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Krieg der Schrecken

LeseprobeKrieg der Schrecken
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So saß nun also die ehemalige Regentin eines vernichteten Clans dieser Außerirdischen eingesperrt in einem Labor der militärischen Division Tantalus, reduziert auf ein Dasein als ultrageheimes Forschungsobjekt, eine höchst begehrte Experimentiermasse, zugedröhnt mit speziellen Drogen, um zu verhindern, dass sie die Kontrolle über ihren Körper erlangte und ihre Selbstzerstörung herbeiführte.


Krieg der SchreckenKyle sagte, er habe zum Team der Exobiologen von Tantalus gehört, das kommunikative Schnittstellen zu der betäubten Imperatrix einrichten sollte, aber irgendwer habe ihn aus dem Spiel genommen. Er ging nicht weiter darauf ein, doch es schien ihn schwer getroffen zu haben. Auf diese Weise kaltgestellt, habe er also beschlossen, sich an Tantalus zu rächen und seine verrückte Idee ausgebrütet. Besessen vom Gefühl der Demütigung, das seinen Zorn am Leben hielt, habe er sich in die Abgründe der Schattenwirtschaft begeben, wo die hehre Wissenschaft schnell zur Handelsware wird und neue – eher unkonventionelle – Anwendungsbereiche findet. Er habe nach einem wahren Könner in dieser Unterwelt gesucht, mit den geeigneten Kontakten, um sein Wissen in finanzielles Vermögen umzuwandeln. Und so sei er auf mich gestoßen.

Er schlug vor, dass wir uns die Imperatrix unter den Nagel reißen und die Außerirdische dann mit meiner Hilfe verschachern sollten.

Das ist Wahnsinn, hielt ich ihm entgegen. Totaler Wahnsinn.

Genau, Max, und gerade deshalb muss es klappen, war Kyles Antwort, während er die Haarrisse sondierte, die sich in meiner skeptischen Abwehr zeigten. Er wusste, dass dieser Idee, gerade wegen ihrer Verrücktheit, etwas greifbar Erfolgversprechendes innewohnte, dem ich schließlich erliegen würde. Er nannte mir Einzelheiten, sprach vom Asteroidengürtel der düsteren G1-M845, wo sich das Tantalus-Labor befand, von den Koordinaten zur Lokalisierung des Standortes, von Codes und Gegenmaßnahmen, mit denen man die militärischen Systeme austricksen und in die Basis eindringen könnte. Er hatte alles fix und fertig im Kopf. Er redete von Beihilfe durch einen Insider und von den Schwachpunkten der Innenverteidigung der Station. Er dekorierte das ganze Panorama mit vielen überzeugenden Details, erwähnte die Gewinnmargen, die wir erzielen könnten, wenn es uns gelang, die Imperatrix in die rechten Hände zu vermitteln, und beobachtete mich dabei, wie ich diese Informationen verdaute.

Unter dem Ansturm von Kyles zwingender Logik und meiner aufgestachelten Vorstellungskraft begann meine Skepsis allmählich zu bröckeln. Vielleicht ließ es sich ja tatsächlich machen. Zuerst einmal galt es, den Weg zu sondieren. Sollte er sich als gangbar erweisen, wäre ich die Brücke, über die der Transport der Ware von dem beraubten Militärkonsortium zu den gierigen illegalen Käufern abgewickelt würde, und zwar ein wirklich schneller Transport, oder ich würde unter dem schieren Ausmaß dieses Handels unweigerlich zusammenbrechen. Wir überschlugen, welcher Gewinn sich aus der Imperatrix herausschlagen ließe. Bis dahin würde man genau wissen, an welche Türen zu klopfen war, und man würde allemal vorsichtig anklopfen müssen.

Nach Kyles Ansicht würden vier Forschungsgebiete am meisten davon profitieren, falls die Schrecken-Imperatrix den Labors der freien Wirtschaft zur Verfügung stünde: Biologische Kriegsführung, Nanotechnologie, Biochips und Hochenergie. Auf Tantalus hingegen seien lediglich die Biowaffen-Abteilung und das Genetiker-Team, zu dem Kyle gehört hatte, an der Sache dran.

