Ein seltsamer Fund - Leseprobe aus »Die steinerne Macht«
Ein seltsamer Fund
Leseprobe aus »Die steinerne Macht«
Doch Geschichtslehrer Herr Köber hatte sich zusammen mit einem Archäologen ein Event ausgedacht, um die Schülerinnen und Schüler des Johanna-Geissmar-Gymnasiums für das stinklangweilige Altertum zu begeistern.
Eine Klasse nach der anderen verbrachte nun einen Tag auf einem Gelände im Industriegebiet am Mannheimer Hafen, wo mehrere Erd- und Sandhaufen aufgeschüttet worden waren. Darin hatte man Nachbildungen von Altertumsfunden vergraben. Alle mussten sich zunächst einen Vortrag von Doktor Max Halvor über seine Arbeit anhören, bevor sie mit echtem Archäologenwerkzeug im Dreck buddelten, um irgendeins der versteckten Dinger zu finden: Tonscherben, Pfeilspitzen, Keilsteine, Münzen und sonstigen geschichtsträchtigen Schrott.
Unter anderen Umständen hätte sich Lea vielleicht noch mit der Buddelei anfreunden können, wäre da nicht der Engerling gewesen. Sie nahm es dem Köber persönlich übel, dass er sie dazu verdonnert hatte, ausgerechnet mit dem ein Team zu bilden. Eigentlich hieß er Edgar Enger, machte seinem Spitznamen aber alle Ehre. Er war rund und bleich wie ein Engerling. Auch seine Augen wirkten durch die dicken Brillengläser wie die einer Raupe. Dazu benahm er sich sonderbar und redete manchmal derart gestelzt, dass niemand etwas mit ihm zu tun haben wollte. Obendrein war er ein Streber, wie er im Buch stand.
Er hockte auf der aus Betonsteinen errichteten Umrandung des Sandhaufens, der die ägyptische Wüste darstellen sollte, und war mit einer kleinen Schaufel, einem Pinsel und vor allem seinen Händen schon eifrig am Graben. Mit dem Ergebnis, dass seine weißen Hemdsärmel, die unter einer blauen Wollweste herauskamen, an den Aufschlägen und bis zur Hälfte der Unterarme bereits dreckverschmiert waren.
„Lea, worauf wartest du denn?“ Köbers Stimme klang aufmunternd. Er lächelte ihr freundlich zu und deutete einladend auf den Sand. „Du weißt doch, dass ihr alles, was ihr findet, behalten dürft. Vielleicht entdeckst du ein Schmuckstück, das einer Königin gehörte. Das wäre doch was, oder?“
Lea nickte pflichtschuldig. Schmuckstücke interessierten sie nicht. Ein altes Buch oder, da der Haufen hier Ägypten sein sollte, ein mit Hieroglyphen beschriebener Papyrus hätten sie vielleicht reizen können. Aber auch nur, wenn der Engerling nicht dabeigewesen wäre. Der sah zwar nicht auf, als sie sich auf die Umrandung setzte, aber er rückte ein Stück zur Seite, damit sie genug Platz hatte. Sie ließ sich notgedrungen neben ihm nieder und begann lustlos, Sand zur Seite zu schippen. Es hätte ein so schöner Tag werden können. Die anderen würden sie nachher garantiert damit aufziehen, dass sie mit dem Engerling hatte graben müssen.
„Vielleicht finden wir hier ein paar Münzen“, hoffte er. „Wusstest du, dass es Münzen schon im zwölften Jahrhundert vor Christus in China gab? Sie waren aus Bronze. Im siebten Jahrhundert vor Christus hat man sie dann aus Elektrum hergestellt. Das ist eine natürliche Legierung aus Gold und Silber, die ...“
„Halt die Klappe, Edgar“, verlangte Lea ungehalten.
Es reichte, wenn der Köber Vorträge hielt, die so staubtrocken waren wie Mehl. Sie musste sich nicht auch noch vom Engerling mit solchen Belehrungen zutexten lassen. Um ihm zu zeigen, dass sie nicht an seinem Gelaber interessiert war, rückte sie von ihm ab. Ohne Erfolg.
„Vor der Einführung der Münzen hat man nahezu alles andere als Zahlungsmittel benutzt, was selten war oder für wertvoll gehalten wurde“, fuhr er fort, ohne von seiner Buddelei aufzusehen. „Muscheln und Schneckengehäuse, bei manchen Naturvölkern sogar Frauenhaare.“
Lea wünschte sich ihren MP3-Player mit ihrer Musik, um damit Edgars Stimme zu übertönen. Doch den hatte sie natürlich nicht mitnehmen dürfen. Sie schippte an einer anderen Stelle Sand zur Seite und versuchte, nicht auf das zu achten, was der Engerling plapperte. Ihre Schaufel stieß auf einen Widerstand. Es gab ein klackendes Geräusch.
