»Mein Lieblingsbuch«: Die Geisha

Mein LieblingsbuchDie Geisha
Eines meiner Lieblingsbücher

Ob ich ein Buch lese oder nicht – das hängt von mehreren Dingen ab.

Als erstes Kriterium muss mich natürlich der Titel ansprechen, zumindest neugierig machen. Dann lese ich die Inhaltsangabe. Man könnte meinen, es sei da entschieden, doch meist ist dies nicht der Fall.

Ich blättere nach der ersten Seite und lese den ersten Satz. Vielleicht auch den zweiten Satz. Und wenn es nicht gerade ein Krimi oder Thriller ist, auch den letzten.


Die GeishaErste Sätze müssen gut sein. Nicht perfekt, aber gut. Sie müssen es schaffen, den Leser zu fesseln, sie müssen zum Weiterlesen bewegen können.

Und die letzten sind vielleicht noch wichtiger. Denn sie entscheiden darüber, wie mir das Buch in Erinnerung bleibt.

Einer der Romane, die ich in den vergangenen Monaten gelesen habe, ist „Die Geisha“ von Arthur Golden.

Das Buch stand im Regal meiner Mutter und ist mir aufgefallen, weil ich überempfindlich auf alles reagiere, was mit Japan zu tun hat.

Ich habe es hervorgezogen.

Auf dem schwarzen Cover blickte mir aus blaugrauen Augen eine Frau mit weiß geschminkten Gesicht und leuchtend roten Lippen entgegen.

Der Beginn der eigentlichen Geschichte lautet:
Mal angenommen, Sie und ich sässen in einem stillen Raum mit Blick auf einen Gartentränken grünen Tee, und ich sagte zu Ihnen: „Der Nachmittag, an dem ich den-und-den kennenlernte… das war der beste Nachmittag in meinem Leben, und zugleich der schlimmste.“
Gut möglich, dass dies nicht der beste Buchanfang ist, den ich je gelesen habe. Aber es ist einer, der mich von Beginn weg sofort an die Geschichte gefesselt hat, weil er Fragen aufgeworfen hat ...

  • Wie kann etwas das Beste und zugleich das Schlimmste sein?
  • Wen hat das „Ich“ kennengelernt?
  • Welche Auswirkungen hatte diese Begegnung auf das Leben des „Ich“s?

Und die Antworten darauf konnte ich nur finden, indem ich das Buch las.

„Die Geisha“ beginnt in den 30er-Jahren und zieht sich bis fast in die Gegenwart.
Die ganze Geschichte und alle Figuren sind vom Autor frei erfunden, könnte sich jedoch so abgespielt haben, da alles genau recherchiert wurde (er hat z. B. Gespräche mit einer ehemaligen Geisha geführt) und Arthur Golden sowohl japanische Geschichte studiert, als auch mehrere Jahre in Japan verbracht hat.

Das Buch handelt vom einfachen Fischermädchen Chiyo, das von seinem Vater aus Geldnot nach Kyoto verkauft wird und dort im Vergnügungsviertel Gion zur Geisha ausgebildet werden soll.
Gleich zu Beginn der Story wird das Bild, das ein Durchschnittseuropäer von einer Geisha hat, zunichtegemacht. Eine Geisha ist nicht etwa die japanische Version einer Prostituierten – eine Geisha ist eine Künstlerin.

Sie muss singen und tanzen können sowie verschiedene Instrumente und die Teezeremonie beherrschen. Ernste, intelligente Gespräche zu führen, sollte genauso zu ihrem Repertoire gehören, wie humorvolle Geschichten zu erzählen.

Um den Begriff zu präzisieren: Eine Geisha ist schlussendlich eine Meisterin der Unterhaltung, eine Unterhaltungskünstlerin, deren Dasein kaum noch etwas mit dem einer Prostituierten (welche es in Japan natürlich auch gibt!) gemeinsam hat.

Nur wenige Menschen dürften wissen, dass die ersten Geishas Männer waren …

Chiyo, das Fischermädchen, gerade mal neun Jahre alt, soll nun also eine solche Unterhaltungskünstlerin werden. Ganz allein, zwischen Menschen, die es zum ersten Mal sieht, ohne seine Familie, mit Ausblick auf eine mühsame, strenge Ausbildung.

In seiner Okiya – ein Haushalt, der potenzielle Geishas aufnimmt, ausbilden lässt, bezahlt, und später von ihrem Einkommen profitiert – gibt es zudem Hatsumomo, eine sehr beliebte, aber launische Geisha, die Chiyo das Leben schwer macht.

Bald hat das Mädchen genug und versucht zu fliehen, was gründlich scheitert.

Degradiert zur Dienerin Hatsumomos scheint Chiyo kaum noch Möglichkeiten zu haben; sie ist verzweifelt – bis sie mit zwölf Jahren eines Tages am Flussufer „dem Direktor“ begegnet, einem Mann mit sanften Gesichtszügen und tröstender Stimme.

Er gibt ihr ein Taschentuch, um die Tränen zu trocknen, und ein paar Münzen, mit denen sie sich ein Eis kaufen solle, dann würde die Welt gleich wieder viel besser aussehen.

Und Chiyo schöpft neuen Mut.

In ihr formt sich der Wunsch, doch Geisha zu werden – um genügend Status zu haben, „dem Direktor“ wieder zu begegnen.

Mag es Schicksal oder Glück sein – Chiyo erhält eine weitere Chance und steigt binnen weniger Jahre zu einer der beliebtesten Geishas ganz Japans auf. „Der Direktor“ ist in unmittelbarer Nähe …

Die ganze Geschichte ist in der Ich-Perspektive Chiyos geschrieben, und eigentlich ist es kein Schreibstil, der besonders außergewöhnlich ist, den man unter hundert anderen eindeutig wiedererkennen würde. Er ist relativ schlicht, eher sehr sanft, leicht verständlich, zwischendurch sehr bildmalerisch und poetisch.

Obwohl auch die Handlung selbst nicht mit Action gespickt ist – schließlich geht es „nur“ um das Leben einer Geisha -, berührt und fesselt sie doch so sehr, dass man das Buch kaum aus den Händen legen will, bis man nicht den letzten Satz verschlungen hat.

Jedenfalls ist es mir so ergangen; gleichzeitig habe ich mich vor dem Schluss gefürchtet, weil ich es hasse, wenn ein gutes Buch zu Ende geht.

Ich war nicht enttäuscht vom Schluss.

Von den letzten paar Sätzen, die ich ja schon kannte, erst recht nicht …
Jetzt aber weiss ich, dass unsere Welt nicht beständiger ist als eine Woge im Ozean. All unsere Mühen und Triumphe, wie wir sie auch erleben, zerlaufen zu einem Wasserfleck.
Genau wie wässrige Tusche auf Papier.
Gut möglich, dass dies nicht der allerbeste Buchschluss ist, den ich je gelesen habe.
Aber allein vom Gefühl her, das er in mir hinterlassen hat, ist er es wert, in meine Top Ten aufgenommen zu werden.

Die GeishaWie übrigens auch das ganze Buch.

Infos zum Buch:
Die Geisha
von Arthur Golden
Ins Deutsche übertragen von Gisela Stege
ISBN: 978-3442735228
Taschenbuch, 572 Seiten
€ 10,00
btb

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