In der Zellstruktur der Imperatrix, diesem lebendigen Endresultat einer xenotechnologischen Entwicklung, seien Millionen submolekularer Mikromaschinen eingebettet, biologische Geisterchen, die unserer flügellahm gewordenen Autoreplikations-Nanotechnologie neuen Auftrieb geben würden. Außerdem ließen sich mit ihrer Hilfe tödliche Biowaffen oder intelligente Verteidigungssysteme konstruieren. Kyle hielt mir einen Vortrag über die fortschrittlichen Genochip-Bibliotheken dieser außerirdischen DNA, welche den Schrecken Zugriff auf enorme Datenbanken erlaubten, randvoll mit den Erinnerungen ihrer Gattung, Jahrtausende alten Überlieferungen, viel effizienter und nachhaltiger archiviert als die Grundlagen unseres eigenen Wissens. Gar nicht zu reden von möglichen Informationen über kalte Fusion oder energetische Schutzschilde, erzeugt von lebenden Organismen, alles Angaben, die in diesen Genotheken enthalten sein mochten und uns helfen würden, umweltfreundlichere Formen der Energieerzeugung zu entwickeln.

Hol dir die Imperatrix und du kannst jeden Preis verlangen, sagte Kyle eines schönen Abends am Meer und funkelte mich dabei an. Und ich gab nach, schloss den Vertrag mit ihm, geblendet von dem Vermögen, das er mir in Aussicht stellte, und von der heftigen Leidenschaft, die aus diesen himmelfarbenen Augen blitzte.

Also legten wir los. Wir fuhren zum Mann, dem innersten Swaink-Planeten, ein Edelschmugglerparadies, in dem ich gute Verbindungen zu wichtigen Zwischenhändlern hatte. Ich ließ mein Schiff, die Escher, in einem der Touristendocks des orbitalen Hafens. Wir mieteten eine Wohnblase im Hotel des Raumaufzugs und ließen uns auf einer zweitägigen Reise dem Schwerefeld entgegenfallen.

Ich sehe Kyles Gesicht vor mir, wie es sich in der polarisierten Fensterscheibe der Blase spiegelt, seine ernste Miene, die Augen fest auf Swaink gerichtet, als wolle er den gesamten Photonenstrom dieser todgeweihten Sonne in sich aufsaugen, mit blasser Haut, die Struktur seiner Gesichtsmuskeln überdeutlich im alles beherrschenden Schein des Roten Riesen. Die mächtige Wölbung seines Rückens.

Und dann dieser eine, hochexplosive Moment mitten in der Mann-Nacht, die gleitende Hotelkugel drang eben in die obere Atmosphäre ein, als ich mich stöhnend vor Lust unter Kyles heißem Körper wand, gebändigt von seiner Kraft, während sich feuchte Strähnen seines Haars wie kalte Tinte über meine Brust ergossen und etwas Zartes von seinen Wangen fiel, das die wachsende Schwerkraft auf meine Haut herabzwang: Tränen, die still aus einem verschlossenen Winkel seines Wesens tropften.

Auf Mann setzte ich einmal mehr meine gut geschmierte Kontaktmaschinerie in Gang, taxierte das Interesse potentieller Käufer und prüfte, ob die Pfeiler der Brücke, in die ich mich bald verwandeln sollte, auch tragen würden. Es ging voran, also kehrten wir in den Orbit zurück, von wo aus ich meine Leute für den Einsatz zusammentrommelte: Spezialisten, denen ich absolut vertraute, strategische Muskeln, gestählt in den Fährnissen des Geschäfts. Nicco kam als erste, eine durchtrainierte und mit Bioimplantaten gespickte Arkanerin. Sie hatte alles stehen und liegen lassen, womit sie auf Dexstar, sieben Lichtjahre entfernt, gerade zugange war, und einen Expresskreuzer ins Swaink-System genommen. Danach kamen Xing Jian und Antonio, die Unzertrennlichen aus dem Herzen des Erial; Spaßvögel, hart und trotz ihres leicht affektierten Stils für diese Art von Job wie geschaffen. Wachowski ließ eine Woche auf sich warten, und so hatte ich Zeit, vom Dockservice die große Halle der Escher so umbauen zu lassen, dass er hineinpasste. Bei dieser Gelegenheit ließ ich auch die Software, die ihn mit der Brücke verbinden würde, entsprechend rekonfigurieren, denn Wachowski war aufs Empfindlichste hochgerüstet. Im Vergleich mit ihm war die Escher ein besseres Wrack.

