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Anschreiben, Wunsch und Wirklichkeit, Kalkriese und was dran ist...

Teestunde mit RolfSo Rolf, nun kommen wir zu den ersten Hintergründen der Chatten-Saga. Der Verlagsleiter wollte doch die Schlacht im Teutoburger Wald drin haben. Erzähl doch mal davon, wie Du das gesehen hast. Der Tee ist bereitet. Deine Zuhörer bereit...

Anschreiben, Wunsch und Wirklichkeit, Kalkriese und was dran ist...

Ich bin zwar kein studierter Historiker. Aber im Verlauf von ungefähr 50 Jahren liest man sich so Einiges an, was andere eben an der Uni hören. Das ist der Grund, warum ich mich gelegentlich als „Historiker“ bezeichne und gelegentlich noch ein „von eigenen Gnaden“ dazu setze.

Und hier beim Gespräch im Gebäude des Wartberg-Verlages traf eben ein Historiker mit einer Vision auf einen nüchtern denkenden Geschäftsmann.

 

Wie sagte der von mir hoch verehrte Ex-Bundeskanzler und Staatsmann Helmut Schmidt? „Wer Visionen hat – sollte zum Arzt gehen.“

Was meine „Visionen für Geschichten aus der Chattenzeit“ anging, war der Chef des Verlages ein ganz vorzüglicher Arzt.

Von allen meinen Vorstellungen für meine „Geschichten aus der Geschichte“ blieb erst mal nicht mehr viel übrig.

Ich wollte eigentlich das Leben der Chatten in allen bekannten Situationen im Krieg und Frieden beschreiben. Ich wollte die Strukturen der Sippenverbände und der Familien hervorheben, die Stellung der Frau in dieser von Männern dominierten Gesellschaft beschreiben und auch das Heranwachsen und die Erziehung der Kinder. Außerdem wollte ich auch versuchen, das religiöse Gedankengut nachzuempfinden, wie es in jeder Zeit war.

Natürlich wäre auch ein Kampf gegen die Hermunduren oder Sugambrer dabei gewesen. Aber von den Römerkämpfen hätte man in meinen Stories höchstens durch wandernde Sänger erfahren. Ich wollte eben den ganz normalen Alltag in einem nordhessischen Dorf beschreiben – nur eben vor zweitausend Jahren.

Also – die Lindenstraße in der Antike. Gute Zeiten – schlechte Zeiten – bei den alten Germanen. Und im Zentrum zwei Familien mit Herrenhöfen im Stil von Dallas oder Denver-Clan, zwischen denen „Krieg und Frieden“ herrscht. Samt kleinen eingestreuten Episoden wie „Germanen-Bauer sucht Frau“ oder „Die Axt im Haus erspart die Ehescheidung“

Außer in den Text eingestreute Passagen ist vorerst von diesem Konzept nichts übrig geblieben. Da ich die „Saga“ dann aber weiter plante, wären auch die Sachen, die ich im vorliegenden Buch aussparen musste, später noch nachgekommen. Das bereits geschriebene erste Kapitel eines angedachten Folgebandes der „Chatten-Saga“ beschäftigt sich ausgiebig mit Arpos Frau und seiner Tochter, die ja nach den Annalen des Tacitus von den Römern gefangen und verschleppt wurden.

Der Verlagsleiter wollte zwar, dass die historischen Hintergründe in der „Chatten-Saga“ stimmten, aber ansonsten musste die Action dominieren. Schon mein etwas reißerischer Untertitel „Wotans wilde Söhne“ und später das Titelbild zeigten ja an, dass es im Buch mächtig rund ging.

Wichtig für den Verlagsleiter war es, den Lesern klar zu machen, was für tolle Kerle hier in Nordhessen gelebt hatten. Und mit denen man sich so richtig identifizieren kann. Vor allem dann, wenn auf der Kirmes das Bier fließt.

Immerhin, es sollte ja dem Leser suggeriert werden, dass diese wilden und doch gemütlichen Gesellen seine Vorfahren waren. Vorfahren, auf die man stolz sein konnte.

Da sollte beispielsweise ein Kapitel mit einer Schlägerei mit den Römern wie bei Asterix dabei sein. Natürlich ohne Zaubertrank – obwohl jeder, der unser nordhessisches Bier kennt weiß, dass auch dieser Trank in der nötigen Menge genossen „übermenschliche Kräfte“ verleiht. Jedenfalls kommt uns das so vor – und den Leuten aus anderen Regionen auch, weil unsere Biere etwas mehr Alk drin haben.

