SF meets Hard Boiled ... oder Rusch-Hours, Rausch-Stunden
SF meets Hard Boiled
Rusch-Hours, Rausch-Stunden
Miles Flint, R. A.: Moon Mysteries
Rusch-Hours, Rausch-Stunden
Miles Flint, R. A.: Moon Mysteries
Auch dieser Fall wird den Stadtpolizisten aufgedrückt.
Detective Noelle DeRicci ist das ja gewohnt, gilt sie doch, trotz aller Kompetenz, als impulsiv, unbeliebt und schwarzes Schaf des Departments, dem immer die schwierigsten und miesesten Fälle zugewiesen werden. Ihr Partner Miles Flint dagegen hat sich gerade erst vom Verkehrspolizisten zum Detektive hochgearbeitet, ist in Sachen Computern höchst versiert, kann sich auch physisch wehren, muss aber noch die allzu harten Realitäten lernen.
Und weil sie ohnehin gerade am Hafen sind, dürfen sie auch noch eine verängstigte Touristin
verhören, die mit einer steuerlosen, dritten Jacht gerade noch den Hafen erreicht hat und behauptet, auf offener See einem Piratenüberfall entkommen zu sein, obwohl die Besatzung sich mit einem Rettungsboot absetzen konnte. In Wirklichkeit ist sie eine Gesuchte, die selbst DeRicci entkommt und in der Altstadt untertaucht, während eine weitere Gruppe Ausländer sie aufgrund eines Haftbefehls arretieren will.
In diesem ganzen Chaos, gegen eigene Skrupel, Anwälte, Politiker und Ausländer, müssen beide Cops alles aufbieten, was sie haben, um die Probleme letztlich lösen zu können....Flint setzt das so zu, dass er am Ende kündigen wird und zum Privatermittler wird, ausgebildet von Paloma, der besten ihrer Zunft der Stadt.
Ein Jahr später ergibt es sich, dass er im Auftrag eines Klienten den Tod eines anderen, firmenangestellten Ermittlers, DeRicci mit ihrem neuen Partner beim alljährlichen Haupt-Sportereignis, dem Marathonlauf eine tot aufgefundene Teilnehmerin untersuchen muss.. Beide Fälle stehen im Zusammenhang: ersterer ist an einer langsam wirkenden Viruserkrankung gestorben, als er jemand zu nah auf die Spur kam, die Läuferin wurde ermordet und, ein böser provokativer Akt, von der Mörderin selbst mitten auf die Rennstrecke gelegt. Letztere ist eine psychisch gestörte Wissenschaftlerin, auf deren Konto bereits etliche Tote bei einem früheren Experiment mit Viren gingen. Sie ist untergetaucht und bereits im begriff, die Stadt zu verlassen, nachdem sie diese zum Experimentierfeld ihrer kruden Anschauungen machen will. Noch während des laufenden Rennens und der andauernden Morduntersuchung infizieren sich Läufer, Mediziner und andere Beteiligte draußen am Rennen an dem ausgestreuten hochvirulent-tödlichen Virus und drohen, die gesamte Stadtbevölkerung anzustecken und binnen Tagen auszulöschen....
Im dritten Fall häufen sich weitere Probleme: eine Regierungsdelegation aus dem Ausland, die vor 10 Jahren erst den Bürgerkrieg gewonnen hat und dabei auch entsetzliche Grausamkeiten begangen haben soll, nun der Gesamtallianz beitreten will und zu einer ersten Geheimkonferenz in die Stadt kommt, was aber vom Bürgermeister selbst aufgedeckt wird, der keine solchen Terroristen in seiner Stadt haben will; eine untergetauchte Kämpferin aus eben jenem Bürgerkrieg wird amnestiert, von Flint aufgespürt und zu den Eltern zurückgeführt, doch einige Tage später werden alle drei bestialisch ermordet. Flint gerät selbst in Verdacht und löst den Fall, wobei er ebenso in Gefahr durch den Attentäter gerät wie die gesamte Stadt, in der eine schwere Bombe hochzugehen droht....
