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Amazing Pulps – der optische Aspekt - Teil 4: Zwischen Pulp und Hochglanz - Die Sonderform der Slicks

Amazing PulpsDer optische Aspekt Teil 4
 Zwischen Pulp und Hochglanz - Sonderform: Slicks

Meist rede ich ja hier über Texte. Doch was ist eigentlich mit der reißerischen optischen Seite der Pulp-Hefte?

Die meisten waren illustriert - und das nicht nur außen.

Eine kleine Reihe über die Bilderwelt der Pulps.

Slicks „Slick“ - das ist ein Wort, das sich als Substantiv in wenigen englisch-deutschen Wörterbüchern findet. Es ist eine Mischung aus Slang und Fachbegriff, einst einer ganzen amerikanischen Generation von Lesern bekannt – Der Begriff wird wohl auch heute zuweilen noch angewendet auf bestimmte Zeitschriften, obwohl die klassische Slick genauso ausgestorben ist wie das Pulp-Magazin.

Vergleichbar ist die Stellung des Wortes zwischen Slang und verknappter Genrezuschreibung etwa mit der des geläufigeren, weil immer noch quicklebendigen Begriffs „Soap“.

Natürlich heißt Soap Seife. Das Wort hat sich aber international längst losgelöst von der ursprünglichen Bedeutung einer Radioserie für die Hausfrau, in deren Werbepausen Reklame für Haushaltswaren gemacht wird und die oft von der Waschmittelindustrie gesponsert waren (Soap operas).   

Slick bedeutet glatt, poliert, aber auch gekonnt und raffiniert. Man kann es auch negativ konnotieren, es bedeutet auch glitschig und routiniert.

SlicksUnd damit trifft dieser Spitzname für ein Zeitschriften-Genre, das in den 1930er bis 1950er Jahren seine Hochblüte hatte, geradezu perfekt zu. All das waren die Slicks, professionell, elegant, glänzend, aber auch ein bißchen glitschig und von der Stange.

Ein Slick-Magazin ist eine Kreuzung aus Hochglanz-Magazin und Pulp. Sprich: Der Anteil der Fiktion, also Story und Fortsetzungsroman überwiegt deutlichst, die Sach-Artikel und Features wirken als Beigabe, als kleiner Bonus. Der (trivial)literarische Anteil ist zentral.

Das Papier ist glatt und glänzend, und – das ist entscheidend – die Geschichten werden üppig und farbenprächtig illustriert.

Diese Eigenschaft – Stories aufwändig und phantasievoll zu bebildern, sie mit großem künstlerischem Elan auszustatten, machte die Slicks zu begehrten Sammel- und Kaufobjekten.

Sie waren deswegen auch wesentlich teurer als die Pulps mit ihrem billigen Papier und ihren überschaubaren, meist schwarzweißen Innenzeichnungen. Doch grade diese verschiedenen Sphären retteten beide Lager – Pulps und Slicks – vor einem bitteren Konkurrenzkampf. Denn so blieben (zunächst) die Leserkreise für sich, die Käuferschaften übersichtlich, die Zielgruppen klar getrennt.

SlicksAuf Autorenebene sah das schon anders aus. Harry Steeger, Begründer eines der größten Pulp-Imperien der Dreißiger Jahre, Popular Publications, erzählte Jahrzehnte später im Interview, dass es einen merkwürdigen Austausch zwischen Pulps und Slicks gab. Oft, so Steeger, kamen ganze Pulp-Hefte heraus, deren Stories vorher komplett von den Slicks abgelehnt wurden und die dann an die Pulp-Redaktionen gesandt wurden. Umgekehrt konnte es aber genauso passieren, das abgelehnte Pulp-Texte in Slicks erschienen. So erinnerte sich Steeger später, manch eine „Saturday Evening Post“ (die berühmteste aller Slicks) aufgeschlagen zu haben, um festzustellen, dass er die meisten Geschichten schon kannte – er hatte sie in seinen „Abgelehnt“-Korb gelegt.

Das bedeutete, dass viele Autoren durchaus in beiden Märkten Möglichkeiten sahen, Ware abzusetzen, aber auch dass es einen großen ideologischen Unterschied zwischen Pulps und Slicks gab.

Tatsächlich sind die Differenzen eklatant.

Erst einmal gab es viel weniger Slicks als Pulps. Während die Anzahl der Pulp-Magazine in den 30ern auch für Insider und Fans kaum noch zu überschauen war, konnte man die wichtigen Slicks fast schon an zwei Händen abzählen: Saturday Evening Post, Liberty, The red book, McClures, The American Magazine, Colliers, Cosmopolitan (damals noch stark literarisch und nicht vergleichbar mit der heutigen Zeitschrift), McCalls,  Harper's, The Ladie's Home Journal (der biedere Titel täuscht ein bißchen über die Wichtigkeit der Zeitschrift hinweg – hier veröffentlichte zum Beispiel Shirley Jackson regelmäßig Stories).