Sie legte ihr Werkzeug beiseite und fuhr mit der Hand vorsichtig durch den Sand. Nach streng archäologischen Regeln hätte sie dazu ein Sieb nehmen müssen, aber das hier war je keine echte Ausgrabung. Also wozu sich an die Regeln halten? Ihre Finger berührten etwas Hartes, Kantiges. Sie holte es heraus, befreite es von den daran klebenden Körnern, zog den Pinsel aus der Gesäßtasche und säuberte ihren Fund. Er bestand aus einem dunkelgrünen Stein, in dem unzählige winzige Sprenkel wie Gold glitzerten. Lea betrachtete ihn von allen Seiten. Er wirkte wie eine kleine Pyramide, der man die Spitze abgeschnitten hatte. Durch die Mitte zweier gegenüberliegender Seiten ging ein kreisrundes Loch. Es maß etwa zwei Zentimeter im Durchmesser. Damit war es zum Beispiel für einen Anhänger, den man an einer Kette trug, reichlich groß.
Lea hielt es sich vor ein Auge und blickte hindurch. Erschreckt fuhr sie zurück. Sie hätte doch den Sandhaufen sehen müssen. Stattdessen hatte sie etwas Dunkles erblickt, das aussah wie eine Reihe von riesigen, versetzt aufeinander gestapelten Quadern, die sich pyramidenförmig auftürmten. Sie sah noch einmal hindurch. Jetzt erschien wie erwartet der Sandhaufen auf der anderen Seite. Demnach hatte sie beim ersten Mal wohl nur einen Schatten gesehen. Immerhin war das Frühlingswetter durchwachsen, wenn auch warm. Am Himmel spielte der Wind mit den Wolken und scheuchte sie immer wieder vor die Sonne, sodass das Licht ständig wechselte.
Auf der Basisfläche der Pyramide befand sich eine Gravur. Da die Fläche nur ungefähr vier Zentimeter durchmaß und der Stein so dunkel war, konnte Lea die Konturen nicht genau erkennen, doch sie wirkten wie die Abbildung eines Mannes mit riesigen Fledermausflügeln. Allerdings sah er ziemlich eckig aus.
„Zeig mal“, bat der Engerling, als er merkte, dass Lea etwas gefunden hatte.
Freiwillig ganz bestimmt nicht!, war Lea entschlossen und ignorierte ihn. Sie blickte sich nach Köber um, der an einem anderen Erdhaufen stand und Luca, Mila und Sebastian etwas erklärte. Sie ging zu ihm hinüber. Als er sich ihr zuwandte, hielt sie ihm die abgesägte Minipyramide hin.
„Was ist das, Herr Köber?“
Der Geschichtslehrer nahm ihr den Pyramidenstumpf aus der Hand und betrachtete ihn eingehend von allen Seiten. „Ich habe keine Ahnung“, gestand er. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Wir werden das Ding nachher mit den Bestimmungstafeln abgleichen, dann finden wir es schon heraus. Und notfalls weiß Doktor Halvor garantiert, worum es sich handelt.“ Er lächelte, gab ihr den Stein und wandte sich wieder den drei anderen zu.
Lea kehrte zu ihrem Sandhaufen zurück, während sie den Pyramidenstumpf hin und her drehte, um zu sehen, ob sie noch mehr Markierungen an ihm entdecken konnte. Aber außer dieser einen Gravur war er vollkommen glatt.
„Jetzt zeig doch mal!“, beharrte der Engerling und strecke die Hand aus.
Lea zögerte. Edgar war ein wandelndes Lexikon, was oft genug sogar die Lehrer nervte. Sie setzte sich wieder auf die Umrandung des Sandhaufens und hielt ihm den Stein hin.
„Du weißt nicht zufällig, was das sein könnte, Engerl..., eh, Edgar?“
Zu ihrem Missfallen rückte er näher an sie heran. Ziemlich nahe. Doch sein einziges Interesse galt Leas Fund. Er betrachtete ihn wie sie von allen Seiten und hielt ihn sich dabei so dicht vor die Brille, dass der Stein beinahe daran stieß. Schließlich schaute auch er durch das Loch. Lea, die direkt in seinem Blickfeld saß, sah sein Auge, das hinter dem Brillenglas unnatürlich groß wirkte.
„Die Gravur ist nicht ägyptisch“, stellte er in einem Tonfall fest, als gäbe es daran nicht den geringsten Zweifel. „Aber ich glaube, das ist ein Siegelring.“
Lea tarnte ihr spontanes Lachen als Hustenanfall, den Edgar zum Glück nicht beachtete. Das sollte ein Ring sein? Auf so was Absurdes konnte nur der Engerling kommen. Ein Ring sah komplett anders aus als dieses Ding. Edgar strich ein Stück Sand glatt, ehe er einen seiner Finger durch das Loch in der Pyramide schob, die gravierte Fläche nach unten drehte und sie in den weichen Untergrund drückte. Als er die Hand hob, zeichnete sich dort die Gravur als feines Relief ab.
