Willkommen auf den Neuland-Inseln

Willkommen auf den Neuland-Inseln

»Das Internet ist für uns alle Neuland« ist ein Satz, den man mit Angela Merkel untrennbar im Kopf haben wird. Von der Digitalen Boheme - sofern es sie noch gibt und nicht im digitalen Proletariat angekommen ist - und den Vordenkern des Internets verspottet hat sie dennoch einen wahren Kern berührt. Vielleicht wäre die Bemerkung anders aufgenommen worden, wenn sie anders formuliert gewesen wäre. Denn eigentlich ist sie, wenn man im Abstand darüber nachdenkt, ja durchaus nicht unwahr.

Ob sie wirklich richtig ist, das ist wiederum auch eine Frage.

Als Nutzer des Social Web ähneln wir heute eher einem Christoph Columbus, als einem modernen Containerschiff-Kapitän. Technik, Software und Konzepte sind noch viel zu neu, zu unübersichtlich und zu sehr im ständigen Wandel, als dass sich allgemeingültige und wiederholbar erfolgreiche Projekte darstellen lassen. Wennwir ehrlich sind, wissen wir noch nicht einmal, dass es ein “Indien” überhaupt gibt. Geschweige denn, dass “Amerika” davor liegt.

So Frank Tentler 2012 - und sind wir in den letzten Jahren wirklich viel weiter gekommen mit unseren Erkenntnissen? Lassen wir uns mal nicht von der Technik blenden. Von neuen Oberflächen, neuen Netzwerken, neuen Tools. Wir wissen bisher nicht wie sich Smartwatches oder das Internet der Dinge auf die Gesellschaft auswirken werden. Dazu ist das Internet wirklich noch Neuland. Auch, wenn sich schon erste Ausstellungen mit den bunten, glitzernden Katzenanfängen des Internets beschäftigen: Wir wissen noch viel zu wenig darüber, was das Internet mit uns als Gesellschaft macht und wie wir das Internet als Gesellschaft nutzen.

So ist die momentane Frage, ob Facebook nicht eine ethische Löschpflicht bei verletzenden Kommentaren hat - von sich aus, nicht erst dann wenn man sie meldet - höchst aktuell. Ist das, was bei Facebook als "Gruppenkonsens" durchgeht der Konsens, den unsere Gesellschaft folgen möchte? Dann hätten wir ein Problem über das wird dringend reden müssen. Facebook hat eine ethische und moralische Verpflichtung, so kann man durchaus argumentieren, denn jede Firma hat diese eigentlich, wenn sie auch nicht immer wahrgenommen wird - und wenn ich als Blogbetreiber dazu verdammt bin jeden Kommentar zu überprüfen und eventuell zu löschen, dann wäre es an der Zeit darüber zu debattieren, warum Facebook das als Firma generell offenbar entweder nicht für nötig hält bei seltsamen Kommentaren zu reagieren und wir wir dann notfalls damit umgehen. (Dass Facebook nicht an deutsches Recht gebunden ist - schon klar. Aber Facebook agiert - hoppla - nicht im "rechtsfreien Raum". Dass ich das mal sagen würde, sowas.)

Wir müssten darüber nachdenken was mit einer Gesellschaft passiert, die auf einmal die Möglichkeit hat jederzeit ungefiltert - na schön, Facebook HAT Filter, wissen wir, aber generell so - Meinungen an eine "Öffentlichkeit" zu geben und diese auch wieder zu reflektieren. Das große Ideal, dass das Internet ein demokratischer Gleichmacher sein würde, der dann allen ermöglichen würde ihre Meinung kundzutun ist ja durchaus eingetreten. Demokratischer und besser ist unsere Gesellschaft aber dadurch nicht geworden, weil die alten Interessen in die neuen mit reinspielen. Wir sind ja nicht ein neuer Mensch geworden, wir haben nur neue Werkzeuge an die Hand bekommen. Und nutzen sie dazu uns digital den Schädel in Diskussionen einzuschlagen. Man kann bisweilen schon verzweifeln, aber wie Douglas Adams schon sinngemäß meinte: "Schreib auf einen Knopf NICHT DRÜCKEN drauf und du findest jemanden, der garantiert drauf drückt." Dass wir uns allzusehr von der Faszination der Technik ablenken lassen statt einmal innezuhalten und zu fragen: "Warum mache ich eigentlich Selfies? Warum schreibe ich eigentlich diesen Post? Warum tippe ich gerade Texte in ein Feld ein, der veröffentlicht wird?" - Wenn jetzt einer mit "Moment, da war doch ein Herr Maslow" um die Ecke kommt und ohne zu googlen weiß, was der gemacht hat - dann wären wir schon mal eine Stufe weiter. Also vielleicht nicht unbedingt bei dem, was Herr Maslow da mal feststellte, aber ja, wir wären schon eine Stufe weiter.

Ich glaube, es wird eine ganze Zeit dauern bis wir - mal wieder im Nachhinein - festgestellt haben was für eine Revolution das Internet ist. Wir erfassen momentan so einige Wellenberge - die "digitale Disruption" fegt durch Büchermärkte, hat die Musikindustrie durcheinandergewirbelt ebenso wie die Fernsehindustrie und demnächst bestellen wir unsere Möbel im Internet statt im Ladenlokal um die Ecke. Wir als diejenigen, die gerade die Boote verlassen haben und am Strand sind ahnen, dass in der Ferne noch Berge, Länder, Zivilisationen liegen könnten. Wir haben auch schon eine Ahnung davon, was passiert wenn wir gewisse neue Kulturtechniken nutzen um uns das Land fruchtbar zu machen. Aber den Kontinent Internet und das, was da alles noch so zu erforschen gibt - den kennen wir allenfalls vom Strand aus. Vermutlich gibts weiter hinten Drachen. Und Einhörner.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.