Wachowski war ein Falke: ein organisches Menschenhirn, eingeschlossen in die gepanzerte Kommandozentrale eines Sturmboots; acht Meter kybernetischer Korpus, bis an die Zähne bewaffnet, beherrscht von eineinhalb Kilo grauer Zellen, die an künstliche Sinnesorgane gekoppelt waren. Die Flotte hatte im vergangenen Jahrzehnt etwa hundert solcher Navorgs vom Stapel gelassen: hybride Raumjäger mit einem revolutionären Düsensystem und von Plasmawaffen starrend, die wie Igelstacheln in alle Richtungen zielten. In der ersten Angriffswelle gegen die Schrecken hatten sie eine wichtige Rolle gespielt. Als kleine tödliche Kamikazekämpfer waren die Falken eine wahre Plage für die feindlichen Bioschiffe. Aber sie gingen dabei fast alle drauf. Wenige Jahre später hatte die stolze und siegreiche Streitmacht der Föderation jene Patrioten längst vergessen, ihr Heldenmut wurde gerade mal noch auf ein paar Buchseiten über die jüngere Geschichte beiläufig erwähnt. Nur sieben von ihnen hatten den Krieg überlebt. Und jetzt wurden sie nicht mehr gebraucht und drifteten als Söldner auf Abruf durch ein menschliches System, das in ihnen nichts weiter sah als exotische Überbleibsel.

Wachowski war mein Lieblingsagent für diese Sorte Geschäft.

Ich erläuterte ihnen meine Pläne anhand einer dreidimensionalen Ansicht des Zielobjekts und seiner Lage. Ich stellte ihnen hohe Beträge als Gegenleistung für ein bisschen Adrenalin in Aussicht. Sie hörten mir aufmerksam zu. Mit angespannter Miene standen sie um das Hologramm herum und fragten nach Details, entwarfen Routen, skizzierten virtuelle logistische Szenarien und versuchten sich schon einmal all die Variablen vorzustellen, die Kyle ins Spiel brachte.

Sie sagten nein. Mit denselben Worten wie ich: Totaler Wahnsinn. Der Preis sei schon in Ordnung, meinte Nicco und dehnte dabei die Muskeln ihrer kräftigen Arme, aber es gäbe da einen Haufen unbekannter Figuren, und sich auf Tantalus herumzutreiben könne leicht ins Auge gehen. Xin Jiang erklärte, man setze in dieser Angelegenheit sein Leben aufs Spiel für ein Ding, von dem keiner von uns mit Sicherheit wisse, ob es dort überhaupt anzutreffen sei. Selbst Wachowski, dem wie Kyle vor allem die Idee behagte, das Militär genau da zu treffen, wo es so richtig weh tat, hatte seine Zweifel. Und dabei hielt er sich für erheblich besser geschützt und für autonomer als alle anderen.

Vielleicht, sagte Antonio in seinem allerdiplomatischsten Ton, riskierten wir zuviel angesichts all dieser unbekannten Größen. Vielleicht, und dabei fixierte er Kyle, sollte man den Einsatz erhöhen.

Und Kyle spielte meisterhaft: Er opferte eine Figur und tat damit den nächsten Zug in seiner komplizierten Partie voll überraschender Wendungen.

Er stellte uns die Unsterblichkeit in Aussicht.

