Sieben gegen die Hölle - Torven Farbauti 6. Teil
Sieben gegen die Hölle
Torven Farbauti (Folge 6)
„Ich kenn‘ die Ecken, die man meiden sollte, wenn man `ne ruhige Kugel schieben will. Alles unnötiger Ärger, den man mit Voraussicht vermeiden kann. Ich mein, näh, die wissen zwar alle, dass mit mir nicht gut Kirschen essen is, und die meisten Saftsäcke da draußen machen auch `nen großen Bogen um mich, aber ich bin nich‘ so erpicht jeden Tag `n paar Schädel einzutreten, verstehste?“
Bicker schob einen Snickers zwischen seine wulstigen Lippen und verschluckte ihn ohne groß zu kauen. Anwärter Kellermann nickte ihm unsicher zu. Zustimmung schien ihm in diesem Augenblick schwer angeraten zu sein.
„Du weißt schon, näh, wenn einer dieser Scheißer mir an’s Bein pissen will, dann reiß ich ihm das Arschloch auf. Mein Schlagring hat schon so manche Nase zermatscht. Aber ich muss mich auf dich verlassen können, Jungchen. Biste bereit jemanden mit dem Knüppel die Eier zu zertrümmern, hm, häh, biste das?“
„Ich …äh …“. Die Sache mit dem Knüppel und den Eiern machte Kellermann doch ein wenig zu schaffen.
„Wennste mein Partner sein willst, Jungchen, dann musste schon `ne Ecke Charakter zeigen. Eh, wa?!“
Bicker zermatschte einen Nuss-Schoko-Riegel zwischen seinen schiefen Zähnen, die der Heilige Gral eines jeden Kieferorthpäden waren.
„Na, ich hoff’s wird schon, wa. Lass uns ma’n Happen zwischen die Kauleisten schieben. Ich hab Mordskohldampf …“
„Aber sie haben doch grad eben ein Riesenbaguette mit Wurst und Käse gegessen?“
„Häh, das war doch für’n hohlen Zahn. Komm, wir geh’n rein in die Bude. Ich hab‘ Geschmack auf’n Eier-Fritten-Burger mit schön Speck und Bockswürstchen …“
„Sowas haben die im Programm? Eier, Fritten, Speck und Bockwurst auf einem Burger?“ Kellermann war aufrichtig schockiert.
„Haben die extra wegen mir in die Karte genommen. Nett, wa? Na, wennste jemanden die Fresse polieren musst, dann brauchste `ne rustikale Unterlage im Parterre!“
Bicker wuchtete seine gewaltige Plauze aus dem Dienstwagen heraus, der dies mit einem elendigen Knarzen quittierte. Bickers Hosengürtel wurde dabei gefährlich und bis an seine Belastbarkeitsgrenze beansprucht.
Gerade als Bicker den Diner mit seinem ausladenden Gang betreten wollte, krachte ein ziemlich großer Kerl durch die Wand des Ladens, und zwar mit solch brachialer Wucht, dass die Ziegel und der Putz wie Pistolenkugeln durch die Luft sausten.
Bicker machte erschrocken einen Satz rückwärts, wobei sein enormer Bauch eine fettige Welle rollte. Er grunzte ein ‚Hui‘, wobei er mit seinem Hinterteil den halb so schweren Kellerman, der hinter ihm gelaufen war, zu Boden katapultierte.
Der Mann, der durch die Wand geflogen war, rappelte sich wundersamerweise hustend wieder hoch. Eine zersplitterte Sonnenbrille hatte sich in seine hässliche Visage gebohrt, und eine breiige Creme war mit der Konsistenz eines geplatzten Frosches auf seiner Gesichtshaut aufgetragen.
Bicker glaubte Dampf von seiner Gesichtshaut aufsteigen zu sehen, aber das musste wohl auf den Schreck zurückzuführen sein, der ihm mächtig ins Gebälk gefahren war.
Mit einem Fluch, der sonderbarerweise etwas mit Ameisen zu tun hatte, rappelte sich der Riese wieder hoch, klopfte sich den Mörtel von den Klamotten und stürmte wieder durch das Loch der Wand ins Gebäude zurück.
„Wa …wa … was war denn das?“, stammelte Kellermann verdattert und fummelte hektisch an seinem Pistolenhalfter.