Bevor Lea etwas sagen konnte, verwischte Edgar es, zog den Wassereimer heran, in dem sie ihre Funde abwaschen sollten, und sprenkelte ein wenig Wasser auf den Boden, ehe er ihn erneut glatt strich und das Siegel noch einmal darauf drückte. Diesmal waren die Konturen des Reliefs erheblich besser zu sehen.
„Siehst du?“ Er blickte Lea bedeutsam an. „Es ist ein Siegelring.“
Zumindest könnte es ein Siegel sein, aber als Ring stufte Lea die Minipyramide immer noch nicht ein. Sie beugte sich vor und betrachtete das Relief. Durch die winzigen Schatten, die seine Konturen warfen, war die Figur besser zu erkennen als auf dem Stein. Sie sah wirklich aus wie ein Mann mit Fledermausflügeln. Oder Drachenflügeln.
Edgar zog ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche und wischte sich die Finger ab, ehe er sein Smartphone aus der Hemdbrusttasche unter der Weste holte und das Siegel fotografierte.
„Völlig unnötig“, meinte Lea. „Wir werden nachher auf den Bestimmungstafeln erfahren, was das ist.“
„Ich will aber zu Hause noch mal intensiver nachforschen, was es mit dem Siegel auf sich hat. Denn, wie ich schon sagte, es ist nicht ägyptisch.“
Ich will aber zu Hause noch mal intensiver nachforschen, äffte Lea ihn in Gedanken nach und musste sich beherrschen, es nicht laut auszusprechen. Nachforschen! Mann, klang das abgehoben. Typisch Engerling eben.
Er zog den Stein vom Finger und reichte ihn Lea, ehe er an der Stelle des Sandhaufens zu buddeln begann, wo sie ihn gefunden hatte. Lea wusch ihre Beute gründlich im Wassereimer und trocknete sie mit einem Papiertaschentuch ab, ehe sie sie in die Hosentasche steckte und an der Stelle weiterbuddelte, wo Edgar vorher begonnen hatte.
„Es könnte ein Stück aus der Zeit der Gotik sein“, überlegte er. „Dann wurde es aber falsch platziert. Denn hier soll ja Ägypten sein. Außerdem wurde in der Gotik ...“
„Halt die Klappe, Edgar! Geht das?“
Er zog den Kopf ein. „Ja. Klar. Tschuldige.“
Lea schippte ohne große Lust weiter, tat jedoch so, als sei sie vollständig auf das Graben konzentriert, um den Engerling nicht zu neuen Vorträgen zu animieren. Immerhin schien die Sonne frühlingshaft warm und vom gegenüberliegenden Ufer des Neckars tönte ein Radio zu ihnen. Lea verzog das Gesicht. Sie hatte zwar grundsätzlich nichts gegen laute Musik, aber wenn das Gedudel irgend so ein ausgelutschter Schlager war, der nach Tschingdarassabumm klang, dann ging es ihr auf die Nerven. Dazu noch die Gegenwart des Engerlings ...
„Schau mal, Lea! Ich habe auch was gefunden.“
Sie verdrehte die Augen und ignorierte ihn. Doch das beeindruckte ihn nicht. Ehe sie sich versah, hielt er ihr das Fundstück so dicht unter die Nase, als wäre sie ebenfalls kurzsichtig.
„Hey!“, protestierte sie.
„Schau doch! Hier ist dasselbe Siegel wie auf deinem Ring.“ Auf seiner Hand lag eine kleine Metallplatte, die, wäre sie nicht quadratisch gewesen, eine Münze hätte sein können. Sie glänzte grünlich wie Emaille. „Zeig bitte noch mal deinen Stein. Ich wette, der passt zu der Prägung auf diesem Plättchen.“
„Und wenn schon“, wehrte sie ab und schob seine Hand von ihrem Gesicht weg. Aber so leicht ließ sich der Engerling nicht abwimmeln.
„Na, das wäre der Beweis, dass Doktor Halvor diese Ausgrabungsstätte falsch deklariert hat. So etwas gab es im alten Ägypten nicht.“
„Und wenn schon!“, wiederholte Lea. „Ehrlich, Edgar, das interessiert mich nicht.“ Gelogen, denn es interessierte sie doch. Zumindest, dass offensichtlich ein Zusammenhang zwischen ihrer Minipyramide und diesem Plättchen bestand. Aber sie wollte mit dem Engerling nichts zu tun haben. Kapierte der das nicht?
„Schade“, meinte er. „Ich finde das sehr spannend.“ Er trollte sich zu einem anderen Teil des Sandhaufens und buddelte weiter.
Das tat auch Lea. Sie grub noch ein paar Tonscherben aus, auf denen eindeutig ägyptische Hieroglyphen eingeprägt waren. Gewissenhaft säuberte sie die und legte sie zur Seite. Als Herr Köber die Klasse eine Stunde später zum Sammelpunkt rief, hatte sie vier Scherben gefunden, die zusammenpassten. Leider fehlten noch mindestens zwei, um das Gesamtbild zu vervollständigen.