Die Art und Weise, wie Kyle dieses vor Mystizismus triefende Ewigkeitsversprechen fallen ließ, hatte etwas Anzügliches, etwas Obszönes. Während er unsere verdutzten Gesichter genau beobachtete, eröffnete er uns, dass proteosomische Mechanismen im Erbgut der Imperatrix die Übertragung außerirdischer Gensequenzen in die menschliche DNA erlaubten: Mischwesen, deren Zellen extrem langlebig seien und von denen unsere Gerontologen nicht einmal zu träumen wagten. Er erzählte etwas von synthetischen Nukleosomen, welche die telomerische Panzerung unserer Zellen ins Unendliche potenzieren und damit den Chromosomenzerfall und die Häufung von Genomschäden aufhalten könnten, die uns altern und sterben ließen.

Die Außerirdische als Mittel zum Zweck der menschlichen Unsterblichkeit. Zu schön – und zu verrückt –, um wahr zu sein. Da ihm keiner von uns glauben mochte, unterwarf sich Kyle einem stundenlangen Scan, den Xing Jian, Spezialist für Molekularbiologie, in seiner disziplinierten Gründlichkeit und mit dem Instrumentarium der Escher an ihm vornahm. Wir warteten, aufs äußerste gespannt, bis Xing Jian aus dem Labor auftauchte und uns die Beweise in Wort und Bild präsentierte: Kyles somatische Zellzyklen waren makellos, sein Organismus auf unbestimmte Zeit gegen den Alterungsprozess gefeit. Er hatte nicht gelogen. Irgendwer auf Tantalus musste seine DNA mit dem Genom der Imperatrix modifiziert haben, und als Folge davon war er unsterblich.

Wer will denn unsterblich sein, zum Teufel?, erinnere ich mich an Wachowskis wütenden Einwurf. Genau wie Kyle ging es ihm nur um Rache an den Militärs, und im Schlag gegen Tantalus sah er das perfekte Sinnbild von Herausforderung und Strafe. Aber der Rest von uns dachte anders.

An diesem Punkt also sprach Xing Jian laut aus, was für uns alle längst feststand: Es sei schon der Mühe wert, das Leben zu riskieren, wenn man dafür Unsterblichkeit erringen könne.

Später, in meiner Kajüte, geriet ich heftig mit Kyle aneinander. Während wir uns unsere gegensätzlichen Ansichten um die Ohren schlugen, brüllte ich ihn an: Warum hatte er mir die Sache mit der Unsterblichkeit verschwiegen? Aber er redete mir gut zu und beschwichtigte mich mit Zärtlichkeiten, er entkräftete meinen Zorn in seiner ganz persönlichen, unwiderstehlichen Art und Weise und lullte meinen Willen mit der gleichen Leichtigkeit ein, mit der er meine Lust wachkitzelte.

Zwei Tage später stand der Plan. Es gab viel zu tun. Nicco, Antonio und Xing Jian machten sich auf den Weg nach Tesla, um die passende Ausrüstung zu besorgen. Wachowski traute Kyles Angaben nicht ganz und verpflichtete drei geklonte Söldner zur Verstärkung unserer Truppe; mehr Muskeln, mehr Mumm, meinte er. Ich überließ es Kyle, zusammen mit einem praktisch veranlagten Embryologen von Mann den Käfig zu konstruieren, in dem die Außerirdische transportiert werden sollte, und ich selbst begab mich nach dem Planeten Dobrinia, um alles für den Sprung zu regeln.

Diese Woche auf Dobrinia ist mir noch gut in Erinnerung. Tag für Tag kämpfte ich mit Entzugserscheinungen, weil Kyle nicht bei mir war, und gleichzeitig handelte ich mit einem aalglatten Funktionär des Tupolev-Transport-Konzerns die geheime Überführung der Escher aus. In Neu Gorki fiel leichter Schnee. Von industriellen Aerosolen kontaminierte Eiskristalle trübten das ohnehin schwache Winterlicht. Kyle schwirrte mir die ganze Zeit im Kopf herum, während ich mit dem Mann über Aufnahmepunkte, Sprungrouten, Hyperportal-Kombinationen und interstellare Frachtschiffe diskutierte.

