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Larry Rottan - This is reality

StoryLarry Rottan
This is reality

AN EINEM MITTWOCH IM JUNI Larry Rottan schlang gerade den letzten Bissen seines Ingwer-Marmeladen-Brötchens hinunter, als es an der Wohnungstür klingelte. Es war Mittagszeit. Eine große, schlanke Blondine stand vor der Tür. Sie schaute betrübt.

»Hallo Larry. Ich bin Octavia Sonnengold, eine Freundin von Victoria La Bello. Darf ich reinkommen?«

Larry bat sie hinein und räumte einen Sessel in seinem kleinen Apartment für sie frei. Seine Wohnung war alles andere als aufgeräumt. Doch Octavia schien dies nicht wahrzunehmen und nahm Platz. Er überlegte, ob er sie schon einmal gesehen hatte, konnte sich aber nicht erinnern.

»Was führt dich zu mir? Wie geht es Victoria? Habe seit einiger Zeit nichts mehr gehört von ihr.« »Sie ist noch an der Ostsee. Seit den Geschehnissen während des Tornados vor ein paar Wochen.« »Du weißt davon?«   »Ja, ich bin ihre Nachbarin. Ich habe gestern mit ihr telefoniert wegen, ja, also wegen der Geschichte, die ich dir erzählen möchte. Ich habe lange mit ihr gesprochen. Und dann hat sie mir empfohlen, dass ich mich an dich wende. Sie lässt auch schöne Grüße ausrichten. Und dass sie sich ganz bald bei dir melden wird.«

Larry war ein wenig verärgert, dass Victoria nicht selbst Octavias Kommen angekündigt hatte. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Auch nicht um einen Kaffee aufzusetzen, denn Octavia begann sogleich mit ihrer Geschichte.

»Also, es geht darum, ich bin missbraucht worden, also nicht richtig, aber genötigt worden.«  

Sie machte eine kleine Pause.

»Die Geschichte wird sich für dich sehr merkwürdig anhören. Ich hoffe, du erklärst mich nicht für verrückt.«

Wieder eine Pause. Larry reichte ihr eine Zigarette.

»Ich beginne von vorne. Ich war gestern Abend joggen. Ich laufe wie immer am Lahnufer entlang, auf der Weststadtseite, hin zum Launsbacher See, kühle mich dort schnell ab, und laufe zurück. Kennst du den Weg?«

Larry nickte.

»Kurz vor dem See macht der Weg eine scharfe Biegung. Zur Linken ist Feld und Acker, vor der Kurve auf der rechten Seite Sträucher und Gebüsch.« »Ich denke, ich weiß wo du meinst.« »Gut, ich laufe also dort entlang, und plötzlich kommt jemand aus dem Gebüsch und reißt mich zu Boden. Ich spüre nur, wie mir etwas auf die Nase gedrückt wird, und dann verliere ich das Bewusstsein.« »Chloroform?« »Kann sein. Ich weiß auch nicht, wie lange ich bewusstlos war. Als ich aufwache, liege ich auf Gras. Meine Augen sind verbunden, mein Mund abgeklebt. Meine Hände hinter dem Kopf mit Handschellen um einen Baumstamm gebunden. Meine Füße an etwas gefesselt, und zwar so, dass meine Beine weit auseinandergespreizt waren. Ich war panisch und fürchtete, dass ich jeden Moment vergewaltigt werde. Aber das wurde ich nicht. Stattdessen spüre ich, wie eine Flüssigkeit über meinen Unterleib geschüttet wurde, und dann mit einem Pinsel verrührt, oder so. Ganz merkwürdig, als ob jemand etwas auf meinen Bauch malen würde. Und zwischen den Beinen war etwas angelehnt. Ich kann das gar nicht wirklich in Worte fassen. Was ich jedoch bemerkt hatte, es blitzte immer wieder zwischendurch.« »Ein Gewitter? Gestern war doch gar keins« »Nein, es waren Blitze wie von einer Kamera. Als ob ich fotografiert würde.«

Sie zögerte.

