Die Marsmond-Stories (2) Schleimos auf Deimos - Die LION auf dem Mars - Eine Dan-Picot-Story
Die Marsmond-Stories (2)
Schleimos auf Deimos
Die LION auf dem Mars - Eine Dan-Picot-Story
Außerdem waren immer noch nicht alle Ersatzteile für den Andruckabsorber und das Hyperfunkgerät von Luna aus eingeflogen worden, und vorher wollte Tschato nicht starten. Der Oberst befand sich momentan auf der Marsoberfläche in Bradbury, von wo aus er mit der Erde per Hyperkom sprach, um die Lieferungen zu beschleunigen. Um den Einbau hatte sich dann Captain Walt Heintman, der zweite Offizier des Schlachtkreuzers zu kümmern. Das war nicht Dan Picots Bier. Aber er langweilte sich. Sein Magen schmerzte. Er benötigte Abwechslung. Nachdem die Sache mit dem Geheimstützpunkt der MDI auf Phobos ausgestanden war, wollte Picot sich eigentlich ruhig in seine Kabine auf der LION zurückziehen aber verspürte eine Unruhe in sich, die er nicht erklären konnte. Jedenfalls konnte er nicht lange an einem Ort bleiben, auch nicht in seiner Kabine, in die er sich eingeschlossen fühlte, als ob die Wände auf ihn hereinbrächen. Deshalb hatte er das Schiff verlassen und stand am Rand des Raumhafens in einem geschützten Personalraum mit einem großen Panoramafenster. Doch auch hier fühlte er sich eingeengt. Er brauchte etwas mehr Raum um sich herum. Vielleicht war es die Flotte, vielleicht die Pflichten, obwohl der erste Offizier eines Schlachtkreuzers nicht viele davon hatte, wenn das Schiff im Hafen lag. Erst im Raum würde er wieder mehr Verantwortung übernehmen müssen. Wollte er davor fliehen? Sollte er die Flotte verlassen? Endlich? Picot wusste es nicht, er empfand nur ein dumpfes, diffuses Unwohlsein, als ob die Nähe der LION ihm Unbehagen bereiten würde. Lag es vielleicht an Tschato, dem Löwen? Doch mit diesem hatte er ja auszukommen gelernt in vielen Jahren! Auch mit seiner Unbekümmertheit und seinem Draufgängertum, das dem alten Dan schon ein paarmal ein Magengeschwür bereitet hatte. Doch es war ihm gelungen, wieder auf die Beine zu kommen. So sollte es auch bleiben, deshalb musste er sich jetzt erst einmal eine Weile von dem Schiff entfernen.
Picot beschloss spontan, den anderen Marsmond, Deimos, zu besuchen. Auf diesem war er noch nie gewesen, trotz seiner langen Raumfahrerlaufbahn. Da war es einmal Zeit, ihn aufzusuchen. Insgeheim liebte Picot es, an Orte zu gehen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Deshalb war er ja einst Raumfahrer geworden und nicht immer liegen die Geheimnisse des Universums am Rand des Galaxienhaufens oder drüben in M31, Andromeda, dachte er sich... Auch vor der eigenen planetaren Tür Terras konnte man dunkle Dinge erleben, wie sich ja gerade erst gezeigt hatte.
Picot ging durch die rückwärtige Tür des kleinen Aufenthaltsraumes und begab sich über den kurzen Gang zum lokalen Nahtransmitter. Dieser war frei, wie er schon im letzten Teil des Ganges sah. Offensichtlich gab es nicht viel Transmittertransport zwischen Phobos und dem anderen Mond. Die Marsstrecke war naturgemäß viel stärker frequentiert. Aber dieser größere Transporter war auch am anderen Ende der Station untergebracht. Picot programmierte die Koordinaten und betrat den Käfig. Hier war das Ambiente noch etwas altmodisch, retro, wie man heute wohl sagte,dachte Picot, aber die schicken, neuen Torbogentransmitter nach akonischem Vorbild hatten es noch nicht in diese alte Basis des Marsmondes geschafft. Doch auch der alte Käfigtransmitter würde seine Aufgabe erledigen. Es war ja nur ein Katzensprung. Nur von Phobos nach Deimos. Das blau wabernde Feld baute sich flimmernd auf und er trat hinein.
Picot entmaterialisierte...und kam unbeschadet in der Gegenstation zum Vorschein. Der Entzerrungssschmerz war bei so einer kurzen Strecke kaum zu spüren, und er schüttelte ihn schnell ab. Picot sah sich um. Viel anders als auf Phobos sah es hier auch nicht aus, auf den ersten Blick. Aber er wollte in die hiesige Kneipe gehen, sich umsehen und auch hier einmal. Hinausgehen, um das Ambiente des luftleeren Mondes mit dem Mars am Himmel zu spüren. Das brauchte er jetzt. Gleich.