Der Hauptstern von G1-M845, wo das Labor der Tantalus-Division seinen Sitz hat, ist ein unbedeutender Brauner Zwerg mit einem breiten zentralen Asteroidengürtel, um den ein paar Gasriesen kreisen. Er liegt fernab der üblichen interstellaren Routen. Zivilen Schiffen ist der Eintritt in dieses System verboten, bis auf jene von ein paar großen Handelskonzernen, die es als Sprungbrett zu anderen Sonnen benutzen dürfen. Mir kam es nur darauf an, unentdeckt in das System hineinzugelangen, denn die Escher verfügte über ihren eigenen Hyperantrieb, um wieder herauszukommen, sobald wir die Außerirdische hätten.

Schließlich wurden wir handelseinig. In zwei Wochen würde ein Konvoi aus zwölf Tupolev-Frachtern die Hyperportale ins System G1-M845 als Teil ihrer normalen interstellaren Route benutzen. Verborgen in einem Laderaum des letzten Frachters würde mein Schiff mitreisen, und dann würde ein halbautonomes Programm für drei Minuten eine Schleuse öffnen, um uns hinauszulassen. Alles Weitere sei allein meine Angelegenheit, versicherte mir der Funktionär.

Zurück auf Mann führte ich ein paar Gespräche. Zwei Käufer von Cygni warteten auf die Ware. Die Vorrichtung für den Aufenthalt der Schrecke war fertig und der Rest der Truppe bereits zurück. Wachowski hatte seine drei zusätzlichen Söldner mitgebracht. Sie kamen von Shannon, aufgemotzte Kampfklone vom Rhino-Typ, groß und rothaarig. Sie sprachen wenig und hatten ein Auge für Details. Zum Kämpfen geschaffen, waren sie ab sofort neuronal mit Wachowskis Steuerungssystem vernetzt, allzeit bereit.

Wir setzten uns in Marsch. Zunächst einmal ging es zu einem Raumhafen für Handelsschiffe im Altair-System, der zugleich eine Art Sternstraßenmeisterei war. Dort stießen wir zu den Tupolev-Schiffen. Wir warfen einen letzten kritischen Blick auf unsere Planung. Draußen veränderten sich die Lichtpunkte im Himmelsraster, als der Konvoi den Sprung durch das Portal machte, und ich gab mich einmal mehr der ganz speziellen Form von Intimität hin, die Kyle mir angedeihen ließ: Sein heißer Atem auf meiner Haut, die Atmosphäre mit jener elektrischen Spannung aufgeladen, nach der ich geradezu süchtig war.

Zwei Hypersprünge später verließ die Escher den Frachter, und vor uns erstreckte sich der Asteroidengürtel von G1-M845 wie ein monochromes Meer aus Eis und Fels. Wir brauchten vier Tage, um den Tantalus zu finden, dabei lag er, perfekt getarnt im Schatten eines Asteroiden, genau dort, wo es Kyle vorhergesagt hatte. Die Escher spielte den Schiffshalterfisch und heftete sich in fünfzig Kilometer Entfernung vom Zielobjekt an einen Felsbrocken.

Jetzt wurde es also ernst. Ich ging hinunter in den Hangar und sah den anderen dabei zu, wie sie sich nacheinander in Wachowskis Kabine quetschten. Mit ihrer fremartig anmutenden Bewaffnung und ihren Hochdruck-Buckyball-Panzern wirkten sie wie Kriegsmaschinen auf Adrenalin.

Kyle bemerkte meine Anwesenheit nicht. Er verkabelte gerade seinen Kopf mit einer Schnittstelle zu Wachowski. Was das betraf, hatte er mir irgendwas von Koordinaten und taktischer Kontrolle erzählt. Bei den herrschenden Lichtverhältnissen und von der Seite gesehen war sein Gesicht völlig ausdruckslos, als ob die Nähe zu seinem Ziel alle Gefühle in ihm ausgelöscht hätte.

