freute sich immer, wenn „ihre Cowboys“ zu Besuch kamen. Denn damals liefen besonders Werner und ich stets in auffälliger Western-Montur herum. Der Stetson war Pflicht-Kleidung, und dem Kurt haben wir einen Hut (Bull-Rider-Form) samt Hutband und Bolo-Tie (eine Art Western-Schlips) geschenkt. So liefen wir denn durch Kaltern wie die Herrn der Ponderosa... fragt sich, ob Kurt als „Ben Cartwright“ oder als „Hoss“ gegolten hätte.
Im „Schwarzen Adler“ gibt es vorzügliche Weine und noch besseres Essen. Es ist gutbürgerliche Art und, wie auch die Unterkunft, äußerst preiswert. Daher wird in einem meiner Fantasy-Romane das Lied gesungen: "Im Schwarzen Adler von Caldaro da suff ein Krieger drei Tag...!" Oh, Freunde, ich könnte euch schon die Namen des Kriegers nennen, der dort sang, wenn ihr ihn nicht erratet...
Kurt Brand war mit den Wirtsleuten des „Schwarzen Adler“ auch persönlich befreundet und lud sie auch zu seinen Geburtstagsfeiern ein. Ebenso die Leute vom Hotel „Schönblick“ („Scheun-Kiek“ wie es Hexen-Hermann auf Platt-Dütsch taufte), was unser neues Domizil wurde, als der „Schwarze Adler“ den Hotelbetrieb aufgab. Heute wird dort nur noch die Restauration weitergeführt. Für Kaltern-Reisende kann ich beide Adressen nur wärmstens empfehlen. Wenn ihr im „Schwarzen Adler“ oder im „Schönblick“ an der Theke steht, dann steht ihr dort, wo Kurt Brand sich oft und gern aufgehalten hat.
Unweit vom Marktplatz liegt die Probierstube der „Neuen Kalterer Wein-Genossenschaft“ eine Lieblings-Adresse unseres Wein-Barons. Und dort machte man die Herrn von Helleb, die normalerweise passionierte Biertrinker sind, zu Wein-Kennern (naja, man versuchte es wenigstens).
Auch hier waren die „Cowboys“ bald bekannt, und die Dame hinter dem Tresen gewöhnte sich daran, unsere Gläser bis zum Rand mit dem wohlschmeckenden Rebensaft zu füllen. Das kostete zwar einige Lire, je nach der Qualität des Weines, aber im Urlaub haben wir noch nie gespart.
Und man bekommt in diesem Keller ganz vorzügliche Tropfen, zumal jede Art von Rebensorten in der Kalterer Gegend angebaut wird. Besonders beliebt bei uns Hellebern wurde der „Goldmuskateller“, ein heller Likör-Wein, der unglaublich „reinhaut“ und von dem ich später noch ein „Heldenstück“ erzählen werde.
Logo, dass wir aus diesem Keller auch unsere Weinvorräte für zu Hause mitgenommen haben. Die Prunkstücke sind echter „Weltmeister-Wein“. Eine rote „Kalterersee-Auslese“, der Anno 91 im Jahre der Fußball-Weltmeisterschaft mit besonderem Etikett abgefüllt wurde. Unsere deutsche Mannschaft bekam ihn serviert und vielleicht hat sie nur durch diesen „Kalterer Zaubertrank“ die Weltmeisterschaft gewonnen. Die Kalterer Winzer bezeichnen den Wein jedoch als zu trocken... ich habe ihn noch nicht probiert.
Solch eine Wein-Rarität lasse ich für besondere Anlässe liegen, wie Dan Shocker eine Flasche Wein, die - man höre und staune - Jahrgang 1940 im Jahr seiner Geburt abgefüllt wurde.
Die vorletzte Flasche ließ Jürgen auf seinem 45sten Geburtstag in seiner Kellerbar entkorken, die Fete, zu der Kurt und Maria eigens aus Kaltern angerauscht waren. Ein ölig laufender roter Blauburgunder, den man tröpfchenweise genießen konnte.
"Das ist der Wein, den unsere Jungs damals in Paris getrunken haben!" kommentierte mein Bruder Peter mit wahrhaft britischem Humor diesen Gaumengenuss.
Die Deutsche Fußballmannschaft war übrigens im Hotel „Seeleiten“ untergebracht, wo ein eigener „Trophäenschrank“ an diese illustren Gäste erinnerte. Und im „Seeleiten“ pflegte auch Kurt seine Geburtstagsfeste zu feiern und sich auch sonst recht gern aufzuhalten.