Picot ging vorwärts mit dem schlurfenden Schritt, der typisch für ihn war. Wenn jemand den müden, älteren Mann mit der schlaksigen Gestalt und dem leicht unbeholfen wirkenden Gang gesehen hätte, hätte er den alten Dan wohl gewaltig unterschätzt. Er ging den kurzen Gang entlang, der vom lokalen Transmitter zum Aufenthaltsraum der Basis führte und betrat die Bar. Die wenigen Tische waren leer, aber es war auch noch nicht spät genug für die typische Kneipenzeit, die auch auf den Marsmonden galt, denn natürlich hatte man hier Terra-bzw. Marszeit übernommen. Am Tresen saß ein Matten-Willy. Er trank Fruchtsaft. Picot trat neben den Bewohner der Hundertsonnenwelt und begann ein Gespräch mit ihm.Der Matten-Willy nannte sich Tausend Augen. „Sehen Sie, Terraner!“ sagte er zu Picot: „Man muss seine Augen überall haben, denn das Plasma macht Zicken!“
Picot wusste zwar nicht, wovon der Willy redete, aber er war ein guter Zuhörer – und ließ sich auf ein Gespräch ein. Der Willy konnte ihm vielleicht einiges Interessantes mitteilen. Er erfuhr, dass eine größere Plasmamasse, aus einem alten Rechenschiff ausgebaut, augenblicklich auf Deimos lagerte, wo sie auf den Transport zur Hundertsonnenwelt wartete. Picot wurde hellhörig. Diese Plasmamenge war offensichtlich erkrankt. „Das Plasma neigt zu unkontrollierten Wucherungen!“ erzählte der Matten-Willy.“Es breitet sich immer weiter aus!“ klagte er Picot und fuchtelte mit einem Augenstiel vor seinem Gesicht herum.“Man muss seine Augen wirklich überall haben!“ Er fuhr einen weiteren Augententakel aus.
Bis jetzt schien die Größe der Kuppel, in der das Plasma gelagert war, zwar auszureichen, doch schien das Wachstum zuzunehmen und sogar auf die dreißig betreuenden Posbis überzugreifen, denn auch deren Handlungen schienen langsam erratisch zu werden. Die Gefahr bestand, das die zunehmende Plasmamenge die Kuppel sprengte, in der sie gelagert war. „ Kristalle, grüne Kristalle“ erzählte der Matten-Willy. Offensichtlich kristallisierte das erkrankte Plasma irgendwie aus und ermöglichte sich auf diese Weise sogar die Metamorphose zu einem Vakuumlebewesen. Picot erkannte das Problem. So konnte das erkrankte Plasma nicht weitertransportiert werden, damit es die Hauptmengen auf den Posbiwelten nicht infizierte; es musste isoliert bleiben, bis ein Heilmittel gefunden war bzw. eine Therapie aus der Symptomatik entwickelt worden war...deshalb konnte man es auch gleich hier auf dem Marsmond in Quarantäne bringen, was wohl auch geschehen war, denn es lagerte weit draußen auf der öden Mondoberfläche in einer Extrakuppel.
Picot erfuhr von dem redseligen Matten-Willy, dass leider gerade keine Aras auf dem Mars waren, geschweige denn auf den Monden; die wenigen terranischen Ärzte konnten auch nicht viel weiterhelfen. Hilfe war zwar unterwegs – aber noch nicht vor Ort.
Eigentlich war das ja nicht Picots Problem, und er war nicht der Mann, der sich alle fremden Sorgen zu eigen machen musste, denn dann würde man zu gar nichts mehr kommen, doch er war ein Flottenmann und versprach dem quengelnden Matten-Willy, sich über die Lösung Gedanken zu machen. Dann zog er sich, nach einem unruhigen Drink, vorsichtig aus der Bar zurück, um nach draußen zu gehen, auf die Oberfläche.. Er musste seine Gedanken klären und wieder zu sich selbst kommen, seine innere Ruhe wiedererlangen. Dazu benötigte er einen leeren Ort auf der Mondoberfläche und eine lange, einsame Wanderung im Raumanzug, mit mühsamem Erklimmen diverser Felsen, damit eine körperliche Anstrengung wieder Konzentration brachte – und er seine Gedankengänge wieder klar fokussieren konnte.
