Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Teil 26: Pierre Boulle - Planet der Affen (1963)
Teil 26:
Pierre Boulle - Planet der Affen
(1963)
In der Weihnachtszeit ist es üblich, dass Fernsehsender ihre Feiertagsprogramme mit Filmklassikern vollstopfen. Und so dürfte sich der Zuschauer wieder wie alle Jahre - wenn er denn noch schaut – durch ein recht heterogenes Filmangebot fräsen. Dabei könnte es ihm auch passieren, dass auf den Weltkriegsfilm „Die Brücke am Kwai“ das SF-Spektakel „Planet der Affen“ folgt. Tatsächlich käme nur ein Eingeweihter auf die Idee, beide Filme in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. Und doch gibt es ihn. Beide Streifen gehen auf Romane des französischen Schriftstellers Pierre Boulle (1912-94) zurück. Ohne dessen Kriegs-Erlebnisse in Asien hätte er vermutlich die Parabel des Affenplaneten nicht schreiben können. Seine Gefangenschaft 1942 verarbeitet er eindrucksvoll, wenn er den Astronauten Ulysse Merou in den Gefängnissen der Affen schmoren läßt. Viele Seitenhiebe des SF-Romans dürften auf persönliche bittere Erfahrungen mit der Spezies Mensch zurückgehen, die Boulle in Kriegstagen erlebte. Dabei war auch Boulle kein Unschuldslamm und erlebte bizarre James-Bond-ähnliche Abenteuer als Kriegsspion, die er in seinem Agenten-Thriller „Ein nobler Job“ (1960) verarbeitete.
Überhaupt überrascht Boulles Werk durch Vielseitigkeit. Fast jedes Genre hat er bedient – und sogar einige Beiträge zur phantastischen Kurzgeschichte geliefert. Trotzdem (oder grade deswegen) ist er alles andere als ein typischer Scifi-Autor. Das spürt man sofort, wenn man seinen Roman „Planet der Affen“ zu lesen beginnt.
Zunächst fällt der einfache, doch durchaus nicht naive Ton des Erzählens auf – und das Fehlen von ausführlichen technischen Beschreibungen.
Als gelernter Elekrotechniker hätte er eigentlich ideale Veraussetzungen gehabt, um das Buch mit (pseudo-)wissenschaftlichem Schnickschnack aufzufüllen, wie es etwa sein deutscher Berufskollege Hans Dominik getan hat. Doch nein, seine Art zu erzählen bleibt auffallend konventionell. Schon der Anfang klingt eher nach einer Geschichte von Kurd Lasswitz aus dem 19. Jahrhundert. Ein Liebespärchen „segelt“ in der Freizeit mit einem Mini-Solar-Raumschiff zum Spaß zwischen den Sternen herum und fängt dabei eine Flaschenpost(!) im All ein. In ihr befindet sich das Manuskript der eigentlichen Roman-Erzählung des Raumfahrers Ulysse Merou.
Schon dieser Rahmen signalisiert, dass es sich nicht um eine bierernste Geschichte handelt, sondern um eine Satire. Eine Satire nicht auf die klassische SF, sondern in Anlehnung an die klassische SF.
Tatsächlich steht das Buch eher in der Tradition der alten spöttischen Nonsense-Dichtung, in der bestimmte Regeln umgekehrt oder außer Kraft gesetzt werden, um dem Leser Absurditäten des angeblich Normalen vorzuführen. Sofort denkt man hier bei der Lektüre an Swifts Gulliver (1726), der als Riese unter Zwergen, Zwerg unter Riesen und – Mensch unter intelligenten Pferden lebt. Besonders an diesen Pferde-Twist erinnert der Roman Boulles oft. (Dieser letzte sehr böse Gulliver-Teil fehlt meist in den Schulbuchausgaben.)
Der „Planet der Affen“ ist sehr einfach strukturiert, verwendet eine schlichte, leicht verständliche Prosa und ist trotz der oberflächlichen Ähnlichkeit mit simpel gestrickten Unterhaltungsromanen durchaus ein Meisterwerk – denn der spannende, schwarzhumorige Plot ist zwar unreflektiert als SF-Thriller zu lesen, birgt aber jede Menge gesellschaftspolitischen Sprengstoff.