»Was passierte dann, Octavia?« »Nichts, also fast nichts. Ich bekam erneut etwas ins Gesicht gedrückt und wurde wieder ohnmächtig. Als ich aufwachte, lag ich im Gras, es war dunkel, alle Fesseln entfernt und er hatte mich wieder vollständig angezogen.« »Wenn du solange bewusstlos warst, dass er in Ruhe abhauen konnte, muss er sehr viel Chloroform benutzt haben. Du hättest tot sein können. Das war ein Mordversuch. Bist du zur Polizei?« »Nein, die denken doch, ich habe schlecht geträumt, oder was weiß ich. Ich habe keine Beweise. Auch will ich nicht ausgefragt werden. Ich bin so schnell wie ich konnte nach Hause gerannt und habe versucht eine Freundin anzurufen.« »Victoria?« »Nein, erst vier andere, aber niemand war zu erreichen. Alle in Urlaub, es ist Sommer. Victoria ist meine Nachbarin, wir sind nicht so eng befreundet, wie du jetzt vielleicht denkst. Sie war die Erstbeste, die ich erreichen konnte. Ich brauchte unbedingt jemanden zum Reden. Und vielleicht war sie auch genau die Richtige. Sie hat mich jedenfalls überredet, zu dir zu kommen.« »Ich bin kein Privatdetektiv oder so was. Wie kann ich dir helfen?« »Victoria meinte, dass könnte vielleicht ein Fotograf gewesen sein, der Bilder braucht für eine Kunstaktion. In drei Tagen ist hier in Gießen eine Gruppenausstellung mit Fotoarbeiten zum Thema Körper und Natur. Sagt Victoria jedenfalls. Ich kenne mich mit Kunst nicht aus, bin da auch nicht sehr interessiert. Und sie sagt, dass du gute Kontakte in die Szene hast, und dich mal umhören könntest.«

Jetzt war Larry klar, warum Octavia zu ihm gekommen war. Victoria stellte sich das bestimmt ganz einfach vor. Victoria stellte sich immer alles ganz einfach vor. Als ihre gemeinsame Freundin Louisa Louisana, eine Malerin, bei dem großen Sturm letzten Monat von einem Tornadojäger vergewaltigt worden war, hatte Victoria kurzerhand die Reifen dessen Vans abgestochen, was letztendlich, da er sich nicht rechtzeitig vor dem Tornado in Sicherheit brachte, sondern versuchte auch sein Fahrzeug zu retten, mit diesem an einem Gebäude der Technischen Hochschule Mittelhessen zerschellte. Victoria verließ Gießen daraufhin und floh zu einer Freundin an die Ostsee. Vorübergehend, wie Larry inständig hoffte.

»Ich kann dir nichts versprechen. Die Ausstellung ist im KiZ, Kultur im Zentrum, habe irgendwo eine Einladung hier rumliegen.«, antwortete Larry Olivia.

Er ging zur Toilette. Dort bewahrte er aktuelle Ausstellungsankündigungen auf. Und er fand auch den gleich die gefaltete Postkarte zu Körper & Natur. Er reichte sie an Octavia weiter. Schau dir mal die Künstlerliste an. Kennst du davon jemanden?

Octavia schaute sich die Einladung genau an und schüttelte dann den Kopf.

»Nein, niemanden. Mag sein, dass ich den ein oder anderen Namen schon mal bei Victoria aufgeschnappt habe. Vielleicht war auch dort schon mal jemand zu Besuch, schließlich kennt sie Gott und die Welt. Aber nein, persönlich kenne ich niemanden davon.« »Hmm, ich weiß nicht so genau was ich tun kann. Ich könnte versuchen, vor Freitag in die Ausstellung zu kommen. Die sind bestimmt schon am Aufbauen und den ein oder anderen Künstler kenne ich. Vielleicht bekomme ich dort einen Hinweis. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Fotos von gestern für die Ausstellung gemacht wurden.« »Das wäre mir auch sehr unangenehm. Und hört sich derart grotesk an, dass ich daran auch nicht glaube. Das war halt Victorias Gedanke.« »Na ja, Victoria sagt so was nicht ohne Hintergedanke. Ich versuche sie heute Abend zu erreichen.« »Könntest du dich mal am Lahnufer, also an der von mir beschriebenen Stelle, umsehen? Vielleicht findest du irgendwas, dass meine Geschichte belegt.« »Ja, ich habe allerdings kein Fahrrad um dort hinzukommen. Und Joggen, na ja, ist nicht so mein Fortbewegungsmittel.« »Du kannst meins nehmen. Kann ich solange hier bleiben? Ich fühle mich unwohl zuhause.« »OK.«