Picot betrat den Gang zur Oberfläche. Als alter Flottenmann hatte er vorsichtshalber den leichten Kampfanzug gewählt, der ihn zur Not mit Antigrav, Pulsator-Schubtriebwerk und normalenergetischem Schutzschirm versorgten konnte. Einen der neuen, grünen, höherdimensionalen HÜ-Schirme konnten die Kampfanzüge leider noch nicht erstellen. Das war größeren Aggregaten vorbehalten, etwa denen von Schiffen der Flotte. Auch die neue LION hatte ihren HÜ-Schirm bereits bekommen.
Da er nicht wusste, was ihm begegnen würde, hatte der alte Dan neben seiner bewährten Handwaffe zusätzlich einen alten Strahlenkarabiner auf den Rücken geschnallt. Für einen Flottenoffizier und Raumsoldaten war er damit immer noch gering bewaffnet. Außerdem sollten die Waffen ja nur zur Sicherheit dienen, er wollte sie nicht anwenden, was sollte auf diesem öden Mond auch los sein.
Picot ging in die Schleuse und trat nach draußen. Er wendete den Blick von der metallenen Kuppel ab und begann, über die Gesteinshänge und Geröllanhäufungen zu klettern. zu klettern. Der Mars hing rotgrün am Himmel, die Naturschutz-Wüstengebiete der marsianischen a-Siedler waren ebenso zu sehen, wie die parkähnlichen, terraformten Gebiete des Solaren Imperiums. Der große Marscanyon Vallis Marinieris leuchtete als gigantischer bewohnter Riss über den halben Planeten. Picot begann, sich besser zu fühlen, der Mars tat ihm gut. Er kletterte weiter über die Felsbrocken und Gesteinshänge, wobei er sich tüchtig anstrengte. Außerdem hatte er den Mikrogravitator seines Kampfanzuges höher gestellt, um die Anforderungen zu erhöhen und ein Abheben zu verhindern. Er wollte hier keine großen, mühelosen Sprünge machen, das hätte ihn gelangweilt. Nein, er musste sich anstrengen, um sich am Leben zu fühlen und wieder zu sich selbst zu kommen...Also lief und kletterte er weiter. Der Strahlenkarabiner begann, ihn ins Kreuz zu drücken und er rückte ihn im Laufen zurecht, hielt aber nicht inne dazu. Picot wanderte gedankenlos durch die Geröllebene, als er etwas in der Ferne funkeln sah. Er ging näher: an einem kleinen Überhang befand sich eine offene Erzader, offensichtlich kristallin. Grüne Schimmer reflektierten matt das Albedolicht der Marsoberfläche. Picot trat näher und nahm die Ader in Augenschein. Vorsichtig brach er einen der Kristalle ab und sah hindurch: Grün, alles grün...Er dachte an die Schilderungen der Illusionskristalle aus Andromeda von Finch Eyseman, Baar Lun, dem Modul und anderen Flottenangehörigen. Doch diese Kristalle hier mussten anders sein. Waren sie harmlos? Picot zuckte die Achseln. Seufzend steckte er das abgebrochen Stück in eine Außentasche des Kampfanzuges. Das würde er mitnehmen, als Souvenir. Eine Erinnerung an die Ruhe der Marsmonde, wenn er wieder Magensäuern bekam, dort draußen in der galaktischen Wildnis mit Tschato, dem Abenteurer...
Picot dachte nach. Hatten diese Kristalle etwas mit dem Plasmaund seiner Krankheit zu tun? Der redselige Matten-Willy hatte ja schließlich von einer grünen Kristallisierung des Plasmas gesprochen.
Nachdem Picot mühsam über mehrere braunrote Schutthügel geklettert war, klärte sich sein Kopf langsam wieder und er nahm den weiteren Weg durch einige Täler zwischen den schroffen, dunklen Gesteinskegeln, die nur von der Albedo des Mars notdürftig erhellt wurden. Bald ließ er das hüglige Gelände der großen Kegelbrocken hinter sich und gelangte an den Rand einer großen Ebene, die nur durch kleinere Krater sprenkelnd unterbrochen war. Picot sah eine stählerne Terkonit- Metallkuppel in der Ferne bläulich schimmern. Er seufzte. Auch hier draußen schon wieder Zivilisation.Technologie und Kompliziertheit, Menschen und galaktische Wesen. Spontan verhielt er den Schritt und wollte umdrehen, dann ging er dennoch weiter. Manchmal kam es eben nur auf einen Schritt an, den man mehr durchzuführen hatte. Dies musste die von dem Matten-Willy erwähnte Plasmakuppel sein, in Qurantäne ausgelagert aus der Hauptstation von Deimos. Vorsichtig ging Picot näher, denn die Gefahr bestand, dass die Plasmamassen ihre Kuppel sprengten und den Marsmond zu überwuchern begannen. Wie der Matten-Willy ihm erzählt hatte, besaß das erkrankte Plasma eine verhärtete, kristallinartige Deckschicht, die ihm sogar eine Existenz im Vakuum ermöglichte.
