Fantasy Filmfest 2009 - Die lange Tupper-Nacht
Fantasy Filmfest 2009
Teil 3:
Die lange Tupper-Nacht
Aber es wird keiner schlapp machen, weil DISTRICT 9 in weniger als einer halben Stunde beginnet. Es ist einer dieser Filme, den sich die Festival-Macher geholt haben, bevor der große Hype begann. Lange bevor andere erkannten, dass es sich hier um eine Perle handelt.
Vor mir schlurft ein kleiner dicker Mann vorbei, der seine aus dem Internet ausgedruckten Eintrittskarten sortiert. Es ist so eine Aktenmappe, die mir auf diesem Festival schon oft aufgefallen ist, bei diversen Leuten. Andere sortieren sich selbst. Anscheinende Kumpel haben ebenso anscheinend keine Plätze nebeneinander bekommen. Einer verteilt Karten: Du gehst rüber auf die andere Seite in die und die Reihe, wir sitzen dann oben bei Platz so und so."
In der lockeren, großen Wartetraube schaut mich eine vollkommen überforderte Frau an und sagt: Ich wollte gestern Nacht noch den anderen sehen, aber hab mich dann doch umentschieden. Bevor ich fragen kann, welche Filme sie eigentlich meint, bemerke ich, dass sie gar nicht mit mir redet. Sie sieht durch mich hindurch und redet mit ihrer Freundin. Schade, ich hätte mich gerne auf ein Gespräch eingelassen.
Es sind Aussagen und Nöte, mit denen man mit fortschreitendem Festival immer öfter und energischer konfrontiert wird. So sehr die Besucher das Festival mit seinen über siebzig Filmen in nur acht Tagen zu schätzen wissen, ärgern sie sich aber auch über jeden verpassten Film. Außer an Eröffnungs- und Abschlussabenden laufen immer zwei Filme zeitgleich. Da muss man eben durch. Das von der Festivalleitung gestaltete Programmheft preist sowieso jeden Film als sehenswert an, also muss man sich bei der Auswahl auf seinen Instinkt und seine Vorlieben verlassen können.
Ob müde, überfordert oder gestresst, der guten Stimmung scheint es keinen Abbruch zu tun. Ich beneide diese Freaks (liebevoll gemeint). Mehr als zwei Filme am Tag könnte ich nie verarbeiten. Geschweige denn zwei Filme an jedem der acht Tage. Ich nehme mir vor, das im Winter mit DVDs zu trainieren.
Wer sich auf YouTube ALIVE IN JOBURG von Neill Blomkamp angesehen hat, der weiß nicht nur was ihn erwartet, sondern der will DISTRICT 9 auf keinen Fall verpassen. Aber was den neugierigen Zuschauer tatsächlich erwartet, ist doch um so vieles anders. Rudi Fürstberger bittet in seiner Funktion als Programmdirektor des Festivals bei der Anmoderation das Publikum nur, die Kameras in den Taschen zu behalten. Man wolle es sich nicht mit den Verleihern verscherzen, denn DISTRICT 9 wird zwei Wochen vor den meisten Europastarts gezeigt. Sonst sagt Fürstberger nichts weiter, er weiß, dass dies der geheime Festivalhöhepunkt sein wird, und das bedarf keiner großen Erläuterungen mehr.
Noch bevor es dunkel wird, vernehme ich das Öffnen und Schließen einer Dose. Ich drehe mich um und sehe einen Typen kräftig in eine Karotte beißen. Aha, Selbstversorger.
Neill Blomkamp hat einen sehr einfachen Film gedreht. Da gibt es in seiner Erzählung keine großen Wendungen, keine wirklichen Überraschungen. Der Film selbst ist eine Überraschung, denn er konzentriert sich so konsequent auf seine eigene Geschichte, dass sich Parallelen zu Südafrikas Apartheidpolitik noch viel stärker herausgearbeiten werden. Doch weder Regie noch Drehbuch heben während des Filmes einen moralischen Zeigefinger, was bei einem US-amerikanischen Film wahrscheinlich zwangsläufig erfolgt wäre.