SlicksUnd natürlich gab es keine Genre-Slicks. Der Anspruch, ein All-Story-Magazin zu sein, blieb bis in die 60er Jahre bestehen. Alle derartigen Versuche, wie etwa vom Verlag Ziff-Davis, ein SF-Slick zu etablieren, scheiterten kläglich.

Blättert man heute durch diese Zeitschriften oder scrollt sich durch Scans (Liberty ist leider kaum noch zu durchblättern, sie ist eine der gefährdetsten großen Zeitschriften Amerikas, denn das einst so schöne glänzende Papier zerbröselt heute auf geheimnsvolle Weise schon bei leichten Berührungen zu Staub), ist man von der Pracht der Zeichnungen überwältigt, und grade die Eleganz der 20er und 30er Jahre sticht ins Auge, diese wunderbar gezeichneten überschlanken Frauen mit ihren langen bestrumpften Beinen, das funkelnde Interieur luxuröser Räume, aber auch die feine Genauigkeit der Gesichtsstudien...

Waren diese Blätter den Pulps überlegen?

Nein. Zum einen waren sie ja selbst auch Pulps, wenigstens zu einer Hälfte ihres Erbes Kinder der Pulps. Viele Geschichten hatten durchaus literarische Qualität, doch aus heutiger Sicht fehlt ihnen oft das Wilde, Ungehemmte, Jugendlich-Freche der Pulp-Geschwister. Auch in den Zeichnungen bemerkt man nicht selten eine gewisse würdige Starrheit, oft korrespondieren die Bilder vorzüglich mit den üppigen Reklame-Tafeln und unterscheiden sich stilistisch kaum von ihnen. Abstoßende Monster oder brutale Schlägereien sucht man hier oft vergeblich. Das Publikum war gehobener, und auch die Autoren und Zeichner, oft viel besser bezahlt als von den Pulps, waren arrivierter, gewählter, aber auch zahmer.

SlicksUnd so überrascht es nicht, dass manche Künstler sich hier unwohl fühlten und das Feld wechselten. Dennis Wright O'Brien etwa entschied sich nach einigen frühen Humoresken in der „Saturday Evening Post“ für eine Karriere, die ausschließlich in den SF- und Fantasy-Pulps stattfand, wo er sich mit seinen Geschichten spürbar wohler fühlte. Auch der eigenwillige und hochtalentierte Krimi-Autor Arthur B. Reeve, einer der populärsten Autoren der Cosmopolitan vor dem ersten Weltkrieg, wechselte in den 20ern zu den Pulps. Der Grund ist klar – was Modernität angeht, hatten die Krimi-Pulps bald die Nase vorn, Magazine wie Black Mask, Detective Story Magazine oder Double Detective waren einfach in ihrer rasanten Weiterentwicklung der klassischen Detective Story zur modernen Hardboiled-Private-Eye-Story den Slicks um Lichtjahre voraus.

Ähnliches galt für Horror und Fantasy – sinistre Geschichten a la Lovecraft oder Howard wären in diesen eleganten Zeitschriften wohl nur schwer vorstellbar. Schade eigentlich, wenn man länger drüber nachdenkt – solche Geschichten üppig illustriert im Stil der Zeit – das wäre auch heute noch ein Hingucker. Aber hätte das jemand illustrieren können und wollen – im Slick-Stil?

Der ganze Jammer und die Bravheit der Slicks, aber auch ihre Popularität bei den Gut-Verdienenden wird wohl nirgends besser dokumentiert als durch die Tatsache, dass die Satirezeitschrift „Jugde“ 1928 eine ganze Nummer der Parodie dieser Magazine widmete. Am lustigsten ist vielleicht die gefakte Titelseite zur Story „Adela St. Junk“ (etwa übersetzbar mit „Adele von Schrott“), eine Geschichte über die „heiße Rebellion der Jugend gegen die Konvention“, was sich darin ausdrückt, dass die Heldin aus der Titelzeichnung ein vornehmes Restaurant mit Schaufel und Spitzhacke betritt.

Das war so etwa die Vorstellung von Jugenrevolte bei den Slicks. Junge Pulp-Rebellinnen wie C. L. Moore dürften beim Anblick dieser Karikatur leise in sich hineingeschmunzelt haben, auch wenn wirklich verstörende Moore-Stories wie „Shambleau“ und „Der Kuss des schwarzen Gottes“ noch nicht geschrieben waren.      

