Zum zweiten Robert-Kraft-Symposium - Leipzig 12. und 13. Mai 2018
Zum zweiten Robert-Kraft-Symposium
Leipzig 12. u.13. Mai 2018
Wenn heute regelmäßige Zauberspiegel-Leser und Zaungäste der Seite beim Namen Robert Kraft wissend nicken und den Namen wenigstens einigermaßen zuordnen können, ist das ein Verdienst des selbstlosen Leipziger Kraft-Kenners und Hobby-Kraft-Forschers Thomas Braatz, der zusammen mit dem Wiener Verleger Walter Mayrhofer (der auch diesmal anwesend war) eine sehr verdienstvolle Ausgabe seltener Texte erstellt hat – ganz zu schweigen vom großartigen Bibliographie-Band, den er selbst erstellte und der Sekundärliteratur zu Kraft und anderen Textausgaben, die er betreute oder ermutigte. Es wird die Kenner der Szene kaum überraschen, dass er auch diesmal Fadenzieher und Organisator des Treffens war.
Die Einladung war für mich zunächst mit einer kleinen Enttäuschung verbunden – anstatt, wie beim ersten Mal in der gediegenen Nationalbibliothek zu tagen, war das zweite Symposium in ein Restaurant mit dem völlig unpoetischen Namen „Futterkiste“ verlegt worden. War es mir als Freak schon vorher schwergefallen, Freunden und Familie die Seriosität meiner literarischen Ambitionen zu vermitteln, strahlte doch der Name „Nationalbibliothek“ eine gewisse Würde aus. Zu verkünden, man würde einen Vortrag in der „Futterkiste“ halten, war da wenig respekteinflößend und vertiefte womöglich noch den Verdacht, literarisch eher asozial auf völlig weltfernen Pfaden zu wandeln, als das es ihn zerstreute.
Am Ende allerdings erwies sich die Futterkiste als segensreich. Sollen die Leute doch denken, was sie wollen. Der Raum war groß genug, doch nicht zu groß, um Intimität auszuschließen, die Stimme trug auch ohne Mikros und vor allem stand man nicht unter den Druck, um 18 Uhr die heiligen Gefilde der Bibliothek verlassen und so die Diskussion im interessantesten Moment abbrechen zu müssen, wie beim letzten mal. Im Gegenteil, man konnte zwanglos zu dem übergehen, das in Deutschland gemeinhin als „geselliger Teil des Abends“ bezeichnet wird.
Etwa 50 Interessierte waren vor Ort, nicht grade ein Massenauflauf. Dennoch – oder grade deshalb - war das ein ziemlich intensives und vor allem hochkarätiges Symposium mit großen Koryphäen, deren Namen allein dem Fan der Genreliteratur das Wasser in die Augen trieben.
Zusammenkünfte zu einzelnen Autoren drohen schnell in Detailkrämerei zu versinken, wenn man nicht gegensteuert. Am Ende unterhält man sich über Kapitel 54 der Atalanta und ihren Bezug zu Kapitel 13 in „Loke Klingsor“. Hier hat Thomas Braatz klug gegengesteuert. Das Symposium brachte jede Menge Beiträge die nicht nur eng, sondern auch recht lose mit Kraft verknüpft sind – letzteres sind meist Themenkreise, die wenig erforscht sind. Außer Karl May gibt es nur noch einen großen Kolportageroman-Autor von Rang – nämlich Kraft. Das rechtfertigt einen neuen und gründlicheren Blick auf das Phänomen Kolportageliteratur. Gleich zwei Beiträge gab es dazu – Thomas Braatz lieferte ein detailgetreues und faszinierendes Porträt der berühmt-berüchtigten Münchmeyer-Verlags, der sowohl May als auch Kraft herausbrachte. Und Professor Manfred Nagl, Co-Autor der mittlerweile in Sammlerkreisen legendären einzigen Bibliographie zum Thema Kolportageroman, sprach über seine Zusammenarbeit mit dem Sammler Günter Kosch, der inzwischen verstorben ist.
Mein Faible für amerikanische Pulp Fiction ist hier im Zauberspiegel hinlänglich bekannt – ich sprach über den Pulp-SF Autor Richard S. Shaver und seine tagträumerischen Erzählungen aus den 40er Jahren, um einen Vergleich zu den Werken Krafts zu ziehen.