Genial ist zunächst die einfache Umkehrung der Verhältnisse von Tier und Mensch. Die Menschen leben in Reservaten, sind stumm und dumpf und werden bei Bedarf von Affen gejagt. Bei einer solchen Gelegenheit geraten die Mitglieder einer interstellaren Expedition auf dem Planeten Soror in die Fänge der Affen. Ganz geradlinig wird erzählt, dass Menschen nur zu drei Zwecken gejagt werden: aus Spaß am Töten (Menschenjagd ist ein beliebter Affensport) für Laborversuche und den Zoo.
Die drei Erd-Menschen erleiden genau diese Schicksale. Einer wird getötet, der Leiter der Expedition in den Zoo verfrachtet und der Ich-Erzähler Merou ins Labor. Er hat Glück im Unglück – eine kluge Schimpansenäffin, Dr. Zira, nimmt sich seiner an, nachdem er ihr den Satz des Pythagoras aufgezeichnet hat. Gegen den Willen der konservativen Orang-Utans setzt sie und ihr Verlobter durch, dass Merou auf einer großen Massenveranstaltung eine Rede hält. Dort kann er die Öffentlichkeit von seiner Intelligenz überzeugen – und davon, dass er von einem fernen Planeten stammt. Merou hat es geschafft – er wird als vollwertiger „Affe“ akzeptiert und bekommt Kleider und eine Wohnung. Doch sein Erscheinen löst eine neue Welle von Diskussionen über die Herkunft der Affen aus – sollten sie am Ende vom Menschen abstammen? Wer sucht, der findet – und als in einer alten Ruinenstadt eine menschliche Puppe ausgegraben wird, entbrennt ein wilder Streit zwischen den konservativen und progressiven Affen über die „menschliche Herkunft“. Merous Freunde überreden ihn, in einem Satelliten als „Versuchsaffe“ getarnt zu seinem immer noch im Orbit kreisenden Raumschiff zu gelangen...
Spätestens hier wird dem Kenner des alten Kinoklassikers auffallen, dass der Roman nicht auf die gleiche Schluß-Pointe hinausläuft wie der Film. Zur Erinnerung: Der menschliche Held in der Version von 1968 findet die Trümmer der New Yorker Freiheitsstatue und erkennt, dass er sich immer noch auf der Erde befindet.
Durch die Zeitdilatation hat sich sein Planet selbst zum Affenplaneten entwickelt – er ist nach Jahrtausenden auf seinem Heimatstern abgestürzt!
Boulle wartet mit einer etwas komplizierteren und literarischeren Lösung auf, die nicht weniger grausam ist. Er weckt im Leser noch einmal Hoffnungen, bevor er sie erbarmungslos zerstört. Denn tatsächlich gelingt es Ulysse Merou (übrigens auch der Name ist natürlich eine satirische Anspielung, denn Ulysse ist der französische Name für Odysseus) zur Erde zurückzukehren – muss aber aber bei der Landung auf dem Flughafen mit ansehen, wie sich Autos nähern, aus denen – Affen steigen...Anscheinend ist der Weg vom Menschen zum Affen eine Art universelles Naturgesetz und hat nun auch auf der Erde stattgefunden.
Die Rahmenhandlung schließt ebenfalls bitter und makaber: Das Pärchen im Sonnensegler äußert sich skeptisch, was die Glaubwürdigkeit dieser hanebüchenen Flaschenpost-Geschichte angeht und glaubt an einen Ulk.
„Dann begann er, die Steuerhebel mit seinen vier geschickten Händen zu bedienen, während Phyllis, die mit einem energischen Schütteln ihrer pelzigen Ohren den letzten Zweifel vertrieben hatte, ihre Puderdose hervorholte und für die bestehende Rückkehr zum Hafen einen leichten Hauch Rouge auf ihre prächtige Schimpansenschnauze auflegte.“
Doch noch weitere markante Unterschiede zum Film sind auszumachen. Schon am Anfang des Romans verliebt sich Merou in eine wunderschöne „wilde“ Menschenfrau, die er Nova nennt. Obwohl sie im Laufe des Romans nicht sonderlich intelligenter wird, ist Merou emotional an sie gebunden – er liebt sie wirklich und ist gerührt von ihren einfachen Zuneigungsbekundungen. Ja am Ende bekommen beide ein Kind – was die Unruhe auf dem Affenplaneten noch erhöht, weil konservative Kreise die Angst schüren, dies könnte der Ahne eines neuen intelligenten Menschengeschlechts werden, das die Affen zurückdrängen würde.