SlicksEine andere Achillesferse der Slicks war etwas, das man als „virtuelle Kulissenschieberei“ bezeichnen könnte. Alle Stories werden im ersten Drittel der Ausgabe glanzvoll eröffnet mit zahlreichen Illustrationen, dann abgebrochen, und es wird auf die Fortsetzung im hinteren Teil verwiesen. Dort werden sie dann in unscheinbaren, kleingedruckten Spalten illustrationslos fortgesetzt (meist erdrückt von Werbung), so dass sich das Paradox ergibt, dass grade die Climax, der spannendste Teil der Story, meist unillustriert bleibt. Hier waren die Pulps mit ihrer in der Regel gleichmäßigen, überschaubaren Anordnung des Materials ehrlicher zum Leser.   

Mit dem Zusammenbruch des Pulp-Markes Mitte der 1950er Jahre bekamen die Slicks noch einmal großen Aufwind – der Grund ist klar – jetzt, wo diese Spielfläche für Autoren wegfiel, wandten sie sich verstärkt den übriggebliebenen eleganten reichen Verwandten der Pulps zu. Tatsächlich begann in den 50er Jahren auch ein verstärkter Flirt der Slicks mit SF und Fantasy. Es gab nun Autoren, die in diesen Genres zu Weltstars aufstiegen, ohne auch nur eine Story in den Pulps oder den nachfolgenden SF-Magazinen wie Galaxy oder If veröffentlicht zu haben. Ein berühmtes Beispiel ist Jack Finney, dessen Roman „The body snatchers“ (es gibt eine schrecklich verstümmelte, etwa um ein Drittel gekürzte deutsche Version bei Heyne unter dem Titel „Unsichtbare Parasiten“ und eine legendäre Verfilmung, die auf Deutsch „Die Dämonischen“ heißt) 1954 in Fortsetzungen in einem Slick-Magazin erschien, nämlich im „Collier's Magazine“.

Auch den Slicks schlug aber etwas später die letzte Stunde, auch sie mußten in den 60er Jahren in ihrer klassischen Form der Konkurrenz Fernsehen – Comics – Taschenbücher weichen.

Dabei war das Sterben der klassischen Slicks durchaus nicht so auffällig wie das der Pulps – oft verschwand der Titel gar nicht aus den Kiosken, sondern die Redaktion änderte nur den Charakter der Zeitschrift, verschob das Gewicht mehr auf andere, non-fiktionale Elemente. Cosmopolitan ist ein berühmtes Beispiel und – da mag mancher die Augenbrauen hochziehen – der Playboy!

SlicksDer war am Anfang nämlich eine interessante Mischung aus behutsamer Erotik und einem Story-Magazin, ähnlich die die heute vergessene „Rogue“ - ein Blatt, das einen erstaunlich guten Stamm an phantastischen Autoren hatte und dessen Geschichten mit erotischen Bildern kombinierte. Harlan Ellison schrieb hier regelmäßig, und Robert Bloch („Psycho“) hatte sogar eine eigene sehr amüsante Kolumne. Das Magazin überlebte die 60er nicht.

Letztendlich bleibt das Modell „Slick“ ein wichtiger Sonderweg des Story-Magazins, das immer wieder großen Autoren Platz bot für brillante Geschichten, aber – mit Ausnahme einiger früher Krimi- und später SF-Ausrutscher – keinen nennenswerten Einfluß auf die amerikanische Genre-Erzählung hatte. Die Illustrationen waren stets charmant und dem Auge wohlgefällig, im Grunde aber substanzlos. Wiegt man beide Magazinarten – Pulp und Slick – bedächtig und sorgfältig ab, stellt man fest, dass letztendlich aus der Distanz von mehr als 60 Jahren die schäbigen Pulps mit ihrem gelben Papier, reißerischen Schwarzweißzeichnungen und ihren grellbunten Covern den gewichtigeren und interessanteren Beitrag zur Geschichte der Unterhaltungsliteratur geliefert haben. Es ist eben, wie der Volksmund so schön sagt, nicht alles Gold, was glänzt.

Nächste Folgen:
Teil 5: Experimente. Blue book, Spicies, True-Story-Pulps
Teil 6: Fußpilz und gesunde Zigaretten. Die bizarre Welt der Pulp-Werbung

Kommentare  

#1 Toni 2017-10-16 18:52
Ob Pulp oder Slick- der deutsche Heftroman sieht dagegen nur blass aus :-)
#2 Andreas Decker 2017-10-17 17:50
Schöner Artikel. Klingt heute wie Fantasy, dass man sich ein Magazin wegen dem Lesestoff kauft.

Und mit Playboy hast du völlig recht. Playboy hatte (in Amerika) einst tolle Storys. Isaac Singer- falls mich die Erinnerung nicht täuscht - , Silverberg, King, Laurence Block. Das Magazin hat man sich ab einem bestimmten Alter wirklich nicht mehr wegen der immer grottiger werdenden retouschierten Hochglanzfotos gekauft, sondern wegen des anderen Inhalts.

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