Der Leser des Zauberspiegel hat ja nun Gelegenheit selbst festzustellen, wie ich die Anweisungen des Herrn Verlagsleiters befolgt habe. Die Chatten-Saga ist inzwischen in voller Länge des Buches erschienen.

Das Fest, das die Chatten im ersten Kapitel feiern, ist übrigens eine satirische Umdeutung des „Zissel“, des größten Volksfestes Nordhessens mit seinen Bräuchen.

Die Pferde des Herzogs mit den Kindern sind ein Hinweis auf Karussells. Der Zisselhering ist das Symbol und der Musikzug der Zisselgilde ist auch erwähnt. Natürlich fahren auch heute noch bei Nacht beleuchtete Schiffe raus. Und weil da eben auch was getrunken wird, füttert der eine oder andere auch die Fische. Sogar die Namen einiger prominenter Leute vom Zissel-Vorstand habe ich in den Text mit rein geschmuggelt.

In Kassel hat man das recht gut verstanden. Der Rest der Leser hat eben nur ein Germanenfest gesehen, bei dem ordentlich gegessen und noch ordentlicher getrunken wird – wie eigentlich auf jedem Volksfest – nicht nur bei uns in Nordhessen.

Und die Siedlung der Chatten, in der das Kapitel spielt, ist zehn Jahre später gefunden worden, als man das Polizeigebäude an der Fulda, das man in den 50er Jahren errichtet hatte (Holger Börner, der spätere Ministerpräsident hat an diesem Bau noch mitgearbeitet), abgerissen hat.

Ungefähr zwei Wochen hatten die Archäologen Zeit zum Graben, bevor wegen der Terminplanung für den Neubau Bagger und Betonmischer anrückten. Immerhin sollte das neue Finanzamt termingerecht fertig werden.

Natürlich hätte die Siedlung auch aus späterer Zeit stammen können. Aber es gab Fundstücke aus der Zeit um 100 v. Chr. - also der Beweis meiner Theorie, dass Kassel viel älter als die jetzt gemessenen knapp 1.100 Jahre ist.

Als die Chatten-Saga erschien, gab es deshalb auf der Pressekonferenz noch sehr kritische Stimmen. Es gab ja keine wissenschaftlichen Aufzeichnungen über eine solche Siedlung.

Woher auch. Die alte Chatten-Siedlung war genau unter dem Zentrum des mittelalterlichen Kassel. Und das ist im zweiten Weltkrieg für alle Zeiten im Feuersturm dahin gegangen.

In den 50ern war Aufbruchstimmung. Der Altmarkt, wo sich früher die Handelstraßen nach Frankfurt, Köln, Leipzig und Holland kreuzten (heute noch Kassler Straßennamen) wurde damals mit seiner Untertunnelung die in Europa am besten ausgebaute Straßenkreuzung. Und auf dem Dach des dort errichteten Polizeigebäudes wurde sogar eine Überwachungskamera eingerichtet. Heute ganz normal – damals Anno 1955/56 eine Art real werdende Science-Fiction.

Als man damals neue Polizeigebäude errichtete, hatte man keine Zeit, sich um irgendwelchen alten Kram darunter zu kümmern. Zumal da gleich auf die bestehenden Grundmauern der zerbombten Häuser drauf gebaut wurde. Und was nicht bebaut wurde, das wurde zugeschüttet und ein Parkplatz draus gemacht. Jetzt beim Abriss hat man in den Kellern dieser Häuser gefunden, dass es darunter noch weiter in die Tiefe geht.

Es ist eine für Kassel übliche Provinz-Posse, dass es hier niemanden gegeben hat, die den Ärchäologen einige Wochen mehr Zeit für die Ausgrabungen gegeben hat. Zumal damals der Oberbürgermeister abgewählt wurde und der neue OB natürlich Erfolge zeigen musste. Hier war es allerdings ein Erfolg, wie ihn schon einer seiner Vorgänger zu verantworten hatte.   

Das ist zwar schon in der ersten Hälfte der 70er gewesen, aber durch einen profilierungssüchtigen Stadtbaurat wurde mutwillig das Erbe der Vergangenheit zerstört, weil wir eben „in einer neuen Zeit leben, wo alte Zöpfe abgeschnitten werden müssen“.