Doktor Halvor saß zusammen mit Herrn Köber an einem Tisch und lächelte allen freundlich entgegen. „Nun identifiziert eure Funde mal“, bat er und deutete auf die Bestimmungstafeln vor ihm.
Luca und Sebastian drängelten sich wie immer vor und schubsten Edgar zur Seite, der den Hals reckte, um zu sehen, was sie gefunden hatten. Schon auf den ersten Blick hatte Lea die Tafel entdeckt, auf der ihre vier Scherben zusammen mit dem fehlenden Rest abgebildet waren. Gemäß dem Begleittext entsprach die Inschrift der auf dem Sarkophag von Tutenchamun und lautete übersetzt: „Der Tod soll auf schnellen Flügeln zu demjenigen kommen, der die Ruhe des Pharao stört.“
Lea verkniff sich ein Lachen. Sie glaubte nicht an solche Schauermärchen; jedenfalls nicht in der Realität. Als Themen in spannenden Büchern waren sie aber nicht zu verachten. Nachdem sie alle Abbildungen auf den Bestimmungstafeln für den ägyptischen Bereich durchgesehen hatte, wusste sie, dass der Engerling offenbar recht gehabt hatte. Die Minipyramide gehörte tatsächlich nicht dazu, denn sie war nirgends aufgeführt.
Edgar hatte gar nicht erst versucht, sein Plättchen auf diesen Tafeln zu finden und suchte eine passende Abbildung in den anderen. Er hatte nur dieses eine Stück entdeckt, obwohl er doppelt so eifrig gebuddelt hatte wie Lea. Entsprechend sah er aus, war verschwitzt, und überall hing der Sand in seiner Kleidung.
Lea betrachtete nun auch die restlichen Tafeln, die zu verschiedenen Epochen und Ausgrabungsorten gehörten: keltische, persische, chinesische, germanische, mittelalterliche, prähistorische und andere. Aber nirgends gab es eine Abbildung, die auch nur im Entferntesten der Pyramide ähnelte. Seltsam.
Sie betrachtete den Stein noch einmal intensiv, bis ein großer Schatten über sie fiel. Als sie aufblickte, sah sie Doktor Halvor neben sich stehen. Er starrte auf ihren Fund.
„Darf ich das mal sehen?“ Er streckte die Hand aus.
Die Geste hatte etwas Gebieterisches. Doch nicht nur deshalb widerstrebte es ihr, ihren Schatz dem Archäologen zu zeigen. Sie hatte das Gefühl, dass weder Doktor Halvor noch jemand anderes ihn in die Finger bekommen sollte. Es war so intensiv, dass Lea am liebsten davongelaufen wäre. Doch das konnte sie natürlich nicht tun. Also hielt sie dem Archäologen das Ding hin. Er nahm es und betrachtete es von allen Seiten.
„Das Stück gehört nicht in die Sammlung“, stellte er fest. „Ich habe keine Ahnung, wie das in die Ausgrabung gekommen ist.“
„Dann wissen Sie auch nicht, was das ist?“, vergewisserte sich Lea. Sie fühlte sich enttäuscht.
Der Engerling drängte sich vor und hielt Doktor Halvor das Plättchen hin, das er gefunden hatte. „Das gehört ganz offensichtlich dazu. Leas Fund ist ein Siegelring.“
Ihre Mitschüler, die Leas Stein gesehen hatten, lachten. „Ja klar!“, höhnte Sebastian. „Eine Pyramide ist ein Ring.“ Er stieß Edgar unsanft an. „Ich dachte bisher, Ringe sind rund. Muss ich mich wohl geirrt haben.“ Er schüttelte den Kopf. „Engerling, du wirst immer abgedrehter. Warum hältst du nicht einfach die Klappe, statt Bullshit zu quatschen?“
„Sebastian, etwas mehr Respekt, bitte“, rügte Herr Köber. „Falls du es nicht mitbekommen haben solltest: Es gibt heutzutage Ringe, die nicht nur rund sind, sondern viereckig oder dreieckig. Meine Frau hat ein paar davon. Einen in Form einer Pyramide habe ich allerdings auch noch nicht gesehen. Aber die Schmuckdesigner lassen sich immer wieder was Neues und Ungewöhnliches einfallen.“
Doktor Halvor reichte Lea und Edgar ihre Funde zurück. „Ich vermute, diese Dinge gehören zu irgendeinem Fantasyspiel oder einem Halloweenkostüm. Bestimmt hat sie einer von den Arbeitern verloren, als der Sand aufgeschüttet oder auf den Lastwagen geladen wurde.“
„Aber wir dürfen es doch behalten?“, bat Edgar.
„Klar“, stimmte der Archäologe zu. „Es wäre wohl ziemlich schwierig, den rechtmäßigen Eigentümer ausfindig zu machen. Und der Materialwert dürfte sich sowieso im einstelligen Bereich bewegen, denn das scheint mir Kunststein zu sein und außerdem industriell gefertigte Massenware.“
Lea atmete auf und merkte erst in diesem Moment, dass sie die Luft angehalten hatte. „Danke.“ Sie ging ein Stück abseits, um die Pyramide in aller Ruhe noch einmal zu betrachten. Sie hielt sie so, dass das Sonnenlicht darauf schien. Die goldfarbenen Sprenkel im Stein glitzerten.