Tatsächlich nimmt Merou Nova und den Sohn bei seiner Flucht mit.
Dieser anrührende Aspekt macht einen Teil des Charmes des Romans aus - offensichtlich will uns der Autor auf originelle Weise sagen, dass am Ende nur die Liebe zählt...
Umgekehrt ist das Schicksal des Expeditionsleiters, einem sehr klugen Professor, hier wesentlich boshafter geschildert als im Film. Während er dort Opfer einer experimentellen Hirnoperation wird, stumpft er im Roman auf natürliche Weise ab. Der Verstand des Intellektuellen entschwindet im Handumdrehen, und er passt sich enorm schnell an seine „tierische“ Menschenumgebung im Zoo an, er wird mit unumkehrbarer Konsequenz ein dumpfes Tier. Eine Abrechnung Boulles mit wendehälsischen Akademikern? Schwer zu sagen, welche Absicht genau der Autor hier verfolgte – fest steht, dass das Schicksal des Professors dem Leser noch lange nachgeht.
A propos nachgehen - Auch die brutalen Schilderungen der entwürdigten und geschändeten Menschen in der Affengesellschaft sind meisterhaft – und eine der eindrucksvollsten Anklagen gegen unseren gedankenlosen Umgang mit Tieren, die ich kenne.
„Es war die ruhmvolle Jagdbeute. Auch hierbei gingen die Affen methodisch vor. Sie legten die blutigen Leichen schnurgrade nebeneinander aufgereiht auf den Rücken. Dann begannen sie, das Wild ansprechend darzubieten, während Damen kurze, bewundernde Rufe ausstießen. (…) Sie zogen an den Beinen und bewegten die Gelenke, damit die Körper weniger tot aussahen, begradigten unschön verkrümmte Gliedmaßen oder milderten die Krümmung eines Genicks. Danach glätteten sie sorgfältig die Haare, besonders die der Frauen, wie manche Jäger das Fell oder Gefieder eines Tieres glätten, das sie grade erlegt haben.“
Boulle wollte zweifellos eine Parabel auf die dekadente und verrohte Menschheit schreiben, die sich im Gewand der Zivilisation und Kultur furchtbarer und atavistischer gebärdet als im Mittelalter. Nicht zuletzt deshalb, wegen der vielen feinen satirischen Seitenhiebe, vor allem auf unseren Eigendünkel als Gattung, hielt er das Buch für unverfilmbar. Als dann, nur 5 Jahre nach Erscheinen das Romans, der Film in die Kinos kam, war er positiv überrascht und vermutlich über die Änderungen nicht allzu böse. Er bot an, zum geplanten zweiten Teil das Drehbuch selbst zu schreiben. Doch das Studio lehnte sein Exposé ab. Vermutlich wollte man in den Fortsetzungen weniger gesellschaftskritische Aspekte aufgreifen, als es Boulle vorschwebte.
Der hat sein Exposé (Titel: „Planet der Menschen“) leider nicht zum Roman umgearbeitet. Ihm ist nach „Die Brücke am Kwai“ und „Planet der Affen“ kein weiterer internationaler Bestseller mehr geglückt, obwohl er bis in die 1990er Jahre hinein als Schriftsteller aktiv war. Sein opus magnum wird wohl der „Planet der Affen“ bleiben, einer der schönsten und kurzweiligsten Science-fiction-Bücher eines Autors, der kein professioneller SF-Romancier war. Und sicher eins der wichtigsten Beiträge zur Gattung in französischer Sprache im 20. Jahrhundert – Frankreich als Mutterland der SF war ja 100 Jahre nach Jules Verne und Camille Flammarion längst von Ländern wie den USA und Rußland in Sachen utopischer Literatur überholt worden.
2001, sieben Jahre nach Boulles Tod, wagte der Regisseur Tim Burton eine Neuinterpretation. Immer wieder liest man, dass seine Version dichter am Roman bleibt als der Klassiker von 1968. Das Gegenteil ist der Fall. Burton setzt zwar wieder die ursprüngliche Schluß-Pointe Boulles ein, doch ansonsten bewegt sich der Plot weit entfernt vom Ursprungsmaterial und hat kaum noch etwas mit der Ur-Idee zu tun. Fast könnte man hier glauben, die Vorlage wäre keine französische Satire, sondern ein Pulp-Roman von Edgar Rice Burroughs. So sehr ich Burtons Filme liebe – dieser war ein Fehlschlag. Er wird heute zu seinen schwächeren Arbeiten gezählt, auch deshalb, weil dem Werk erstaunlicherweise ( bei einem sonst sehr unangepassten Filmemacher – man denke an Edward mit den Scherenhänden oder Mars attacks) oft der gesellschaftskritische Biß fehlt, den der Roman und die erste Verfilmung aufweisen.