Selbst der Hauptbeiträger des Treffens war im Grunde eher ein Verbindungs-Drahtzieher als ein purer Kraft-Forscher – Arnulf Meifert stellte sein neues Buch über Robert Kraft vor und las zwischen den Vorträgen wie schon beim letzten mal markante Kraft-Texte.
Das voluminöse, über 500 Seiten starke Buch Meiferts intendiert nicht, neue harte Fakten zu Kraft zu präsentieren – sieht man einmal davon ab, dass hier eines neue Material zur Rezeption vorgestellt wird (Wollschläger, Mynona, Arno Schmidt) und viele Zitate auch für den versierten Kraft-Kenner neu sein könnten, denn selbst fanatische Liebhaber dürften sein umfangreiches Werk von über 40.000 Seiten nicht vollständig gelesen haben. Meifert ging es auch nicht so sehr um neue biographische Erkenntnisse – er grenzt sich bewußt von einer Biographie (die es bereits gibt) ab und erkundet das Kraft-Umfeld, ordnet sein Schaffen ein, reflektiert über Stil, Inhalte, Zeitströmungen und zieht Vergleiche zu anderen Autoren. Es ist das beherzte Werk eines Liebhabers, und doch nicht das eines Dilettanten. Der Schreibe ist elegant, sinkt nie in Fanzine-Kauderwelsch ab und schlägt einen weiten kulturhistorischen Bogen. Vieles ist polemisch formuliert, was in der Diskussion auch kritisch angemerkt wurde, aber genau das hat mir eigentlich am besten gefallen. Exakt das braucht es im Falle Kraft – ein Werk, an dem man sich reiben kann und das passagenweise zum Widerspruch einlädt. Eine kontroverse Diskussion ist dem Autor (ich meine Kraft, nicht Meifert) zur Zeit wahrscheinlich dienlicher als jede bierernste kühle Analyse. Meiferts Buch in der Edition Braatz/Mayrhofer ist durchaus eine schöne Einstiegslektüre in die Thematik Kolportage / Genreliteratur um 1900 / Abenteuerbücher. Das ist immer ein guter Prüfstein für Qualität: Man muß kein Kraftologe sein, um es genießen zu können, wird aber vielleicht einer nach der Lektüre.
Übrigens kam Kraft selbst auch nicht zu kurz. SF-Koryphäe Dr. Karlheinz Steinmüller war auch diesmal wieder mit dabei und sprach ausführlich über Krafts postapokalyptischen Roman „Die neue Erde“ - auch diesmal war der Vortrag fabelhaft vorbereitet und glänzend referiert wieder mit unbezahlbaren Seitenblicken auf Nachbarwerke des Subgenres „Apokalyptischer SF-Roman“ , und wenn ich anmerke, dass bei seinem Vortrag selbst bei mir als Liebhaber obskurer früher SF der Stift rauchte, um all die Autorennamen mitzuschreiben, die ich NICHT kannte, ist, denke ich, alles gesagt.
Abgerundet wurde das Treffen durch einen Bericht von Prof. Bernd Steinbrink über seine Begegnungen mit Robert Krafts Tochter Charlotte – er berichtete außerdem über Erfahrungen mit dem Karl May-Verlag in den 1970er Jahren (der Robert Krafts Nachlass besitzt, oder sollte man sagen besaß – er ist nicht mehr auffindbar.).
Ich finde die Tendenz des Treffens erfrischend und richtungsweisend. Sollte den Fans nicht die Luft ausgehen, würde ich diese Mischung durchaus weiter pflegen und so eine Tür öffnen/offenlassen für Neugierige und Interessierte, die sich für das spezielle literarische Ambiente interessieren, deren Exponent Kraft ist. Hier könnte der Grundstein gelegt werden für eine endlich fällige Breiten-Erforschung von Abenteuer- und fantastischer Literatur der wilhelminischen Ära, die über die üblichen drei, vier Verdächtigen hinausgeht und sich mit dem Genre an sich beschäftigt. Das gleiche gilt für das Phänomen Kolportageroman (es gab mal Zeiten, da kannten Literaturinteressierte, wenn überhaupt, nur einen einzigen Titel dieser wunderbar subversiven und unterhaltsamen Gattung – Mays „Waldröschen...“) Der Wunsch, breitere Massen für das Werk Krafts zu interessieren, wird sich aber wahrscheinlich nicht realisieren, es wird ein kleiner Kreis bleiben, der für ihn brennt, aber dieses wichtige Netzwerk weiter lebendig zu erhalten, könnte eine zentrale Funktion des Kraft-Symposiums sein.