"De Leut wolln all wisse, wo däBeckenbauer jesässen hät!" erzählte er uns bei seiner letzten Feier im für uns verständlichen Kölsch. "Und de Kellner zeicht aufn Ecktisch. Aber ehnää...do hät däBrand jesessen!"
Das waren außer der Brand‘schen Wohnung so unsere üblichen Aufenthaltsorte im Reich des Weinbarons.
War Kurt in Deutschland, fand sich da oft genug Gelegenheit zu Treffs mit ihm. Meist war Maria mit dabei, und manchmal tauchten die Brands recht unvermutet auf. Zum Beispiel am bereits erwähnten 45sten Geburtstage, den Jürgen Shocker damals in seiner Kellerbar feierte. Damit hätte niemand gerechnet, zumal Jürgen im Januar Geburtstag hat, und Kurt die verschneiten Alpen ganz gerne mied. Muss ich sagen, dass es eine rauschende Ballnacht wurde? Zwar sind von unseren Treffen nicht immer sensationelle Abenteuer zu berichten, aber es war stets gemütlich, wenn wir zusammenkamen. Und wer fährt schon ca. 800 Kilometer von Südtirol ins Hessenland, um einem Freund zum Geburtstag zu gratulieren. Verrückte oder wahre Freunde! Ich hätte auch niemals geglaubt, dass Kurt Brand die Einladung zu meiner Hochzeit am 4. Mai 1984 annehmen würde. Aber irgendwann klingelte in meiner Ahnataler Wohnung das Telefon, und Kurt sagte sein Kommen fest zu. Wer macht sich, wenn es nicht darum geht, einem Freund die Ehre zu geben, einen so weiten Weg für eine Feier?
Am Tag vor der Hochzeit holten Petra und ich Tante Hilde aus Hannover ab. Als wir zurück kamen, klingelte das Telefon Sturm. Kurt war schon da und fragte, wo wir denn blieben. Er hatte die Theke im Hotel schon mal besetzt und anzapfen lassen...
Der Abend wurde recht gemütlich, und als Jürgen und Karin mit der üblichen Verspätung eintrafen, brachte das die Party erst richtig in Schwung. Das einzige Glas auf unserem „Polterabend“ zerbrach aber aus Versehen der Kellner.
Vielleicht hat deshalb die Ehe nicht gehalten, denn seit dem 17. Januar 92 sind wir geschieden. Kurt in seiner Lebensweisheit hat es vorausgesehen, seine Bedenken aber nur den Freunden mitgeteilt. Das haben sie mir aber erst gesagt, als unsere Trennung (ohne Krach) vor zwei Jahren endgültig war.
Ja, wenn der Kurt nicht gewesen wäre, dann wäre Petra vielleicht nicht mit aufs Standesamt gekommen. Denn Katze „Lady“ bekam an diesem Tage Junge, und Petra brachte es nicht übers Herz, eine „werdende Mutter“ im Stich zu lassen. Aber Kurt nahm sie kompromisslos an der Hand und zog sie aus der Wohnung. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte es unterlassen...
Hinterher ist man immer klüger. Aber es gibt Dinge, die geschehen müssen, damit man aus ihnen lernt.
Kurt und Maria besuchten Petra und mich dann auch noch mal in unserer Wohnung in Ahnatal. Wenn ich mich recht erinnere, hat an diesem Abend Rabe „Wotan“(er lebt inzwischen in Freiheit) vom süßen Kalterer Wein zuviel genascht. Wie weiland Hans Huckebein, der Unglücksrabe Wilhelm Buschs, torkelte er betrunken wie ein irischer Vollmatrose durch die Wohnung. Bei diesem Besuch schrieb mir Kurt die an den Anfang gesetzten Worte in mein Gästebuch.
Leider verschwimmen die Erinnerungen an unsere Besuche in Kaltern, und meistens kann ich nur Episoden erzählen (und das habe es im Text auch schon zur Genüge getan), ohne sie zeitlich richtig ein ordnen zu können.
Wir waren beispielsweise zwei Mal von Kaltern aus per Bus in Venedig ohne dass Kurt dabei war (der kannte die Stadt bereits), und diese Besuche der Heimat Marco Polos waren trotzdem ein Höhepunkt. Vor allem das Abenteuer, als bei der zweiten Fahrt Jürgen und Karin mit dabei waren.