Eine halbe Stunde später erreichte Larry die markante Biegung auf dem Weg zum See. Er schloss das Fahrrad an einem Baum ab und streunte über die Wiesen. Zum Lahnufer hin standen ein paar Bäume, die vom Weg nicht einzusehen waren. Und vor einem Apfelbaum entdeckte Larry eine größere Fläche plattgedrücktes Gras.

Er schaute sich den Baumstamm genauer an und erspähte abgeschabte Rinde. War Octavia hier angebunden gewesen? Hatte sie versucht sich zu befreien? Ein paar Meter weiter lag ein Ast. Auch hier gab es Spuren zu sehen. Vielleicht wurde genau dieser Ast benutzt, um ihre Füße zu fesseln.

Ihre Geschichte war stimmig. Mit dem Handy fotografierte Larry die Hinweise. Dann fuhr er zurück.

Als er seine Wohnung wieder betrat, schlief Octavia zusammengekauert auf seinem Sessel. Er setzte Kaffee auf.

Als sie erwachte, fragte sie: »Hast du was gefunden, Larry?». »Nicht viel. Nur Indizien, die belegen, dass Deine Geschichte wahr ist.«

Sie schaute erleichtert: »Danke«.

Auf dem Rückweg hatte Larry Kuchen besorgt. Sie aßen und tranken Kaffee.

»Ich fahre jetzt mal zum KiZ und schau mich dort um. Du kannst gerne noch hier bleiben«

Das KiZ, auch bekannt als ehemalige Stadtbibliothek, war eine großzügige zweigeschossige Ausstellungsräumlichkeit. Larry stellte das Fahrrad an dem chinesischen Garten beim Hintereingang ab und schaute. Die Tür war offen. Einige Künstler waren mit dem Aufhängen ihrer Werke beschäftigt. Er entdeckte Annike Solingen, eine Fotografin, die er aus seiner Stammkneipe kannte.

»Hallo Annike. Ich würde gern auf meiner Facebook-Seite eine ausführliche Vorankündigung zu Eurer Ausstellung schreiben. Darf ich mich ein wenig umsehen?« »Ausnahmsweise«, lächelte sie ihn an. »Ich habe aber keine Zeit für dich. Und steh bitte niemanden im Weg. Wir arbeiten hier.« »Geht klar.«

Larry begab sich auf Rundtour und betrachtete die bereits vorhandenen Werke. Die Ausstellung beinhaltete Gemälde, Skulpturen und vor allem Fotografien. Dazu eine Videowand im Untergeschoss und eine Klanginstallation im Außenbereich. Larry entdeckte nichts, dass mit Octavias Geschichte auch nur ansatzweise etwas hätte zu tun haben können. Larry ging nochmal zur Stirnwand, wo Annike gerade ihre Rahmen polierte. Um die Ecke, an der Wand hin zum Haupteingang hing bislang nur ein kleiner DIN-A4-Ausdruck. Den schaute sich Larry auch noch an. Und staunte.

Auf dem Farbausdruck war der Unterleib einer schlanken Frau zu sehen. Er war mit Blut überströmt, auf dem Bauch prangte der Schriftzug "This is reality". Zwischen ihren Beinen bedeckte ein Büschel Grashalme ihre Scham. Larry war perplex. Das entsprach genau Octavias Story. Er machte ein Foto. Dann wandte er sich an Annike.

»Was ist das hier? Nur ein kleiner Farbausdruck für die große Wand?" »Das ist Edgar Franz. Wie immer auf den letzten Drücker. Der Ausdruck ist ein Platzhalter. Er hofft, bis Freitag einen Abzug im Format 1,0 auf 1,5 Meter zu bekommen. Zumindest ist es so angekündigt. Würde mich nicht wundern, wenn er bei der Vernissage noch mit Aufhängen beschäftigt ist. Wäre nicht das erste Mal.« »Ach so.«

Larry fand noch ein paar Komplimente für Annikes Arbeiten und fuhr nach Hause.