„Hier.“
Sie zuckte zusammen, als der Engerling ihr eine Lupe unter die Nase hielt. Warum ließ der Kerl sie nicht endlich in Ruhe? Andererseits kam die Lupe in diesem Moment wie bestellt. Sie nahm sie und betrachtete die Gravur auf der Basisfläche.
„Danke“, fiel ihr verspätet ein zu sagen. „Schleppst du immer eine Lupe mit dir rum?“
„Klar. Und ein Taschenmesser, Bindfaden, Feuerzeug, eine kleine Taschenlampe und ein Kombiwerkzeug. Und einen Kompass.“
Das erklärte, warum seine Hosentaschen immer mega-ausgebeult waren. Lea konnte sich jedoch nicht vorstellen, wozu er den ganzen Kram brauchte. Und der Kompass reizte sie zum Lachen. Ja, klar, in Mannheim, dessen Straßen teilweise völlig gerade und rechtwinklig verliefen und wo alles ausgeschildert war, benötigte man gewiss einen, um sich nicht zu verlaufen. Und der Engerling war ganz klar nicht der Typ, der querfeldein im Wald oder überhaupt irgendwo spazieren ging.
„Das ist garantiert keine Massenware“, flüsterte er und deutete auf die Pyramide. „Ich habe mir mein Siegel auch schon unter der Lupe angesehen. Wäre die Matrize maschinell hergestellt worden, wären die Ränder glatter und ebenmäßiger. Aber in der Vergrößerung erkennt man deutlich, dass sie von Hand graviert wurde.“
Lea musste ihm Recht geben. Auch ihr war nicht entgangen, dass die Linien der Gravur nicht durchgehend eingemeißelt oder maschinell gestempelt worden waren. An einer Stelle waren sie flacher, an einer anderen tiefer und die Ansätze des Meißels waren teilweise deutlich erkennbar. Auch das Loch erwies sich als nicht ganz so perfektes Kreisrund, wie es zunächst ausgesehen hatte.
Allerdings gab die abgebildete Figur eines Mannes mit Drachenflügeln Lea immer noch ein Rätsel auf. Oder vielleicht waren es Fledermausflügel. An den Händen und Füßen hatte er Krallen, die Ohren ähnelten spitzen Wolfsohren, und auf seiner Stirn saßen zwei Hörner. Sollte das ein Vampir sein? Das würde Doktor Halvors Theorie unterstützen, dass dieses Ding zu irgendeinem Fantasyspiel gehörte.
Sie hielt es hoch und blickte noch einmal durch das Loch. Wieder hatte sie den Eindruck, als zeige sich darin ein seltsames Gelände mit einem pyramidenartigen Turm statt des realen Hintergrundes. Dort schien es jedoch Nacht zu sein, die wahrscheinlich vom Mond erhellt wurde, aber den konnte sie nicht sehen. Ein Schatten schob sich vor die Landschaft. Im nächsten Moment starrte ein graues Auge mit einem goldenen Pupillenschlitz sie von der anderen Seite des Loches her an.
Lea ließ vor Verblüffung die Pyramide fallen. Edgar hob sie auf und gab sie ihr zurück.
„Was ist denn, Lea? Du bist kreidebleich.“
„Nichts.“ Sie drückte ihm seine Lupe in die Hand, nahm den Ring und steckte ihn in die Hosentasche.
„Aber ...“
Sie ließ den Engerling stehen und ging zu Herrn Köber und Doktor Halvor hinüber, um irgendeine Frage zu den Tontafeln zu stellen, die sie gefunden hatte. Bestimmt gab es eine harmlose und vernünftige Erklärung für das, was sie jenseits des Loches in der Pyramide gesehen zu haben glaubte. Ganz sicher! Aber merkwürdig, um nicht zu sagen unheimlich war das alles doch.
*
Yafren schlug mit den Flügeln, um seine Anspannung abzuschütteln, als Magier Karev von der Orakelschale zurücktrat und reglos vor sich hin starrte.
„Nun?“, knurrte Yafren ihn an.
Karev blinzelte, und das Leben kehrte in seine Augen zurück. Er streckte die Glieder und schlug ebenfalls mit den Flügeln. Yafren hätte ihn am liebsten geschüttelt, damit er endlich redete, aber er wusste, dass das keinen Zweck hatte. Der magische Blick in die Orakelschale, um zu sehen, was sich in der Menschenwelt tat, war anstrengend. Jeder Magier brauchte danach eine Weile, um wieder zu sich zu kommen. Also wartete er notgedrungen ab, bis Karev zu sprechen bereit war.