Fast das komplette Märchendorf, wo einst die Gebrüder Grimm sich die von Frau Dorothea Viehmann den größten Teil ihrer Märchen erzählen ließen, fiel Baggern und Planierraupen zum Opfer.

Aus diesem alten Dorf hätte man heute fast einen „Wallfahrtsort“ für Märchenfreunde und Brüder-Grimm-Verehrer machen können. Und ich bin sicher, dass Kassel dann auch dadurch mehr Tourismus gehabt hätte, vor allem aus Fernost.

Aber damals in den 70ern musste man ja „Wohnraum für Arbeiter“ schaffen. Nur dass in den Einfamilienhäusern keine Arbeiter wohnen, sondern größtenteils Lehrer, Anwälte und andere Leute, die damals 1968 mit „Ho-Ho-Ho-tschi-Mihn“ gebrüllt haben. Natürlich gehöre ich auch dieser Generation an – wie übrigens auch jener Stadtbaurat. Nur – ich musste seinerzeit arbeiten, während die Studenten auf die Straße gingen.

Es sei hier mal gestanden – außer bei einer Demo der damaligen ÖTV – jetzt Gewerkschaft VERDI, bin ich nie in einer Demo mitgelaufen. Und da auch nur, weil die nicht genug Ordner hatten und mich ein Kollege so lange genervt hat, bis ich mitgemacht habe. Also – nicht mal „Mitläufer“

Die richtige Arbeitersiedlung, die man baute, als das alte Dorf schon platt war, steht auf einer früheren Streuobstwiese, wo man keine Häuser abreißen sondern nur Bäume fällen musste. Dafür liegt sie etwas abseits, während der so „neu geschaffene Ortskern von Niederzwehren“ völlig zentral liegt.

Ach ja, das Haus, in dem Dorothea- Viehmann gewohnt hat, das hat der Baggerzahn doch verschont. Und auch die alte Kirche mit ihrem aus früheren Zeiten stammenden Wehrturm steht noch.

Ob darunter das in der „Saga“ beschriebene Heiligtum des Gottes Twisto liegt, an dessen Weihestein Arminius seinen Eid geleistet hat, kann niemand beweisen – aber auch keiner Widerlegen.. Es sei denn es käme mal ein Stadtrat, der eine alte Kirche abreißt, weil sie ja zu nichts Nutze ist und man den Bauplatz gewinnbringend verkaufen kann, um das Stadtsäckel zu füllen.   

Die zweite Forderung der Verlagsleitung war die „Schlacht im Teutoburger Wald“. Der Ort dieser Schlacht sei ja gerade erst entdeckt und ausgegraben worden. Und zwar in Kalkriese.

So jedenfalls die Meinung des Herrn Verlagsleiters. Ich bekam einen Artikel in einer großen Illustrierte, wo alle genau drin stand. Irgendwelche Professors und Doktors hätten gesagt...blablabla...

Ich las mir den Artikel durch und für mich war sofort klar, dass man in Kalkriese eine Schlacht mit den Römern ausgegraben hatte.

Aber – Schlachten mit den Römern hat es sehr viele gegeben. Bei den Rachefeldzügen des Germanicus war sein Legat Aulus Caecina gerade in dieser Gegend immer wieder mit den Germanen in Kämpfe verwickelt. Tacitus hat diese Germanenkriege in seinen „Annalen“ recht genau beschrieben und auch die Feldzüge und Gefechte geschildert.

Aber – Tacitus hat fast hundert Jahre später geschrieben und musste sich auf den Inhalt der Bücher verlassen, die ihm zur Verfügung standen.  Schon was Vallejus Paterculus über Varus und den Beginn der Schlacht geschrieben hat, ist sehr unterschiedlich von dem, was ungefähr 250 Jahr später Cassius Dio geschrieben hat. Denn von dem haben wir eigentlich das Geschriebene, worauf sich alle „Varus-Forschung“ beruft.

Vallejus Paterculus war persönlich mit dem späteren Kaiser Tiberius als Offizier in Germanien. Er kannte sich also aus – und wahrscheinlich kannte er auch Varus und Arminius persönlich.

Paterculus schrieb seine Aufzeichnungen über seine Zeit in Germanien ungefähr 20 Jahre nach der Varus-Schlacht. Allerdings beschrieb er nur den Anfang – zum Beispiel, dass der Befehl gegeben wurde, erst keine Abwehr zu zeigen. Dann schrieb Paterculus, er würde später auf dieses Thema noch mal kommen, es wäre auch genug drüber geschrieben.

Wenn Paterculus noch was über Varus und Armin geschrieben hat ist es verloren gegangen. Tacitus erwähnt die Schlacht nur, weil seine Annalen erst mit dem Tod des Augustus einsetzen. Er nennt nur den Ort, den „salus teutoburgensis“. Ansonsten beschreibt Tacitus nur die Rachefeldzüge des Germanicus.

Cassius Dio kann seine Schilderung also nur aus Büchern übernommen haben. Während Paterculus vielleicht noch Überlebende der Varus-Schlacht getroffen hat (es konnten sich tatsächlich einige Legionärs-Gruppen und die Reiterei nach Aliso durchschlagen) war das für Cassius Dio nicht möglich. Also – jede Schilderung der Schlacht ist reine Spekulation. Und der Begriff „salus teutoburgensis“ ist völlig unbestimmbar. Denn das Gelände, das wir heute als „Teutoburger Wald“ bezeichnen, trug in jenen Tagen den Namen „Osning“.   

Natürlich hat Tacitus nicht daran gedacht, dass diese Niederlage Roms, an die man sich gar nicht so gern erinnerte, für die Nachkommen der Germanen mal so interessant würde. Er erwähnt die Schlacht nur, weil Germanicus mit seinen Legionen sechs Jahre später das ehemalige Schlachtfeld besucht Er lässt alle Knochen sammeln, weil mehr garantiert auch nicht vorhanden gewesen ist, und ließ Grabhügel anlegen.

Da man in Kalkriese ja weitverstreute Funde gemacht hat müssen Roms Legionäre bei der Totenbestattung nicht besonders sorgfältig gewesen sein. Aber ich werte das nur als eins von vielen Indizien, dass Kalkriese eben eine Schlacht zur Zeit des Germanicus war, aber nicht die des Varus.

Wer auch nur halbwegs nachdenkt der wird erkennen, dass Tacitus in den „Jahrbüchern des römischen Volkes“ nicht alle Kämpfe mit den Germanen im Detail aufgeführt haben muss.

Vielleicht ist die Schlacht von Kalkriese ja auch erwähnt – die Angaben über die Orte, an denen die Kämpfe statt gefunden haben, ist bei Tacitus vom Text her so schwer zu lokalisieren wie eben die Varus-Schlacht.

Schon dass man in Kalkriese so viele Fundstücke aus Metall hat, ist ein Zeichen, dass es sich um eine Schlacht handelte, wo das Feld so schnell wie möglich geplündert werden musste, weil die Römer vielleicht zurück kamen um Rache zu nehmen.

Nach der Varus-Schlacht hatten die Germanen ungefähr sechs Jahre Zeit alles abzuräumen. Und da jedes Stück Metall gebraucht wurde, auch Leder oder Stoff, ist das garantiert nicht das kleinste Stück zurück geblieben - außer die Körper der Toten.

Und die ließ man eben liegen. Der Leichenbestatter waren Wölfe, Raben, Füchse und andere Tiere. Man hatte genug an der Beute zu schleppen. Das Metall hatte man zu Hause dringend nötig – wer wollte sich da mit Toten abschleppen. Ihre Seelen waren in Walhall und den toten Körpern tat nichts mehr weh. Wir dürfen die Mentalität der Germanen, wenn es um Leben oder Tod ging nicht mit unseren Sitten und Gebräuchen verwechseln.

Die Germanen, die den Raubzug im Teutoburger Wald mitgemacht haben, und was anderes war als dieser so genannte Freiheitskampf, hatten zum großen Teil wochenlange Heimwege in die Dörfer. Und da überlegt man sich schon, mit was man sich abschleppt.

Vielleicht ein gefallener Bannerherr, der mitgenommen wurde. Aber alles, was tot war, blieb liegen. Und wer bald sterben würde, dem kürzte man die Qualen ab. Sie waren ja im Kampf gefallen und würden Walhallas Wonnen sehen. In diesem Leben hatten sie außer Schmerz und einem jämmerlichen Krepieren nichts mehr zu erwarten.

Und weil man die blanken Knochen nicht auseinander halten, bestatteten Roms Legionäre Freund und Feind. Tacitus schreibt zwar, dass die Germanen diese Hügel zerstört hätten, aber da glaube ich nicht so recht dran. Nicht dass unsere Vorfahren soooo edelmütig gewesen wären. Ganz sicher nicht. Aber – einen oder mehrere solcher Hügel zu zerstören, das war „Arbeit“. Und zwar unnötige Arbeit. Tote bekämpfte man nicht mehr. Da hob man die Kraft für die Lebenden auf – zumal die Legionen des Germanicus ein Jahr vorher schon das Volk der Marser am Morgen nach dem Fest der Göttin Tafana überfallen hatten. Was Tacitus da als Heldentat beschreibt war Völkermord erster Ordnung. Die Männer waren garantiert nach dem Fest stockbetrunken und es gab sicher kaum Gegenwehr. Tacitus berichtet stolz, dass weder Alter noch Geschlecht geschont wurden.

Und – wenn ich heute so manchmal die neuere Geschichte betrachte oder die Zeitung aufschlage – die Menschheit hat sich in den zweitausend Jahren nicht geändert.
 
Es gibt noch jede Menge andere Gründe, warum Kalkriese nicht der Ort der Varus-Schlacht sein kann. Und ich freue mich, dass inzwischen auch bei den Wissenschaftlern und Historikern diese Meinung überwiegt. Was aber nicht bedeutet, dass sich ein Besuch des dortigen Museums nicht lohnt und dass sicher der Wall auch errichtet wurde, um die Römer hier in eine Sackgasse gehen zu lassen um sie dann von allen Seiten zu bekämpfen.

Das war sicher bei den Kämpfen gegen Germanicus möglich, als sich Armin als Herzog aller Germanenstämme durchgesetzt hatte und deshalb auch die Feldzüge und Aktionen planen konnte. Er wird sicher viele Unfreie dabei gehabt haben, die diesen Wall schaufeln mussten. Denn für einen Freien Mann wäre diese Arbeit unwürdig gewesen.

Wie auch immer, nur das „Befehl-und Gehorsams-Prinzip“ lässt es zu, das solche Erdwerke gebaut werden. Und nichts deutet darauf hin, dass Armin die einzelnen Volksstämme damals schon so gut im Griff hatte, dass sie ihn und seine Fähigkeiten als Feldherr voll anerkannten.

Das kam erst, als die Legionäre des Germanicus die Marser so gnadenlos nieder gemetzelt hatten. Da musste jeder Germanenstamm davon ausgehen, dass ihm das gleiche Schicksal blühte. Und ein gemeinsamer Feind schafft Bündnisse.

Die so genannte Schlacht im Teutoburger Wald war aber meiner Meinung ein groß angelegter Raubzug und keine Tat zur „Befreiung Germaniens“. Daran wird Armin sicher gedacht haben – aber die Männer, die ihm aus allen Stämmen folgten, dachten garantiert an fast zweitausend römische Schwerter und sonstige Waffen, die es zu erbeuten galt.

Und was wir hochtrabend „Schlacht“ nennen, war ein Kampf nach Guerilla-Taktik. Blitzschnell aus dem Busch raus springen, einige abgekämpfte, todmüde und völlig überbepackte Römer töten und dann sofort wieder zurück. Natürlich dann mit den besseren, römischen Waffen. Hinten in der „Etappe“ gab es jede Menge Fleisch der gefallenen Pferde und Maultiere während die Römer nur das zu Essen hatten, was sie bei sich trugen.

Schlaue Leute haben ausgerechnet, dass die Länge des Heerzuges der drei Legionen mit Hilfstruppen. Gepäck und den Zivilisten wie Steuerbeamte, Richter u.s.w. Ungefähr 25 bis 28 km lang war. Selbst wenn die Germanen in der Mitte angriffen bekam an das weder an der Spitze noch am Schluss mit.  

So muss die „Schlacht im Teutoburger Wald“ bewertet werden. Und wenn ich wollte, könnte ich aus diesen Sachen noch drei bis vier Teestunden machen. Aber – dafür gibt es auch genügend Sachbücher. Nur - die Hintergründe meiner Überlegungen sind mehrere dieser Sachbücher – und ein Studium der örtlichen Lage erst anhand von Karten, dann durch eigene Anschauung.

Irgendwann hatte mein Verlagsleiter es dann auch geschluckt, dass ich Kalkriese als Hintergrund für die Varus-Schlacht ablehnte.

In meiner Zeit bei der Bundeswehr hatten wir im südlichen Teutoburger Wald eine Übung, aus deren Erinnerungen ich den Hintergrund des Geländes für dieses Kapitel in der „Saga“ schöpfte. Schon damals, als ich diesen steilen Bergweg sah, war mir klar, dass der letzte Angriff auf die Römer an einer solchen Stelle geschehen sein musste.

Als Panzergrenadiere haben wir damals ja Waldkampf geübt und wussten auch, wie man mit Baumfallen, angeschlagenen Bäumen und aufgeschichteten Felsbrocken, die auf den Gegner herab prasseln, die Natur für sich kämpfen lassen kann.

Und die Szenen im Moor kommen von Erinnerungen aus Pfadfindertagen, wo wir durch das damals noch nicht für Spaziergänger so zugängliche Schwarze Moor in der Rhön gezogen sind.

Der Kampf der jungen Chatten an der Eder im vierten Kapitel wird von einigen Wissenschaftlern an die Eder unterhalb von Fritzlar gesetzt. Aber wenn Germanicus wirklich das Werk seines Vaters Drusus fortsetzen und zur Elbe vorstoßen wollte, um sie zu überqueren und ins Land der Semnonen einzufallen, dann war dies nicht nur ein Umweg, sondern völlig unlogisch.

Germanicus hatte sechs Legionen und eine Legion hatte rund sechstausend Mann. Dazu kommen noch die Hilfstruppen und die Reiterei. Und – da Germanicus auch Kriegsmaschinen mitgebracht hatte, brauchte er auch Sklaven vom Aufbauen und zum Heranschleppen der Steine und Wurfgeschosse.

Die Kopfzahl vom Heer des Germanicus ist mit vierzig bis fünfundvierzigtausend sicher nicht zu hoch angegeben. Dazu grob geschätzt achthundert bis tausend Pferde, Maultiere und sonstiges Viehzeug, dass man entweder arbeiten lässt oder, wenn mit Hörnern versehen, als lebende Vorratskammer mit sich führt. Und nicht nur die Menschen sondern auch das Viehzeug brauchen auf jeden Fall Wasser.

Da ist eine Quelle nicht ausreichend. Vom täglichen Bad der Römer mal ganz zu schweigen. Ein solches Heer kann nur einem Flusslauf folgen. Schon ein Bach kann bei der Menge durstiger Kehlen schnell leer getrunken sein.

Ich gehe davon aus, dass Germanicus von Monguntiacum-Mainz die Lahn hoch gezogen ist und von dort zur Schwalm über gewechselt. Bei den Flüssen hatte man nicht nur ausreichend Wasser, sondern man konnte auch das schwere Gepäck auf Flößen treideln. Was man damals Wege nannte waren Wildpfade und nicht mal für Ochsenkarren geeignet. Ansonsten gab es für den Transport der schweren Teile nur die Mulis oder Menschenkraft.

Bei einem der letzten Vorträge über das Thema Chatten und Germanen habe ich übrigens mit Freunden vernommen, dass die Wissenschaftler heute auch davon ausgehen, dass die Händler in Germanien auf Lastkähnen ohne großen Tiefgang die Flüsse herunter gekommen sind und die Waren an bestimmten Handelsposten gehortet haben. Von dort sind sie dann mit bepackten Maultieren zu den Dörfern im Landesinneren gezogen.

Ach wie schön, dass ich „Unstudierter“ vor zehn Jahren diese Sachen schon richtig ein meine Schreiberei eingebaut habe.

Den Punkt für den Kampf an der Eder habe ich übrigens vor Ort gesucht. Rhünda liegt ja genau an dem Punkt, wo die Schwalm in die Eder mündet. Und auch die reißende Strömung, mit der die Schwalm in die Eder rein schießt passte vorzüglich in die vorher ausgedachte Story. Sogar der „heilige Stein Tius“ ist bei den Fischteichen neben der Eder ganz einfach zu finden. Er sieht aus wie ein richtiger Hinkelstein, den sich Obelix so an die Uhrkette hängt...

Doch bevor ich jetzt zu den Illustrationen der „Chatten-Saga“ komme darf ich mich erst mal verabschieden. Also dann bis nächste Woche....

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