Octavia saß im Sessel und blätterte in Zeitschriften, die auf Larrys Tisch lagen.

»Das glaubst du nicht. Du hängst in der Ausstellung.«

Er reichte ihr sein Smartphone.

»Diese Drecksau«, regte sie sich auf. »Und nun? Was kann ich machen?«

Larry erzählte ihr was Annike gesagt hatte.

»Die Frage ist, wie beweisen wir, dass das du das bist auf den Fotos. Dein Gesicht ist nicht zu sehen. Du hast keine Tätowierung oder sonst was Auffälliges in der abgebildeten Körperregion, das vielleicht auf den Fotos erkennbar wäre?« »Nein, hab kein Tattoo.« »Konnte Edgar das wissen?« »Woher. Ich kenne diesen Typen nicht.« »Du sagtest, du hast dich am See immer abgekühlt. Nackt?« »Ja.« »Dann wird er dich dort beobachtet haben.« »Ich habe ein kleines Muttermal am Unterleib. Könnte das helfen?« »Wo denn genau? Er hat Deinen Körper dort überall mit roter Farbe oder Rinderblut oder was auch immer übermalt.« »Es ist dort, wo die Grasbüschel zu sehen sind. Vielleicht dazwischen.«

Octavia öffnete ihre Hose, zog sie samt Slip herunter und wandte sich Larry zu. Sie zeigte auf einen dunklen Fleck.

»Hier.« »OK. Das erkennen wir auf diesem Smartphone-Foto nicht. Wir brauchen die Originaldateien von seiner Kamera. Oder müssen bis zur Eröffnung warten, bis er das großformatig aufhängt.« »Geht das überhaupt so schnell? Ich warte immer eine Woche auf ein paar Urlaubsabzüge.« »Er wird das irgendwo plotten. Vielleicht an der Uni am Hochschulrechenzentrum oder in Frankfurt. Wenn er gut organisiert ist, ist das kein Problem.« »Und wenn wir an seine Kamera kommen?«

Larry griff zu seinem Laptop. Er fand schnell seine Homepage. Edgar Franz praktizierte öfters Bodypainting. Es bildete den Schwerpunkt seines Oeuvre. Auch ein Porträtfoto von ihm war vorhanden. Octavia erkannte ihn aber nicht.  

»Schau, hier steht die Adresse seines Studios. Wollen wir uns morgen da mal umschauen?« »Ja, lass uns das machen.« »Für heute ist es genug.«

DONNERSTAG Tags darauf begaben sie sich zu der Adresse von Edgars Studio. Es befand sich in der Schottstraße. Larry wusste, dass sich in dem Haus nur Sozialwohnungen der Wohnbau Genossenschaft befanden. Also war sein Atelier einfach nur ein Zimmer seiner Wohnung.

Die Haustür stand offen. Larry schaute hinein und hörte jemanden die Treppe runterkommen. Er zog Octavia schnell ein paar Meter beiseite. Tatsächlich war es Edgar Franz, der das Haus eilig verließ. Er bemerkte die beiden nicht. Larry schaute auf die Klingelschilder. Franz stand ganz oben. Vermutlich wohnt er im obersten Stockwerk, folgerte Larry. Sie gingen ins Haus und stiegen die Treppen herauf bis ganz nach oben. An der rechten Tür hing ein großes Herz, darunter ein türkisch klingender Name.

»Dann wohnt er wohl hier«, sagte Larry und wies auf den Türeingang zur linken Seite. Octavia bückte sich und hob die Türmatte an.  

»Wow, hier liegt der Ersatzschlüssel. Was meinst du?«

Larry war nicht wohl dabei, aber Octavias Augen funkelten zum ersten Mal, seit er sie gestern kennengelernt hatte.  

»Bin dabei.«

Sie öffnete die Tür, und wollte sie hinter sich wieder schließen, doch Larry griff dazwischen.  

»Lass sie einen Spalt offen, damit wir hören, wenn jemand die Treppe hochkommt.«

Sie öffneten die erste Zimmertür rechts, es war das Bad. Gegenüber befand sich das Schlafzimmer. Von der Küche aus ging es zu einem weiteren Raum. Das sogenannte Studio. Auf dem Schreibtisch stand ein Laptop. Eine Kamera hingegen war nicht zu sehen. Larry klappte den Laptop auf und fuhr ihn hoch. Wie zu erwarten kam er nur bis zur Passwortabfrage.