„Der Ring wurde gefunden.“
Yafren ballte die Fäuste. „Das ist hoffentlich eine gute Nachricht.“ Erwartungsvoll blickte er Karev an, doch der schwieg. „Wo?“
„In Manqadria. Oder in Mannheim, wie die Menschen in ihrer Sprache sagen.“
Wieder wartete Yafren auf eine Erklärung, wieder vergeblich. „Und? Wurde er von einem der Unseren entdeckt?“
Karev tat einen tiefen Atemzug. „Selbstverständlich. Und der Finder ist ebenfalls ein Magier. Sonst hätte ich ihn nicht sehen können. Nicht spüren können, dass er den Ring berührt hat.“
Yafren stieß erleichtert die Luft aus. „Dann muss es Fandun sein. Er wird ihn uns bringen.“
„Gewiss.“ Karev neigte den Kopf. „Sobald er die Möglichkeit dazu findet. Schließlich ist der Wechsel zwischen den Welten kein einfacher Flügelschlag, den man mal eben nebenbei tun kann.“
Yafren knurrte und fletschte die Zähne. „Hauptsache der Ring kommt zu uns. Es wäre nicht auszudenken, was geschehen könnte, wenn er in die Hand von Menschen geriete.“ Er drehte sich um und verließ Karevs magisches Zimmer.
Karev blickte ihm nach, ehe er auf den Balkon trat und in die Ferne schaute, wo sich die dunklen, wie Pyramiden aufeinander geschichteten Quadratbauten der Alten Stadt erhoben. Er hatte Yafren belogen, denn er war sich keineswegs sicher, dass die Person, die den Pyramidenring gefunden hatte, wirklich einer der Ihren in seiner menschlichen Gestalt gewesen war. Karevs magische Kräfte hatten ein Ausmaß erreicht, das es ihm ermöglichte, auch Dinge zu sehen, die anderen Magiern verborgen blieben; ganz besonders seinen Konkurrenten innerhalb seines Ordens, wie zum Beispiel Fandun. Aber das behielt er besser für sich. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass er tatsächlich das suchende Auge eines Menschen in der Orakelschale gesehen hatte.
Es konnte deshalb nicht schaden, wenn Karev sich selbst in die Menschenwelt nach Manqadria begab, um sicherzustellen, dass der Ring dorthin zurückkehrte, wohin er gehörte. Denn in einem Punkt hatte Yafren recht: Sollte der Ring in die falschen Hände geraten – und es gab schlimmere Hände als die der Menschen –, würde das zu einer Katastrophe führen, die die gesamten Pläne der Steinernen vernichten würde. Für alle Zeiten.
Als er sich umdrehte und wieder in seinen Arbeitsraum ging, ließ sich eine Fledermaus von unterhalb der Balkonbrüstung fallen, wo sie kopfüber hängend geruht hatte, und flog lautlos davon.
*
„Lea, bist du das?“, schallte ihr die Stimme ihres Vaters aus der Küche entgegen, als sie die Wohnungstür aufschloss.
„Nein, ich bin der Osterhase!“, rief sie zurück.
Dies war ein altes Spiel zwischen ihnen, denn wer sonst sollte hereinkommen können? Hausmeister Grissmann, der zwar einen Schlüssel zu jeder Wohnung im Gebäude besaß, traute sich bei aller Rücksichtslosigkeit nicht, die der Majewskis zu betreten, ohne sich vorher angekündigt zu haben. Jedenfalls nicht, wenn sie zu Hause waren.
Und Leas Mutter war schon vor langer Zeit verschwunden. Lea konnte sich nicht einmal mehr an sie erinnern. Sie war nur eine Frau auf einem alten Foto, das gerahmt über ihrem Schreibtisch hing. Deshalb war die Frage für ihren Vater nur zum Teil ein Spiel, denn er hoffte immer noch, dass Leas Mutter eines Tages heimkehrte.
Er kam aus der Küche und trocknete sich Hände und Unterarme mit einem Küchentuch ab. „Wie war es in der Schule? Hattet ihr nicht heute euren Ausflug?“
Lea nickte. „Herr Köber hat mich ausgerechnet mit dem Engerling in ein Team gesteckt. Der Kerl hat vielleicht genervt!“ Sie verdrehte die Augen.
Ihr Vater lächelte. „Du hast es ja überstanden. Ich dachte mir, wir essen zur Feier des Tages meine selbstgemachte Lasagne. Sie ist in einer Stunde fertig. Hältst du es noch so lange aus?“
„Klar. Aber was gibt es denn zu feiern?“
„Ich habe einen neuen Auftrag für ein richtig großes Einfamilienhaus. Eigentlich ist es eher eine Villa. Der Bauherr hat ein Schweinegeld und lässt sich nicht lumpen. Er wollte ausdrücklich mich als Architekten, weil ihm das Haus eines Freundes gefallen hat, das ich dem gebaut habe.“
„Glückwunsch, Papa!“ Lea hängte ihre Jacke an die Garderobe und umarmte ihren Vater.
Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ja, das ist toll.“ Er blickte sie ernst an. „Etwas anderes ist weniger toll. Herr Grissmann hat sich mal wieder beschwert, dass du dein Fahrrad gestern Nachmittag im Hausflur abgestellt hast. Außerdem wurde mit einem Stein seine Fensterscheibe eingeworfen. Angeblich hat er dich weglaufen sehen.“
„Das ist gelogen!“ Lea ballte die Fäuste. „Das Fahrrad habe ich gestern gar nicht benutzt! Und wenn ich einen Stein geworfen hätte, dann Grissmann an den Kopf und nicht in sein Fenster. Der Kerl lügt! Bitte, Papa, das musst du mir glauben!“
Allerdings hatte ihr Vater dazu nur bedingt einen Grund, denn Lea hatte die Wahrheit schon öfter ein bisschen kreativ ausgeschmückt oder sie gekürzt und ab und zu ignoriert, um nicht zu sagen gelogen, um ungeschoren aus einer Sache herauszukommen, die sie besser gar nicht erst getan hätte. Aber Grissmann wurde nicht müde, ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit was ans Zeug zu flicken. Das tat er mit allen Kindern im Haus, er konnte sie nicht leiden. Besonders hackte er auf denen von den Dalibors herum, denn die Dalibors waren Roma, die er deswegen ständig als „Zigeunerpack“ beschimpfte.
Lea sah ihrem Vater an, dass er ihr diesmal tatsächlich glaubte. Er lächelte und strich ihr über den Kopf. „Ich weiß. Als ich nachgesehen habe, stand dein Fahrrad im Keller, zu dem Grissmann keinen Schlüssel hat. Und als der Stein geworfen wurde, warst du in der Schule.“ Er sah ihr in die Augen, das Gesicht streng. „Aber lass dich bitte nicht dazu verleiten, ihm seine Lügen heimzuzahlen. Denn damit gäbest du ihm erst recht einen Grund zur Beschwerde. Und ich kann dich schlecht verteidigen, wenn ich genau weiß oder glauben muss, dass du tatsächlich was Unrechtes getan hast. Versprochen?“
Lea nickte. „Können wir nicht hier wegziehen, Papa? Du bist doch Architekt und verdienst genug Geld, dass du uns ein eigenes Haus bauen kannst. Oder eins kaufen. Der Grissmann wird immer fieser. Und er hat garantiert nicht aufgehört, in unserer Wohnung zu schnüffeln, wenn wir weg sind, nur weil du ihn einmal dabei erwischt hast.“
Zwar hatte sich der Hausmeister damals damit herauszureden versucht, dass er nach der Ursache eines angeblichen Heizungsschadens gesucht hatte, aber weder Lea noch ihr Vater hatten ihm das abgenommen. Grissmann war einfach penetrant neugierig und steckte seine Nase allzu gern in anderer Leute Angelegenheiten; und bevorzugt in deren Wohnungen.
Ihr Vater seufzte, legte den Arm um sie und streichelte ihre Schulter. „Du weißt doch, warum das nicht geht.“
„Wegen Mama. Aber glaubst du denn wirklich, dass sie eines Tages zurückkommt? Nach so vielen Jahren?“
Er nickte. „Sie hätte mich und erst recht nicht dich jemals freiwillig verlassen. Irgendetwas ist passiert, weshalb sie verschwunden ist. Und wenn sie zurückkommt und wir hier nicht mehr wohnen, wie soll sie uns da finden?“
Lea mochte das Argument nicht gelten lassen. „Es gibt Internet. Und darin Suchmaschinen. Sie würde uns schon finden. Ganz bestimmt. Wenn sie wirklich noch ...“
Sie biss sich auf die Lippen. Mehr als einmal war der Kommissar von der Vermisstenstelle, der das Verschwinden ihrer Mutter bearbeitete, zu ihnen gekommen, um ihnen zu versichern, dass er den Fall nicht aufgab. Doch die Abstände zwischen seinen Besuchen wurden immer größer. Der letzte war fast zwei Jahre her. Und damals hatte er sehr deutlich, wenn auch in schonenden Worten seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass die Vermisste mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben sei.
„Sie lebt bestimmt noch“, versicherte ihr Vater. Dasselbe hatte er jedes Mal zu dem Kommissar gesagt.
„Warum kommt sie dann nicht zu uns zurück?“
Er seufzte. „Sie hat ihre Gründe, Lea. Sehr wichtige Gründe. Und eines Tages ...“
Sie konnte es nicht mehr hören, machte sie sich von ihm los, rannte in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Sie hörte, dass er ihren Namen rief, doch sie reagierte nicht darauf. Stattdessen warf sie sich aufs Bett und weinte.
Zwischen ihr und ihrem Vater lief es meistens gut. Aber dass er einfach nicht an den Tod ihrer Mutter glauben wollte, entbehrte jeder Vernunft. Und falls sie tatsächlich irgendwo ihr eigenes Leben führte und sich nicht mehr bei ihrer Familie meldete, dann war das für Lea noch schlimmer, als wenn sie tot wäre. Tote konnten nichts dafür, dass sie nicht nach Hause kamen. Aber welche Mutter ließ ihr Kind und ihren Mann ohne ein Wort im Stich?