Die Prawns (Krabben) genannten Außerirdischen sind im Township District 9 abgeschoben worden, als ihr Raumschiff vor einigen Jahren über Johannisburg havarierte. Man will sie nicht, diese stinkenden, ewig sabbernden, nach Katzenfutter geilen Aliens. Das ist nicht Spielbergs E.T., diese hier sehen hässlich aus und benehmen sich auch so. Man will sie nicht, also soll durch die MNU (Multi-National-United) das Lager für die über eineinhalb Millionen Prawns hundert Kilometer außerhalb der Großstadt errichtet werden. Mit der Räumung von DISTRICT 9 wird der linkische Wikus Van De MERWE beauftragt. Wikus-Darsteller Sharlto Copley ist auch kurz in ALIVE IN JOBURG zu sehen gewesen. So wie Blomkamp überhaupt bei DISTRICT 9 die Mannschaft ins Boot holte, mit der er auch die Vorlage realisierte.
Die ersten fünfzehn Minuten inszeniert Blomkamp als Dokumentation, ganz im Stile des eigenen Kurzfilms. Dann verlässt der Film langsam seinen erklärenden Einstieg. Die dazwischengeschnittenen Interview-Fetzen, die uns auf kommende Ereignisse neugierig machen, werden weniger und weniger. Aus dem schnellen Rhythmus einer Dokumentation schält sich eine ebenso flott vorangetriebene Spielfilm-Struktur, die es schafft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Der Film hat nur sehr wenig überflüssige Bilder, eigentlich kaum welche, verliert sich auch nie in Zeit schindenden Einstellungen, und er kommt ohne füllende Dialoge aus. Alleim Geschichte steht im Vordergrund, und so wird der Film auch vorangetrieben. Man könnte leicht am Showdown oder an einem sehr plakativen Bösewicht herum mäkeln. Tatsächlich aber hätte man hier mit ganz wenigen Handgriffen einen durchweg perfekten Film machen können.
DISTRICT 9 ist trotz dieser Einwände ein Film mit einer sehr eigenen, ungewohnten Sprache. Er überrascht damit, wie er dieses Thema umsetzt. Er überrascht damit, wie er mit seinem Helden umgeht. Er überrascht durch sein Feingefühl, die Erwartungen des Publikums immer ein klein wenig zu übertrumpfen. Nicht, das Optik, Schnittrate oder Darstellung etwas völlig Neues zeigen würden, aber es ist immer die Mischung, die es ausmacht. Und diese Mischung hat Blomkamp bei seiner Inszenierung perfekt getroffen.
Das Publikum quittiert es mit tosendem Applaus noch während der Abblende zu den Titeln. Und kaum wird das Zusammenschlagen der Hände beendet, öffnet sich wieder eine Dose, diesmal vor mir. Tupper, hab ich es mir also gedacht. Ist mir in den Jahren zuvor so etwas aufgefallen? Könnte ich nicht behaupten. Also zum Weizenbier das mitgebrachte Gemüse, oder das Obst. Während des Abspanns ist der Saal schon hell und ich sehe mich um. Ein paar Reihen weiter hinten kaut jemand auf seiner Butterstulle.
Bei allerhöchstens dreißig Minuten zwischen den einzelnen Vorstellungen muss man gerüstet sein. Ganz vorne sitzt eine etwa Zwanzigjährige, voll gepierct und Tätowierung auf der Schläfe. Ihre zerrissenen Netzstrümpfe zeugen bestimmt nicht von Armut, sondern von ihrem Stil. Ich stelle mir das Mädchen gerade vor, wie sie auf einer Tupperware-Party eine Brotdose für das Fantasy Filmfest 2010 erwirbt.
