Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Die »Fandom Explosion« - Teil 1

The Polygedral Universe Die »Fandom Explosion«
Teil 1

to the English Version Brettspiele in der Form, wie wir sie heute kennen, entstanden als Spiele für die Familie, die normalerweise zu Hause am Esstisch gespielt wurden. Abgesehen von strategischen oder taktischen Brettspielen wie Schach oder Diplomacy von Avalon Hills spiegelte ihr Inhalt die Gesellschaft oder Kultur wider, in der sie entstanden. Monopoly von Parker Brothers wurde zum Beispiel während der Depression in den 1930ern erdacht, spiegelte Amerikas Anstrengungen wider, mit den finanziellen Schicksalsschlägen und der Angst davor fertig zu werden und bildete die Sehnsucht der Menschen nach einem besseren Leben ab.

Im gleichen Maß, wie es der Wirtschaft besser ging, wuchs auch die Spannweite an Spielen, um die Veränderungen im Nachkriegsamerika mit einzuschließen. Park and Shop war in den 1950ern sehr beliebt und brachte den Kindern bei, gute Konsumenten zu sein. Clue gab jedermann eine Gelegenheit, Ermittler in einem Mordfall zu sein und Informationen zu sammeln, die ihm halfen, das Verbrechen aufzuklären. In den 1960ern brachten kurzlebige Spiele wie Drug Dealer oder Grass unser starkes Interesse an Drogen zum Entspannen auf den Tisch.

Es dauerte nicht lange, da erweiterten die Spiele ihren Blickpunkt und beinhalteten beliebte Kinofilme, Bücher und Fernsehshows. Die Fernsehspielshows hatten alle auch Brettspielableger, damit Menschen sich mit den Spielen vergnügen konnten, denen sie die Woche über zugeschaut hatten, Spielen wie The Price is Right, Jeopardy, Hollywood Squares und Family Feud.

Mitte der 1970er tauchte eine neue Art von Spiel auf, die Fantasy-Rollenspiele. Bald verbrachten Jugendliche (und auch einige Erwachsene) sechs bis acht Stunden am Tag – manchmal sogar ganze Wochenenden -  zusammen in den Zimmern von Freunden, in Wohnzimmern, Küchen oder Kellern und spielten Spiele wie Dungeons & Dragons, Tunnels & Trolls, Villains & Vigilantes oder Traveller. Oft hatten die Eltern keine Ahnung, wo ihre Kinder waren oder was sie taten. Dieser Mangel an Aufmerksamkeit von Seiten der Eltern führte  manchmal dazu, dass Rollenspiele für einen Haufen familiärer Probleme verantwortlich gemacht wurden, von Drogenmissbrauch bis zu Satanismus, von Teenager-Selbstmorden bis zum Mord. Mitte bis Ende der 1980er war eine schwere Zeit für diese Spiele, und einige ihrer Hersteller und Unterstützer wurden von der Presse angegriffen und an den Pranger gestellt. In der Film- und Fernsehindustrie fanden sich Leute, die diese Sensationsberichterstattung ausnutzten und grelle Serien und Filme produzierten, die mit entsprechenden Anschuldigungen arbeiteten, ohne ihre Darstellung auf nur einen Hauch von Nachforschungen zu bauen.

Die Hersteller von Spielen hielten glücklicherweise durch und das Spielen nahm zu und gewann noch ein neues Feld dazu: Spiele mit Miniaturen. Spiele, in denen Stellvertreter aus Holz oder Gussmetall für Armeen und Flotten standen, hatte es schon Hunderte von Jahren gegeben. Mit wachsender Beliebtheit der Rollenspiele machten sich Unternehmen wie Ral Partha, Game Designer's Workshop und andere wie sie daran, aus Blei – und später aus Zinn, sobald man sich der Gesundheitsrisiken von Blei bewusster wurde – Figuren herzustellen, die Spielcharaktere, Ungeheuer und Zubehör wie Schätze oder Einrichtungsgegenstände repräsentieren und so das Spielerlebnis verstärken sollten (und natürlich auch den eigenen Gewinn). Bald schon erkannten Firmen die Gelegenheit, die bereits existierenden miniaturbasierten Konfliktsimulationen mit den Rollenspielen zu verschmelzen, und die Miniaturenspiele entstanden mit Spielen wie Battletech, Warhammer Fantasy Battle und schließlich Warhammer 40.000 in vorderster Front.

