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Auszug aus Professor Zamorra Doppelband 893 Der Atem des Bösen/894 Seelenbrand

LeseprobeAuszug aus Professor Zamorra Doppelband
893 Der Atem des Bösen/ 894 Seelenbrand

Elisabeth erwachte, weil ihr träumte, ein rostiger Nagel wühle sich durch ihr zartes, junges Fleisch. Durch Hals, Brust und Bauch. Es tat höllisch weh, und sie nutzte den Traumschmerz, um sich aus dem Schlaf zu flüchten. Mit jagendem Puls lag die Sechsjährige in ihrem Bett und sah zu, wie das Mondlicht Figuren und Bewegungen in ihr Zimmer zauberte, die – hoffentlich! – nicht mehr waren als reine Schattenspiele.
Das Grauen wird 40Elisabeth krampfte die Hände fester um die nach Waschlauge riechende Zudecke und zog sie sich bis über den Mund. Die Wärme ihres Atems, der vom Stoff zurückgehalten wurde, beruhigte sie etwas.

Aber dann kam das Geräusch, jener Ton, der die Stille durchsägte und die Angst in dem kleinen Mädchen explodieren ließ. Zunächst war er noch leise und klang wie ein schwaches Wimmern, aber er schwoll an, und schon bald übertönte er ihren wummernden Herzschlag.

Mehr und mehr hörte es sich an wie schauriges ... Weinen. Wie die Qual einer gefangenen Seele.

Professor ZamorraElisabeth’ Augen waren weit aufgerissen, und ihr Blick durchstach zittrig das Zimmer auf der Suche nach der Quelle dieses furchtbaren Jammerns. Zum ersten mal seit langem fühlte das Mädchen wieder Leben in sich selbst, spürte, wie ihr Körper unter den angsteinflößenden Lauten rebellierte, sich verkrampfte, schüttelte, wie ihr heiß und kalt im steten Wechsel wurde.

Es war, als würde die Furcht sie aus einem chitinharten Panzer schälen, in den sie sich zurückgezogen hatte, als ... ja, als ihre über alles geliebte Mum gestorben war.

Als das Moor ... sie gefressen und nicht wieder hergegeben hatte!

Seither war alles dunkel und kalt gewesen. Elisabeth hatte selbst sterben und auf diese Weise wieder vereint mit ihrer Mutter sein wollen. Immer tiefer hatte sie sich der Welt, die sie umgab, entrückt. Immer mehr war sie in sich selbst versunken und hatte sich in ihrem Schneckenhaus eingerichtet. Niemand war mehr an sie heran gekommen, nicht einmal ihr Vater, an dem sie natürlich hing, aber an den sie etwas anderes Band als an ihre verlorene Mutter. Bei ihm war es eher Respekt ... gewesen.

Aber es war schwer, dies aufrecht zu erhalten. Denn ihr Vater ... litt allem Anschein nach noch viel mehr unter dem Verlust, den sie beide erfahren hatten.

Manchmal glaubte Elisabeth, er wäre über all dem Gram wahnsinnig geworden. Sie sah ihn kaum noch. Sie beide lebten in einem dunkel und leer gewordenen Haus und begegneten einander immer seltener ...

Und nun – was geschah nun?!

Das Jammern schien sich näher an ihr Ohr heranzutasten. Wie ein Insekt, das sich auf krabbelnden Beinchen auf sie zubewegte. Spinnenhaft.

Elisabeth setzte zu einem Schrei an. Aber ein Gedanke hielt ihn zurück. Vielleicht, dachte sie, war sie verrückt geworden, genau wie ihr Vater an dem stetig wühlenden Schmerz zerbrochen. Und wenn dem so war, wollte sie nicht, dass die anderen es merkten. Die wenigen Hausangestellten, die ihnen noch geblieben waren. Die alte Maud etwa, die so viele von Elisabeth’ Tränen getrocknet hatte, die sie unermüdlich zu trösten versuchte, wo kein Trost möglich war ...

Kind!

Das Wimmern und Weinen hörte schlagartig auf. Zugleich wurde es heller im Raum, als würde alles Mondlicht an einer Stelle zusammenlaufen, sich quecksilbrig verbinden und ... und eine Gestalt formen.