In der lockeren, großen Wartetraube schaut mich eine vollkommen überforderte Frau an und sagt: Ich wollte gestern Nacht noch den anderen sehen, aber hab mich dann doch umentschieden. Bevor ich fragen kann, welche Filme sie eigentlich meint, bemerke ich, dass sie gar nicht mit mir redet. Sie sieht durch mich hindurch und redet mit ihrer Freundin. Schade, ich hätte mich gerne auf ein Gespräch eingelassen.
Es sind Aussagen und Nöte, mit denen man mit fortschreitendem Festival immer öfter und energischer konfrontiert wird. So sehr die Besucher das Festival mit seinen über siebzig Filmen in nur acht Tagen zu schätzen wissen, ärgern sie sich aber auch über jeden verpassten Film. Außer an Eröffnungs- und Abschlussabenden laufen immer zwei Filme zeitgleich. Da muss man eben durch. Das von der Festivalleitung gestaltete Programmheft preist sowieso jeden Film als sehenswert an, also muss man sich bei der Auswahl auf seinen Instinkt und seine Vorlieben verlassen können.
Ob müde, überfordert oder gestresst, der guten Stimmung scheint es keinen Abbruch zu tun. Ich beneide diese Freaks (liebevoll gemeint). Mehr als zwei Filme am Tag könnte ich nie verarbeiten. Geschweige denn zwei Filme an jedem der acht Tage. Ich nehme mir vor, das im Winter mit DVDs zu trainieren.
Wer sich auf YouTube ALIVE IN JOBURG von Neill Blomkamp angesehen hat, der weiß nicht nur was ihn erwartet, sondern der will DISTRICT 9 auf keinen Fall verpassen. Aber was den neugierigen Zuschauer tatsächlich erwartet, ist doch um so vieles anders. Rudi Fürstberger bittet in seiner Funktion als Programmdirektor des Festivals bei der Anmoderation das Publikum nur, die Kameras in den Taschen zu behalten. Man wolle es sich nicht mit den Verleihern verscherzen, denn DISTRICT 9 wird zwei Wochen vor den meisten Europastarts gezeigt. Sonst sagt Fürstberger nichts weiter, er weiß, dass dies der geheime Festivalhöhepunkt sein wird, und das bedarf keiner großen Erläuterungen mehr.
Noch bevor es dunkel wird, vernehme ich das Öffnen und Schließen einer Dose. Ich drehe mich um und sehe einen Typen kräftig in eine Karotte beißen. Aha, Selbstversorger.
Neill Blomkamp hat einen sehr einfachen Film gedreht. Da gibt es in seiner Erzählung keine großen Wendungen, keine wirklichen Überraschungen. Der Film selbst ist eine Überraschung, denn er konzentriert sich so konsequent auf seine eigene Geschichte, dass sich Parallelen zu Südafrikas Apartheidpolitik noch viel stärker herausgearbeiten werden. Doch weder Regie noch Drehbuch heben während des Filmes einen moralischen Zeigefinger, was bei einem US-amerikanischen Film wahrscheinlich zwangsläufig erfolgt wäre.
Die Prawns (Krabben) genannten Außerirdischen sind im Township District 9 abgeschoben worden, als ihr Raumschiff vor einigen Jahren über Johannisburg havarierte. Man will sie nicht, diese stinkenden, ewig sabbernden, nach Katzenfutter geilen Aliens. Das ist nicht Spielbergs E.T., diese hier sehen hässlich aus und benehmen sich auch so. Man will sie nicht, also soll durch die MNU (Multi-National-United) das Lager für die über eineinhalb Millionen Prawns hundert Kilometer außerhalb der Großstadt errichtet werden. Mit der Räumung von DISTRICT 9 wird der linkische Wikus Van De MERWE beauftragt. Wikus-Darsteller Sharlto Copley ist auch kurz in ALIVE IN JOBURG zu sehen gewesen. So wie Blomkamp überhaupt bei DISTRICT 9 die Mannschaft ins Boot holte, mit der er auch die Vorlage realisierte.
