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Alois Kronabitter kehrt zurück - Eine Kurzgeschichte

StoryAlois Kronabitter kehrt zurück
Eine Kurzgeschichte

Es dämmerte gerade der Morgen, als Werner sich an seinen Tisch setzte, der aus einer Glasplatte und schwarzem Metall bestand und aussah, als wäre er aus dem Mittelalter hergebeamt worden. Gestern hatte er eine Mindmap für eine abstruse Horrorgeschichte angefertigt und den Plot skizziert. Einen griffigen Anfang bereits vor seinem geistigen Auge nahm er sein Clipboard, an dem A4-Kopierblätter befestigt waren, und begann zu schreiben.

Der erste Satz der Geschichte war viel versprechend. Er erzeugte Spannung und fesselte den Leser. Er war gerade beim zweiten, als es an der Wohnungstür läutete. „So früh schon Besuch? Eigenartig, wer mag das sein?“, dachte er. Er ging durch den Flur und öffnete die Tür. Sein Nachbar Alois Kronabitter stand da im Treppenhaus. Er war vor zwei Monaten verstorben. Werner war bei seinem Begräbnis gewesen, hatte eine Handvoll Erde auf den hinab gesenkten Sarg geworfen, ehe dieser zugeschüttet wurde und ein schlichter Grabstein aufgestellt worden war. Alois Kronabitter hatte alleine gelebt. Niemand vermisste ihn besonders, außer seinem Hund, den man nach seinem Tod in ein Tierheim gebracht hatte. Er war Mitte 50 gewesen, als er nach einem Herzschlag das Bewusstsein nicht wiedererlangt hatte. Sein Leichenhemd war zerrissen, das Gesicht von Würmern zerfressen und halb aufgelöst. Alle Zähne waren ihm ausgefallen. Er verströmte einen modrigen Geruch. Er fragte, ob er hereinkommen dürfte. Werner bejahte. Alois Kronabitter betrat die Wohnung, setzte sich an den Esstisch in der Küche. Werner bot ihm Kaffee an. „Leichen trinken nicht“, sagte Alois Kronabitter mit einer Stimme, die von weit herzukommen schien. Werner und Alois Kronabitter hatten kein schlechtes Verhältnis zueinander gehabt. Des Öfteren hatten sie im nahe gelegenen Gasthaus Karten gespielt und einige Biere getrunken. Werner fragte Alois Kronabitter, ob er Karten spielen wollte. „Leichen spielen nicht Karten“, sagte Alois Kronabitter. Werner fühlte sich immer unbehaglicher. „Willst du dir vielleicht die Wettervorhersage im Fernsehen ansehen“, fragte er ihn. „Leichen sehen nicht fern“, antwortete Alois Kronabitter. „Was tun sie denn dann“, fragte er. Seine Stimme zitterte. „Leichen belohnen diejenigen, die gut zu ihnen waren und bestrafen die, die ihnen Bösartiges antaten“, entgegnete Alois Kronabitter. Werner hatte ihm einige Male trotz ihrer Beinahe-Freundschaft Drogen von übelster Qualität zu einem astronomischen Preis verkauft. „Und was hast du jetzt mit mir vor?“, stammelte er. „Ich werde dich mitnehmen in das Reich der Dunkelheit. Dort wirst du im Vorhof des Himmels und der Hölle warten, bis entschieden wird, ob du Erlösung erlangen und als Teil der Luft weiterexistieren oder du bis in alle Ewigkeit auf glühenden Kohlen wandeln wirst“, sagte Alois Kronabitter. Dann fasste er Werner an der Hand und sie verließen gemeinsam die Wohnung, das Haus, die Welt, wie wir sie kennen.

Steg


Zum Autor

Bright Angel (Pseudonym) wurde Mitte der 1960er Jahre in Kärnten geboren. Er ist ein unsteter Geist und ein rollender Stein. Er schreibt Lyrik, Prosa und Hörspiele und fotografiert. Er veröffentlichte Lyrik, Kurzprosa und Fotos in Zeitschriften und Anthologien und bei „Erozuna“, „Zukunftia“, „Gangway“ und „zugetextet.com“ im Internet.

Veröffentlichungen:

  • Gedichte in „Driesch“, Nr. 5  im Jahr 2011.
  • Kurzgeschichte in „Brückenschlag“, Band 27 im Jahr 2011.
  • Kurzgeschichte in „TrokkenPresse“, Nr. 5 im Jahr 2011.
  • Prosatext in „TrokkenPresse“, Nr. 2 im Jahr 2012.
  • Gedichte in und Gedicht auf „Brückenschlag“, Band 28 im Jahr 2012.
  • Miniaturen in „WORTSCHAU“, Nr. 17 im November des Jahres 2012.
  • Gedichte in „Spring ins Feld“, 13. Ausgabe, Dezember des Jahres 2012.
  • Kurzgeschichte in „Brückenschlag“, Band 29 im Jahr 2013.
  • Prosatext in „TrokkenPresse“, Nr. 3 im Jahr 2013.
  • Gedicht in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 59, 09/2013.
  • Kurzgeschichte in der Anthologie „Mein heimliches Auge, Das Jahrbuch der Erotik XXVIII“ vom konkursbuch Verlag
  • Claudia Gehrke im Jahr 2013.
  • Gedichte in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 60, 12/2013.
  • Gedichte in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 61, 04/2014.
  • Gedichte in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 62, 08/2014.
  • Kurzgeschichte und Gedicht in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 63, 11/2014.
  • Gedichte in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 64, 04/2015.
  • Kurzgeschichte und Gedicht in „DATT IS IRRE !“, Ausgabe 67, 04/2016.

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