Doch plötzlich explodierte der Boden vor ihm in einem kleinen Krater. Beschuss! Picot warf sich blitzschnell zur Seite hinter einen größeren Felsen in dessen Schatten. Seine Reflexe funktionierten noch wie in alten Zeiten. Natürlich hatte Picot den Schuss weder gehört noch den Strahl gesehen, denn der Mond hatte ja keine Atmosphäre und übertrug daher keinen Schall. Auch der dünn flimmernde Strahl war kaum zu erkennen gewesen. Picot bemerkte ihn erst jetzt beim zweiten Schuss, der vor seinem Felsenschutz auf den Boden traf und dort ein Loch riss. Eine Art Desintegrator, dachte er und duckte sich unwillkürlich. Wer schoss da auf ihn – und vor allen Dingen warum?
Dann fielen ihm siedendheiß die Posbiroboter ein, von denen der Matten-Willy auch gesprochen hatte. Bei denen schien das Plasma auch auszurasten, sie wollten wahrscheinlich das „Innere retten“ und bewachten die Kuppel mit dem erkrankten Plasma. Offensichtlich hatten die Verantwortlichen vergessen, sie stillzulegen oder die Plasmazusätze zu entfernen. Aber wer war eigentlich verantwortlich? Das war Picot jetzt allerdings auch erst mal egal, hier, wo er unter Beschuss auf einem Marsmond lag. Vorsichtig hob er den Kopf und linste durch einen Riss im oberen Rand des Felsens. So konnte er die Kuppel in der Ferne erkennen, ohne den Kopf heben zu müssen, damit er nicht erneut unter Beschuss geriet. Er schaltete die Teleoptik des Helms auf Zoom-Maximum. Tatsächlich schien sich da am Kuppelrand etwas zu bewegen. Genaueres konnte er im schummrigen Licht des Mars nicht ausmachen, doch er nahm an, dass die Posbiroboter dort Wache standen und ihr krankes Plasma behüteten. Dabei waren sie sich der Tatsache, ebenfalls erkrankt zu sein, nicht bewusst. Hoffentlich waren es nicht alle dreißig. Gegen so viele Roboter konnte Picot allein nicht vorgehen, aber er hatte jetzt auch keine Zeit zurückzugehen und Alarm zu schlagen. Diese Angelegenheit musste er jetzt allein lösen...vorsichtig aktivierte er die strahlungsfreie Chamäleontarnfunktion des neuen Kampfanzuges mit einem Knopfdruck der rechten Hand und bewegte sich langsam seitlich vom Felsen hinweg hinter einige andere Steinhügel, die in der Nähe aufragten. So umrundete er langsam die Kuppel und kam ihr gleichzeitig näher, ohne noch einmal unter Beschuss zu geraten. Die durchgedrehten Posbis hatten wohl seine Spur verloren. Picot seufzte und grinste. Die Falten in seinem Gesicht verzogen sich dabei, denn das Leben hatte ihn geprägt – aber er hatte auch das Leben geprägt, also machte er sich keine Sorgen um sein Aussehen, es galt nur, fit zu bleiben im Dienste der Flotte. Und drahtig war er, bei Rhodan. Schnell robbte er näher an die Kuppel heran, wobei seine Helmsicht ununterbrochen das Gebiet darum absuchte, ob er nicht ein paar der verrückten Posbis orten konnte, aber die schienen sich gut im Gelände zu verstecken, er musste erst näher heran, eher er sie ausschalten konnte. Doch selbst dann wollte er die Biomaschinen nicht zerstören, denn diese konnten ja nichts dafür, dass sie durchgedreht waren, es lag allein am erkrankten Plasmazusatz. Vorsichtig robbte Picot näher heran. Nach einer Weile erkannte er Bewegung um den Kuppelrand, die er als den Patrouillengang mehrerer Posbiroboter erkannte. Er zählte geduldig dreimal nach, um niemanden doppelt zu haben, denn die Posbis bewegten sich schnell, fast erratisch taumelnd mitunter und waren sich trotz ihrer individuellen Verschiedenheit doch in der Bauklasse mitunter ähnlich. Er kam auf etwa zwanzig Stück, die um die Kuppel mit dem erkrankten Plasma herumwuselten. Also schienen doch alle dreißig der Posbis zu versuchen, das infizierte Plasma zu beschützen. Das waren zuviele für ihn, die konnte er nicht auf einen Schlag ausschalten. Jedenfalls nicht mit einem Handblaster und einem Strahlenkarabiner. Er musste anders vorgehen. Picot überlegte...dann arbeitete er sich vorsichtig zurück in die Deckung der hohen Felsen fernab der Kuppel. Hier musste schweres Geschütz her, natürlich nur in übertragenem Sinne...
