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Die Weissen Männer

Die Weissen MännerDie Weißen Männer
Ein Kapitel aus Arthur Gordon Wolfs dystopischer Saga

Vor kurzem gab es im Zauberspiegel ein Interview mit Arthur Gordon Wolf. Darin sprach der Meister der Kurzgeschichte auch über seine ambitionierte UMC-Saga. Neben etlichen Kurzgeschichten stammt auch die Novelle "Die Weissen Männer" aus diesem Universum.

Werfen wir doch einmal einen Blick hinein:


Die Weissen MännerDer Softwareingenieur Brandon Tolliver kämpft mit den üblichen Problemen: langweiliger Job mit vielen Überstunden und Ärger mit den Frauen. Seine Wohnung befindet sich hoch oben in einem Wohnturm, im 67. Stockwerk. Straßenlärm ist also kein Thema, aber eines Nachts hört er ungewohnte Geräusche aus der Wohnung nebenan. Dort wohnt eine alleinstehende alte Dame. Einige Tage später sieht er die Nachbarin Miss Brookdahl mit einem kleinen Kind. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich Alexander, wie es von der Nachbarin gerufen wird, jedoch als Replikant, der ihr z.B. beim Einkäufe tragen hilft. Als der berufliche Stress, hervorgerufen durch viele eigenartige, eigentlich unerklärliche Softwarefehler endlich nachlässt, widmet sich Brandon verstärkt der Partnersuche. Mitten in dieser Phase hört er nachts Lärm und Kampfgeräusche von nebenan. Da dort niemand auf Klingeln und Klopfen reagiert, bricht er zu einer waghalsigen Kletterpartie von Fenster zu Fenster außen an der Hauswand auf.

Zum Glück findet er ein offenes Fenster und es gelingt ihm, die Nachbarin vor dem durchgedrehten Replikanten zu retten. Diese will der Herstellerfirma UMC die Hölle heiß machen und sie auf Schadenersatz verklagen. Brandon sieht dann einige Tage später wie zwei "weisse Männer" die Nachbarin besuchen, verliert die Sache dann aber aus den Augen, weil er sich gerade neu verliebt hat, selbstverständlich per Cyber-Chat mit Data-Petting! Tja, und dann wird er eines Tages von der Nachbarin auf einen Tee eingeladen. Alexander ist auch wieder da, scheinbar repariert und wieder voll funktionsfähig. Aber Miss Brookdahl hat sich verändert. Sie erzählt von einem von UMC spendierten Wellnessurlaub an der Nordsee, der mit einigen kleineren Aufrüstungen verbunden war.  Als Brandon misstrauisch bleibt, eskaliert die Situation und die "weissen Männer" erscheinen erneut, diesmal um sich um den Ingenieur zu "kümmern". Diesem bleibt nur die Flucht! Wird seine neue Flamme ihm helfen?

Es gibt viele Dinge, die mir an dieser Veröffentlichung gefallen. Da ist z.B. das Cover von Timo Kümmel. Es zeigt einen großen, unheimlich wirkenden Kinderkopf vor dem Hintergrund einer Megalopolis im Zwielicht. Und auch die vier Innengrafiken von Thomas Hofmann tragen viel dazu bei, der Novelle eine besondere Atmosphäre zu verleihen.
 
Ein weiterer Pluspunkt sind die originellen Nebencharaktere mit denen Wolf arbeitet. Da ist beispielsweise der zwergenhafte Replikant Alexander, der mich zumindest anhand der Innenillustration stark an Rumpelstilzchen erinnert.

"Alexander war ein zwergenhaftes Männchen von etwa einem Meter zwanzig Größe mit dürren und recht langen Gliedmaßen. Unter dem dunkelbraunen Haarschopf zeigte sich ein altersloses Gesicht ohne jede Falte; wenn man jedoch in die dunklen Augen blickte, bekam man den beunruhigenden Eindruck, ein uraltes Wesen vor sich zu haben. Ein Wesen mit einem verborgenen dunklen Wissen. Alexander war definitiv kein Kind. Und er war auch kein Mensch!"