Lea war sicher, dass sie selbst der Grund dafür war; immer vorausgesetzt, ihre Mutter war nicht doch einem Verbrechen zum Opfer gefallen oder die Verrückte, die die Verwandten in ihr sahen und daraus keinen Hehl gemacht hatten. Nach deren Meinung gehörte sie in die Psychiatrie und Leas Vater hätte sie niemals heiraten sollen. Aus diesem Grund hatte er schließlich nach einem Riesenstreit wegen solcher Sticheleien den Kontakt zu ihnen allen komplett abgebrochen. Und ihre Mutter hatte gar keine Verwandten.
Sie war verschwunden, als Lea gerade vier Monate alt gewesen war – eines Morgens zum Einkaufen zum Laden um die Ecke gegangen, wie ihr Vater erzählt hatte, und nicht zurückgekommen. Seitdem gab es nicht die geringste Spur von ihr. Mit ihren dreizehn, bald vierzehn Jahren war Lea alt genug, um zu wissen, dass manche Eltern sich mit ihrem ersten Kind überfordert fühlten. In der Regel waren es aber die Väter, die einfach abhauten und lieber Unterhalt zahlten, als sich um ihr Kind zu kümmern. In ihrem Fall hatte ihre Mutter die Flucht ergriffen.
Was stimmt denn nicht mit mir, dass Mama mich verlassen hat?, schoss es Lea zum unzähligsten Mal durch den Kopf. Mama, wenn du wirklich noch lebst, dann komm doch bitte, bitte wieder zurück! Aber wie immer erhielt sie keine Antwort auf ihr Gebet, kein Zeichen. Nichts.
Es klopfte an ihrer Zimmertür. „Lea, darf ich reinkommen?“
„Ja“, schniefte sie.
Ihr Vater öffnete die Tür. Als er die Tränen in Leas Gesicht sah, setzte er sich zu ihr aufs Bett und nahm sie in die Arme. Sanft wiegte er sie hin und her. „Meine arme Kleine, ich bin bei dir und ich verlasse dich nicht. Ehrenwort!“
Das brachte sie nur noch mehr zum Weinen. Das Gefühl des Verlassenwordenseins tat einfach schrecklich weh. Lea heulte eine Zeit lang weiter, fühlte sich aber durch den Halt, den ihr Vater ihr gab und seine spürbare Liebe zu ihr getröstet. Nach einer Weile sah sie auf.
„Papa, sag mal ehrlich: Glaubst du wirklich, dass Mama noch lebt? Und eines Tages zurückkommt?“
Er wiegte den Kopf und drückte sie fester an sich. „Ich hoffe es, Lea. Ich hoffe es von ganzem Herzen. Und wenn dem so ist, dann bin ich überzeugt, dass sie einen mehr als guten Grund für ihr Verschwinden hatte und sie nicht freiwillig von uns weggegangen ist.“
„Und wenn doch?“
Er seufzte tief und streichelte ihren Rücken. „Ich kenne deine Mutter. Besser als mich selbst. Sie ist etwas ganz Besonderes. So etwas hätte sie nie getan. Das musst du mir glauben.“
Das wollte sie gern tun. Doch egal, an welche Möglichkeit sie glaubte, die eine war ebenso schlimm wie die andere. Da ihr Vater eine Antwort erwartete, nickte sie. „Ist schon gut, Papa.“
Er lächelte. „Meine tapfere Lea. Kann ich dich wieder allein lassen? Wenn ich nämlich jetzt nicht nach der Lasagne sehe, haben wir nachher verkohlte Briketts im Ofen.“
Sie lächelte ebenfalls. „Klar. Ich bin doch kein Baby mehr.“
Er klopfte ihr auf die Schulter und verließ ihr Zimmer. Sie seufzte, stand auf und zog ihre Bluse und ihre Jeans aus. Beide waren nach der heutigen Buddelei reif für die Waschmaschine. Als sie die Taschen leerte und den Inhalt auf den Tisch legte, blieb ihr Blick an der seltsamen Pyramide hängen. Hatte sie vorhin wirklich ein graues Auge mit goldfarbener geschlitzter Pupille auf der anderen Seite des Loches gesehen? Nein, ganz sicher nicht, denn das war doch unmöglich. Bestimmt war das eine Sinnestäuschung wegen des wechselnden Lichts gewesen.
Trotzdem nahm sie den Ring in die Hand, hielt ihn in Augenhöhe vor sich und warf einen vorsichtigen Blick hindurch. Auf der anderen Seite sah sie das Poster von Cro, dem Rapper mit der Pandamaske, an der Wand über dem Bett. Na also! Das Ding war doch nur eine kleine Pyramide mit einem großen Loch darin.
Lea legte sie auf den Tisch, zog sich eine saubere Hose und ein T-Shirt an und ging in die Küche, um ihrem Vater beim Tischdecken zu helfen.
Die steinerne Macht