So oft Dan Shocker Larry Brent und seine anderen Helden in Venedig Abenteuer erleben ließ, er war nie dort gewesen. Das wurde nun möglich gemacht. Die Lagunenstadt mit dem Rollstuhl zu erkunden war ein Abenteuer besonderer Art. Ein Abenteuer, das jedoch seinen Höhepunkt auf der Piazza San Marco fand, als Dan Shocker vor einem der feinen Cafés uns mit dem Charme von Larry Brent zum Tee einlud.
Es war wie ein Sprung in die gute alte Vergangenheit. Selbst der Stehgeiger fehlte nicht. Aber der Zeitsprung war nicht gerade billig, und die Rechnung lehrte den Großmeister des deutschsprachigen Horror echt das Gruseln. Wenn ich mich nicht irre, hat er damals für fünf Tassen Tee oder Kaffee annähernd hundert Deutsche Mark gezahlt. Gut, dass alle Romanhelden über unerschöpfliche Geldvorräte verfügen...
An der Wand meines Arbeitszimmers hängt ein Bild, das die Tafelrunde (damals noch ohne Hermann) mit einer 2-Liter-Flasche Wein zeigt, die Kurt zur Feier des Tages stiftete -- es wurde dann die Feier der Tage draus, weil wir das edle Gesöff an einem Tage nicht leer bekamen. Denn es war kein „Südtiroler Gold-Fusel“, wie man ihn hier in Deutschland in dieser „Gebindegröße“ für ein paar Mark billig kaufen kann, sondern eine Sonderabfüllung, die bei Kurt, wenn ich mich recht erinnere, fünfzehn Jahre gestanden hatte, da er zum Öffnen einen besonderen Anlass suchte. Muss ich sagen, dass dieser Anlass würdig genug war?
Während wir diesen vorzüglichen Rotwein genossen und, inzwischen in jenem besagten Weinkeller zu Experten herangereift, ihn auch zu schätzen wussten, erzählte uns Kurt Brand eine Episode über die Wirkung des vielbesungenen Eisweins. Kulinarischen Barbaren sei erklärt, dass dies Wein ist, dessen Beeren an der Rebe den ersten Frost überdauert haben. Und das kann nur bei einem vorzüglichen Gewächs der Fall sein. Unnötig zu sagen, dass dieser Wein nicht nur gut schmeckt, sondern natürlich auch mächtig reinhaut.
Es war in den Tagen, bevor Kurt Maria kennenlernte. Der Anlass ist unwichtig, denn erstens habe ich ihn vergessen, und zweitens gibt es für einen guten Wein eigentlich keinen Anlass. Kurt saß in seinem Lehnstuhl, las einen SF-Roman und war der Meinung, sich etwas Gutes in Form der Flasche Eiswein gönnen zu müssen. Und "dat Tröppche hätt je schmeckt, als wenn de Engel off de Zunge pinkele...!"
Jedenfalls löffelte Kurt neben dem Lesen brav seine Medizin und irgendwann musste er feststellen, dass die Flasche keinen Tropfen des wohledlen Gesöffs mehr enthielt. In diesem Moment war er in der Lage, die tiefen Geheimnisse des Kosmos zu erkennen, das Wunder der Schöpfung zu ergründen und vor höchsten akademischen Kreisen ein Referat über das Liebesleben der Maikäfer bei senkrechter Sonnenbestrahlung zu halten.
Doch als er sich erheben wollte, stellte Kurt Brand fest, dass dieser Wein aus einem Jungbrunnen geschöpft war, der ihn, obwohl sein Körper unverändert war, in die ersten Monate seines Lebens zu rückversetzte.
Bis zum Bauchnabel war alles klar, erklärte er uns. Und das Gehirn arbeitete mit der Intensität eines interstellaren Intelligenz-Kollektivs. Nur unterhalb des Nabels da war alles zu Ende.
„Ich han jegloob, jemand hätt mich minge Beine jeklaut!" erzählte Kurt. "Da isse nix mieh jewäst. Un wie ich wollt offstehn, da mäch et „Plätsch“. Un da han ich jeleeche...!"
Und so musste sich Kurt Brand, in tiefster Seele Antimilitarist, an die Grundausbildung als Soldat erinnern und in „tiefster Gangart“ sein Bett aufsuchen. Und auch das Robben soll ihm mächtig schwer gfallen sein.
