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Zeit für (konkrete) Utopisten

Zeit für (konkrete) Utopisten

Eine Utopie - im literarischen Verständnis verbinden sich damit Autoren wie Aldous Huxley oder George Orwell. Geprägt worden ist der Begriff der „Utopie“ jedoch durch das Werk „Utopia“ des Engländers Thomas Morus. Im Jahr 1516 veröffentlicht, in Deutschland unter dem Titel „Von der wunderbarlichen Innsel Vtopia genant“ 1524 erschienen, erinnert die Rahmenhandlung und ihre Inhalte an Gullivers Reisen (1726 erschienen): Ein Seemann, Raphael Hythlodäus, berichtet über seine Reisen – im speziellen über seinen Aufenthalt im Lande Utopia.

Viele literarische Werke aus dem Bereich Spannungsgenre spielen mit dem Begriff der Utopie – sie entwickeln ein Bild einer zukünftigen Gesellschaft. An vorderster Stelle in der utopischen Literatur steht natürlich Thomas Morus selbst, danach gleichauf Aldous Huxley und George Orwell. Meiner Ansicht nach gehört auch Gullivers Reisen von Jonathan Swift in gewissen Grenzen in diesen Bereich. Leider wird gerade Letzterer gerne als reiner Jugendroman wahrgenommen und verliert so an Ausstrahlung. Wer einmal die Verfilmung von 1996 mit Ted Danson gesehen hat, bekommt eine Ahnung der Wirkung, die das Buch bei seiner Veröffentlichung gehabt haben wird.

Spannend ist, dass es einige Internetplattformen gibt, die sich dem Thema Utopie zuwenden und Zukunftsentwürfe versuchen literarisch zu verarbeiten.

FCover Pendoasziniert war ich von zwei Büchern aus dem Pendo-Verlag, die ich vor einigen Tagen entdeckt habe. Sie brachten mich auf das Thema der Utopie allgemein und der konkreten Utopie im Speziellen, auf die ich eingehen will.

 

Mach dir die Welt, wie sie dir gefällt (gebunden), Text: Anni Fari, Erschienen Oktober 2007, 256 Seiten, 12,90 Euro, ISBN-13: 978-3866128101

 

 

Einfach die Welt verändern. 50 kleine Ideen mit großer Wirkung (Broschiert) von Eugénie Harvey (Autor), David Robinson (Autor), 112 Seiten, 2., Aufl. 22. Februar 2006, ISBN-13: 978-3866120754

 

Beide Bücher: Verlag Littlependo

 

Die Geschichte von Thomas Morus spielt in der Zeit von Heinrich dem VIII., der 1509 den englischen Thron bestiegen hatte. Ein nicht weiter ausgeführter Ich-Erzähler wird nach einem Krieg zwischen Heinrich von England und Karl von Kastilien als „Sprecher“ nach Flandern geschickt, zusammen mit Cuthbert Tunstall als Begleiter. In Antwerpen hat er häufig Kontakt zu Petrus Aegidius, einen geborenen Antwerpener, der ihm schließlich jenen sonderbaren Seemann vorstellt. Und von diesem Seemann erfährt der Ich-Erzähler die wundersame Geschichte um Utopia.

 

sah ich ihn mit einem ältlichen Fremden sprechen, dessen Sonnenverbranntes Antlitz, herabwallender Bart, nachlässig über die Schulter hängender Reisemantel mir einen Schiffspatron zu verrathen schienen

 

 

Nachdem Thomas Morus im ersten Buch die Zustände in der ihm bekannten Welt darstellt, beschreibt der „Utopie zweites Buch“ seine Vorstellung einer idealen Welt. 

 

Die Insel Utopia erstreckt sich in der Mitte, wo sie am breitesten ist, zweihunderttausend Schritte weit, eine Breite, die durch die ganze Insel nur wenig schmäler wird, und nimmt gegen die beiden Enden zu allmählich ab. Das ergibt einen Umfang von fünfhundert Meilen, bei der Gestalt des aufnehmenden Mondes, den die ganze Insel hat.
Zwischen dessen Hörnern bildet das Meer eine etwa zehn- bis elftausend Schritte breite Seebucht, die, da die Umgebung rings Land ist, die Winde abhält und wie ein nicht heftig bewegter, sondern mehr stagnirender See erscheint, wodurch der ganze Raum innerhalb dieses Beckens als eine Art Hafen sich darstellt, in dem zum großen Nutzen der Bewohner Schiffe nach allen Richtungen verkehren.

Zurückhaltend in der Sprache, wenig ausschweifend und sehr detailliert beschreibt er das Leben der Menschen dort, die politischen und gesellschaftlichen Zustände, ihre Haltung zu Religion, Arbeit, Krieg und Sklaverei. So schafft er einen Gegenentwurf zu der ihm vertrauten Gesellschaft, die ihm nicht ausreichend erscheint und legt seine Vorstellungen und Wünsche in das Volk der Utopier. 

 

Auch Plato oder Francis Bacon haben Utopien geschaffen, ebenso gibt es – sehr bekannt – die Anti-Utopien wie „Brave New World“ oder „1984“. Diese beschreiben - teilweise sehr drastisch - eine Horror-Version von Zukunft, in der der Mensch nur Verschiebemasse der Herrschenden ist.

Allen Utopien ist gemein, dass sie politische und soziale Vorstellungen abbilden, die in die Zukunft gerichtet sind. Diese Bilder einer fortschrittlichen Gesellschaft können idealisierte Wünsche ausdrücken oder eben Befürchtungen von Chaos und Angst. Ich erinnere mich noch sehr gut an die fast schon hysterischen Zustände als das Jahr 1984 immer näher rückte und die analysierende Frage ob es denn schon geschehen sei und wir bereits in einer Welt der Kontrolle und Überwachung leben.Kritiker mögen anmerken, dass Utopien unnütz sind, denn sie drücken einen Zustand aus, der – und das macht schon der Ursprung des Begriffs Utopie deutlich – nicht umsetzbar ist. Damit haben diese nicht einmal Unrecht. Dies ändert sich, wenn man in den Bereich der konkreten Utopie geht. Hier analysiert man bestehende Zustände in Gesellschaft und Politik, betrachtet das Hier und Heute sowie mögliche Tendenzen und geht dann weiter und entwickelt neue Ziele und die Mittel um dorthin zu gelangen.

 Die Utopie wird hier eine Methode Misstände anzuprangern - und gleichzeitig einen Gegenentwurf anzubieten.

CoverAnders arbeiten die beiden oben genannten Bücher aus dem Littlependo-Verlag. Sie nähern sich der konkreten Utopie, wenn sie auch diesen Begriff selbst nicht in den Mund nehmen. Überhaupt sind sie erfrischend undogmatisch. Es geht auch weniger um den "Zustand nach einer real möglichen Gesellschaftsveränderung" (Def. "konkrete Utopie" aus Wikipedia), als darum, wie man konkret Einfluss nehmen kann. Sie geben konkrete Tipps und Anleitungen, wie man damit beginnen kann, seine Utopie einer (besseren) Welt in die Tat umzusetzen. Das ist es, was mich an den beiden Büchern so begeistert. Sie entwerfen keine umfassenden neuen Welten, sondern geben konkrete Hinweise, wie man mit kleinen Mitteln Dinge bewegen und verändern kann.  

Sie sind hervorragend gestaltet und machen optisch einfach eine Menge her. Poppig, bunt, ansprechend … Für mich waren diese beiden Bände ein echtes „Aha“-Erlebnis. Da der moralische Zeigefinger fehlt, keine langatmigen Erklärungen und Theorien ausgebreitet werden, sondern einfach zum Handeln anregen wollen. Sie sind - in gutem Sinn - ein Ausdruck von Pop- und Spaßkultur.

 

Sicher, sie sind nichts für tiefschürfende Theoretiker, ernsthafte Weltverbesserer und Philosophen. Munter werden die verschiedensten Weltanschauungen fröhlich gemixt und zu einem ziemlich wüsten Haufen an Wertesuppe. Auch das ist natürlich ein Ausdruck von moderner Kultur, einer immer größer werdenden Multiethik, in der Religionsansätze und Moralvorstellungen   immer mehr ineinander driften und "egal" - im eigentlichen Bedeutungsbegriff von "gleichwertig" - werden. Die Intention diese beiden Bände (und des einen oder anderen Bandes aus der Sparte "Littlependo" ist es aber auch gar nicht, sich auf die eine oder andere religiöse Seite zu schlagen. Sie wollen sich dem Verlust von Werten entgegen stellen und die Welt verändern. Insofern kann man sie durchaus als konkrete Utopien bezeichnen.

Sie machen deutlich, dass die Welt nicht dadurch besser wird, dass wir darüber reden wie schrecklich sie ist. Dass es nicht genügt darauf zu warten, dass die große Politik und Wirtschaft etwas ändern, sondern dass dies hier mir vor den Füßen anfangen kann. Im Sinne von „Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten …“ 

(...) so muß ich doch ohne weiteres gestehen, daß es im utopischen Staatswesen eine Menge Dinge gibt, die ich in anderen Staaten verwirklicht zu sehen wünsche.
Freilich wünsche ich das mehr, als ich es hoffe. (Ende von "Utopia") 

Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006.
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

 

Thomas Morus zitiert nach http://www.zeno.org, Der Text folgt der Übersetzung von Ignaz Emanuel Wessely von 1896.

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