Mit den Worten »Hacken kann ich leider nicht«, schaltete er ihn wieder aus.

Octavia durchsuchte die Schreibtischschubladen.  

»Schau, hier liegt eine Festplatte.« »Gib her. Genau darauf habe ich gehofft. Ich habe meinen kleinen Zweitlaptop dabei. Vielleicht kann ich sie damit durchsuchen.«

Er nahm seinen Rechner aus dem Rucksack.  

»Geh du derweilen zur Tür oder, nein, besser, zum Küchenfenster. Von dort hast du den Hauseingang im Überblick.«

Zehn Minuten später kam Larry in die Küche.

»Lass uns verschwinden.« »Hast du was?« »Vielleicht. Das werden wir zuhause sehen.«

Sie verließen Wohnung und Haus. Larry war hungrig und schlug vor, was Essen zu gehen. Octavia war ungeduldig und wollte genau wissen, was Larry gefunden hatte.

»Auf der Festplatte war ein großer Ordner namens Bodypainting. Darin ein Unterordner namens Lahnufer mit Datum von vorgestern. Ich habe alles kopiert. Ich brauch jetzt trotzdem ein Mittagessen. Danach schauen wir uns die Bilder auf meinem Flatscreen an.«

Octavia schmollte ein wenig, trottete aber mit zum türkischen Imbiss in den Asterweg, bei dem es laut Larry die beste Pizza mit Meeresfrüchten der ganzen Stadt gab.

Zuhause angekommen verband er den Laptop mit dem Flatscreen.

»Lass uns das Muttermal suchen.« »Was willst du eigentlich machen, wenn wir es finden. Ihn anzeigen? Verhindern, dass er das Bild ausstellt?« »Das weiß ich noch nicht. Hab die halbe Nacht darüber nachgedacht, ohne Ergebnis.«

Larry öffnete den Ordner und lud das erste Bild.  

»Scheiße, das bin ich«, entfuhr es Octavia. Edgar Franz hatte sie tatsächlich fotografiert, mit Gesicht, wie sie fast nackt dalag, ohne Slip, mit hochgezogenem T-Shirt, gefesselt und geknebelt. Sie schaute sich das Bild an, Tränen liefen ihre Wange herunter.  

»Ich habe genug gesehen.«

Sie setzte sich wieder in den Sessel und wandte ihr Gesicht von Larry ab.

»Das Muttermal musst du jetzt nicht mehr suchen. Ich hingegen muss jetzt überlegen, was ich unternehmen will.«

Larry ließ sie in Ruhe. Er klickte sich durch die anderen Ordner. Er fand Aufnahmen von Bodypainting-Sessions sowohl in einem Studio als auch Outdoor.  

»Macht es dir Spaß die Bilder von mir anzustarren?«, schimpfte Octavia. »Hab ich nicht. Hab die anderen Ordner durchgesehen. Du hast verdammtes Glück gehabt.« »Wie bitte?« »Der Typ ist ein Mörder. Hier sind Bilder von mindestens drei Frauen, die er abgestochen hat.« »Ein Serienmörder?« »Sieht so aus.«

Octavia kam zum Schreibtisch.

»Zeig mir bitte das Bild, dass er ausstellen will.«

Larry öffnete die Ansicht mit den Vorschaubildern und verglich sie mit der Aufnahme auf seinem Smartphone. Er klickte doppelt auf eine Datei.

»Das müsste es sein.«

Octavia betrachtete das Bild ausgiebig.

»Ich möchte, dass das Bild ausgestellt wird.« »Und was machen wir mit Edgar?« »Der wird morgen Abend bei der Vernissage ein blaues Wunder erleben.«

Octavia küsste Larry auf die Wange.