Nun, außer einem überzeugten Anti-Alkoholiker hat wohl jeder von uns schon mal so seine Probleme gehabt, sein Nachtlager zu erreichen. Wahrlich, ich sage euch: Wer von euch ein Leben lang nie einen Rausch gehabt hat, der werfe den ersten Stein...
Aber wann der Besuch bei Kurt Brand war, an dem wir diesen köstlichen Wein tranken und diese lustige Erzählung hörten, das habe ich leider vergessen...die Zeit verweht die Jahre, nicht die Erinnerungen.
Jedenfalls war es der Besuch, an dem mein Bruder Peter seine Vorliebe für scharfe Gewürze von Kurt und Maria ausgetrieben bekam.
Peter, als „Karolus von Twerne“ zwar nicht Mitglied der Tafelrunde, aber „Bannerführer des Reiches“, würzte sein Essen schlimmer als ein Groß-Mogul und brachte in einem indischen Restaurant in London die Köche selbst aus der Fassung, als er sein Gericht „hot“ bestellte und es, ohne eine Miene zu verziehen, mit Behagen verzehrte.
Kurt Brand kannte diese Gewürz-Leidenschaft und hatte heimlich beschlossen, sie ihm auszutreiben. In Bozen kannte er einen Apotheker und bat ihn um Mithilfe. Gemeinsam mischten die beiden „Zauberer“, wobei einer die Phantasie und der andere das Wissen hatte, ein „gar erbauliches Pülverlein“, in das alles hineinkam, was scharf, aber nicht tödlich war.
Wenn das nichts half, war alle Menschenkunst vergeblich, und der Apotheker würde Griechisch lernen, weil er mit seinem Latein am Ende war. Das Geheimnis dieser tückischen „Würzmischung“ hat Kurt mit ins Grab genommen.
Während des Abends in gemütlicher Plauderrunde erinnerte sich Maria an das Pulver. Kurt erzählte die Story mit dem Apotheker und gab bekannt, dass diese Würzmischung in der ganzen Welt einmalig sei und speziell für den „Bannerführer von Helleb“ erfunden wurde.
Im Bewusstsein auf seine schon britisch zu nennende Selbstbeherrschung nahm Peter einen Teelöffel von dem braunen Pulver und schluckte es brav herunter.
"Ich schmecke gar nichts!" sagte er dann, und dem Kurt war die Enttäuschung im Gesicht geschrieben. Da hatte er sich den Streich so schön ausgedacht...
Aber dann begann Peters Adamsapfel zu hüpfen, und er saß unbeweglich wie eine Marmorstatue mit stierem Blick und einer mit letzter Kraft erzwungenen Gleichmut. Es war erkennbar, dass diese Prise doch etwas zu würzig geraten sein. Nur unser Wissen um die Wirkung des „Pülverlein“ zeigte uns, dass die beiden Tränen, die seine Wangen herunter rannen, kein Ausdruck von Heimweh oder Liebeskummer waren.
"Hat ganz schön was drin, das Zeug!" bemerkte Peter nach einer Weile, als sich das wohlige Gefühl ausbreitete, das kommt, wenn der Schmerz nachlässt. Dann bedankte er sich bei Kurt und Maria, soweit es sein Zustand zuließ und wenn ich recht informiert bin, hat er noch etwas von dem Zeug und würzte damit gelegentlich heute noch seine Speisen, wenn auch wohldosiert. Von der ganz großen Leidenschaft für scharfe Gewürze hat ihn Kurt Brand befreit... Irgendwie gibt es immer erbauliche Episoden zu berichten, auch wenn Kurt nicht dabei war. Im Allgemeinen hat er jedoch die Situationen ausgelöst. So auch die Fahrt zu seinem 70sten Geburtstag.
Wir hatten es unserem Freund mit einem Ehrenwort versprochen. Die Worte lauteten ungefähr: "Auf Ehre, an deinem Geburtstag werden wir in Kaltern einen trinken!"
Der 10. Mai 1987 war ein Sonntag. Hans und ich hatten vor, bereits am Donnerstag nach Kaltern zu fahren und die Sache ganz locker angehen zu las sen. Ein wenig mit leichtem Antrinken in Kurts Ehrentag reinfeiern, am Morgen zum Sektfrühstück Schampus schlürfen und ansonsten an diesem Tage das Leben eines Hobbits führen (unter Beachtung der Menge und der Regelmäßigkeit der Mahlzeiten...).