Kurz, bevor Picot die rettende Deckung erreichte, geschah allerdings noch ein kleiner Zwischenfall. Unversehens bog einer der Roboter, der sich wohl weiter von der Basis entfernt hatte als die anderen, um die Kante eines Felsens und stand Picot im Abstand von nur drei Metern gegenüber. Vielleicht war er eine Art vorgeschobener Späher. Der Posbi schien genauso verblüfft zu sein wie Picot, denn er taumelte und sein Waffenarm kam nur ruckartig nach oben. Picot handelte blitzschnell, denn der Biorobot hatte keinen Schutzschirm aktiviert. Er warf sich in einer Drehbewegung zu Boden, um aus dem direkten Schussbereich zu gelangen, Die linke Hand richtete den Paralysator auf den Kopf des Roboters und betäubte das Plasma darin, während er gleichzeitig den Karabiner einhändig mit der Rechten bediente, halb unter seinem Körper eingeklemmt, deshalb gut zielen könnend und so dem Roboter den Waffenarm mit der auf Desintegratormodus geschalteten Waffe abtrennte. Der Posbi sank hilflos zu Boden, seiner bioorganischen Steuerkomponente ebenso beraubt wie seiner offensiven Waffenkraft. Die rein positronische Lenkung schien nicht zu genügen, der Bewegung einen gesteuerten Regelprozess aufzuzwingen. Aber das war Picot auch erst einmal egal. Er machte, dass er davon kam und atmete erst dann befreit auf, als er einige Meter weiter hinter einigen großen Felsen in Deckung lag. Dann ging er vorsichtig zur Station zurück. Hier wollte er jetzt anders vorgehen. Er musste die Mittel der LION einsetzen, dennoch wollte er nicht bei Tschato um offizielle Flottenhilfe nachfragen. Dieser hatte auch so augenblicklich genug um die Ohren mit der notwendigen Restversorgung des Schiffes. Picot stapfte schweigend durch die Felsen, bis er zum Stationseingang zurückgelangte.
***
Das Licht des Bordhangars schimmerte diffus und leicht bläulich in dem großen Raum. >Einige technische Ausrüstungsgegenstände standen herum. Vor Picot stand eine große, glänzende, gleiterartige Maschine.
Walt Heintman runzelte die Stirn unter seinem Blondhaar und schob die Dienstmütze vorschriftswidrig in den Nacken. „Und Sie wollen wirklich nur die neue Raumlinse auf einem kurzen Rundflug testen?“ fragte er Picot. Dieser nickte bedächtig und sagte nichts. „Na schön! Dann tun Sie es doch! Benötigen Sie vielleicht noch etwas? Ein tragbares Desintegratorgeschütz? Eine Gravitationsbombe?“ Picot schüttelte schweigend den Kopf. Der Captain ahnte etwas, aber Picot wollte ihn nicht tiefer in die Sache hineinziehen. Das musste er alleine schaffen, das war er sich schuldig. Außerdem war Captain Walt Heintman ein echter Flottenmensch, Familienvater. Picot wollte ihm nicht die Karriere verderben, indem er einen Eintrag in seiner Personalakte verursachte, für den er eventuell versehentlich mit seiner Aktion sorgte. Dann fiel ihm etwas ein und er grinste über das faltige Gesicht: „Doch, Walt! Sie können mir einen Kaffee aus der Kombüse holen lassen! Heiß und schwarz , wie meine Gedanken. Leicht gezuckert, bitte!“ Heintman musste grinsen, dann gab er den Auftrag per Interkom weiter. Kurz darauf kam der Smutje, er war auch Richtschütze an der Poltransformkanone des Schiffes auf Manöverstation, mit einem heißen Kaffee zu Picot in den Hangar. Dieser nahm das belebende Getränk in Empfang und schwang sich bäuchlings in die Raumlinse, die im Flottenjargon als „Blattlaus“ bekannt war.
„Quick Check!“ murmelte er, als er die technischen Einrichtungen der Linse durchprüfte. Die Ortungsanlage mit Struktur- und Massetaster. Die kleine Bordpositronik, die Kontroll-und Steuerelemente für Hand-und Fußbedienung. Den Konverter, das Impulstriebwerk, das zwar einfach lichtschnell war, aber soweit wollte Picot es gar nicht hochjagen. Seitendüsen, Steuerdüsen, Ersatzteile, alles war vorhanden. Das Vorratslager für Konzentratnahrung war leer, darauf konnte er diesmal verzichten.