»Kennst du einen guten Rechtsanwalt, bei dem ich schnell einen Termin bekomme?« »Ja. Hier um die Ecke residiert ein Anwalt, den ich kenne. Er hilft dir bestimmt.« »Kannst du mich hinbringen?« »Ja.« »Und hast du einen USB-Stick für mich, auf den du alle Dateien kopieren kannst?« »Auch das.«

FREITAG Larry schlief bis mittags. Octavia hatte tags zuvor noch einen Beratungstermin bekommen und war danach nach Hause gegangen. Nachmittags rief sie an und berichtete, dass sie jetzt nochmals zu dem Anwalt gehen würde. Dieser hätte eine grandiose Idee, sie könne aber noch nichts genaueres dazu erzählen.

Um 19 Uhr startete die Vernissage. Larry ging ausnahmsweise pünktlich hin; normalerweise besuchte er Ausstellungseröffnungen erst, wenn die ganzen Reden und das Eröffnungsprocedere vorbei waren. Aber heute wollte er nichts verpassen.

Edgar Franz hatte es tatsächlich hinbekommen und besagtes Foto prangte in der angekündigten Größe an der Wand. Und Larry musste zugeben, dass es ein sehr beeindruckendes Motiv darstellte. Als die letzte Rede beendet war und die Besucher begannen, das Buffet zu plündern, und nun auch die ausgestellten Kunstwerke betrachteten, erschien Octavia. Sie begrüßte Larry.

»Komm, lass uns zu meinem Bild gehen. Bleib bitte in meiner Nähe, ich habe etwas Angst, dass dieser Typ hier durchdreht. Aber der Plan deines Anwalts ist gut. Er kommt auch gleich, aber wird sich im Hintergrund halten.«

Octavia stellte sich neben das Foto von ihr und beobachtete das Publikum. Edgar Franz stand in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes und unterhielt sich mit Künstlerkollegen. Durch den Haupteingang

betrat ein älterer Herr mit langen grauen Haaren den Raum und sah sich um. Larry glaubte zu erkennen, dass er Octavia zugeblinzelt habe.  

»Gleich wird es interessant, Larry.«

Octavia lächelte schelmisch.

Der ältere Herr hatte unterdessen Edgar angesprochen und zusammen steuerten sie auf dessen Werk zu. Dann erblickte Edgar Octavia und hielt einen kleinen Moment inne. Der ältere Herr umarmte ihn freundschaftlich und drängte ihn vor das Foto.

»Das ist eine großartige Arbeit, Herr Franz. Ich möchte es erwerben.«

»Hast du gehört, Larry, dieses Foto wird verkauft«, trötete Octavia so laut, dass es alle Umstehenden mithören konnten. Die Aufmerksamkeit des Publikums war geweckt.

Der ältere Herr bat Edgar, etwas über sein Werk zu erzählen.

»Wie ist es entstanden, wie kamen sie auf die Idee, Herr Franz?«

Edgar war sichtlich nervös und unsicher.

»Es spiegelt Realität wieder.« »Das ist alles, Herr Franz?«

»Nein, ist es nicht«, schaltete sich Octavia ein. »Die Realität ist, dass er mich überfallen und betäubt hat, mich als Modell missbraucht hat.«

Der ältere Herr lächelte süffisant.

»Das macht das Werk ja noch großartiger, als ich dachte. Herr Franz, wenn das die Wahrheit ist, biete ich Ihnen 10.000 €. Selbstverständlich exklusiv. Sie dürfen keine weiteren Abzüge verbreiten. Ist mein Angebot großzügig genug?«

Edgar schaute vollkommen verstört zwischen dem älteren Herrn und Octavia hin und her. Raunen ging durch das Publikum.

Und der ältere Herr fragte erneut: »Und Sie haben es wirklich geschafft, diese Dame gegen ihren Willen zu ihrem Modell zu machen, und nun steht eben diese Dame neben ihnen und ist genauso wie ich von ihrem Werk begeistert, Herr Franz?"

»Ja, dem ist voll und ganz so.«

Für einen kurzen Augenblick schien Edgar die Fassung wiederzufinden.

Der ältere Herr hingegen zog einen Ausweis aus der Jackentasche.

»Herr Franz, mein Name ist Keller. Kriminalhauptkommissar Keller von der Polizei Gießen. Herr Franz, Sie sind verhaftet.«

Siehe auch: Grotesk Trivial - Larry Rottan - The Louisa Trilogie

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