Für einen Moment kam es Elisabeth so vor, als würde alles Leben aus ihr weichen. Oder sich zumindest, wie das fahlen mondlicht dort, an einem einzigen Punkt ihres Körpers – tief im Bauch – sammeln und ballen. Mit riesengroßen Augen starrte sie auf die Erscheinung dort unten am Bettende. Die Erscheinung, die gerade erneut anhob, zu ihr zu sprechen.

Kind – erschrick nicht. Ich bin es, deine Mutter. Du brauchst keine Angst zu haben. Alles wird gut. A-l-l-e-s  w-i-r-d  g-u-t-!

Elisabeth hatte längst aufgehört, nur Angst zu haben. Es war lichterlohe Panik, die jetzt in ihr brannte!

Das da ... sollte ihre Mum sein?

Und selbst wenn – so hatte sie ihr nicht wieder begegnen wollen! Nicht hier im Diesseits als einem Geist – dann schon lieber selbst einer drüben im Jenseits, wo alles friedlich und paradiesisch sein musste. Hier ... hier machte es ihr mehr als Angst, versetzte es sie in mehr als nur Panik. Sie ... sie glaubte, ohnmächtig werden zu müssen. Oder vor Aufregung zu sterben ... Ja, daran klammerte sie sich. Wenn das wirklich ihre Mum war, dann ... dann wollte sie sterben, um wirklich zu ihr gelangen zu können!

Du wirst nicht sterben. Im Gegenteil, alles wird gut. Ich bin wiedergekommen. Und werde dich nie wieder verlassen.

Elisabeth wurde schlecht, speiübel. Etwas vom Abendbrot bahnte sich heiß und sauer den Weg durch ihre Speiseröhre nach oben ... Sie konnte es gerade noch zurückhalten. Dabei hatte sie das Gefühl, immer tiefer im Bett zu versinken. Sie wünschte sich ein Mauseloch – weil das Schneckenhaus offenkundig versagt hatte, keinen Schutz mehr bot, nicht vor ... so etwas ...!

Zu ihrem Schrecken (wo blieb die Erleichterung, die ... Freude über das unverhoffte Wiedersehen?) verdichtete sich das fahle Licht zusehends zu mehr als nur einer geisterhaften, durchsichtigen Form mit annähernd menschlichen Umrissen. Das, was sich dort am Ende des Bettes materialisierte, wurde mehr und mehr echter, fast greifbar in seiner Klarheit und Ausstrahlung.

„M-mum ...?“ Sie wollte es nicht, wollte nicht zu diesem Ding sprechen, das ihr vorgaukelte, ihre Mutter zu sein. (Woher kamen die Zweifel? Sie wusste es nicht. Sie spürte lediglich, dass etwas nicht stimmen konnte.)

Alles wird gut.

Die bezaubernd schöne Frau löste sich von der Stelle, an der sie eine Weile ausgeharrt hatte, und kam auf Elisabeth zu. Ihre nackten Füße berührten den Boden, sie schwebte nicht, sie ging wie ein ... ein lebendiger Mensch, und sie trug das Kleid, das sie bei ihrem Verschwinden getragen hatte. Es war sauber und roch wie eine Blumenwiese, keine Spur von fauliger Moorerde, auch nicht an der alabasterfarbenen Haut ...

Elisabeth rutschte zur Wand, an der das Bett stand. Ihr Herzschlag übersprang immer wieder einen Takt, und manchmal fühlte es sich an, als wollte er für immer aussetzen.

Dann war das Ding, das behauptete, ihre Mutter zu sein, bei Elisabeth, ganz nah, und es kam noch näher, beugte sich vor, bis das Mädchen den Atem der unheimlichen Besucherin spürte. Er war süß und betörend wie Rosenduft.

Damit du mir glaubst und alles gut werden kann, habe ich dir ein Geschenk mitgebracht.

Eine Hand schwebte plötzlich vor Elisabeth’ Gesicht – so schnell, dass das Mädchen der Bewegung nicht einmal im Ansatz hatte folgen können.

Eine Faust – schlanke gekrümmte Finger, die etwas umschlossen und sich jetzt öffneten ...

„Was ... ist ... das?“ Wie fallende Wassertropfen rannen die Worte aus Elisabeth’ Mund. Sie wollte gar nicht mit dem ... mit der Frau sprechen. Sie war nicht echt. Sie war nicht das, was sie vortäuschte. Wo sollte sie all die Monate gewesen sein? Nein, hier war etwas zutiefst Abstoßendes im Gange, etwas, das einer kleinen Kinderseele nur noch mehr Schaden, noch mehr Leid zufügen konnte.

