Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Total Trust - In den Fängen des Staates

Total Trust

In den Fängen des Staates

 

Vor mehr als 70 Jahren entwarfen Aldous Huxley und George Orwell in legendären Romanen Zukunftsszenarien, die aufgrund der voranschreitenden Technik im 21. Jahrhundert längst schon übertroffen wurden. In ihrem preisgekrönten Dokumentarfilm „Total Trust“, der nun erstmals auf DVD erschienen ist, hat die Regisseurin Jialing Zhang die Auswirkungen von Überwachungskameras und Big Data in ihrem Heimatland China unter die Lupe genommen.

Auf dem Plakat respektive dem DVD-Cover zum Film „Total Trust“ von Jialing Zhang prangt eine sehr treffende Subline: „Wenn das die Gegenwart ist, wie sieht dann unsere Zukunft aus?“ Diese Frage kann man sich tatsächlich stellen, wenn man die dokumentarischen Aufnahmen aus dem heutigen China nur für wenige Minuten auf sich wirken lässt. Erschreckende Science-Fiction-Szenarien aus wegweisenden Romanen wie Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ und George Orwells „1984“ sind hier offensichtlich nicht nur bereits real geworden, sondern auf noch wesentlich perfidere Weise übertroffen worden. In China geht über eine Milliarde Menschen im Gleichtakt, den die unlängst 100 Jahre alt gewordene Kommunistische Partei bis in die kleinsten Details vorgibt. Wer es wagt, aus diesem System auszubrechen oder es nur im Geringsten in Zweifel zieht, gerät prompt ins Visier des Staates und seiner vielfältigen Organe, von der Polizei bis hin zu eifrigen Nachbarschaftskontrolleuren, die mit ihrer freiwilligen Spitzeltätigkeit fleißig Sozialpunkte sammeln, die sich an anderer Stelle als äußerst hilfreich erweisen. Deutsche Zuschauer werden hier nicht umhinkönnen, Vergleiche mit den Blockwarten des NS-Regimes oder mit den Stasi-Schergen der DDR anzustellen.

Jialing Zhang hat für „Total Trust“ den Alltag einer Handvoll „Aufmüpfiger“ begleitet, die bereits ins Visier staatlicher Kontrolle geraten waren. Ihre Wohnungen sind durch unzählige Überwachungskameras komplett erfasst, die Nachbarn instruiert, die Familien sozial zu isolieren. Im Mittelpunkt stehen Frau und Sohn eines Anwalts, der lediglich deswegen in Haft geriet, weil er Mandanten bei Klagen gegen den Staat unterstützte. Ein ähnliches Schicksal hatte einen anderen Anwalt bereits 2015 ereilt, als er im Zuge der Razzia 709 verhaftet wurde und fünf Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde. Des Weiteren ist da noch eine Journalistin, die durch ihre regierungskritischen Artikel zur Zielscheibe der Behörden wurde. Unter teilweise abenteuerlichen Bedingungen wurden hier Filmaufnahmen aus dem Alltag dieser Personen realisiert, die äußerst erschreckende und detailreiche Einblicke in einen komplett überwachten Staat bieten, von dem man auf abstrakte Weise bereits mehrfach in den Nachrichten gehört hat, der aber durch diesen Film wesentlich plastischer und greifbarer wird. Unterfüttert wird das Ganze durch offizielle Propagandavideos der Regierung, die das System „Big Data“ anpreisen, durch das mittels Gesichts- und Spracherkennung jeder Bürger an fast jeder Stelle des Landes innerhalb von Sekunden identifiziert und beobachtet werden kann. Dass die chinesischen Straßen aufgrund dieser Maßnahmen makellos sauber sind und kaum jemand je über eine rote Ampel geht, sind vielleicht die einzigen positiven Aspekte dieses längst zur Realität gewordenen Alptraums.

Was zusätzlich für diesen spannenden und mahnenden Dokumentarfilm einnimmt sind Szenen, die nicht mit den „Abtrünnigen“, sondern mit linientreuen „Sektionsleitern“ gedreht wurden, die voller Stolz berichten, wie sie einzelne Bürger rund um die Uhr überwachen („Zielperson hat um 17:00 Uhr den Müll weggebracht“), um diese Protokolle dann umgehend per Online-Formular an die Regierungsinstanzen zu übermitteln. Huxley und Orwell waren ihrer Zeit nur wenige Jahrzehnte voraus… Die DVD-Erstveröffentlichung des mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilms (u.a. mit dem Großen Preis der Jury auf DOC NY und dem „Truth Award“ auf dem Dokufest) bietet ein sehr gutes Bild (im Widescreen-Format 1,85:1) und einen aufgrund des Themas unspektakulären, aber angemessenen Ton (Mandarin wahlweise in Dolby Digital 5.1 oder 2.0 Stereo, optional mit deutschen und englischen Untertiteln). Als Extras gibt es ein zwölfseitiges Booklet mit etlichen Fotos, QR-Codes zu Websites mit Beispielen für KI-Überwachung in anderen Ländern (Frankreich, Deutschland, EU) und u.a. einem gedruckten Interview mit Regisseurin Jialing Zhang. Auf der DVD selbst findet sich darüber hinaus leider nur der Kinotrailer zum Film.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.