Amazing Pulps – der optische Aspekt - Teil 5: Experimente. Blue book, Spicies, True-Story-Pulps
Der optische Aspekt Teil 5
Experimente.
Blue book, Spicies, True-Story-Pulps
I
Der optische Aufwand, der in den Pulps betrieben wurde, war, wie wir erfahren haben, beträchtlich höher als bei amerikanischen oder deutschen Heftromanen. Mindestens eine Illustration pro Kurz-Geschichte und mindestens zwei pro längerer Novelle waren ab den frühen Dreißigern ein absolutes Muß, um mit der Konkurrenz bestehen zu können. Selbst Pulp-Muffel wie John W. Campbell, der schon Mitte der Vierziger Jahre versuchte, sein SF-Magazin „Astounding Stories“ vom Pulp-Image abzukoppeln, verzichtete nicht auf diese Beigabe.
Damit waren die Pulps optisch zwar gut aufgestellt, hatten aber nicht den Anspruch, als bilderreiches Magazin daherzukommen. Ein Grund, warum es nicht noch mehr Bilder waren, war das schlechte Papier. Als Virgil Finley, der berühmteste Pulp-Zeichner, seine ersten Versuche bei Weird Tales abgab, war man sich höchst unsicher, ob die filigranen Zeichnungen auf dem rauhen, gelblichen Papier überhaupt wirkten. Man gab sich zögerlich, machte Probeabzüge – sie wirkten.
Und damit begann seine Karriere.
Und andere folgten: Wenn man sich als Künstler ein bißchen auf das Material einstellte, gab der Pulp-Brei (eigentlich eine Tautologie, denn Pulp heißt ja Brei) erstaunlich viel her.
Mehr als 15 Zeichungen wird man also in den meisten Pulps nicht finden. Trotzdem gab es bemerkenswerte Ausnahmen. Und weil es Ausnahmen waren, sind sie gar nicht so einfach zu dokumentieren, denn sie sind heißbegehrte Sammlerobjekte. Logisch. Wenden wir uns zunächst den noch einigermaßen zugänglichen Exemplaren zu – den True-Story-Pulps.
True-Story-Pulps waren die Urahnen gleich mehrerer Erfolgsdruckerzeunisse im Unterhaltungs-Print-Sektor. Sie nahmen die illustrierte Klatsch-Presse vorweg und die okkultistische Sensations-Zeitschrift. Sie arbeiten nicht vorrangig mit Zeichnungen, sondern mit jeder Menge Fotos und Fotomontagen.
Denn True-Story Pulps taten so, als ob die Geschichten, die in ihnen erschienen, wahr wären. Oft trugen sie das „True“ auch schon im Titel. Dabei war das Ganze allerdings vermutlich eine abgekartete Sache zwischen Leser und Redaktion, ein Spiel - denn die Fotos waren so schlecht, die Stories so offensichtlich undokumentarisch, dass man das ganze wohl eher als schräge Gattung sah und nicht so sehr als echte Bekenntnis-Literatur. Der amerikanische Fiction Mags Index listet über 20 Titel mit „True“ und auf. Die meisten waren recht kurzlebig wie, um ein Beispiel zu nennen „True Live confindences“ die es 1952 auf 4 Ausgaben brachte, aber in der Masse sind es dann doch beeindruckend viele Magazine. Ein spezieller und erfolgreicher Zweig waren angeblich wahre Krimigeschichten, noch beliebter persönliche Berichte von außergewöhnlichen Ereignissen und Grenzerfahrungen. So gab es True Mystic Confessions, True Strange Stories, True Supernatural Stories, True Weird... Sie alle sind heute vergessen, überlebt hat die Königin des Genres im kollektiven Gedächtnis, Ghost Stories, woran man sieht, dass er nicht immer einen Hinweis im Namen für die Gattung geben muß. (Auch viele Pulps mit dem Wort "Real" im Titel waren "True-Puls", wenn auch nicht alle. "Real Western Stories" etwa wollte wohl nur betonen, dass seine Geschichten bessere Western waren als die meisten der Konkurrenz. Ironischerweise hatte dieses Maganzin damit sogar recht.)