Die ersten fünfzehn Minuten inszeniert Blomkamp als Dokumentation, ganz im Stile des eigenen Kurzfilms. Dann verlässt der Film langsam seinen erklärenden Einstieg. Die dazwischengeschnittenen Interview-Fetzen, die uns auf kommende Ereignisse neugierig machen, werden weniger und weniger. Aus dem schnellen Rhythmus einer Dokumentation schält sich eine ebenso flott vorangetriebene Spielfilm-Struktur, die es schafft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Der Film hat nur sehr wenig überflüssige Bilder, eigentlich kaum welche, verliert sich auch nie in Zeit schindenden Einstellungen, und er kommt ohne füllende Dialoge aus. Alleim Geschichte steht im Vordergrund, und so wird der Film auch vorangetrieben. Man könnte leicht am Showdown oder an einem sehr plakativen Bösewicht herum mäkeln. Tatsächlich aber hätte man hier mit ganz wenigen Handgriffen einen durchweg perfekten Film machen können.
DISTRICT 9 ist trotz dieser Einwände ein Film mit einer sehr eigenen, ungewohnten Sprache. Er überrascht damit, wie er dieses Thema umsetzt. Er überrascht damit, wie er mit seinem Helden umgeht. Er überrascht durch sein Feingefühl, die Erwartungen des Publikums immer ein klein wenig zu übertrumpfen. Nicht, das Optik, Schnittrate oder Darstellung etwas völlig Neues zeigen würden, aber es ist immer die Mischung, die es ausmacht. Und diese Mischung hat Blomkamp bei seiner Inszenierung perfekt getroffen.
Das Publikum quittiert es mit tosendem Applaus noch während der Abblende zu den Titeln. Und kaum wird das Zusammenschlagen der Hände beendet, öffnet sich wieder eine Dose, diesmal vor mir. Tupper, hab ich es mir also gedacht. Ist mir in den Jahren zuvor so etwas aufgefallen? Könnte ich nicht behaupten. Also zum Weizenbier das mitgebrachte Gemüse, oder das Obst. Während des Abspanns ist der Saal schon hell und ich sehe mich um. Ein paar Reihen weiter hinten kaut jemand auf seiner Butterstulle.
Bei allerhöchstens dreißig Minuten zwischen den einzelnen Vorstellungen muss man gerüstet sein. Ganz vorne sitzt eine etwa Zwanzigjährige, voll gepierct und Tätowierung auf der Schläfe. Ihre zerrissenen Netzstrümpfe zeugen bestimmt nicht von Armut, sondern von ihrem Stil. Ich stelle mir das Mädchen gerade vor, wie sie auf einer Tupperware-Party eine Brotdose für das Fantasy Filmfest 2010 erwirbt.
DISTRICT 9
Darsteller: Sharlto Copley, Jason Cope, David James, Vanessa Haywood, Mandla Gaduka, Kenneth Nkosi, Eugene Khumbayiwa, Louis Minnaar, William AllenYoung u.a.
Regie: Neill Blomkamp Drehbuch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell Kamera: Trent Opaloch Bildschnitt: Julian Clarke Musik: Clinton Shorter Produktionsdesign: Philip Ivey, Circa 111 Minuten, Neuseeland / 2009
Darsteller: Sharlto Copley, Jason Cope, David James, Vanessa Haywood, Mandla Gaduka, Kenneth Nkosi, Eugene Khumbayiwa, Louis Minnaar, William AllenYoung u.a.
Regie: Neill Blomkamp Drehbuch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell Kamera: Trent Opaloch Bildschnitt: Julian Clarke Musik: Clinton Shorter Produktionsdesign: Philip Ivey, Circa 111 Minuten, Neuseeland / 2009
Bildquelle: Tri-Star / Sony