Worauf es Picot allerdings am meisten ankam, waren zwei andere, neuartige Dinge.Die weitgehend streustrahlungsfreie Camouflagetarnung der Linse und der eingebaute, starke Paralysator, der anstelle eines gezielten, fokussierten Richtstrahles eine breit gestreute Projektionsfläche abdecken konnte. Ein Feldwerfer, kein Strahlgeschütz.
Picot war fertig mit dem Techno-Check. Er ließ die kleine Bordschleuse auffahren, die er ferngesteuert von der Linse aus steuern konnte und die in die große Hauptschleuse des Schiffes integriert war. Dann startete er. Die Raumlinse besaß keinen Antigrav, nur ihr Impulstriebwerk, das war der Nachteil der „Blattlaus“, aber Picot wollte ja nur von Phobos nach Deimos fliegen, dabei nicht in die Nähe der Invarianzeigengeschwindigkeit des lokalen Tangentialraumes, vulgo „Lichtgeschwindigkeit“ beschleunigen, außerdem besaß die leichte Flottenausführung seines Kampfanzuges einen Antigrav, den er allerdings stark drosseln musste, damit die Posbis vor der Plasmakuppel ihn nicht orteten, wenn er aus dem Raum heraus anflog. Aber Picot wollte ohnehin die Deckung des Mondes ausnutzen und sich von der anderen Seite des Marsmondes aus im Tiefflug an den Standort der verrückten Posbis heranschleichen.Die paar g, die bei der Beschleunigungsphase und beim Abbremsen auftraten, würde er als alter „Flottenheini“ wohl noch aushalten können. Sein Raumfahrertraining brachte das eben so mit sich. Außerdem war er drahtig und zäh.
Die Linse schoss beinahe lautlos aus dem Tor des Hangars, als Picot sie beschleunigte und schoss in den Himmel über Phobos hinein und ins All hinaus.. Die paar tausend Kilometer bis nach Deimos hatte Picot bald zurückgelegt. Vorsichtig ging er so auf den Mond herunter, dass dieser als Deckung zwischen ihm und der Plasmakuppel dienen konnte. Darauf hatte er auch beim Anflug gewartet.
Glücklicherweise besaßen die beiden Marsmonde keine Eigenrotation mehr, sondern waren von der planetaren Gravitation des Mars und dem Einfluss der Menschen schon als Einseitendreher angepasst worden. Außerdem hatten die Terraner einst die Flugbahnen der beiden Monde korrigiert.
Auch das half Picot jetzt.Er stürzte auf den Mond zu, bremste vorsichtig mit zwei g ab, das hielt sein drahtiger Körper noch aus, und näherte sich der Basis des erkrankten Plasmas im Tiefflug. Dabei kurvte er wie verrückt durch die Canyons und um so manche zackige Felsspitze. Der Flug machte sogar einen gewissen Spaß.
Picot wippte über den letzten Hang und aktivierte den Paralyseprojektor. Dieser schuf ein weitflächiges Feld betäubender Strahlung. Zum Glück, dachte Picot, war das modifizierte Plasma nicht auch dagegen immun. Er schoss über die Kuppel hinweg, während der Paralyseprojektor arbeitete. Zunächst umkurvte er den Stützpunkt, um alle Posbis der durchgedrehten Wachmannschaft zu erwischen, er bestrich das Gebiet um die Kuppel weiträumig mit dem Betäubungswerfer. Einmal sah er einen der Posbis umfallen, die Steuerpositronik griff jedoch rechtzeitig ein und richtete ihn wieder auf. Die übrigen Roboter gingen in den Status der Inaktivität über, wie Picot über die Aussichtskanzel erkannte und stellten ihre erratischen Bewegungen ein. Sie wurden passiv. Das Plasma in Ihnen war offensichtlich betäubt.Die Linse war ja für zwei Leute ausgelegt, deshalb hatte Picot den Matten-Willy Tausend Augen auf den Flug mitgenommen, denn dieser hatte ihn darum gebeten – und Picot wollte ihm den Flug nicht abschlagen, waren die Matten-Willys doch immerhin die Experten erster Güte für das Plasma. Der Willy lag neben ihm auf der Copilotenliege. Er war mit Picots Vorgehen einverstanden gewesen, weil er genau wusste, dass Picot das Plasma so schonend wie möglich behandeln würde. Gegen die Betäubung der Posbiwächter hatte er keinen Einwand erhoben, da er die Notwendigkeit dafür einsah. Picot hatte ihm allerdings wohlweislich die Nahbegegnung mit dem einen Posbi verschwiegen, dessen Arm er abgetrennt hatte. Es war zwar Notwehr gewesen, aber der Matten-Willy in seiner Überempfindlichkeit hätte die Schilderung dieser Handlung vielleicht falsch verstanden. So war es besser. Picot hatte auch kein schlechtes Gewissen deswegen, es war eben pure Notwendigkeit gewesen. Bis jetzt hatte der Willy still neben ihm gesessen, seine Tentakel mit den Schraubenvorrichtungen eingefahren und nur die Augenstiele bewegt. Er schien etwas in sich hineinzuseufzen, als Picot das Paralysatorfeld ausgelöst hatte, anscheinend war ihm jedoch die Notwendigkeit klar gewesen, die Posbis stillzulegen und er hatte nichts weiter gesagt.