(S.12)

Oder der Bergpapagei Arachne:

"Gleichzeitig flatterte etwas Graues von der Größe einer Krähe in den Raum und ließ sich dann mitten auf der aufgeschlagenen Karte nieder. Verdutzt betrachtete Brandon den neuen Besucher. Es handelte sich um einen grau gefiederten Vogel mit olivgrünen Flügeln. Am auffälligsten war allerdings sein langer Schnabel, der wie ein Krummsäbel gebogen war. Und die kleinen schwarzen Augen, die von schmalen,leuchtend gelben Kreisen umrahmt wurden. Das Tier erwiederte sein Interesse mit einem Blick, in dem Schalk und unzweifelhaft auch Intelligenz lagen. Immer wieder veränderte der Vogel die Haltung des Kopfes, um sein Gegenüber von allen Seiten betrachten zu können."

(S.108)

Dann sind da noch die hochdramatischen Momente. Z.B. eine gefährliche Flucht über einen schmalen Mauersims im 67. Stockwerk sorgt für Herzklopfen. Doch nicht nur die schwindelnde Höhe von mehr als 200 Metern macht dem Protagonisten zu schaffen, nein, er wird darüber hinaus von dem außer Kontrolle geratenen Alexander verfolgt, der sich nahezu mühelos auf dem unsicherern Terrain bewegt.
 
Aber auch Wolfs Sinn fürs Skurile sorgt immer wieder für unvorhergesehende Wendungen. So wird Brandon Tolliver unverhofft aus einer brenzeligen Situation im dunklen Stadtpark gerettet:

"Zuerst hielt er das Geräusch für eine Halluzination, für einen weiteren Streich seiner strapazierten Sinne, doch es wurde beständig lauter und er erkannte, dass das dumpfe, rhythmische Stampfen tatsächlich außerhalb seiner selbst existierte. Und es kam direkt auf ihn zu. ... Es war ein höchst befremdlicher Anblick, der sich dem verborgenen Flüchtling bot. Brandon zählte mindestens ein Dutzend Läufer, Männer wie Frauen, die alle wie wandelnde Reklametafeln strahlten. Jeder Teilnehmer der Gruppe trug neben der Stirnlampe weitere farbige Leuchtstäbe und -symbole, die Brust, Rücken, Arme und Beine mit einem wabernden Nebel aus Schleiern überzogen. Selbst die Sohlen ihrer Sportschuhe erzeugten bei jedem Bodenkontakt gleißend helle Signale in Blau, Rot oder Gelb. In ihrer Gesamtheit wirkten die Nachtjogger wie ein überdimensionaler, funkelnder Leuchtkäfer."

(S.84)

Es gibt aber auch einen kleinen Wermutstropfen für mich. Dabei handelt es sich um den Schluss der Novelle. Brandon Tolliver hat alle Fährnisse glücklich überstanden und wichtige Informationen erhalten. Dann bricht er mit einem neuen Ziel auf und ... Ende. Eigentlich ist das eher so etwas wie Cliffhänger und der Leser, der begierig darauf ist zu erfahren, wie es mit Brandon weiter geht, bleibt ein wenig ratlos mit dem Wort Ende zurück.

Insgesamt betrachtet ist "Die weissen Männer" eine spannende Novelle mit einem gehörigen Schuss Humor. Die Lektüre war kurzweilig und hat mich neugierig auf mehr gemacht.
 
Arthur Gordon WolfNun gehört "Die weissen Männer" zur UMC-Saga von Arthur Gordon Wolf. Lassen wir den Autoren doch einmal selbst erklären, worum es dabei geht:

Wir befinden uns in einer nicht mehr allzu fernen Zukunft.... "U.M.C."ist die Abkürzung für "United Merchandise Company". Die"U.M.C."ist ein global tätiger Multi, der sich neben vielen anderen Wirtschaftssektoren vor allem der Entwicklung von K.I. (Künstliche Intelligenz) sowie von Hard- und Software für virtuelle Realitäten verschrieben hat. Neben virtuellen Spielen bietet die U.M.C. humanoide Replikanten für jedwede Verwendung an. (Die Palette reicht dabei von Arbeitsrobotern bis hin zu Sex- Gespielen.)
Doch dann läuft etwas schief. Ganz langsam entwickelt sich bei den künstlichen Geschöpfen ein bedrohliches Eigenleben. Erst beginnen Sprachmodule verrückt zu spielen, dann häufen sich die Fehlfunktionen bei Replikanten. Es kommt zu ersten "Unfällen" mit Todesfolge. Die "U.M.C", die ihre marktbeherrschende Position gefährdet sieht, unternimmt natürlich alles, um diese Vorfälle zu vertuschen. Doch der heimliche Aufstand der Replikanten schreitet unaufhaltsam fort.
Und selbst die VR- Spiele sind alles andere als ungefährlich. Die Spieler können plötzlich nicht mehr zwischen virtueller und realer Wirklichkeit unterscheiden - beide Welten verschmelzen auf unheimliche Weise miteinander. Für manche Spieler bedeutet dies eine Reise ohne Wiederkehr - wenn sie Glück haben.....
Die VR- Spiele haben etwas geweckt, das besser für immer in Vergessenheit geblieben wäre. Eine äonenalte Macht. Ein Gottwesen. Und es versammelt die bio-genetischen und virtuellen Geschöpfe als seine Jüngerschar, um erneut die Macht über die Menschheit und damit über die Erde zu erringen....

(Homepage Arthur Gordon Wolf)

Nun ist das Thema Replikant nicht gerade ganz neu. Ich erinnere mich z.B. noch an den Film "Westworld" mit Yul Brunner aus dem Jahre 1973. Interessant ist aber die Verbindung dieses Themas mit einer uralten Macht, also ein Lovecraft-ähnliches Motiv. Wolf spricht denn auch von "mythologischer Horror- SciFi".
 
Da ich bisher außer "Die Weissen Männer" nur "Das Fest der Grauen Mondin" (in: Dark Ladies, hrsg. v. Alisha Bionda) kenne, fällt es schwer, ein fundiertes Urteil zu fällen. Ich werde das Projekt aber auf jeden Fall im Auge behalten und freue mich schon auf weitere Veröffentlichungen dazu. Bisher gibt es:

  • MängelexemplareDer Anfang:
  • 1.) Gespräch unter Freunden
    in: "c't" Dezember 1991
  • 2.) Sahnesperlinge
    in: Mängelexemplare - Dystopia, Amrun Verlag 2014
  • 3.) Liebe mich!
    in: "Der Mann" Juli/August 1987
    auch in: Jugend schreibt Zukunft? - Zukunft!, Verlag Lothar Ulsamer 1988
    auch in: "phantastisch" 3/2001
    auch in: Neobooks 2014

  • Die Zwischenzeit:
  • 4.) Kronzeugenregelung
    in: "phantastisch" 7/2002
    auch in: Neobooks 2014
  • 5.) Schwarz- Weiße Tode
    in: Rose Noire, hrsg. v. Michael Preissl, Voodoo Press 2010
    auch als: Neobooks 2013
  • Die neongrüne Katze6.) Die neongrüne Katze
    in: Fenster der Seele, hrsg. v. Alisha Bionda, Lerato Verlag 2007
    auch als: Neobooks 2013

  • Die Zeit der Ankündigung:
  • 7.) Thannag - Shi
    in: Avatare, Roboter & andere Stellvertreter, hrsg. v. Susanne O'Connell, Wendepunktverlag 2010
  • 8.) Das Fest der Grauen Mondin
    in: Dark Ladies II, hrsg. v. Alisha Bionda, Fabylon 2009
    auch als: Neobooks Singles 2012 (eBook)
  • 9.) Die Weissen Männer
    Voodoo Press 2013
  • 10.) Die Dunwich - Pforte
    in: Dunwich - Ein Reiseführer, hrsg. v. Patrick Gieser, Basilisk Verlag 2010
    auch als: Neobooks 2012

Die Weissen MännerDie Zeit der Offenbarung

  • Die Weissen Männer
  • von Arthur Gordon Wolff
  • ISBN 978-3-902802-32-3
  • Euro 9,95
  • Cover Timo Kümmel
  • Innenillustrationen Thomas Hofmann
  • 113 Seiten
  • Voodoo Press 2013

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