Der Falke hob ab, und ich blieb auf der Escher. Wachowski aktivierte die mimetischen Schutzschilde, seine Haut aus Metallfullerenen verblasste zu einem Schemen vor dem Asteroidenfeld. Ich richtete die optischen Instrumente des Schiffes auf den Tantalus und wartete.

Eine Stunde verstrich, die längste meines Lebens.

Plötzlich wurde der Falke wieder sichtbar, er verließ gerade die Station, nahm Fahrt auf und hielt genau auf die Escher zu. In acht Minuten würden sie hier sein. Zum ersten Mal hatte ich wirklich Angst, dass etwas schiefgegangen sein könnte. Ein paar Augenblicke lang war ich unschlüssig. Ich verspürte den Wunsch, die vereinbarte Funkstille zu brechen, aber ich wusste, dass Wachowski sich von niemandem kapern lassen würde, der nicht zu uns gehörte, ob sie nun Erfolg gehabt hatten oder nicht. Ich wappnete mich mit Geduld. Auf acht Minuten kam es jetzt auch nicht mehr an.

Ich machte das Schiff klar. Drei Minuten vor ihrem Eintreffen aktivierte ich die Manöver-Impulsoren und öffnete die Hangarschleuse, bereit zu einem Aufbruch Hals über Kopf. Der Flugcomputer berechnete gerade mögliche Fluchtrouten über das Asteroidenmeer zum Hyperportal, das aus G1-M845 hinausführte, als die Sichtgeräte zeigten, wie ein kleiner Einsitzer Tantalus verließ. Leise fluchte ich vor mich hin. Ich hatte keine Geschütze für einen Gegenangriff.

Und dann bellte das Kommunikationssystem auf der Brücke los: komprimierte Datenpakete im Militärcode. Wohl Drohungen seitens der Station, die ich zu ignorieren gedachte, aber der Rechner hatte das Signal schon entziffert und brachte es über den Lautsprecher. Es war keine Drohung, sondern eine Warnung. Die Stimme röchelte und keuchte. Einer von Wachowskis Kampfklons.

Das ganze Ausmaß des Desasters wurde mir erst im Nachhinein klar. Sie waren alle tot. Ich erinnere mich, dass der Söldner brüllte, dein Scheiß-Loverboy hat uns verarscht! Es kostete mich ein paar wertvolle Sekunden, bis ich kapierte, dass er Kyle meinte. Ich war wie gelähmt. Wenn Wachowski nicht antwortete, hieß das, Kyle hatte es irgendwie geschafft, ihn auszuschalten. Ich sah ihn wieder vor mir, wie er an den Falken ankoppelte. Wachowski ist also auch tot, dachte ich.

In diesem Augenblick erst sah ich es brennen, das unaufhaltsame Feuer. Und ich begriff, dass ich es hätte aufhalten können, damals, als Kyle noch nichts weiter als ein kleines Fünkchen gewesen war.

Aber jetzt war es zu spät. Viel zu spät.

Die Lichter auf dem Kontrollbildschirm verrieten mir, dass sie in der Halle angedockt hatten. Kyle stieg als erster aus. Nach ihm erschien jene riesenhafte insektoide Kreatur, wie einem fiebrigen Alptraum entsprungen: Ein unbeschreiblicher Kopf, der Körper ein segmentiertes Exoskelett, sechsbeinig und gepanzert, mit seltsamen schwarzen Deckflügeln, die nach hinten abstanden wie ein organisches Dach.

Ich tippte hastig den Absprungbefehl zum nächstliegenden Hyperportal ein und eilte von der Brücke, um mir eine Waffe zu beschaffen.
Krieg der Schrecken
Und wie ich so durch die Korridore rannte, durfte ich mir über Bordlautsprecher das Geständnis meines Loverboys anhören.

Krieg der Schrecken
von Vladimir Hernandez
180 Seiten, 12,95 €
ISBN 978-3-943948-72-1 
Saphir im Stahl, 2017

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