Jetzt jedoch taute er auf. Offensichtlich war auch von ihm der Druck der Notwendigkeit, eine Rettungshandlung zu unternehmen, ein wenig abgefallen, jetzt, da schon die halbe Entscheidung gefallen war. Der alte Dan war eben ein Mann der Tat, was man von den Matten-Willys wohl nicht so sagen konnte.Trotz ihrer „Liebt-das-Innere“-Haltung waren sie doch oft eher hilflos, diese für Terraner meist possierliche wirkenden Wesen.
Aufgeregt deutete der Willy mit dem Tentakel. Picot sah das Malheur. Die Kuppel war bereits an einer Stelle aufgebrochen, etwa zwei Meter über dem Boden und das Plasma quoll heraus. Bis jetzt hatte es erst einige Quadratmeter des Mondbodens bedeckt und Picot wusste nicht, ob es linear oder exponentiell wachsen würde, aber das war ihm auch egal. Er setzte erneut den Paralysatorwerfer ein und betäubte das Plasma am Kuppelrand und auf dem Boden. Wenn die Vermehrung ein bewusster Prozess war, würde sie jetzt erst einmal aufhören. Picot verstärkte die Intensität, als er die ganze Kuppel überflog, denn der Parastrahl des Feldes musste ja durch das Metall der Kuppel gelangen, um auch das Plasma im Inneren zu betäuben. Er hoffte nur, dass der abschirmende Effekt, durch die Terkonitschicht der Kuppel verursacht, nicht zu stark war. Darum überflog er die Kuppel lieber zweimal. Der Feldwerfer war dabei so vorsichtig dosiert, dass er das Plasma wohl tief betäuben konnte, aber keine bleibenden Schäden hervorrufen würde.. Jedenfalls dann, wenn das infizierte Plasma ähnlich reagierte wie Gesundes.
Dann landete Picot die Linse vorsichtig auf ihren Kufen auf der Ebene hinter der Kuppel. Der Matten-Willy und er stiegen aus und gingen zur Kuppel hinüber. Die Posbis lagen malerisch verteilt um die Kuppel herum wie ein surrealer Schrotthaufen.Die beiden gingen zwischen den verdrehten Maschinenwesen hindurch. Picot kam sich vor wie in einem Panoptikum...überall um ihn herum verdreht wirkende Technoteile. Dann erreichten sie die Kuppel. Picot ging um sie herum, bis er an den aufgebrochenen Bereich gelangte. Ja, das Plasma war ebenfalls betäubt. Ein Wachstum war nicht erkennbar. Etwa zwanzig Quadratmeter ausserhalb der Kuppel waren von einem grünlichen Schimmer bedeckt: das infizierte Plasma mit der kristallinen Oberfläche hatte sich bis hierhin ausgedehnt. Picot bückte sich und untersuchte die Schicht. Diese war dünn, nur einige Zentimeter dick. Er dachte an den Kristall in seiner Tasche und wunderte sich, ob diese beiden Dinge etwas miteinander zu tun haben könnten. Dann seufzte er. Hier war kein weiteres Abenteuer mehr möglich. Der Rest war Laborarbeit. Er wollte nicht, dass sich auch Tausend Augen mit der Kristallseuche infizierte, deshalb bat er den matten-Willy, etwas zurückzubleiben, als er eine Probe des infizierten Plasmas vorsichtig aufhob und in einem kleinen Behälter unterbrachte, den er von Bord der Linse aus dem dortigen Ausrüstungsvorrat mitgenommen hatte.