Als Kuriosum sei noch angemerkt, dass aufgrund der Fortsetzungsfilme im Kino und einer gleichnamigen TV-Serie auch Buch-Fortsetzungen erschienen, die sich allerdings aus verständlichen Gründen nicht an Boulles Original, sondern den Filmen orientierten. Bis heute sind 18(!) literarische Ableger erschienen, einige davon wurden auch in gekürzter Übersetzung in der Terra-TB-Reihe veröffentlicht.
Das Original ist glücklicherweise ganz ohne Striche zu bekommen. 2014 erschien im cross kult Verlag eine ungekürzte deutsche Neu-Übersetzung von Merle Teger. Ich kann nicht beurteilen, wie perfekt hier aus dem Französischen übertragen wurde - Stilistisch brillant ist die Prosa von Frau Teger auf jeden Fall. Auch wenn das Cover irritierenderweise eher an King Kong gemahnt, ist das Buch eine echte Bereicherung für den Fan phantastischer Literatur.
Nächste Folgen:
William Wymark Jacobs: Die Affenpfote (1902) (11. Januar)
Stanislav Lem - Solaris (1961) (25. Januar)
Arthur Conan Doyle: Der Hund von Baskerville (1902) (8. Februar)
Friedrich Gotthelf Baumgärtner (Hg.) - Museum des Wundervollen (1803-12) (22. Februar)
Ann Radcliffe - Die nächtliche Erscheinung im Schlosse Mazzini (1790) (7. März)
Robert Kraft - Loke Klingsor, der Mann mit den Teufelsaugen (1914-16) (21. März)
Kommentare
Für mich war das Buch eine echte Überraschung. Die alten Filme mochte ich. Auch die beiden Prequels.
Bis zum Erscheinen bei CrossCult wußte ich nicht einmal, das eine Buchvorlage existiert.
Ich habe das Buch gerne gelesen. Auch ohne etwas über die Biographie des Autors zu wissen. Mit diesen Erkenntnissen wird das Buch aber nochmals anders in meiner Erinnerung.
Danke dafür.
Wieder ein schöner Artikel. Ich habe den Roman auch nie gelesen, sondern nur über ihn, und die Pointe am Ende vergessen. Mir gefällt das Cross Cult-Cover. Angenehmer Retro-Stil.
Auch wenn der Film von 68 vordergründig Action bietet, ist es doch eine echte SF-Geschichte. Es ist bedauerlich, dass diese Art von SF heute im Film offensichtlich nicht mehr möglich ist.
Das ist der John Jakes von Fackeln im Sturm und Brak der Barbar. Dass sein Affen-Roman nicht so doll ist, würde mich nicht wundern. Erstens muss das das Buch zum Film sein und Novelisations sind selten besonders gut, und sein Brak ist auch schon eher schlicht geschrieben.
Schieben wir es doch einfach auf die Affenwärme in diesem Monat.
Aber Nein, abgesprochen war da nix, passt aber doch schön zusammen.
@ Andreas Decker:
Ja, die fünf TERRA-Taschenbücher von Pabel waren meines Wissens nach alles Romane zu den Filmen.
Nach den drei Filmromanen von David Gerrold, John Jakes und Jerry Pournelle gab es im Terra-TB noch zwei (oder drei?) weitere Romane von George Alec Effinger - die fassten aber die Fernsehfolgen zum gleichen Thema zusammen.
Wie gesagt hatte ich nur das eine TB und bin einfach mal davon ausgegangen das sie zu jedem der fünf Filme einen Roman geschrieben hätten. Frage mich, ob das so gut gepasst hat, wenn sie statt dessen in den anderen Romanen Bezug zur Fernsehserie genommen haben? Na ja, heute kräht da kaum noch ein Hahn nach den TERRA-TBs.
habe immer danach Auschau gehalten. Das war schon
etwas Besonderes.