So oder ähnlich würde sich die normale Krimihandlung anhören, schön verwickelt, mit vielen Spuren, spannend bis zur Auflösung und mit ihrer Umsetzung auch noch höchst gelungen: glaubwürdige Figuren, logische Handlungen, Motive. Man sieht es schon beim Lesen im Kopf, jene typischen Filme mit den äußerlich gleichgültigen, tough wirkenden Cops, die von ihrem Beruf schon längst desillusioniert sind, aber handeln, weil es eben dieser, ihr Job, ist und sie wenigstens noch Schlimmeres verhindern. Sie schleppen auch noch ihre eigenen Probleme mit sich herum: DeRicci das schlechte (unverdiente) Image, Flint den Tod seiner einjährigen Tochter durch eine inkompetente Betreuerin, an dem er sich immer noch die Schuld gibt, versagt zu haben, mithin der Auslöser, Polizist zu werden (früher war er hochspezialisierter Computertechniker). Gemeinsam müssen sie auch noch gegen die (wie immer allmächtige) Verwaltung, Anwälte und Politikerinteressen ankämpfen, wobei sie selbst bei der handlungsorientierten Abwicklung mit einem Bein im Illegalen stehen.
Alles eine gute, grundsolide Krimihandlung, wie sie überall in amerikanischen Großstädten sich abspielen könnte aber dann ist es eben nicht der übliche Schauplatz, L.A. oder New York, sondern die Millionenstadt Armstrong, größte Kuppelsiedlung des Mondes!
Viele SF-typische Sachen werden nicht erklärt: wann das ganze angesiedelt ist (man kann allenfalls ahnen, dass es irgend in der Mitte des Jahrtausends ist, mindestens des 26. Jahrhunderts), wann und wie man in Kontakt mit den diversen Außerirdischen gekommen ist, wie die interstellare Raumfahrt zustande kam und funktioniert. Von den technischen Aspekten spielt nur die Nachrichtenverbindung eine (gewichtige) Rolle: jeder ist bis zum Äußersten verlinkt, mit in die Haut eingepflanzten oder an anderer Stelle getragenen Minichips; Nachrichten, Alarme, Karten, Dateien, soweit allgemein zugänglich, werden direkt in unteren Bereiche der Augen eingespielt, Nachforschungen und Manipulationen (legal wie illegal) ist Tür und Tor geöffnet kurzum, ein Paradies für jeden Polizisten und Ermittler (vermutlich das, wovon heutzutage Bundesinnenminister erst noch träumen...).
Flint wird am Ende des ersten Bands das Adäquat zu einem Privatdetektiv der Extraklasse, aber nicht P.I., sondern (Name der Serie), R.A. für Retrieval Artist, etwas, was in der deutschen Übersetzung nicht recht zündet: Lokalisierungs-Spezialist klingt eben etwas geschraubt (zugegeben: Local Investigator mit der Abkürzung L.I. wäre noch missverständlicher...), und warum die Autorin nun die Bezeichnung Artist mitverwendet, bleibt unklar.
Aber es trifft eben das, was er macht: das Aufspüren von Verschwundenen, unter einer anderen Identität untergetauchter Personen und derer sind viele, Millionen sogar, gibt es doch eine regelrechte Dienstleistungsindustrie. Hier kommen nun doch die diversen Außerirdischen (siehe oben: Ausländer) ins Spiel. Erfreulicherweise laufen die ganzen Beziehungen zwischen Menschheit und den weit über 50 intelligenten Rassen (die meist Mitglieder der lockeren Allianz der Welten sind) nicht über blanke militärische Auseinandersetzungen, ab, sondern durch gegenseitiges Anerkennen der jeweiligen Kultur und Regeln.
Genau das ist das Problem. Menschen, die mit den Aliens handeln, verstoßen immer wieder, gewollt oder ungewollt, gegen deren bizarre Regeln (einer der Verschwundenen etwa hat in Unkenntnis Häuser auf dem Heimatplaneten der Rasse gebaut, die nur natürliche Höhlen bewohnt und damit gegen den Schutz der Umwelt verstoßen). Multikulturelle Gerichte tagen und bereinigen solche Fälle, indem sie vielfach den planetaren Kulturen Recht geben und auch deren Strafmassnahmen billigen. So sind die im ersten Fall genannten bestialischen Morde an drei Menschen Vergeltungstötungen der kleinwüchsigen, eher sanften Disty, wodurch sie nicht verfolgt werden von DeRicci und Flint, nachdem sie dieses herausgefunden haben. Die andere Gruppe darf die beiden Kinder ebenfalls offiziell kidnappen, denn laut multikulturellem Urteil steht ihnen das Recht zu, die Erstgeborenen Nachkommen der Täter zu ihrem Planeten zu bringen, wo sie in der außerirdischen Kultur (sogar Respekt- und liebevoll) erzogen werden, aber eben kaum noch Menschen genannt werden können.