„Helfen wir jetzt dem Plasma?“ quiekte der Matten-Willy in seinen Telekom. „Picot nickte so, dass der Matten-Willy es sehen konnte: „Ja! Wir müssen ins Labor auf der LION! Nur dort ist wirklich Hilfe möglich!“ erwiderte er. Der Matten-Willy schien mit dieser Auskunft vorerst zufrieden zu sein.Er folgte Picot, als dieser schweigend in die Linse kletterte. Diese stieg empor und verschwand bald hinter den zackigen Berggipfeln von Deimos, als Picot sie in Richtung der terranischen Basis steuerte...
***
„Ja!“ sagte Tschato, als er Picot in der Zentrale der LION gegenübersaß.“Und wie haben Sie diese Problem nun gelöst, Dan? Das würde mich schon interessieren?“ Der Löwe räkelte sich auf seinem Pneumosessel und Dan musste an eine langmähnige Katze denken, die sich in der Sonne der afrikanischen Wüste regte, aus dem Schlaf erwachend und auf Jagd aus war.
Verschmitzt grinste er über die Falten seines Gesichtes: „Der Rest war wirklich Laborarbeit!“ erzählte er. „Anhand des abgebrochenen Kristallsplitters, den ich mitgenommen hatte, erwies sich, dass es sich hier um Hyperkristalle handelte...nur eine mindere Sorte, nicht so wertvoll wie Howalgonium, aber die Hyperfunkfrequenzen vom Mars und von der Deimos-Station hatten ihre Eigenfrequenzen stimuliert und sie so zum Wachstum angeregt. Ein Matten-Willy oder ein Posbiroboter musste wohl ein paar Krümnel von der Mondoberfläche mit ins Innere gebracht haben, so dass die Wachstumsstreustrahlung des Plasmas mit der Hyperschwingung der Kristalle interferierte und so die Infektion auslöste...die Funkstationen gingen einfach auf andere Frequenzen und isolierten die Eigenfrequenz des Kristalls. Dadurch wurde weiteres Wachstum aufgehalten. Und eine Stimulation des Plasmas mit einer phasenverschobenen Welle löste die Kristalle von der Plasmaoberfläche und beendete so die Infektion. Leider zerfielen die Kristalle dabei, ebenso wie der Abbruchstein, den ich von draußen mitgenommen hatte.!“ Tschato nickte bedächtig: „Ja, das ist schade!Aber wenigstens ist das Plasma jetzt wieder gesund! Das ist die Hauptsache. Nun kann es weiterfliegen zur Hundertsonnenwelt – und sich dort mit dem Zentralplasma wieder verbinden.!“ Er nickte befriedigt. Für ihn war die Sache damit abgeschlossen: „Kommen Sie, Dan! Alle Ersatzteile sind an Bord. Die LION fliegt wieder! Wir starten!“ Der Löwe schien erneut rastlos zu sein. Picot seufzte, als das Schiff abhob. Sein Magen grummelte, doch er befühlte den Howalgoniumkristall in seiner Tasche, in den sich der grüne Brocken bei der Hyperbestrahlung verwandelt hatte. Davon hatte er Tschato noch nichts gesagt. Er grinste in sich hinein. Sie waren wieder unterwegs, auf großer Fahrt. Er sah auf den Panoramaschirm.Das Schiff durchflog den marsnahen Raum und ließ die Planeten langsam hinter sich. Saturn zog vorbei mit seinen, großen, leuchtenden Ringen. Das Schiff ebschleunigte an dem Planeten vorbei. Dann verschwand die LION im Linearraum...
Schlussbemerkung:
Kurze Anmerkung zu den Titeln der beiden Stories: So wie Phantastik oft aus der Banalität des tristen Alltages entstehen kann als Initialzündung, (erinnert sei nur an Dalis schmelzende Uhren, die aus einem in der Sonne liegenden Camembert entstanden), so ist es auch hier.
Ein Kollege von mir, im realen Leben Action-Schwertkämpfer und Pen-and Paper-Role-Player, pflegte nach einer Pause zu sagen: „Gehen wir wieder 'rein! Robos!“ Worauf ich automatisch ergänzte: „Auf Phobos! Und Schleimos auf Deimos!“ Dieser Satz bezieht sich auf die Tatsache, die viele arbeitende Menschen kennen, dass man im Arbeitsleben beim Umgang mit unfähigen Vorgesetzten oder Wash-out-Drückebergerkollegen oft nicht die Wahrheit sagen kann, um den Arbeitsfrieden nicht zu gefährden...“Oh, Schere im Kopf, sag' das jetzt lieber nicht...“ Dies sei nur einmal am Rande bemerkt, denn Kreativität eröffnet sich uns immer aus den unglaublichsten Situationen.Galaktische Grüße Aarn.
© by Holger Döring
Kommentare
Bin gespannt