Ich – will  - das – nicht! Will, dass sie verschwindet! Aus meinem Kopf! Aus meinem Zimmer! Dad ...

Er war nie da gewesen, wenn sie ihn wirklich brauchte, immer nur Mum.

Er war nie da, wenn du ihn brauchtest, aber ich!, griff die Täuscherin Elisabeth’ Gedanken auf. Nimm mein Geschenk, und auch das wird sich ändern. Dann wird er der Vater, den du immer wolltest ...

Die Faust hatte sich jetzt geöffnet. Auf der Innenfläche der Hand lag eine Spange. Aus rohem Eisen geformt. Als Elisabeth genauer hinsah, meinte sie sogar noch den Widerschein eines Feuers zu sehen, der von dem stumpfen Metall reflektiert wurde.

„Hässlich!“, stieß sie hervor, ohne genau zu wissen, warum sie es sagte (vielleicht, weil sie bereits ahnte, tief in sich ahnte, was für eine Bewandtnis es damit hatte?). „Das ist hässlich! Weg! Tu es weg!“

Die Täuscherin lachte. Ein Lachen, das die Anmut ebenso aus ihrem Gesicht wischte wie jedes mütterliche Mitgefühl oder auch nur Freundlichkeit.

Du lehnst mein Geschenk ab? Du undankbares ...!

Alles, was Elisabeth seit Beginn dieser Begegnung gefürchtet hatte, bewahrheitete sich nun binnen eines Augenblicks.

Die Maske fiel.

Das ... Ding zeigte sein wahres Wesen, auch wenn die groben Umrisse und Merkmale der toten Frau, die es zu sein vorgab, erhalten blieben.

Aber von einem Atemzug zum anderen wurde es zur Furie. Zum wutentbrannten Gespenst, das mit einem nervenzerfetzenden Wwwoaasch! auf die kleine Elisabeth zurückte und auch noch die letzte Distanz überwand.

Ganz nah kam das böse Gesicht und schien den Blick des Kindes bannen zu wollen. Doch Elisabeth schaffte es, nach unten zu sehen, wo ...

... wo sich gerade die Hand, die das Geschenk hielt – immer noch! – schmerzhaft in ihren Brustkorb wühlte.

 Es war, als würde jemand das Kind bei lebendigem Leib mit einem Büschel Brennnesseln ausstopfen. Oder Salz in eine offene Wunde reiben.

Ein schriller Schrei verließ Elisabeth’ Kehle. Aber sie konnte nicht fliehen. Und auch nicht die Augen abwenden von dem, was die Geisterhand in ihrer Brust anrichtete. Sie leuchtete jetzt wieder – vielleicht war es auch die Spange, die das glutrote Licht verströmte –, und machte den Bereich, in den sie eingedrungen war, fast transparent. Elisabeth sah plötzlich ihre Rippen, ihre Organe ... und während der Schmerz ihren Blick in Tränen ertränkte, sah sie verschwommen, wie die Finger die Spange öffneten, um Elisabeth’ Herz legten ... und dann wieder zuschnappen ließen.

Das war das Letzte, was sie sah oder spürte, bevor die Qual endlich endete.

Und alles ... gut wurde.

Das obszönfreudige Kichern, mit dem die Täuscherin sich wieder in die Mondstrahlen aufspaltete, aus denen sie erwachsen war, hörte Elisabeth nicht mehr.

Das Geschenk, das sie nicht hatte ablehnen können, war an einem Ort verwahrt, zu dem niemand – nicht einmal sie selbst – mehr Zugriff hatte.

Das teuflische Spiel, die höllische Farce, konnte beginnen.

Kommentare  

#1 benfi 2008-07-23 11:27
Spannender Auftakt! Trotzdem - Ich bin kein ZAMORRA-Leser, daher weiß ich nicht, ob ich mir den Zweiteiler zulegen sollte. Zu komplett und verquer ist mir das Universums des Professors des Übersinnlichen...
#2 Adrian Doyle 2008-07-23 13:48
Wie ich aus gut unterrichteter Quelle weiß, ist der Doppelband eine ganz neue Thematik, die keinerlei Vorwissen aus 892 Heften voraussetzt. Einfach mal was riskieren! ;-)

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