Auf der anderen Seite wird Flint schließlich ermitteln, dass auch die irdischen Gegenmaßnahmen dagegen, eben jene Verschwinder-Dienste, nicht die saubersten und ehrlichsten im Geschäft sind.
Abgesehen von den technischen Möglichkeiten und den Örtlichkeiten (Stadt = Kuppel, Hafen = Raumhafen, Jacht = Luxusraumer usw.) ist der SF-Aspekt in den Bänden 2 und 3 kaum vorhanden; wenngleich ein sportliches Ereignis wie der Mond-Marathonlauf (außerhalb der Kuppel, in speziellen Raumanzügen etc.) seinen gewissen Reiz hat und ganz neue Ermittlungsansätze verlangt...Die Bedrohung einer abgeschlossenen Siedlung durch dabei heimtückisch verbreitete Viren (die Begründung des im wahrsten Sinn des Wortes mad scientist <oder müsste es gar, da weiblich, scientesse heissen ? > spricht für/gegen sich: die Menschen unter Stress zu setzen und ihre rassetypischen Eigenschaften zum Vorschein kommen zu lassen, damit sie endlich ihren angestammten Platz im Universum einnehmen können....) sorgt für zusätzliche Spannung. Im dritten Band (aus dem Jahr 2004) sind leichte Andeutungen an den September drei reale Jahre vorher zu erkennen, obwohl die Terroristen auch nur Opfer der früheren Unterdrücker und schon gar nicht unsympathisch sind).
Von der Autorin ist im Deutschen bislang kaum etwas veröffentlicht worden, trotz der extrem umfangreichen Liste an Romanen (allein 64 laut ihrem Wikipedia-Eintrag!) und Meriten, die sie als knapp Fünfzigjährige bereits aufzuweisen hat, und mithin nicht mal das beste (denn Romanbeiträge zu Star Dreck sollten eher dem Vergessen anheimfallen..), doch diese routinierte und intelligent gemachte Krimiserie um Miles Flint ist es allemal wert, positiv besprochen und empfohlen zu werden.
Inzwischen sind es 7 Bände (einer davon noch nicht in deutsch erschienen, der letzte im Original angekündigt für dieses Jahr).
Der vierte Band (Das Marsgrab) ist, persönlich empfunden, dabei der Beste, da sich Krimi und SF-Handlung die Waage halten. Die schon oben genannten Disty beherrschen auch den Mars, wo sie mit den weniger zahlreichen Menschen dort in einer von ihnen dominierten Dualgesellschaft leben. Sie verfügen über eine schon bizarr-absonderliche rasseeigene Haltung zum Tod, zumindest dem durch Gewalt. Als Menschen in eine Distysiedlung eine seit mindestens 30 Jahren dort verborgenen skelettierte Leiche entdecken, sind Bauarbeiter, Polizisten und Gerichtsmediziner automatisch kontaminiert und müssten wie der Ort in umständlichen (mitunter drastischen) Ritualen gereinigt werden. Schon eine Leiche verursacht die Flucht der in der Umgebung lebenden, mehreren tausend Aliens doc dann werden unter dem Skelett mehrere hundert menschliche Opfer eines Jahrhunderte alten Pogroms gefunden und es kommt zu einer sonnensystemweiten Krise...
Band 5 stellt Flint emotional unter schweren Stress, wird doch seine Mentorin und (bis auf DeRicci) einzige respektierte Freundin brutal ermordet. Es stellt sich heraus, dass sie, unter dem Namen Paloma, ebenfalls eine Verschwundene besonderer Art gewesen ist. Flint erbt ihr Vermögen, zwei Raumjachten und größere Anzahl versteckter Dateien, die vielen Leuten schaden können, und posthum erteilt sie ihm noch, via Holografieaufzeichnung, die Order, ihren eigenen Fall aufzuklären...
(Moon) Mysteries at its best, nicht nur für SF-, sondern auch gewöhnliche Krimi-Fans. Und solch eine Steilvorlage kann man sich ja nicht entgehen lassen, auch wenns nur ein Kalauer ist: Rusch-Hours .
Rausch-Stunden des heftigen Vergnügens beim Lesen sind garantiert!
Rausch-Stunden des heftigen Vergnügens beim Lesen sind garantiert!
Daten der Serie