Die „Ghost Stories“ waren wegen der vorgeblichen Echtheit des Materials ein Hit an den Kiosken, einer ihrer „Ghost-Writer“ (im doppelten Sinne) war übrigens Conan-Erfinder Robert E. Howard. Die Zeitschrift verkaufte sich wie warme Semmeln in den 20ern und ist heute sehr gesucht. Irgendwann um 1930 beschloß die Redaktion, das True-Gebaren aufzugeben und ein ganz normaler Pulp zu werden. Mir liegt eine Ausgabe vom Juni 31 vor, die schon ganz normale Zeichnungen und keine Fotos mehr hat. Obwohl das Text-Material der späten Ausgaben recht gut war, gruben Weird Tales und die bald erscheinenden Shudder-Pulps dem Blatt das Wasser ab, und es ging ein.
Paradoxerweise sind diese späten Ausgaben heute genießbarer. Die Fake-Ausgaben mit ihren gestellten Schwarzweiß“schnappschüssen“, die entweder dem Stummfilm nachempfunden oder alten Streifen entnommen wurden, sind heute einfach nur noch eine Lachnummer.
Dennoch hatte das Modell später noch einmal Erfolg, nämlich als Raymond Palmer ab 1948 gleich eine ganze Reihe von reißerischen Grenzerfahrungs-Magazinen erfand: Zunächst „Fate“, dann „Flying Saucers“ und „Mystic“. Auch dort wurde – reichlich bebildert - gern der gefakte „Tatsachenbericht“ eingefügt. Noch 1990 hatte Fate eine dicke Rubrik mit solchen persönlichen Schilderungen (manche mögen sogar echt gewesen sein...)
II
Oft ist einem leidenschaftlichen Pulp-Fan wie mir der hohe Sammlerwert vieler Ausgaben ein Stachel im Fleisch. Ich muß das Zeug nicht im Regal haben. Aber die hochgeschraubten Preise verhindern auch, dass die internationale Gruppe von Scannern, Geldgebern und Sammlern, die Pulpscangroup, das Material ankaufen und für die Nachwelt sicherstellen kann.
Hand auf Herz (passt ja auch zu True Confessions) – den meisten True-Pulps trauere ich allerdings nicht nach. Mögen sie in den Abgründen der Zeitungs-Geschichte versinken. Die vielen gestellten Bilder sind mies gemacht, von der Stange und heute eher peinlich. Das gilt zumindest für die erste Welle der 20er Jahre, Palmers Blätter sind, wie immer, dann schon wieder so schön schräg, dass sie durchaus konserviert werden sollten. Und auch werden!
Schmerzhafter ist da schon der überteuerte Markt bei den Erotik-Pulps. Davon kann man heute nur wenig dokumentieren, weil sie alle wohlverschlossen in Safes lagern oder, wenn sie mal bei ebay erschienen, selbst in schundigstem Zustand noch unerhört teuer sind. Es gibt zwei Sorten Magazine, die man deutlich unterscheiden muß. In den späten Zehnern frühen Zwanzigern des 20. Jahrhunderts boomte eine Art zweideutiger Pulp, dessen textliche Inhalte alles andere als erinnerungswürdig sind. Es ist eine Mischung aus schlechten Versen und schlüpfrigen Geschichten, in denen nicht viel passiert, außer dass sich Damen in Unterwäsche irgendwo herumrekeln. Die Titel waren meist ebenso zweideutig: Bedtime-Stories, French Night, Hot Dog, Pep Stories. Sie gelten als früheste Erotik-Magazine der Moderne überhaupt. Denn das Bildmaterial ist üppig und manchmal für jene Tage recht gewagt – es gibt sogar schon eine Menge Aktbilder, die wenig verschämt dagherkommen. Diese Mischung aus Karikatur, Akt, erotischer Zeichnung und sinnlicher Vignette macht diese Pulps zu gesuchten Objekten – trotz der eher öden Texte.
