Gottseidank, sie ist vorbei, die Digitalisierei - oder?
Gottseidank, sie ist vorbei, die Digitalisierei - oder?
Das Interview mit Manuel Herder bei Acquisa wurde schon bei Facebook heiß diskutiert - und wenn Sascha Lobo sich meldet, dann ist das der Beweis dafür, dass das Thema durchaus heiß ist. Manuel Herder jedenfalls liefert allerdings auch einige Statements, die - linde formuliert - anfragbar sind. Der Buchhandel sei nicht tot ist nicht eines davon. Im Gegenteil, je mehr man sich mit dem Buchhandel beschäftigt, desto mehr fallen einem die engagierten lokalen Buchhandlungen auf, die unabhängig von Ketten organisiert werden. Und die bekommen in der letzten Zeit nicht nur vermehrt Zuspruch, sondern werden auch mehr und mehr sichtbar im Netz Geschicktes Storytelling, ein Hauch von Wärme und gute Kundenberatung - das wissen Käufer durchaus offline zu schätzen.
Was dann folgt ist allerdings anfechtbar: Der Kunde verhalte sich nicht so wie erwartet. Na, das ist ja eine Erkenntnis, auf die man im Zeitalter des Analogen nicht hätte kommen können. Das erkläre auch der Rückgang bei den eBooks. - Moment mal. - Haben Amazon und Co. in der letzten Zeit irgendwelche Studien oder Pressemitteilungen herausgegeben, nach denen ihr Gewinne mit eBooks eingebrochen sei? Richtiger ist eher: Das Wachstum von eBooks stagniert momentan oder legt nur leicht zu. Ein Rückgang auf mehrere Jahre gesehen ja, aber andererseits muss man festhalten: Der Markt ist allmählich gesättigt. Daher können rasante Zuwachsraten nicht mehr passieren. Jeder hat heutzutage eh schon einen eBook-Reader - Smartphone - Tablet - was auch immer. Zudem: Wenn der Kunde eher Preise um 0.99 Cent erwartet - man blicke kurz in den Amazon-eBook-Store und was dort an Bestsellern auf den Plätzen zu finden ist, preislich gesehen - dann sind die eher normalen Preise für eBooks - teilweise sind Verlage so unverschämt, die zum gleichen Preis wie die Printfassung anzubieten, ich hab auch schon teurere eBooks als Printvorlagen gesehen - um die 14, 15, Euro also für ein eBook: Da tritt beim Käufer schon Ernüchterung und Überlegung ein. Von daher sind die rückläufigen Zahlen vielleicht auch deswegen rückläufig?
Weiter behauptet Manuel Herder, der Buchhandel habe die Digitalisierung hinter sich und sie für die Zukunft gut aufgestellt. Jetzt ist die Frage: Wie definiert Herder Digitalisierung? Wenn Digitalisierung für ihn nur Webseite, Mail, Apps, sprich die reine Technik ist - und er spricht auch von Big Data, auch wenns er nicht so nennt - dann könnte das eventuell stimmen. Nun, nicht für alle, die Zukunft ist ungleich verteilt und einige Buchhandlungen und Verlage sind weiter als andere. Aber selbst wenn Herder das glaubt: Die Technik steht nicht still, sie entwickelt sich weiter. Bald werden Buchhandlungen mit Augmented Reality oder Hololenses arbeiten, bald werden Bots programmiert werden, die einen Teil des Online-Bestellvorgangs an den Kunden vermitteln und mit denen kommunizieren. Von Robotern mal ganz abgesehen.
Aber Digitalisierung nur auf die reine Technik zu beschränken? Zu kurz gedacht. Digitalisierung ist umfassend. Und die Buchbranche übrigens nicht die erste Branche, die das erleben muss - da gabs sowas wie die Musikindustrie. Diese Behauptung ist also schon mal falsch. Digitalisierung ist zudem auch eine Geisteshaltung, die Herder nicht besitzt. Das geht aus dem letztren Fragepostig hervor: Herder erwirbt Betieiligungen. Zwar lässt man bei den Apps den Gestaltern freie Hand - das klingt Interview so großmütig herablassend: Ach, lass die Spielkinder mal machen, kommt ja eh nichts bei raus. Und der Tolino habe man ja nur entwickelt, um Amazon die Stirn zu bieten. Oder so. Oder ähnlich.
Dass Digitalisierung das komplette Leben umfasst und auf den Kopf stellen wird, das ist Herder nicht bewußt oder er möchte es bewußt nicht sehen. Digitalisierung heißt. sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Im Kopf die alten Normen in Frage zu stellen. Und solange das nicht in den oberen Etagen passiert, solange ist keiner für die nächste digitale Welle vorbeitet....