„Jungchen, ich hab‘ keinen blassen Schimmer. Komm‘, lass mich dir aufhelfen und dann werfen wir’n Blick in die gute Stube.“
„Sie … Sie wollen wirklich da rein? Der ... der Mann ist durch eine massive Ziegelmauer geworfen worden. Seine sämtlichen Knochen hätten gebrochen sein müssen, aber den Kerl schien das nicht sonderlich gejuckt zu haben. Wir müssen Verstärkung rufen, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.“
„Sicher, sicher, Jungchen. Ich ruf schon Verstärkung. Aber wir müssen nachsehen, was da drin los ist. `Ne normale Schlägerei scheint das ja nicht zu sein.“
Gerade als Bicker Kellermann wieder auf die Füße half, flog der große Kerl an einer anderen Stelle wieder durch die Diner-Wand.
Diesmal kam er nicht wieder so schnell auf die Füße. Er spuckte eine Ladung Blut aus und krabbelte auf den Knien wieder auf das Diner zu.
„Eins muss man dem Knaben lassen: er hat Ausdauer!“, murmelte Bicker.
Er lehnte den wackligen Kellermann gegen den Kofferraum Ihres Wagens und lief dem krabbelnden Riesen hinterher.
Im Innern des Diners waberten Dunstschleier, die Bicker an Nebel erinnerten, was natürlich Unsinn war, da im Freien kein Fetzen Nebel zu sehen war. Wie sollte also Nebel in die Innenräume des Diners geraten?
Etwas krachte und Bicker hörte Holz splittern. Ein dumpfer Schmerzenslaut ertönte, und schon stolperte durch den Dunst ein schlacksiger Mann in Punkklamotten und Stachelfrisur auf ihn zu. Der Kerl hatte, genauso wie der Riese, eine dicke Paste in der Visage kleben, wobei die Paste durch eine Menge Blut verschmiert wurde, das aus seiner zertrümmerten Nase und einigen Risswunden im Gesicht strömte. Hinter ihm wirbelte eine kleine Gestalt durch den Dunst. Seine Arme verschwammen bei jeder Bewegung und er bewegte sich wie ein verdammter Teufelsderwisch.
Dann rollte eine Welle die Luft entlang, die den Dunst wie eine nasse Tapete kräuselte, und die den Punker mit einem hässlichen Geräusch in den Rücken traf. Bicker hörte Knochen brechen – eine Unmenge an Knochen. Der Vorderleib des Punkers blähte sich wie ein unförmiger Luftballon, wobei besonders sein Brustkorb versuchte, aus seinem angestammten Platz auszubrechen. Der Punker klatschte vornüber auf den Boden, wobei er japsend Blut und Erbrochenes ausspuckte.
***
Die kleine Gestalt im Dunst schien derweil etwas zu suchen. Seine Hände griffen rasend schnell im Nebel umher, und schließlich packte er etwas Unsichtbares, das bei seiner Berührung plötzlich Konturen annahm.
Einige Nebelfetzen lösten sich auf, woraufhin Bicker einen Blick auf den kleinen Kerl werfen konnte. Er hatte hellblondes Haar, eine ondulierte Mähne, die von einem überkandidelten Friseur kreiert sein mochte. Seine Augen glitzerten wie blankpolierte Silbermünzen, und sein Gesicht hatte einen derart betäubenden Liebreiz, dass es Bicker ganz warm ums Herz wurde.
Er hielt einen dünnen Mann am Wickel, der einen dieser neumodischen Kinnbärte trug. Der kleine packte den Dünnen am Hals, als würde er eine Spielzeugpuppe schütteln.
Bicker hatte gar nicht gemerkt, dass er seine Dienstwaffe gezogen hatte.
„Eh! Lass das Jungchen mal ganz schnell los. Hast du gehört?“
Der Kopf des kleinen Kerls drehte sich langsam in Bickers Richtung. Seine unheimlichen Augen bohrten sich in den Polizisten wie silberne Stacheln. Er merkte, wie die Waffe in seiner Hand warm wurde. Und Sekunden später hielt er einen rotglühenden Klumpen, der mit seiner Hand verschmolz.
Bicker brüllte wie am Spieß und versuchte, das glühende Metall von seiner Hand zu schütteln, was ihm aber nicht gelang.
Der Schmerz war so grausam, dass er sich einnässte, bevor er ohnmächtig wurde.