Man kann auch nicht die explosionsartige Ausbreitung der Sammelkartenspiele übergehen wie Magic: the Gathering oder Vampire - the Masquerade. Die Fans von Anime (japanischen Zeichentrickfilmen) wurden dabei nicht vergessen, als Spiele wie Pokemon und Digemon in die Welt der Spiele einbrachen.

Ende der 30er Jahre begannen „Schundhefte“ an Beliebtheit zu gewinnen, sehr zum Verdruss von Eltern und Lehrern. Schriftsteller wie H.P. Lovecraft, August Derleth, Robert A. Heinlein und Isaac Asimov füllten die Zeitungskioske und Buchhandlungen mit ihren Kurzgeschichten und Romanen. Magazine wie Amazing Stories und Strange Tales machten sich in den Regalen breit neben ihren gesetzteren und traditionellen Brüdern wie The Saturday Evening Post und Life Magazine. Obwohl sie als Müll und von geringem literarischen Wert angesehen wurden, verbreiteten sich diese Bücher und Zeitschriften wie die Pilze, als mehr und mehr Leser – meistens Jugendliche und junge Erwachsene – ihr Kleingeld für die Neuerscheinungen der Woche oder des Monats ausgaben. Ironischerweise sind viele von genau diesen Schundbüchern und -magazinen heute Hunderte oder gar Tausende von Dollars wert, abhängig von ihrem Erhaltungszustand.

Mit der Ausbreitung der Schundhefte – und ganz besonders der Science Fiction – tauchte ein neues Phänomen auf: die Fan Convention oder Con in den späten 1930ern. Die erste World Science Fiction Convention fand 1939 in Chicago statt und präsentierte neben anderen aufstrebende Schriftsteller wie Robert A. Heinlein und Isaac Asimov und L. Sprague de Camp als Gäste. In den frühen Jahren waren die meisten Cons das, was man heute „literarische Treffen“ nennt – Veranstaltungen, die beliebten Schriftstellern gewidmet waren und später auch Illustratoren und Künstlern. Als die Treffenszene blühte und gedieh, fügten Spieletreffen – die sich in der Mehrzahl um Konfliktsimulationen wie Napoleonic Wars kümmerten – ihre Themen der Mischung hinzu. Nicht lange nachdem die Masse von B-Movies der 1950er Jahre sich zu ausgefeilteren Filmen entwickelte und das Fernsehen Science Fiction landesweit in die Häuser brachte, begannen die Conventions sich  auseinander zu entwickeln. Bald erschienen neben den literarischen und den Spieletreffen Shows, die sich einem bestimmten Film oder einer Fernsehserie widmeten.

Spielehersteller erkannten recht schnell das Vermarktungspotential darin, Handelsmessen in Form von Spieletreffen abzuhalten, bei denen Kunden und solche, die es werden könnten, vorbeikommen und ihre Spiele auf geregelte Weise spielen konnten. Die verschiedenen Firmen stellten Verkaufsstände und Tische und ausgefeilte Schauflächen auf, so dass die Spieler – wenn sie zwischen einzelnen Partien Zeit hatten – ihre neuesten und günstigsten Angebote mustern konnten. Und sie konnten sie natürlich auch kaufen. Die beiden größten dieser Spielertreffen waren GenCon und Origins von TSR (später Wizards of the Coast und heute Hasbro). Die GenCon wird an einem immer wiederkehrenden Ort ausgerichtet – ursprünglich in Milwaukee, aber jetzt in Indianapolis – während Origins von einer Stadt zur nächsten wandert. Im Mai 2012 wird sie in Columbus, Ohio stattfinden. 1991 in Milwaukee hatte die GenCon mehr als 25.000 Teilnehmer.

Trotz des Wachstums und der hohen Teilnehmerzahlen von Spieletreffen besonders auf Landesebene tat sich das Spielen schwer damit, in die regionalen oder örtlichen Conventions vorzudringen. Das hing teilweise mit der engen Ausrichtung der Veranstaltungen zusammen. Es gab eine Unzahl von Cons für Science Fiction, Horror, Fantasy, Literatur, Filmen, Fernsehserien, Multimediashows, Comics und als letzter Neuzugang japanische Zeichentrickproduktionen. Die meisten der Ausrichter waren so eng auf ihren Schwerpunkt konzentriert, dass sie keinen Vorteil darin erkennen konnten, ihren Fans auch ein organisiertes Spieleprogramm anzubieten. Und diejenigen, die es doch taten,  reservierten nur einen Raum mit einer Anzahl von Tischen, an denen Fans, die Lust zu spielen hatten, sich einen Platz nehmen und mit Freunden spielen konnten.