Ganz anders sieht es schon bei den Spicies aus. Spicies kamen in den frühen 30ern auf und waren eine Erfindung eines Verlages, der sich ausgerechnet „Culture Publications“ nannte. Die Magazine dieses Verlags firmierten unter „Trojan Magazines“, hießen im Volksmund aber Spicies, (Scharfe Hefte) weil alle Titel mit „Spicy“ begannen. Heute lustig anzusehen: auf den Covern ist eigentlich immer dasselbe zu sehen -eine Frau in den Fängen eines widerwärtigen Objekts, und je nachdem ob das nun ein Monster, ein Cowboy, ein Chinese oder Chicago-Gangster ist, heißen sie „Spicy Western Storys“, „Spicy Detective Stories“ „Spicy Adventure Stories“ oder „Spicy Mystery Stories“. Ich habe immer bedauert, dass es nicht auch noch „Spicy Space Stories“ gab, aber der Redaktion dürfte die fast sprichwörtliche Prüderie der amerikanischen SF-Fans bekannt gewesen sein. Aslo versuchte mans gar nicht erst. („Marvel Science Stories“ war der einzige Versuch in den 30ern, so etwas zu machen und mußte nach 5 Ausgaben eingestellt werden.) Allerdings tauchen zuweilen tatsächlich SF-Geschichten in den Spicies auf.
Anders als bei den alten „Risques“ - wie man für gewöhnlich Magazine mit schlechten erotischen Texten und anzüglichem Bildmaterial in Amerika nennt – sind die Texte dieser Spicy-Hefte heute noch ebenso genießbar wie die schönen, sinnlichen, oft erstaunlich modern wirkenden Bilder. Fast gebetsmühlenartig findet man in der wenigen Fachliteratur die Bemerkung zu den „Spicies“, dass sie nach heutigen Standards lauwarm und zahm sind. Das sind vermutlich dieselben Spezialisten, die das dauernd über die Geschichten in den Horror-Pulps der 30er schreiben –also entweder haben sie nur voneinander abgeschrieben oder besitzen Nerven und Genitalien aus Eisen. Natürlich sind nicht alle Stories hemingwaysche Meisterwerke – aber die Mischung aus Krimi, Horror, Abenteuer und Erotik ist oft gelungen, es kippt nie ins Pornographische und ist trotzdem meist ziemlich heißes Zeug. Kein Wunder eigentlich – hier schrieben viele große Pulp-Autoren unter Pseudonym, wie etwa der hochbegabte Lovecraft-Freund (einer der wenigen wirklichen Autorenfreunde ) E. Hoffmann Price. „Satans Daughter“ (Spicy Mystery Stories, Januar 1934) gehört zu meinen absoluten Lieblings-Horror-Geschichten.
Die Hefte sind leider schwer zu kriegen. Dagegen sind Weird-Tales-Hefte der Wright-Ära spottbillig. Obwohl hunderte Ausgaben herauskamen, sind nur wenige digitalisiert worden; ich besitze 22 Scans, fast alle in einem erbärmlichen Zustand, die den Zeichnungen nicht gerecht werden.
III
Ansonsten ragt aus der Pulp-Geschichte ein Blatt besonders heraus, was die Optik angeht: The Blue Book. Man zählt es heute zu den ungewöhnlichsten und außergewöhnlichsten Pulps, die je gedruckt wurden. Es hatte ohnehin eine lange Erfolgsgeschichte – das Magazin durchlief zwischen 1905 bis in die 1950er Jahre immer wieder Wandlungen. Es war in den 1910er und frühen 20er Jahren durchaus eine ernste Konkurrenz zu den beiden „Riesen“ des Genres, den Pulp-Flaggschiffen Argosy und Adventure. Die Texte waren von gleichbleibender hoher Qualität. Blue Book richtete sic – auch das war nicht selbstverständlich – an beide Geschlechter. Und das Magazin hatte schon früh ein Faible für Science Fiction. Hier erschien z. B. 1932 Wylies legendäre Weltuntergangsphantasie „Wenn Welten zusammenstoßen“ in mehreren Fortsetzungen im Erstdruck.