Pustekuchen! Ich spielte damals noch Schlagzeug in einer 4-Mann-Tanz-Combo und der Bassist hatte, obwohl er von meinen Reiseplänen wusste, einen Auftritt am Samstag, 9.Mai 87 in einem Ort 50 km nördlich von Kassel angenommen. Was tun, sprach Zeus. Wenn man jahrelang mit Musikern zu zusammenarbeitet, lässt man die auch nicht gern im Regen stehen, und ein Ersatz für mich wurde vom Veranstalter nicht akzeptiert. Der Vertrag war unterschrieben, also nichts zu machen. Dazu kam, dass in den Kasseler Messehallen eine Großveranstaltung lief, bei der ich am Nachmittag im Rahmen meiner Tätigkeit als Beamter der Stadt Kassel die sicherheitstechnischen Überprüfungen durchzuführen hatte.
Also gab es nur einen Nachtritt nach Caldaro.
Meine Frau Petra übernahm die „Stallwache“ beim Hund und den Katzen, denn Haustiere bilden immer ein Problem, wenn man auf Reisen geht. Petra und ich haben uns da immer abgewechselt, das ging schon in Ordnung. Bei allen Differenzen, in unserer Tierliebe waren wir uns immer einig.
Am Vormittag waren einige Schankanlagen im Stadtgebiet Kassel zu überprüfen, die für Straßenfeste aufgebaut waren. Am Spätnachmittag dann die Großveranstaltung. Von da aus wurde zum Auftritt durchgestartet. Wer mal sieben Stunden hinter dem Schlagzeug gearbeitet hat, der weiß, welcher Stress danach kam. In der Zeit des Auftritts „dröhnte“ ich mir ungefähr drei Liter Coca Cola Pur rein, um fit zu bleiben. Den Abbau überließ ich den Kumpels von der Band, obwohl die sauer waren, dass sie die schweren Boxen alleine schleppen mussten. Ich demontierte gerade die „Schießbude“, packte die kleine Trommel und ein Becken ins Auto, empfahl meinen Mitmusikern, das restliche Schlagzeug auf den Sperrmüll zu werfen und meine Kündigung als Drummer zu akzeptieren, wenn sie es nicht vereinbarungsgemäß abtransportieren wollten - und dann brauste ich davon.
In Kassel wurde Hans Klipp kurz nach Vier am Morgen samt Gepäck und Gitarre eingeladen, und dann rollte der „Frodo“ „auf der Straße nach Süden...“. Wir hielten nur zum Tanken, oder um durch diverse Freiübungen wieder munter zu werden. Dazu kam ein mitgenommener Kaffee, den Petra nach texanischem Cowboy-Rezept gekocht hatte: Wenn man ein Hufeisen hineinwirft und das nicht untergeht, dann ist er richtig. Denn Kaffee muss so schwarz sein wie die Nacht, heiß wie die Hölle und so stark, dass er einen alten Mann aufs Pferd hebt, oder Tote aufschreien lässt.
In Kaltern hatten sie im Hotel „Seeleiten“ bereits ein kleines Sektfrühstück eingenommen und alles wettete, ob der Herrscher und der Statthalter denn zum Mittagsmahl pünktlich erscheinen würden. In der Zeit, in der sie Wetten über unser Kommen abschlossen, rasten Hans und ich wie vom Erlkönig gejagt über die Alpen.
Die Tatsache, dass mein Magen immer heftiger Mittag zu läuten begann und auch der „Herrscher“ schon in die bei Hungergefühlen übliche ungnädige Stimmung kam, ließ mich das Gaspedal des Fiat-Uno noch intensiver kitzeln.
Um es kurz zu machen Die Tafel wurde im „See leiten“ auf dem Freisitz gerichtet, und alle witzelten, dass man für Hans und mich einige Bratkartoffeln warm halten müsse.
Doch als der Kellner die Bestecke und Servietten auflegte, fuhren wir, eine Staubfahne nachziehend und von wilden Willkommensrufen begrüßt, auf dem Hof des „Seeleiten“ ein.
Ich sagte bereits, dass wir Helleber die Mentalität von Hobbits haben. Wenn eine gute Mahlzeit und ein frischer Trunk locken, dann wird jedes Abenteuer abgebrochen, oder es kann warten.