Ich kann nicht für andere Teile des Landes sprechen, aber in Dallas tauchte organisiertes Spielen erstmals im Juli 1986 beim Dallas Fantasy Fair auf. Die Idee blieb hängen, als auch anderen Ausrichtern klar wurde, dass ein organisiertes Spieleangebot ihnen mehr Besucher und der Veranstaltung höhere Einnahmen brachte. 1989 hatte so ziemlich jede größere Veranstaltung irgendeine Art von Spieleprogramm – und zu der Zeit war es möglich, im Großraum Dallas/Fort Worth an einer oder zwei Conventions pro Monat teilzunehmen.

Unglücklicherweise musste die Person, die diese Veränderung in Gang gebracht hatte, sich 1992 aus der Welt des Spielens auf Conventions zurückziehen, und das organisierte Spiel ging zurück, ebenso wie die Anzahl von Conventions in der Gegend. Glücklicherweise ist es nicht völlig ausgestorben, und obwohl es längst nicht mehr so viele Shows gibt wie früher, gibt es bei den meisten von denen, die stattfinden, ein Spieleprogramm, und es scheint im Aufschwung zu sein. AnimeFest, Project A-Kon, YuleCon und FenCon haben einen beachtlichen Anteil ihrer Programmplanung dem organisierten Spiel gewidmet.

In Teil 2 werde ich euch hinter die Kulissen des FenCon mitnehmen, einer Multimedia-Convention, die eine wachsende Zahl von Spielern unterstützt. Dazu gibt es Fotos und einen Kommentar zu der aufregenden Welt des Fandoms und der Fantreffen.

Übersetzung: Harald Weber

Kommentare  

#1 karl 2011-11-16 07:47
Die Jahreszahlen sind wirklich sehr interessant. Man sieht eindeutig, wie man hierzulande diesen Trends oft länger als ein ganzes Jahrzehnt hinterher gehinkt hat. Und Österreich braucht dann noch einmal drei Jahre länger als Deutschland.

Das Rollenspiel war drüber dem Teich schon fast wieder "out" bevor es hier erst richtig "in" wurde.
Die Dimensionen bei Cons und Fandoms und einschlägigen Veranstaltungen sprechen ebenfalls Bände. Das sind hier bloß Hinterhoftreffen, woanders wird so etwas wirklich professionell aufgezogen.

Ich habe ja erst Mitte der Achtziger so richtig mitbekommen, wie groß das Spielfeld am fantastischem Markt wirklich ist.

Bin schon gespannt auf die weiteren Berichte von den Geeks und Nerds aus Übersee. ;-)
#2 Larandil 2011-11-16 11:03
zitiere karl:

Die Dimensionen bei Cons und Fandoms und einschlägigen Veranstaltungen sprechen ebenfalls Bände. Das sind hier bloß Hinterhoftreffen, woanders wird so etwas wirklich professionell aufgezogen.

Tja ... man muss seine Besucher natürlich auch irgendwo unterbringen können. FedCon und RingCon, die beiden wahrscheinlich größten Conventions in der Bundesrepublik - wenn man die Spielemesse in Essen nicht auch irgendwie als Convention zählen möchte - arbeiten mit Hotels vor Ort zusammen, in denen der Besucher dann auch zusammen mit dem Ticket (im Voraus) Übernachtungen buchen kann.
#3 Jonas Hoffmann 2011-11-16 13:08
@karl
Wobei man nicht unterschlagen darf, dass es Deutschland eine ganz andere Brettspiellandschaft bzw. Brettspielkultur gibt.

Nicht umsonst gibt es den Begriff German-Style Boardgame bzw. Eurogames siehe en.wikipedia.org/wiki/German-style_board_game
#4 karl 2011-11-16 17:53
Natürlich gibt es hier eine ganz andere Brettspielkultur. Die Spielemesse in Essen habe ich in Verbindung mit der Comic-Action schon einmal besucht. Ganz nett und auch nicht klein.

Hier in Wien findet dieses Wochenende bereits das 27. Österreichische Spielefest im Austria Center Vienna nahe der UNO City statt. Mit 60.000 Besuchern an drei Tagen ist das ebenfalls kein Hinterhoftreffen mehr.
www.spielefest.at/
Aber wie gesagt, die Massen spielen dann hierzulande doch lieber unverkleidet und ungeschminkt "Die Siedler von Catan" oder "Carcassonne" oder andere neue Spiele des Jahres.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles