Brauchts das? - Die dritte Dimension
Die dritte Dimension
Ein kleiner technischer Exkurs:
Es war tatsächlich schon 1890, als die erste erfolgreiche Projektion eines dreidimensionalen Films zum Patent angemeldet wurde. Im Lauf der Jahre tat sich einiges mit weiteren Patentanmeldungen, wie zum Beispiel einem Kamerasystem für 3-D-Aufnahmen. Doch der Aufwand für die Vorführung versprach dem durchaus interessanten Medium nicht gerade eine rosige Zukunft.
Einen Tritt in den Hintern der Stereoskopie gab das Jahr 1922. Der allererste Spielfilm, der kommerziell in 3-D einem Publikum vorgeführt wurde, hieß POWER OF LOVE. Hinzu kamen neue Aufnahmetechniken und Vorführstandards, die die Entwicklung vorantrieben. Aber noch immer schien das Publikum nicht bereit. Alle sogenannten Pioniere des Films experimentierten, filmten, präsentierten. Die Studios mischten kräftig mit und so wurden immer wieder vereinzelt rot-grüne Besonderheiten auf die Zuschauer losgelassen, manchmal auch in rot-cyan. Die Einigung auf Standards war damals schon eine heikle Angelegenheit.
Als Wendepunkt in der Akzeptanz des Publikums und im allgemeinen Fortschritt für den 3-D-Film gelten zwei Namen: Bwana Devil und Natural Vision. Das eine war der Film, das andere sein Aufnahmeverfahren. Zuvor wurden nur Farbaufnahmen gemacht, um die zwei notwendigen Farben Grün und Rot zu erhalten, oder auch Cyan und Rot (streiten wir nicht darüber). Natural Vision machte es erstmals möglich, einen 3-D-Film in Farbe zu zeigen. Notwendig dabei war die Vorführung mit zwei synchron laufenden Projektoren. Wer eine ausführlichere Abhandlung über Natural Visions Verfahren wünscht, schickt bitte einen frankierten Rückumschlag nach Nimmerland.
1952 kam BWANA DEVIL in die Kinos. Zuschauer nickten heftig zustimmend, Kritiker schüttelten kräftig ablehnend den Kopf. Kopfschmerzen bekamen beide Gruppen. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Kino und Zuschauer. Das Ziel war kurzzeitig erreicht, die Menschen ließen den Fernseher einfach aus und frönten dem Gemeinschaftserlebnis 3-D. Ein halbes Jahr später folgte HOUSE OF WAX, was dem Trend Vorschub leistete. Ein Film, dessen Regisseur Andre De Toth im Übrigen auf einem Auge blind war. Unaufhaltsam sprang nun allerlei Sinniges und Unsinniges in den Schoß des Publikums, die Freude war groß, das Gekreische war größer. Und immer wieder Hände im Zuschauerraum, die nach Objekten griffen, die es nur auf der Leinwand gab.
Der Spaß war kostspielig, aufwendig und ermüdend. Cinemascope hielt gegen den 3-D-Trend, war billiger und erzielte fast schon ein plastisches Bild, allerdings ohne brummenden Schädel. Die hohe Zeit von spaßigen 3-D-Abenteuern währte nicht lange. DIE RACHE DES UNGEHEUERS, der zweite Teil aus der SCHWARZEN LAGUNE, markierte offiziell das Ende des eigentlich immer noch lukrativen Geschäfts. Weiterhin versuchten natürlich die einen oder anderen Filmemacher über die Jahre, den Effekten Neues zu entlocken, aber der Boom ließ sich einfach nicht noch einmal entfachen.
Als VHS die Menschheit überrannte, glaubten einige Studios, besonders findig zu sein, und griffen in die alte Spielzeugkiste. Die Technik hatte sich wesentlich gebessert, aber eine mechanische Vorführung bedeutete nach wie vor einen nicht stabilen Bildstand. 1981 flog DIR ALLES UM DIE OHREN und zog ein armseliges Häufchen von uninspirierten Lustlosigkeiten hinter sich her. Als Exempel soll hier nur die Frechheit AMITYVILLE III-D genannt sein. Mit solchen Dingen konnte man keinen erneuten Trend heraufbeschwören. Ob das anspruchsvollere Publikum für einen neuen Boom bereit gewesen wäre, lässt sich deshalb nicht sagen.
Während in den Fünfzigerjahren für den dreidimensionalen Effekt zwei synchronlaufende Projektoren den Film projizierten, griff die zweite Welle in den Achtzigerjahren auf das schon bereits in den Sechzigern erfolgreich genutzte SINGLE-STRIP-Verfahren zurück. Beide Filmbilder, das für das linke Auge und das fürs rechte Auge, wurden auf zusammen auf ein normales Filmbild kopiert. Mit Hilfe eines speziellen Objektivs wurden diese zwei separaten Bilder deckungsgleich auf die Leinwand geworfen. Für den Effekt sorgten Polarisationsbrillen, welche die wunderbaren Rot-Grün-Brillen ablösten. Okay, nur einmal, um das schöne Wort unterzubringen: Anaglyph. Anaglyph bezeichnet man die Rot-Grün-Technik. Dagegen lässt sich Polarisation besonders im betrunkenen Zustand besser aussprechen. Doch im Prinzip passiert ja bei jedem benutzten System sowieso das Gleiche. Der Filter vor dem linken Auge lässt das Bild, das für das rechte Auge bestimmt ist, verschwinden. Und natürlich umgekehrt. Ersteres hatte mit Farbtrennung zu tun, letzteres benutzt die Brechung der Lichtwellen.
Die erhoffte zweite kommerzielle Welle ging in die Hose. VHS blieb auf dem Vormarsch und die Kinos erlebten keinen erwünschten Aufschwung. 3-D war diesmal eine Totgeburt und entwickelte sich prächtig weiter.
Mit der digitalen Projektion und dem Real-D-Verfahren hat der 3-D-Film schließlich ein Stadium erreicht, das trotz notwendiger Brille als perfekt zu bezeichnen ist. Schon IMAX hatte mit seinem riesigen Bildformat und der Geschwindigkeit von 48 Bildern pro Sekunde dem Sehvergnügen in der dritten Dimension deutlichen Vorschub geleistet. Doch digital projiziert scheinen alle Hindernisse aus dem Weg geräumt. Keine Schwankungen im Bildstand mehr, dank der LCD-Projektoren von Texas Instruments und Sony. Zudem eine vielfach höhere Bildfrequenz von 144 Bildern pro Sekunde, oder besser gesagt 72 Bildern pro Sekunde pro Auge. Um natürliches Sehempfinden zu imitieren, wird in jeder Sekunde das Filmbild abwechselnd links und rechts jeweils dreimal hintereinander wiederholt. Brille muss aber weiterhin sein.
Braucht es das wirklich?
Wie alle Neuerungen, die dem Kino gegenüber dem heimischen Vergnügen zum Vorteil gereichen sollen, wird sich 3-D zwangsläufig auch des eigenen Heims bemächtigen. Kostengünstige Videobeamer und 5.1-Anlagen kann man ja schon fast als Standard bezeichnen. Nun will sich die Filmindustrie dieser uralten Vorstellung vom perfekten Bild bedienen, um eine Bindung zwischen Zuschauer und Erstverwertung zu schaffen. Kino ist ja längst nicht mehr das Alleinstellungsmerkmal, sondern nur noch das erste Glied in der Kette wirtschaftlicher Abfolgen.
Selbstverständlich überzeugt die Technik, der Film als solcher aber noch nicht. CHICKEN LITTLE und MONSTER HOUSE waren seinerzeit als normale Flachware entwickelt und produziert worden. Erst im Nachhinein erschuf der Computer die dritte Dimension in diesen Animationsfilmen. Im Übrigen wird den zwei TOY STORY-Filmen dieselbe Ehre zuteil, bevor Nummer drei 2010 in die Kinos kommt. Doch 3-D ist weit mehr als nur der Effekt, dem Zuschauer allerlei Dinge um die Ohren fliegen zu lassen.
Zum einen gibt es da die Schnittrate, die wesentlich niedriger ausfallen muss. JOURNEY 3-D haftet der Makel an, nach den heutigen Standards der Kinounterhaltung geschnitten zu sein. Das Hirn hat kaum Zeit, nach jedem Schnitt das neue Bild in seiner Dreidimensionalität zu erfassen. Die BOURNE-Serie wäre schon mal komplett aus dem Geschäft. Es wird immer behauptet, dass sich die Schnittrate im Lauf der Jahre dem Empfinden des Publikums angepasst hätte, was stimmen kann. Für 3-D ist dies allerdings nicht umsetzbar. Zumindest nicht in dem Sinne, wie es eingesetzt werden müsste. Kann das Auge in einem realen Umfeld extrem schnell Bewegungen erfassen, bleibt eine 3-D-Projektion immer noch eine künstliche Situation, die Bild für Bild erfasst und verarbeitet werden muss. Man darf nie vergessen, dass die filmische dritte Dimension eine optische Illusion ist, die räumliches Sehen nur simuliert.
Ob künstlich oder nicht, so etwas wie die dritte Dimension ist da. Plötzlich werden Hintergründe wichtig. Was auf einem flachen Bild nebensächlich wirkt, bekommt mit einem Mal eine optische Relevanz. Ganze Sets und Ausstattungen gewinnen an handlungsorientierter Bedeutung, die in den Entwicklungsstadien der Vorproduktion bisher vernachlässigt werden konnte. Natürlich kann man das aber auch ignorieren, was dem Endprodukt allerdings abträglich sein wird. Ein von bloßen Effekten befreiter, funktionierender 3-D-Film lässt sich nicht auf höhere Equipment-Kosten reduzieren, sondern gestaltet sich durch eine wesentlich intensivere Ausarbeitung von Drehbuch, Vorproduktion und Handlungselementen.
Hitchcock weigerte sich anfangs BEI ANRUF MORD DIAL M FOR MURDER in 3-D zu drehen, allerdings setzte sich Warner als produzierendes Studio einfach mal so durch. So entstand der bis dato erste 3-D-Film, der das Medium richtig zu nutzen verstand. Der gesamte Film stellt die wenigen Drehorte in ihrer dreidimensionalen Natürlichkeit vor und verzichtet auf die üblichen Effekte, bis zum Showdown. Der Zuschauer sollte in den ersten 90 Minuten so an das räumliche Sehen gewöhnt werden, so dass Grace Kellys Griff nach der Schere als einziger Effekt die Grenzen zum Zuschauerraum explosionsartig sprengte. Aber nur ein einziges Kino in Tennessee spielte DIAL M FOR MURDER für gerade mal drei Tage in 3-D. 3-D als Synonym für 3-days sozusagen. Tatsächlich wurde 1954 in allen Tagespressen der Film noch drei Tage vor Start in 3-D angekündigt. Warners Entscheidung für die Flach-Kopien fiel am darauffolgenden Tag. Bis auf das besagte Kino, das falsch beliefert wurde, kam es seinerzeit zu keiner Aufführung in 3-D. Das muss eine logistische Meisterleistung gewesen sein, die Kopien derart schnell zu tauschen.
Aber genau in die Richtung, in der Hitchcock seinen einzigen 3-D-Film konzipierte, müssen die Filmemacher nun denken, sonst wird aus dieser dritten Welle wieder nur ein flaches Vergnügen. Natürlich kann es auch weiterhin die Axt schwingenden Massenmörder geben, die sinnfrei Mordinstrumente und Gedärm ins Publikum werfen, aber darin liegt keine Zukunft. Mit großen Sprüchen kündigt James Cameron seinen AVATAR an, der, so der Großmeister, das Sehen und Erleben mit 3-D revolutionieren soll. Der Mann nimmt ja gerne den Mund recht voll. Doch wenn irgendjemandem, dann ist es James Cameron zuzutrauen, diese Revolution anzuführen.
Im Augenblick sind allein aus Amerika über 30 Spielfilme in Digital-3-D angekündigt. Beweisen muss sich jeder einzelne. Eine Notwendigkeit für den Einsatz dieser Technik wird bei den wenigsten Produktionen gegeben sein.