Muss ich sagen, dass die Freude groß war. Kurt redete vor Freude das unverständlichste Kölsch, das ich je von ihm gehörte habe, und unser Appetit war es auch. Leider hatten wir keine Zeit mehr, unsere Gewänder zu wechseln, weil die Suppe aufgetragen wurde. Und so saßen Hans und ich im „leichten Bier-Anzug“ zwischen einer in korrekter Gesellschaftskleidung gewandeten Society, ohne dass sich jemand sonderlich daran gestört hätte.
Den vorzüglichen Kalterer Wein als Durstlöscher zu nutzen, hätte außer mir auch nur ein Barbar wie Conan fertig gebracht. Aber ich konnte jetzt einfach keine Cola mehr sehen...
Nach der Speisung (da ich kein Sadist bin, der den Leser jetzt gesteigerten Hungergefühlen quälen will, verschweige ich die Beschreibung des ausgezeichneten Menüs) ging‘s unter Mitnahme der zur Feier geladenen Wirtsleute zum „Schwarzen Adler“, wo eine Stunde Tiefschlaf angesagt war.
In dieser Stunde hätte die „Ewige Schlacht“ um mich toben können, ich hätte nichts gemerkt. Doch der „Herrscher“ hatte nach etwas mehr als einer Stunde wieder Durst und riss den „Fahrer des Streitwagens“ aus dem „Schwarzen Nichts des Vergessens“. Wir machten uns mit dem „Jubelkaftan“ landfein und dann ging‘s zurück zum „Seeleiten“.
Dort ging man zum gemütlichen Teil über, und Kurt lud uns alle zur Feier seines 75sten Geburtstages nach Kaltern ein. Dann versprach er ein Fest zu geben, das dieses hier noch übertreffen sollte. Kurt war bester Stimmung und hoffte, den Aufbruch ins neue Jahrtausend, in dem wir vielleicht Kontakt aufnehmen, zu erleben.
Kommentare
Hört sich eher so an, als wenn die arme Frau den Haushalt hat alleine schmeißen müssen und die Zeiten für solche Alk-Eskapaden ist mit heutigen Frauen mit recht auch vorbei...
Sorry, aber mit solchen Saufnasen, die ohne ein Bier nirgends länger sitzen können, kann ich grundsätzlich nichts anfangen.
Und warum soll man irgendwo auf dem Trockenen sitzen, wenn man auch ein Bier bestellen kann?
Hört und liest sich eher wie die Lebensgeschichte eines Alkoholikers (Bier-Patrouille); ganz unschuldig war er dann wohl auch nicht an seiner Schreibunfähigkeit - wenn man besoffen die Treppe runterfällt...
Überhaupt ergeht sich der Bericht eher in der kindischen Schilderung von Saufgelagen.
2. Die "besten" und immer wieder erzählten Begebenheiten fangen meist -sinngemäß - mit den Worten "Also damals, als wir richtig einen im Tee hatten, ist folgendes passiert ..." an und sind so absurd, dass sie keiner glauben mag. Das passiert auch Nichtalkoholikern.
3. Dessen ungeachtet liest sich Obiges tatsächlich recht exzessiv. Aber der Text ist auch schon 25 Jahre alt und schildert das späte Leben eines noch Älteren, der jedes Recht auf die ihm genehme Freizeitgestaltung hatte. Dass die Lieblingspersona der Netznutzer Lehrer Lämpel zu sein scheint, ändert nichts daran.
Zum Zweiten: Ob Kurt bei Sturz unter Alkoholeinfluss stand ist nicht sicher, aber als jemand der die Treppe gegangen sit mag ich sagen, dass diese eher rutschig war, erst recht bei Feuchtigkeit.
Zum Dritten: Ich denke, vorschnell aufgrund launiger, überspitzter Betrachtungen zu fällen, führt zu weit. Und selsbt wenn Kurt mit die um die 70 ein Alkoholproblem entwickelt hat, so what ...
Lasst uns lieber das Glas erheben und ihm (bzw. ihnen, auch Rolf natürlich) zuprosten, wo immer sie auch jetzt sein mögen...
Der Mann hat nicht erst um die 70 ein Alkoholproblem gehabt; dies existierte schon wesentlich länger.
Dies und die damit verbundenen, unkontrollierbarenen Cholerikanfälle haben ihn sehr, sehr viel gekostet.
Weshalb war er wohl ab MItte der 70er als Autor nicht mehr zu vermitteln?
Ich denke vielmehr, dass er als Autor aus der Zeit gefallen war.