Ab etwa 1927 begann der Verlag den Etat für Zeichnungen signifikant aufzustocken. Der Plan war, ein Pulp-Magazin zu schaffen, das alle textlichen Qualitäten der Konkurrenz hatte, plus dem Vorzug einer reich bebilderten Ausgabe zu einem akzeptablen Preis. Zumindest was die optische Idee betrifft, ging dieses Konzept voll auf. Blue Books blieb das am reichsten und besten illustrierte Pulp-Magazin überhaupt. Schon 1929, als die meisten andern Pulps grade erst begannen, ihren Anteil an Illustrationen etwas auszubauen, enthielt ein Blue-Book-Heft durchschnittlich etwa 60(!) Illustrationen! Das entsprach etwa dem 5-6 fachen der normalen Ausstattung in diesem Genre. Damals waren die Zeichnungen noch einfarbig, bald kamen sogar zwei- und mehrfarbige im Innenteil hinzu.
Der hohe Preis, den der McCall- Verlag zahlte, konnte vermutlich gedeckt werden durch den Verkauf der beiden edleren Magazine, die er harausgab, „McCall's Magazine“ und „The Red Book“. Dennoch hat man ab Mitte der Dreißiger Jahre das Gefühl, dass der hohe Aufwand für die Zeichnungen auf Kosten der Qualität der Geschichten geht. Trotz gelegentlicher Hightlights und einem guten Durchschnittsniveau ist die Zeit der All-Story-Pulps eigentlich vorbei, und Argosy hat in diesem Genre trotz durchschnittlicher Illustrationen die Nase vorn. Ganz zu schweigen von den vielen wie Pilze aus dem Boden sprießenden neuen Genre-Magazinen, allen voran dem letzten Schrei – den Hero-Pulps. Street & Smith und Popular Publications zahlen zwar nicht ganz so gut wie McCalls, aber der gigantische Bedarf an Illustrationen für The Shadow, The Spider, The Phantom Detective, Operator # 5 und Doc Savage ist groß, die Menge des zu Skizzierenden reizt die Zeichner ebenso wie das neue aufregende Genre. Und so kommt es, dass die Brutstätte der klassischen Comic-Zeichnung wohl eher in den Ateliers von Spider & co. zu finden ist als in den eleganten Blättern des guten alten Blue Book. Das Magazin teilt am Ende des Schicksal der Slicks, und Erich Kästners letzte Strophe am Ende seines berühmten Gedichtes über Top-Models läßt sich auch gut auf die späten Blue-Book-Ausgaben anwenden:
„Was kann man daraus schließen?“
Man sieht sie sich zwar gerne an,
Doch ganz gefielen sie erst dann,
Wenn sie das Reden ließen.“
Nächste und letzte Folge:
Kommentare
Vermutlich liegt ihr Erfolg - oder Misserfolg - im Auge des Betrachters, noch mehr als bei anderen Genre. Ich hatte mal in den 70ern in der Berufsschule einen Literaturkundelehrer, der sich für Boccaccio und Maupassant und ihre literarische Erotik begeistern konnte. Was ihren literarischen Kontext angeht, hatte er sicherlich recht. Was die Lesbarkeit angeht, dürfte das sehr individuell sein.
Ihm glaubte man seine Begeisterung, die auch durchaus ansteckend sein konnte, was bei einem Lehrer ja eine gute Sache ist. Andererseits war er ein typischer literarischer Snob, der einen Krimi nicht mal mit der Kneifzange angefasst hätte und auch keinen Hehl aus dieser Einstellung machte. Wenn ihn Stil und Inhalt dieser erotischen Novellen auf andere Gedanken bringen konnte, gut für ihn. Seine Schüler interessierten sich eher für Heyne Exquisit oder gleich für Olympia Press
Was die Illustrationen dieser Pulps angeht, gebe ich dir 100% recht. Die sind oft von hoher Qualität und durchaus auch mal erotisch. Das Interessante an ihnen ist, dass sie so einen Gegensatz zum Film mit seiner Getrennte-Betten-Moral bot.
Ich habe, was die Spicies angeht, auch nicht gemeint, dass es da immer knallhart zur Sache geht . Die Geschichten sind deshalb bemerkenswert, weil sie eben den Genres immer etwas Prickelndes hinzufügen, das weit über die üblichen Pulp-Konventionen hinausgeht. Genitalien werden allerdings tatsächlich immer ausgespart. Sonst ist aber fast alles erlaubt. Manche Geschichten begnügen sich mit kleinen Andeutungen, andere gehen sehr weit, besonders in Sachen SM.